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Bundesregierung setzte Interessen der Kohleindustrie um:
Auf Kosten der Gesundheit
Auf dem Klimacamp im Rheinland wurde Mitte August im Herzen der Braunkohleregion über den weiteren Kampf gegen Tagebaue und Kohlekraftwerke beraten. Für den Verfassungsschutz, der gleichzeitig die Rassisten der AfD hofiert, waren das alles Linksradikale, die es schärfstens zu überwachen gilt. Die Polizei entblödete sich nicht, eine Gartenlaube der Aktivisten zu beschlagnahmen.
01. September 2018 Es könnte so einfach sein. Kohlekraftwerke sind in Deutschland nicht nur eine wichtige Quelle von Treibhausgasen, sie stoßen auch allerlei gesundheitsschädliche Substanzen aus. Jeweils gut 6000 Tonnen Stickoxide und Schwefeldioxid darf ein Großkraftwerk wie das vor wenigen Jahren in Hamburg Moorburg in Betrieb gegangene im Jahr in die Luft blasen, wenn es voll ausgelastet ist. Hinzu kommen über 600 Tonnen Feinstäube. Vervollständigt wird der legale Giftcocktail durch 4,8 Tonnen Blei, 1,1 Tonnen Cadmium, eine knappe Tonne Quecksilber und 0,8 Tonnen Arsen. Hinzu können noch zehn bis elf Tonnen Kohlendioxid kommen. Das alles, wohlgemerkt, in einem der modernsten Steinkohlekraftwerke Deutschlands. Noch schlechter ist das Verhältnis der Schadstoffe zur Energieausbeute in Braunkohlekraftwerken, weil die Braunkohle einen geringeren Brennwert hat. Bei all dem läge es eigentlich ziemlich nahe, zumindest die alten Braunkohlekraftwerke, die obendrein die Energie ihres Brennstoffes lediglich zu nicht viel mehr als einem Drittel ausnutzen, so schnell wie möglich stillzulegen.
Doch nicht mit der Berliner Regierung. Die ließ Mitte August eine Frist verstreichen, zu der einen neue EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt hätte werden müssen. Ab 2021 sollen für Großkraftwerke in der EU strengere Abgasregeln. Letztes Jahr hatte sich die Mehrheit der EU-Staaten – gegen Berliner Widerstand – darauf geeinigt. Für den Ausstoß von Feinstäuben, Stickoxiden und Quecksilber gelten dann niedrigere Höchstgrenzen. Die EU schreibt damit den Kraftwerksbetreibern indirekt die Nachrüstung der Abgasreinigung vor. Für die in Deutschland häufigen und besonders schmutzigen Braunkohlekraftwerke ist dies entsprechend besonders aufwendig. Daher hatte die hiesige Braunkohleindustrie, vertreten vor allem durch die RWE und die in Ostdeutschland aktive Leag, heftig gegen eine Verschärfung der Vorschriften protestiert.
Bisher sind Großkraftwerken mit einer elektrischen Leistung über 500 Megawatt Stickoxid-Emissionen von maximal 200 Milligramm pro Kubikmeter Abluft erlaubt. Die Bundesregierung wollte diesen Grenzwert lediglich auf 190 Milligramm absenken, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Die Mehrheit beschloss, ihn auf 175 Milligramm zu drücken. Im internationalen Vergleich ist auch der neue Grenzwert eher großzügig. In China dürfen Kraftwerke nur 100 Milligramm pro Abgaskubikmeter in die Luft blasen, und selbst in den USA mit ihrer ausgesprochen kohlefreundlichen Politik liegt der Grenzwert bei 117 Milligramm. Noch, muss man wahrscheinlich sagen, denn die neue Regierung unter Donal Trump ist eifrig bemüht, Umweltstandards zu schleifen.
Stickoxide sind Verbindungen von Sauerstoff und Stickstoff, die nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) die Gesundheit von Mensch, Tier und Vegetation in vielfacher Weise schädigen. Zum einen geschieht dies durch die stark oxidierende Wirkung von Stickstoffdioxid, das unter anderem die Atemwege angreift. Außerdem sind einige Stickoxide Vorläuferstoffe für die Bildung von bodennahem Ozon und sekundärem Feinstaub, die ebenfalls erhebliche Gesundheitsprobleme bei Mensch und Tier verursachen können.
Entsprechend wird die Untätigkeit der Bundesregierung von den Umweltverbänden sowie von den Grünen und den Linken kritisiert. Der klima- und energiepolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Lorenz Gösta Beutin wirft der Bundesregierung eine industriefreundliche Politik im Dienste der Braunkohle vor. Wie beim Dieselskandal sei ihr die Gesundheit der Bürger egal. Die Deutsche Umwelthilfe weist daraufhin, dass die Abgase der Dieselfahrzeuge zwar ursächlich für die Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte in vielen Städten sei. Die Kraftwerke seien jedoch für die Hintergrundbelastung verantwortlich. Eine vom UBA erstellte Studie habe ergeben, dass sich für das Jahr 2014 6.000 vorzeitige Todesfälle sowie mehr als 400.000 Krankheitsfälle von Asthma und Diabetes dieser Hintergrundbelastung statistisch zuordnen ließen.
Ein anderes Umweltgift, das durch die EU-Richtlinie vermindert werden soll, ist das Quecksilber. In Deutschland werden jährlich rund sieben Tonnen davon an die Umwelt abgegeben, und alleine fünf Tonnen stammen aus der Verbrennung von Kohle. Dieses Gift reichert sich mit Vorliebe in Süßwasserfischen an. Nach Angaben des UBAs sind die regelmäßig in den großen Flüssen Elbe, Donau und Rhein sowie deren größeren Zubringern untersuchten Fische erheblich mit Quecksilber belastet und überschreiten die Richtwerte in der Regel um das fünf- bis 16fache.
Der Bundesregierung scheint das jedoch herzlich egal.. Statt zumindest die neuen Grenzwerte für Stickoxide, Feinstäube und Quecksilber umzusetzen, legt sie einfach die Hände in den Schoß und tut – nichts. Das Ergebnis: Die Kraftwerksbetreiber stellen sich nicht auf die neuen Vorgaben ein und werden eventuell gar abwarten, bis Berlin von der EU-Kommission auf Umsetzung verklagt wird. Zwischenzeitlich können sie ihre alten Kraftwerke mit geringem Kostenaufwand weiter betreiben, ohne die Abgasreinigung auch nur halbwegs auf den neuesten Stand der Technik gebracht zu haben.
Die Zeche wird derweil mal wieder der Bürger zahlen müssen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zunächst werden die gegebenen Falls an Brüssel zu zahlenden Strafen für das Nichtumsetzen der Beschlüsse natürlich aus dem Steuersäckel beglichen. Außerdem werden weiter Umweltgifte im Übermaß in die Luft entlassen, die im Falle der Stickoxide nachweislich jährlich Tausende Tote aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen verursachen.
Außerdem wird der Klimawandel weiter angeheizt, der uns schon jetzt Dürre-Sommer beschert und die ersten tropischen Zecken mit entsprechend exotischen Krankheiten ins Land gebracht hat. So richtig dramatisch wird es allerdings erst in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten werden, wenn der Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigt und manch subtropische Region wegen zu großer Hitze praktisch unbewohnbar wird. Aber derlei interessiert weder die Aktienbesitzer von RWE noch die Eigner des windigen Offshore-Konstrukts Leag und folglich auch nicht die Bundesregierung. Die Kraftwerke sind abgeschrieben, und daher soll noch der letzte Euro aus ihnen heraus geholt werden. Nach uns die Sintflut.
(wop)