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Nach dem G20-Gipfel:

Rote Flora – Wir müssen Reden

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Fotos: wop

01. August 2017 Nach den militanten Protesten gegen den G 20-Gipfel und dem Riot auf dem Schulterblatt im Hamburger Schanzenviertel am 7. Juli hagelt es Schuldzuweisungen an das autonome Zentrum Rote Flora. Dort wird auf Debatte im Stadtteil und innerhalb der linken Szene gesetzt.

Kein Tag verging in der Woche nach dem G20-Gipfel ohne dass ein neues Fernsehteam am Schulterblatt stand und drehte. Ein Kameraschwenk von den drei eingeschlagenen Geldautomaten der ausgebrannten Filiale der Hamburger Sparkasse rüber zum Autonomen Zentrum in dem markanten alten Gebäude eines Varietétheaters, ein paar kurze Interviews mit Vorbeigehenden oder ein vor der Kulisse der Roten Flora gesprochener Text und der Beitrag ist im Kasten. An der Straße liegen viele Geschäfte, Restaurants, Bars. In der Nacht auf den 8. Juli vertrieben dort auf einem etwa 600 Meter langen Abschnitt Vermummte Schwarzgekleidete Protestierende die Polizei mit Steinwürfen: Wasserwerfer wichen zurück. Vier Stunden lang gab es auf dem Schulterblatt keine Staatsgewalt. Barrikaden wurden gebaut, Tausende Schaulustige, die auf der Partymeile unterwegs waren, Anwohnende, Gruppen von Jugendlichen lebten sich aus.

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Ein Ausbruch von spontanen Regelverstößen war die Folge: Schaufenster wurden eingeworfen, sieben Läden ausgeräumt. Auf spektakulären Fernsehaufnahmen und Pressefotos scheint ein ganzer Stadtteil zu brennen. Diese Bilder eines scheinbar auch räumlich völlig entgrenzten, real recht kleinräumigen Ausbruchs spontaner Gewalt suggerierten ein komplettes Chaos. Seitdem werden Autonome als schwarzer Block für diesen Riot verantwortlich gemacht, und als Kommandozentrale die Rote Flora ausgemacht.

Wenngleich viele Geschäftsleute aus dem Schulterblatt erklärt haben, das vor allem Cliquen von Heranwachsenden und Besoffenen die Situation ausgenutzt und eskaliert haben, während Vermummte sich teilweise schützend vor Geschäfte gestellt oder Fahrräder in Hinterhöfen in Sicherheit gebracht haben, sehen Polizeiführung und die Landesregierung die Schuld ausschließlich bei Autonomen, einem schwarzen Block und – der Roten Flora. Das Zurückdrängen der Polizei war m. E. ein kollektiver Akt von Autonomen, die sich dann zurückzogen bzw. ausruhten. Danach war ungeregeltes Chaos. Die Masse waren Erlebnishungrige, Partyleute und Cliquen. Die Verantwortung von Autonomen war es offensichtlich, einen Raum geöffnet zu haben, in dem sich dann Andere unkontrolliert, ob verabredet oder nicht, ausagiert haben. Die Verantwortung der Polizeiführung war es, genau in diesem Raum stundenlang durch Abwesenheit zu glänzen. Deshalb: Riot.

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Deutlich seltener wird dagegen mit Aktiven aus der Roten Flora gesprochen. Dabei kommt kaum ein Beitrag aus, ohne sich an der vermeintlichen Kommandozentrale abzuarbeiten. In der Debatte der Hamburgischen Bürgerschaft forderte die oppositionelle CDU (ebenso wie die AFD) die Räumung und Schließung des autonomen Zentrums. In seiner Regierungserklärung verkündete Bürgermeister Olaf Scholz: „Natürlich werden wir uns fragen, was das Gipfelgeschehen für den Umgang mit jenen Linksextremen bedeutet, die nicht selber Straftaten begehen, aber sehr wohl für die nötige Logistik sorgen.“ Und Hamburgs Innensenator Andreas Grote, ebenfalls SPD, sekundierte: „Wir werden uns auch mit den Hintergründen und den Strukturen beschäftigen, einschließlich der Roten Flora.“

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Das interne Plenum der Roten Flora, ist im Moment gut besucht. Leute aus den verschiedenen in der Flora aktiven Gruppen treffen sich dort einmal in der Woche: Die Siebdruckgruppe, die Motorradwerkstatt, das Café, die Raumvergabegruppe, das Archiv der sozialen Bewegungen, die Musikbands aus den Proberäumen im Keller, die politischen Gruppen. Im Plenum gibt es viel Gesprächsbedarf. Auch Unzufriedenheit, etwa weil sich der langjährige juristische Vertreter der Flora, Andreas Beuth, ohne Rücksprache in einem Interview zum Sprecher des Zentrums ernannt hat – ein Posten, den es so nicht gibt. Es gibt zwei in der Öffentlichkeit bekanntere Aktive, die oft um Stellungnahmen gebeten werden. Dabei wissen Schreibende, die direkt mit der Roten Flora zu tun haben, dass es wechselnde, temporäre Sprecher und Sprecherinnen gibt. Autonom selbstorganisiert gibt es keine hierarchischen Strukturen. Nach dem Plenum vom 11. Juli hat die Rote Flora eine Erklärung veröffentlicht: „In den Medien wird seit dem Gipfel-Wochenende eine systematische Hetze gegen die linksradikale Bewegung im Allgemeinen und gegen das Projekt Rote Flora im besonderen geführt.“

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Das Plenum greift die Dämonisierung als vermeintlich geschlossene Kommandozentrale auf und macht deutlich, dass autonome Politik an vielen Orten entwickelt wird, die Flora nur ein Treffpunkt unter vielen ist: „Es ist nur ein Haus, ein Symbol, mit dessen Räumung der Wutbürger besänftigt werden soll.“ Wie sehr die Rote Flora aber ein wichtiger Ort für Debatten ist, zeigte sich bereits am Sonntag unmittelbar nach der zweiten Nacht der Straßenschlacht. Aktive des Zentrums standen vor dem Haus und diskutierten zum Teil sehr lebhaft mit der Nachbarschaft. Sie stellten sich einer Debatte auf Augenhöhe. So unterliefen sie den Versuch der Landesregierung, sie im Stadtteil zu isolieren. Aus der Roten Flora heißt es, dass in den nächsten Tagen zu einer Stadtteilversammlung in einer größeren Halle eingeladen wird, um die Aussprache fortzusetzen und mehr Leuten eine Teilnahme zu ermöglichen.

Auch unter den Floragruppen und mit denjenigen, die das Autonome Zentrum aktiv unterstützen und nutzen läuft die Debatte an, so die Erklärung: „Eine selbstkritische Aufarbeitung der Ereignisse innerhalb der Szene wird in den nächsten Wochen stattfinden.“ Der Gesprächsbedarf ist auch hier groß: Autonome aus anderen Orten werfen Gruppen aus der Roten Flora vor, erst zu Gipfelprotesten aufgerufen zu haben, sich aber jetzt im nach herein zu Distanzieren. Hier geht es auch um einen Austausch über die konkreten Ereignisse: So bekamen Aktive aus der Roten Flora mit, wie in drei Geschäften Feuer gelegt wurde, obwohl sich direkt darüber oder nebenan Wohnungen befinden, in denen sich Menschen aufhielten. Zeitweilig war der Zugang der Feuerwehr zu den Feuern nicht möglich, es musste selbst gelöscht werden. Die Rote Flora hat traditionell ein gutes Verhältnis zur Feuerwehr, auch in Zeiten der härtesten Räumungsdrohungen hat die Feuerwehr mit dem Autonomen Zentrum beim Brandschutz für das Gebäude kooperiert.

In diesen Zeiten der massiven öffentlichen Vorwürfe gegen das Zentrum soll es auch eine Selbstverständigung in der radikalen linken, autonomen Szene Hamburgs geben. Denn von dem spontanen Riot auf dem Schulterblatt wurden die im Zentrum Aktiven selbst überrascht. Tagsüber wurde im Café Essen und Trinken ausgegeben, Erste Hilfe geleistet bei Opfern von Polizeigewalt, im städtischen Florapark hinter dem Gebäude erholten sich viele von den Auseinandersetzungen mit der Polizei bei den morgendlichen Versuchen, den Tagungsort des G20-Gipfels zu blockieren. Die Messehallen liegen nur 500 Meter von dem Autonomen Zentrum entfernt, naheliegend, dass sich viele der Protestierenden rund um die Rote Flora aufhielten.


Gaston Kirsche, 18. Juli 2017