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Die Landes-CDU und ihre Gründerväter

Schwarz-braune Kontinuitäten

01.03.2011 Der Leiter der Staatskanzlei Schleswig-Holsteins, Arne Wulff, verdanke seinen Doktortitel einer apologetischen Dissertation über Hitlers Justizminister Franz Schlegelberger, so der Historiker Klaus Bästlein. Kein Grund zur Aufregung im Land zwischen den Meeren.

 

In Schleswig-Holstein hat die britische Besatzungsmacht 1947 die Entnazifizierung weitgehend aufgegeben. Britische Analysten betonten in geheimen Lageberichten, dass „die CDU Schleswig Holstein den äußersten rechten Flügel der Partei repräsentiert“. Rechtsaußen gab es neben der FDP, die sich durch ihre deutschnationale Ausrichtung als Auffangbecken für ehemalige NSDAPlerInnen anbot zusätzlich noch die Deutsche Partei, DP und den Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, BHE. Als „Entrechtete" verstanden sich schon damals Deutsche als Opfer - nicht nur der  Kriegsgegner, sondern vor allem der alliierten Besatzung, welche für etliche Nazis  Internierung bedeutete, und Probleme bei der Entnazifizierung. Organisiert wurde der BHE von ehemalige SS-Angehörigen. In der ersten aus Wahlen hervor gegangenen Landesregierung gab es 1950 aber immerhin einen Minister, der vor 1945 kein Mitglied einer NS-Organisation war: Innenminister Dr. Pagel. Nach einer Landtagsdebatte über das 1951 verabschiedete Landesgesetz zur Beendigung der Entnazifizierung notierte Pagel in sein persönliches Tagebuch: „Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen.“ Die wurde betrieben von einer „Koalition aus SA, SS und NSDAP“, wie der Neue Vorwärts der SPD die parlamentarische Mehrheit treffend benannte.

 

 

In den fünfziger Jahren öffnete sich die Schleswig-Holsteiner CDU weit nach rechtsaußen, wodurch es ihr gelang, große Teile der WählerInnen der DP und des BHE anzuziehen. Die CDU im Norden legte sich so eine stramme rechte Basis zu, die auch entsprechende Gegenleistungen erwartete und bekam. So wurde Lina Heydrich, die Witwe des vom antifaschistischen Widerstand liquidierten Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich fürsorglich umsorgt. Der  „Sonderbeauftragte für Entnazifizierung" der Landesregierung - Abgeordneter Dennhardt, vor 1945: Mitglied der NSDAP - besorgte ihr im Frühjahr 1951 eine Villa in Burg Tiefe auf Fehmarn. Die hatte ihrem Mann gehört und unterlag eigentlich der Vermögenssperre.   Auch die Justiz fällte ein für Lina Heydrich sehr positives Urteil: 1958 sprach ihr das Schleswiger Landessozialgericht eine Pension aus dem Bundesversorgungsgesetz zu, da ihr Mann „als Reichsprotektor für Böhmen und Mähren den Soldatentod" gestorben sei.

 

In Schleswig-Holstein tauchten nach dem Sieg der Alliierten nicht nur viele Nazis unter wie der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höss, der auf Sylt entdeckt wurde. Die meisten Nazis brauchten sich nicht zu verstecken. So auch Franz Schlegelberger, dem Hitler persönlich 1938 das goldene .Parteiabzeichen der NSDAP überreicht hatte. Schlegelberger war zuvor kein Mitglied der NSDAP, aber 1933 bei der Machtübergabe an die Nazis behielt er seinen Posten in der Regierung: Staatsekretär und Stellvertreter des Justizministers Franz Gürtner, der ebenfalls schon seit 1931 im Amt war und von Hitler übernommen wurde.

 

Nach Gürtners Tod war Schlegelberger 1941/42 geschäftsführender Justizminister. Er leitete die Euthanasiekonferenz, auf der die Straffreiheit für die Ermordung der Euthanasieopfer beschlossen wurde, propagierte nach der Wannseekonferenz die Zwangssterilisation der als Halbjuden kategorisierten Menschen. Schlegelberger verantwortete auch die Polenstrafrechtsverordnung, in der es hieß: „Polen und Juden ... werden mit dem Tode bestraft, wenn sie gegen einen Deutschen wegen seiner Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum eine Gewalttat begehen.“

 

Auf diese machte der Jurist Dr. Klaus Bästlein in seiner Eröffnungsrede für die Ausstellung „Justiz im Nationalsozialismus“ im Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerich aufmerksamt: „Diese Verordnung vom 4. Dezember 1941 war der Höhepunkt nationalsozialistischer Gesetzgebung auf strafrechtlichem Gebiet.“ Die Rede Bästleins wurde bis zu ihrer Drucklegung im Januar im Justizministerialblatt „Schleswig Holsteinische Anzeigen“ nicht weiter beachtet. Dabei enthielt sie massive Kritik an der aktuellen Landespolitik. Die Landesregierungen würden „durch ganze Legislaturperioden auf zeitgeschichtlichem Gebiet untätig bleiben“. Seit 2000 hat „Schleswig-Holstein bis heute keine Bundesmittel für Gedenkstätten zum Nationalsozialismus abgerufen.“ Und es sei das einzige Bundesland, in dem es keine von Fachleuten betreute Gedenkstätte zur Geschichte des Nationalsozialismus gäbe. „Die einzige hauptamtlich geführte Gedenkstätte im Lande, nämlich die KZ-Gedenkstätte Ladelund, wird auf Initiative der Evangelischen Kirche von einer 'Religionspädagogin' geleitet und nicht von einer historisch dafür qualifizierten Person,“ erläutert Bästlein in einer Fußnote.

 

Seine Rede dagegen ist ein gutes Beispiel für das engagierte Erinnern. So schildert er an einem Fall aus Dithmarschen, wie gnadenlos die Polenstrafrechtsverordnung, die Franz Schlegelberger zu verantworten hat, vom Schleswig-Holsteinischen Sondergerichtshof angewandt wurde. Am 15 Januar 1943 erließ dieser gegen Bronislaw Duda ein Todesurteil. Er hatte mit einem deutschen Vorarbeiter auf dem Feld einen Streit, der in Handgreiflichkeiten überging, und mit einer Wunde des Vorarbeiters endete, die ärztlich versorgt wurde, und die keine bleibenden Schäden hinterließ. Bästlein zitierte in seiner Rede aus dem Urteil: „Der Angeklagte ist Angehöriger eines Volkstums, das nicht nur während des Krieges, sondern schon im Frieden, insbesondere bei der Verfolgung der Volksdeutschen eine erhebliche Gehässigkeit gegen das Deutschtum und eine maßlose Grausamkeit gezeigt hat und dem deutschen Volk schweres Leid zugefügt hat.“

 

Schlegelberger, so führt Bästlein aus und so wird es auch aus antifaschistischer historischer Literatur deutlich, bemühte sich engagiert darum, dass die Justiz die nationalsozialistische Gesetzgebung umsetzte. Bästlein zitiert aus einem Brief Schlegelbergers an Hitler: „“Ich fühle mich Ihnen, mein Führer, verpflichtet, die Richter darauf aufmerksam zu machen, falls eine Entscheidung mit dem Willen der Staatsführung nicht übereinstimmt“.

 

Nachdem er in seiner Rede ausführlich auf den NS-Justizminister Schlegelberger eingegangen ist, kommt Bästlein auf eine Dissertation von 1991 zu sprechen: „Sie trägt den Titel 'Staatsekretär Prof. Dr. Dr. hc Franz Schlegelberger' und kommt wie eine Festschrift mit einem ganzseitigen Foto hinter der Titelseite daher.“ Der Verfasser, Dr. Arne Wulff, leitet seit Oktober 2009 die Staatskanzlei Schleswig-Holsteins für den Ministerpräsidenten Harry Peter Carstensen (CDU) (, und war zuvor langjähriger Vorsitzender der Ratsfraktion der Kieler CDU, Anmerkung der Redaktion.) Bästlein: „Und diese Staatskanzlei leitet heute ... einer, der Hitlers zeitweiligen Justizminister und dessen Verbrechen in seiner Dissertation an der Universität Kiel vor 20 Jahren offen verteidigte! Ich räume ein dass mich das fassungslos macht.“

 

Laut einem Artikel in der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung shz“ gab es „Unbehagen“ über den Abdruck der Rede von Klaus Bästlein. Und zwar sowohl im Justizministerium, in der Staatskanzlei und beim Oberlandesgericht, welches die redaktionelle Zusammenstellung des Justizministerialblattes mit dem Namen „Schleswig-Holsteinische Anzeigen“ besorgt. Der Innenminister Klaus Schlie protestierte laut der shz gegenüber dem Justizminister Emil Schmalfuß gegen den geplanten Abdruck. Der entschied sich aber dafür, die abgedruckte Rede in seiner Einleitung im Justizministerialblatt mit keinem Wort zu erwähnen. Die „Schleswig-Holsteinische Anzeigen“ sind ein klassisches Verwaltungs-Fachblatt, dass seit 1750 erscheint und sich in der Regel mit Themen wie der „Auflösung einer Bruchteilsgemeinschaft unter geschiedenen Eheleuten“ beschäftigt. Der Journalist Erich Maletzke von der shz, der am 9. Februar Bästleins Rede in einem Artikel aufgriff, blieb allein auf weiter Flur. Kaum war sein Artikel erschienen, konterte die Pressestelle der Landesregierung mit einer Erklärung von Arne Wulff zu den Vorwürfen Bästleins, dass diese nicht zutreffend seien: „Vielmehr wurde die Arbeit durch mich so abgefasst, dass sich jeder Leser ein eigenes Urteil bilden kann, ohne vom Autor in eine vorgefasste Meinung bewegt oder gedrängt zu werden. Mir daraus eine Rechtfertigung des Tuns und Handelns Schlegelbergers vorzuhalten, ist konstruiert und politisch infam.“ Im übrigen sei die Dissertation mit magna cum laude bewertet und von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert worden. Na denn...

 

Wulff erklärte, „die Arbeit ist insoweit auch auf Grund ihrer Vielzahl von Quellen dokumentarisch und nicht bewertend oder politisch. Dies war auch so gewollt.“ Dagegen erklärte Klaus Bästlein in seiner Rede: „... erweckt die Darstellung den Eindruck, wertneutral zu sein. Dabei ist die Parteinahme für Schlegelberger ohne weiteres erkennbar, wenn sich der Verfasser dessen Exkulpation zu eigen macht, er sei nur im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten.“

 

Nachdem die Pressestelle die Erklärung von Arne Wulff an die Medien gegeben hatte, gab es keinen einzigen weiteren Beitrag zu dem Thema. Ein Schweigen herrscht im Lande zu dem Vorwurf, der Leiter der Staatskanzlei hätte den Nazi-Justizminister Franz Schlegelberger exkulpiert. Arne Wulff betont, er habe sich „immer zur Demokratie bekannt und an meiner Ablehnung gegenüber allen totalitären Systemen, einschließlich des Faschismus und Kommunismus, keinen Zweifel gelassen.“ Und wer Totalitarismus ablehnt, ist wohl erhaben über den Vorwurf, eine gegenüber einem hohen Nazi-Funktionsträger apologetische Haltung einzunehmen. Schluss der Debatte?

 

Schlegelberger wurde in den 50er Jahren bereits offiziell entnazifiziert. Obwohl er 1947 der Hauptangeklagte im Juristenprozess der Nürnberger Prozesse gewesen ist und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen worden war. Nachdem die Alliierten ihn 1951 aus humanitären Gründen aus der Haft entlassen hatten, wurde Schlegelberger alsbald rehabilitiert. Sein Sohn Hartwig Schlegelberger, der selbst vor 1945 noch Marinekriegsrichter war, machte nach 45 in der CDU rasch Karriere, wurde im Kreis Flensburg zum Landrat gewählt und später Minister. Bästlein in einer Rede: „Die Entnazifizierung von Vater Franz erfolgte daher im Schnellgang: Er wurde in die Kategorie V für Entlastete eingestuft, die auch für Widerstandskämpfer galt. Das Land Schleswig-Holstein zahlte ihm die volle Pension eines Staatssekretärs“. Beaufsichtigt wurde dies vom „Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung“ der Landesregierung - dem Abgeordneten Dennhardt. Schlegelberger lebte noch bis 1970 als wohlhabender Mann in Flensburg und starb dort 94- jährig.     

(Gaston Kirsche)

 

 Die Ausgabe der „Schleswig-Holsteinischen Anzeigen“ vom Januar 2011 mit der Rede Bästleins ist für 9,50 Euro (inklusive Porto) erhältlich beim J. J. Augustin Verlag, Glücksstadt. E-Mail: augustinverlag@t-online.de