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AKW-Katastrophe in Japan

Ein neues Tschernobyl

01. April 2011 Am 11. März 2011 gab es vor der japanischen Küste ein folgenschweres Erdbeben, eines der fünf stärksten weltweit je gemessenen Erdbeben. Die von ihm ausgelösten Flutwellen, sogenannte Tsunamis, verheerten weite Landstriche an der Küste nördlich der Hauptstadt Tokyo. Durch das Beben haben sich die Atomreaktoren in der Region automatisch abgeschaltet, und zwar in der nicht gerade unproblematischen Schnellabschaltung, die hohe Ansprüche an die Notkühlung stellt.

An drei von sechs Reaktoren im Kraftwerkskomplex Fukushima Daiichi (Fukushima I) versagten diese dann auch; vermutlich aufgrund von Schäden, die durch die Tsunamis verursacht wurden. Notstromaggregate sprangen nicht an, einige Stunde lang konnten die Kühlpumpen der Siedewasserreaktoren noch per Batterie betrieben werden. Da aufgrund des Erdbebens das öffentliche Stromnetz in der Region zusammen gebrochen war, konnte zunächst auch von außen Strom geliefert werden. Das war erst nach knapp zwei Wochen wieder möglich.

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(Foto: Pewe, Arbeiterfotografie, Kiel)

In der Folge fiel der Wasserstand in den Reaktordruckbehältern dramatisch ab. In allen drei Reaktoren lagen die Brennstäbe zumindest zeitweise frei, bzw. teilweise frei. Das ist in sofern verheerend, als in den Brennstäben auch nach Abbruch der Kettenreaktion noch viel Wärme entsteht, die abgeführt werden muss. Andernfalls kommt es zur Kernschmelze, das heißt, die Brennstäbe verflüssigen sich und fließen auf dem Boden zusammen.

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Durch die Überhitzung der Reaktoren ist der Druck in den Kesseln, das heißt, der Druckbehälter, stark gestiegen. Die Betreibermannschaft hat daher an allen drei Reaktoren um eine Kesselexplosion zu vermeiden, Dampf abgelassen. Dadurch wurde nicht nur radioaktives Material in die Umwelt entlassen, sondern auch Wasserstoff. In der Folge gab es in den drei Reaktorgebäuden schwere Explosionen, vermutlich ausgelöst durch Wasserstoff. In einem Falle wurde das benachbarte Abklingbecken des Reaktors 4 beschädigt, dass sich daraufhin entleerte. Das Ergebnis: Die dort gelagerten abgebrannten Brennstäbe erhitzten sich stark und fingen Feuer, wodurch weitere Radioaktivität freigesetzt wurde.

Keine Kontrolle

Bei Redaktionsschluss, gut zwei Wochen nach dem Erdbeben, hatte AKW-Betreiber Tepco, das weltgrößte Unternehmen seiner Art, noch immer keinen seiner drei Havaristen unter Kontrolle. Mal hieß es, die Temperaturen hätten abgesenkt werden können, dann wieder wird vom erneut aufsteigenden Rauch oder auch Wasserdampf über dem einen oder anderen der Reaktoren berichtet. Die Informationen sind spärlich, widersprüchlich meist verspätet. Gegen Ende des Monats verkündet die internationale Atomenergieagentur IAEA in Wien, die ausgetretene Radioaktivität sei inzwischen mit der Tschernobyls vergleichbar. Japanische Beobachter gingen davon aus, dass bei mindestens einem der Reaktoren inzwischen der Sicherheitsbehälter, auch Containment genannt, nicht mehr geschlossen ist.#

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Einige Tage zuvor sollte die Öffentlichkeit noch mit Temperaturmessungen beruhigt werden. Diese wurden von Helikoptern aus mittels Infrarotsensoren durchgeführt. Was heißt das? Zum einen haben die Betreiber offensichtlich weder im Reaktordruckbehälter, noch im umgebenden Sicherheitsbehälter noch im Betriebsgebäude noch die Möglichkeit, kontinuierlich zu messen. Die Bedienungsmannschaft agiert also weitgehend blind, zumal auch Menschen wegen der hohen Strahlung sich nicht lange, wenn überhaupt, in der Nähe der Reaktoren aufhalten können.

Zum anderen machen die Temperaturwerte, die angeblich so positiv waren, stutzig. Vom Reaktor 3 wurden 128 Grad über dem Sicherheitsbehälter gemeldet. Um zu verstehen, was dieser Wert bedeutet, muss erläutert werden, wie die Reaktoren aufgebaut sind: Im Inneren befindet sich der Kessel, der Druckbehälter, in dem die Brennstäbe im Wasser hängen. Der Kessel befindet sich im Sicherheitsbehälter, dem sogenannten Containment. Der sollte eigentlich so ausgelegt sein, dass er allen Widrigkeiten standhält, selbst einem GAU, das heißt, dem größten anzunehmenden Unfall. Dass letzteres allerdings nur ein frommer Wunsch ist, zeigt sich zur Zeit mal wieder in Fukushima. Die hohen Werte an Radioaktivität, die dort inzwischen im weiteren Umfeld der Reaktoren gemessen werden, deuten eher darauf hin, dass vielleicht schon an einem der Havaristen der Sicherheitsbehälter beschädigt ist. Das könnte durch eine der Explosionen geschehen sein, die sich in den ersten eineinhalb Wochen nach dem Beben ereignet haben.

Aber zurück zu den Temperaturen. Wenn außerhalb des Containments eine Temperatur von 128 Grad gemessen wird, dann muss es im Inneren natürlich noch viel heißer sein. Derartige Temperaturen lassen darauf schließen, dass im Inneren des Druckbehälters das Wasser längst vollständig verdampft ist und die Brennstäbe zumindest teilweise aufgeschmolzen sind, mithin die Kernschmelze begonnen hat.

Wie kommt es dazu? In einem Atomreaktor sind Brennstäbe aus Uranoxid oder, wie im Falle des besonders heißen Reaktor 3 in Fukushima Daiichi, Uran- sowie Plutoniumoxid, so angeordnet, dass eine Kettenreaktion in Gang kommt. Die Neutronen, die beim spontanen Zerfall des radioaktiven Urans freigesetzt werden, zerspalten weitere Atomkerne, wodurch wiederum Neutronen freigesetzt werden. Dafür dürfen sie nicht allzu schnell sein, weil sie sonst nicht von den Kernen eingefangen werden können. Ein Moderator ist daher notwendig, meist das Kühlwasser, um die Neutronen abzubremsen. Nur so kann die Kettenreaktion aufrecht erhalten werden.

Weitere Bedingung für die Kettenreaktion ist, das genügend spaltbares Material, also Plutonium und Uran, vorhanden ist. Die Physiker sprechen auch von der kritischen Masse, die erreicht sein muss. Das hört sich trivial an, ist aber für den Betrieb eines AKW sehr wichtig. Werden nämlich sogenannte Steuerstäbe zwischen die Brennstäbe gefahren, die den Neutronenfluss unterbrechen, dann bricht die Kettenreaktion ab, weil die einzelnen Stäbe nicht genug Brennstoff für ihre Aufrechterhaltung enthalten ist. Hinweis am Rande: Nicht alles Uran ist als Brennstoff geeignet sondern nur das Isotop U-235.

Woher kommt denn aber nach dem Abschalten, also dem Einfahren der Steuerstäbe, noch die Wärme? Die Energie in einem Atomkraftwerk wird von den Spaltprozessen geliefert. Jeder einzelne Atomkern setzt, wenn er zerfällt, erheblich mehr an Energie frei, als wenn er einfach nur mit einem anderen Atom oder Molekül chemisch reagieren würde. Dabei spalten sich nicht nur die Uran- und Plutoniumkerne, sondern auch viele ihrer Spaltprodukte. Die Kettenreaktion des Urans und des Plutoniums steht nur am Kopf einer ganzen Kaskade von radioaktiven Zerfallsprozessen. Wird sie abgebrochen, sind in den Brennstäben immer noch jede Menge instabile Spaltprodukte vorhanden, die weiter zerfallen und dabei Energie freisetzen.

Die Brennstäbe liefern daher auch nach dem Abschalten zunächst noch fünf bis zehn Prozent der Vollleistung des Reaktors, weshalb diese Energie unbedingt aus dem Reaktor abgeführt werden muss. In deutschen Atomkraftwerken gibt es in der Regel vier von einander unabhängige Notkühlsysteme, die diese Aufgabe im Notfall übernehmen können, wenn das Kraftwerk keinen eigen Strom mehr erzeugt und auch von außen keinen beziehen kann. In den japanischen Reaktoren in Fukushima waren das wohl nur je zwei oder drei, die aber nach dem Erdbeben an drei Reaktoren alle ausfielen.

Versagt die Kühlung aber, so verdampft das Wasser im Reaktordruckbehälter, was zwei Probleme mit sich bringt. Zum einen steigt der Druck im Kessel derart stark, dass dieser explodieren kann. In Fukushima wurde daher aus allen havarierten Reaktoren Dampf abgelassen. Zum anderen zerlegt die starke radioaktive Strahlung einen Teil der Wassermoleküle im Dampf zu Wasserstoff und Sauerstoff. Dieses Problem haben die japanischen Techniker offenbar nicht in den Griff bekommen. Zumindest einige der Explosionen, von denen berichtet wurde, sind Wasserstoffexplosionen gewesen.

Wenn das Wasser erst mal verdampft ist, erhitzen sich die Brennstäbe immer weiter. Ab einem bestimmten Zeitpunkt darf denn auch kein neues Kühlwasser mehr eingeführt werden, weil es sonst zu einer Wasserdampfexplosion käme. Das heißt, die Brennstäbe sind dann bereits so heiß, dass Wasser explosionsartig verdampft, wenn es mit ihnen in Berührung kommt. Eine solche Explosion könnte unter Umständen Druckbehälter und Containment zerfetzen.

In Fukushima wurde daher schon einige Tage nach dem Beben damit begonnen, einige der Containments, das heißt, den Bereich zwischen Druck- und Sicherheitsbehälter, mit Meerwasser zu fluten und die Containments von außen mit Wasser zu bespritzen. Das kann jedoch die Kernschmelze im Inneren der Druckbehälter nicht aufhalten. Dort sammelt sich irgendwann, vermutlich hat dieser Prozess bereits in einem oder mehreren der havarierten Reaktoren eingesetzt, das flüssige Uran- und Plutoniumoxid – letzteres nur in Reaktor 3 – auf dem Boden des Druckbehälters. Uranoxid hat einen Schmelzpunkt von etwas über 2800 Grad Celsius, Plutoniumoxid verflüssigt sich schon bei 2400 Grad Celsius. Man kann sich vorstellen, dass der Stahl des Druckbehälters solchen Temperaturen nicht ewig stand hält.

Zumal es auch noch heißer werden kann. Wenn die Brennstäbe nämlich weitgehend geschmolzen sind und das spaltbare Material mit einander verklumpt, dann kann durchaus die kritische Masse erreicht werden, die für das erneute Ingangsetzen der Kettenreaktion nötig ist. Es entsteht also wieder ein neuer Reaktor; einer, der in keiner Weise mehr steuerbar ist. Diese Situation ist allerdings nicht mit einer Atombombe zu verwechseln: Zu einer nuklearen Explosion kann es in keinem Atomkraftwerk der Welt kommen. Dafür müssten die Brennstäbe mit großer Kraft aufeinander zuschießen.

Es sind allerdings Explosionen anderer Art möglich. Wenn die Kernschmelze sich durch den Boden des Reaktorbehälters brennt, dann fällt sie in das Containment. Dieses ist aber im Falle der drei Fukushima-Reaktoren derzeit zumindest teilweise mit Wasser gefüllt. Es käme also zu einer Wasserdampfexplosion, die die Sicherheitsbehälter vermutlich sprengen würde. Das Ergebnis wäre die Freisetzung zusätzlicher extrem großer Mengen an Radioaktivität.

(wop)

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Bundesweit demonstrieren am Ostermontag, 25. April 2011:

In Schleswig-Holstein zum AKW Brunsbüttel und AKW Krümmel!

Auftakt: 5 vor 12 Uhr • 14 Uhr Atomalarm

25 Jahre Tschernobyl – AKWs endlich abschalten!

Großproteste an zwölf Standorten: AKW Biblis – AKW Brunsbüttel – AKW Esenshamm – AKW Grafenrheinfeld – AKW Grohnde – Gronau/Ahaus – AKW Gundremmingen – AKW Krümmel – Lubmin – AKW Neckarwestheim – AKW Philippsburg – Braunschweiger Land

Zwölf Protestaktionen an zwölf Orten – Am 25. April, 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, tragen wir den Konflikt um die Atomkraft direkt an die Atom-Standorte. Die Großdemos rücken jetzt den Landesregierungen auf den Leib. Denn diese können mit hohen Sicherheitsanforderungen einzelne Meiler stilllegen. Und wenn ein Bundesland beginnt, Atomkraftwerke abzuschalten, gerät auch der Atom-Beschluss der Bundesregierung über längere Laufzeiten ins Wanken. Dafür muss der politische Druck für einen echten Atomausstieg von der Straße groß genug werden: AKWs endlich abschalten!

Infos: www.ausgestrahlt.de