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Geisterstadt Neumeimersdorf?

Bauboom in Kiel

Kiel

01. März 2015 Erinnern Sie sich? Die Immobilienblase in Irland 2008: 2.881 Geistersiedlungen gibt es in Irland, insgesamt stehen rund 300.000 Häuser und Wohnungen leer. Ein Neubaukomplex gilt als Geistersiedlung, wenn mehr als die Hälfte der Häuser unbewohnt ist. Schuld daran ist, so die TAZ,  eine Allianz aus Politikern, Bankiers und Bauunternehmen, die während des Booms glaubte, man könne durch die Immobilienspirale immer reicher werden (1)/ In vielen anderen Ländern gab es ähnliche Entwicklungen , in Spanien, in den USA. Ist Kiel vor Geistersiedlungen gefeit?

Ja, Kiel ist eine wachsende Stadt, so wiederholen es Politik und Verwaltung gebetsmühlenartig. Sie berufen sich dabei auf Berechnungen des Amtes für Statistik aus dem Jahre 2011. Doch wie werden diese für uns so bedeutsamen Zahlen errechnet? Was für Annahmen fließen ein, was bleibt außen vor?

Ein Blick hinter die Kulissen der Statistik

Die Prognose (2)wurde mit dem Programm ProPlan GIS (3) erzeugt. Dazu werden auf der Basis der Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre in einem Stadtteil und der hier zusätzlich schon geplanten Neubauten die Zahlen der Zukunft errechnet und damit ein weiterer Mehrbedarf. Als weiterer Punkte spielen die Geburtenrate sowie die Immobiliennachfrage mit in die Berechnung. Hingegen fließen Arbeitsplatzangebot, Arbeitslosenrate, Planungen in benachbarten Stadtteilen oder Kommunen nicht ein. Der entsprechende Bedarf in Irland ließ sich ähnlich errechnen, nur zu dumm, dass alle Kommunen das Gleiche taten. Einhellig weisen aber alle großen Bevölkerungsstudien Deutschlands auf den demografischen Wandel, also das Älterwerden der Gesellschaft hin. Dieser wird – so die Voraussagen, in fast ganz Deutschland zu einem Bevölkerungsrückgang führen.

Gibt es also keinen Bevölkerungszuwachs mehr in Kiel?

Doch, aber nicht in dem genannten Ausmaß: Verschiedene Prognosen gehen von einem weiteren Bildungszuwachs bis ca. 2025 aus: Das sind zum einen Doppelabiturjahrgänge aber auch die Tendenz, statt Ausbildung ein duales Studium zu machen u.ä. Er dürfte jedoch auch deutlich unter den von der Stadt prognostizierten 12.000 Menschen liegen.

Werden die jungen Leute bleiben?

Das ist die große Frage, die in der Vergangenheit vielfach mit Nein beantwortet werden musste. In Kiel lässt es sich studieren, doch danach gibt es für viele Studierende kein Arbeitsplatzangebot. Und ist Kiel attraktiv genug für die kleinen Start-up-Unternehmen? Dazu konkurriert der Kieler Wohnungsmarkt gerade in Bezug auf junge Familien mit ähnlichen Angeboten wie in Neu-Meimersdorf mit Kronshagen, Altenholz , Heikendorf, Klausdorf/Schwentine sowie Gettorf und Preetz. Und diese Gemeinden arbeiten mit den gleichen Prognoseinstrumenten und weisen entsprechend Neubaugebiete aus…

Aber wir brauchen doch Studentenwohnungen, oder?

Richtig: Sowohl der studentische als auch der gesamte Markt für niedrigpreisigen Wohnraum in Kiel ist sehr eng. Das hat u.a. damit zu tun, dass die Stadt in den 90er Jahren fast den kompletten eigenen Wohnungsbestand verkauft hat und damit ein wichtiges Steuerungsmittel für die Mieten aus den Händen gegeben hat. Wohnungen mit Wohnraumberechtigungsschein sind äußerst knapp geworden. Im mittel– und hochpreisigen Segment herrscht kein Wohnungsmangel (KN-Immobilienmarkt aufschlagen!). Durch den Wegzug in Neubaugebiete sollen alte, niedrigpreisige Wohnungen auf den Wohnungsmarkt kommen: Doch diese Rechnung geht nicht auf, da die Vermieter häufig einen Mieterwechsel zum Anlaß für umfangreiche Sanierungen und Mieterhöhung nehmen. In den Neubaugebieten werden nur wenige Wohnungen für ein gewissen Zeitraum mietpreisbeschränkt.

Notwendige Reserven

Bei einer Veranstaltung von vor zwei Jahren (4) sprach Haus&Grund von einem vorhandenen Überschuss von 5000 Wohnungen. Die Wohnungswirtschaft rechnet mit einer notwendigen Fluktuationsreserve von 2-3%, d.h. entsprechend für Kiel bei vorhandenen 130.000 Wohnungen rund 3000. Daher ist es sicherlich nicht verkehrt, neue Bebauungsgebiete behutsam und nicht überhastet zu erschließen und zu entwickeln. Dabei ist auf eine gute Wohnqualität zu achten, da sonst bei vermutlich spätestens nach 2030 wieder sinkender Bevölkerungszahl diese Wohnungen unattraktiv werden und leerstehen.

Maximalbebauung auf Insellage?

Wer beschließt eigentlich, dass Wohnraumreserven nicht in den Nachbarorten liegen dürfen? Die Landesregierung fordert interkommunale Zusammenarbeit, um den desaströsen Wettbewerb zwischen den Kommunen aufzuhalten. Und sollten wir BürgerInnen nicht ein Entscheidungsrecht dazu haben, wieviel Stadtfläche überhaupt maximal überbaut werden darf? Die Politik verweist immer auf die durch die Fördelage bedingten geringen Gebietsreserven - das gilt für jede kreisfreie Stadt! Dann gibt es halt Grenzen für Bevölkerungswachstum, wie auf jeder Insel – wir müssen sie nur als maximal zu überbauende Fläche gemeinsam diskutieren und dann beschließen.

Was macht ein gutes innerstädtisches Wohnumfeld aus?

Vorteile eines innerstädtischen Wohnens sind v. a. kurze Wege. Nachteile Lärm, Überwärmung und je nach Lage wenig Grünflächen. Deswegen ist es entscheidend, bei Lücken und Konversionsbebauung (z.B. Parkplatz der Alte Feuerwache wird in Wohnquartier umgewandelt) auf ausreichend Grün zum Klimaausgleich und attraktivem Wohnumfeld zu achten. Bekanntermaßen werden in Kiel zur Zeit so gut wie alle innerstädtischen Bauvorhaben mit maximal möglicher Wohnungszahl gebaut, so als käme es auf jede einzelne Wohnung für die Stadt an. Das gilt aber nur für den Investorengewinn.

Wo überall sind Wohnungsneubauten geplant oder im Bau?

U.a. Alte Feuerwehr, Hörn, Südfriedhof (Hagemann-Gerüstbau-Gelände), Edur-Pumpenwerk Hassee, Schauenburger Straße nahe Groß-Kielstein, Anscharpark (Gelände des ehemaligen Marinelarzaretts), Steenbeker Weg... In großem Stil auf dem Marinefliegergelände in Kiel-Holtenau, in Kiel-Meimersdorf. Und trotzdem sieht der Bürgermeister unverändert Konflikte zum noch vorhandenen städtischen Grün. „Wohnen oder Grün“ waren seine Worte bei der Auftaktveranstaltung zum Kleingartenentwicklungskonzept.

Gewinner und Verlierer „der wachsenden Stadt“?

Viele der Bauvorhaben werden an große Baufirmen vergeben, darunter z.B. die Frank-Heimbau (z.B. Feuerwache), in der der ehemalige Stadtbaurat Ronald Klein-Knott dem Bereich Geländeaquisition (5) vorsteht. Die wenigsten Gelände werden überhaupt Privatpersonen oder gar Genossenschaften angeboten: Von der Stadt wurde wiederholt die GEWOS beauftragt, für ein Wohnungsmarktkonzept oder auch für öffentliche Veranstaltungen. Die GEWOS berät private und öffentliche Unternehmen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Banken, Bausparkassen und Versicherungen, an Kammern und Verbände sowie die öffentliche Hand.(6)  Verlierer sind all die Stadtteile, denen die Prognosen (2) Bevölkerungsrückgänge voraussagen.

Eine nachhaltige Stadtentwicklung ist möglich!

Die Wohnungsmarktstudie Kiel (7) gibt Vorschläge, wie von Bevölkerungsabwanderung betroffene Stadtteile (z.B: Friedrichsort, Ellerbek) (2, S.10) aufzuwerten sind, um die eingangs erwähnten Geistersiedlungsszenarien zu verhindern. Bevor also weiter im Kieler Süden in großem Stil riesige Flächen für den Wohnungsbau bereitgestellt werden, muss erst eine Aufwertung der bestehenden Strukturen im Norden und Osten stattfinden. Langfristig gesehen dürfte dies für die Stadt sogar deutlich kostengünstiger sein: So gibt es dort eine bestehende Infrastruktur in Bezug auf Verkehr; Einkaufen, Schule, Erholung, die im Süden erst kostspielig geschaffen werden muss. Bauliche Aufwertung kann lokalen Handwerksbetrieben zugute kommen, während große Bauvorhaben typischerweise von externen Anbietern verwirklicht werden. Der innerstädtische Bereich darf durch Baumaßnahmen nicht noch weiter verdichtet werden und dadurch an Attraktivität verlieren. Zu guter Letzt  muss endlich eine echte Bürgerbeteiligung darüber stattfinden, wie unsere Stadt der Zukunft aussehen soll: Wie wollen wir wohnen und leben? Wie viel überbaute Fläche kann Kiel vertragen?           

(Ulrike H.)

   

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