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Klimawandel:
Radikale Wende überfällig
01. November 2018 „Einige gefährdete Regionen einschließlich der kleine Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder werden vermutlich multiplen, miteinander verbundenen Klimarisiken ausgesetzt, selbst wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird.“ Diese drastischen Aussichten bietet der IPCC (siehe Kasten) in seinem jüngst veröffentlichten Sonderbericht. Im Vorfeld der im Dezember im polnischen Kattowice tagenden UN-Klimakonferenz hatte er die Frage zu erläutern, ob die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden sollte und was das im Lichte der Armutsbekämpfung und der UN-Entwicklungsziele bedeutet. „(D)er Anstieg der globalen Mitteltemperatur (soll) deutlich unter zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau (gehalten) und Anstrengungen unternommen (werden), den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen“, heißt es in der 2015 auf einer UN-Klimakonferenz verabschiedeten Pariser Übereinkunft, dem derzeit geltenden, wenn auch sehr schwachbrüstigen Klimavertrag.
Der IPCC-Bericht hat nun dargelegt, wie wichtig die genannten Anstrengungen sind und wie äußerst drastisch die Maßnahmen sein müssten, soll das Ziel noch erreicht werden. Das wird bei den Verhandlungen in Polen sicherlich von den am stärksten bedrohten Ländern – wieder einmal – energisch den anderen Staaten vorgehalten werden. Auf dem Programm steht in Kattowice nämlich für die 181 Mitglieder der Übereinkunft die Überprüfung der bisher abgegebenen Selbstverpflichtungen, das heißt, die Frage, ob diese ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
Das ist mit Sicherheit nicht der Fall, so die klare Botschaft des IPCC-Berichts. Um die Erwärmung auf unter zwei Grad zu beschränken, müssten die globalen Emissionen bis 2030 um etwa 20 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 abgesenkt sein und bis 2075 bei Null landen. Soll die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden – gemeint ist hier immer die über den ganzen Globus und das ganze Jahr gemittelte Temperatur –, dann müssten die Emissionen 2030 sogar bereits um 45 Prozent zurückgefahren und etwa 2050 bei Null angekommen sein. Tatsächlich laufen die bisher von den Ländern abgegebenen Selbstverpflichtungen darauf hinaus, dass die Emissionen von derzeit jährlich 42 Milliarden Tonnen CO2 auf 52 bis 58 Milliarden Tonnen weiter steigen. In dem Fall, so der Bericht würden nicht einmal mehr besonders ehrgeizige Maßnahmen ausreichen, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken.
Gemeint ist übrigens immer die Erwärmung relativ zur vorindustriellen Zeit. Für gewöhnlich werden dafür die Temperaturen um die Mitte des 19.Jahrhunderts angenommen, obwohl durch aus in Frage zu stellen ist, ob dies als vorindustrielle Zeit gelten kann. Der Grund ist, dass aus dieser Zeit halbwegs verlässliche Daten vorliegen, mit denen eine globale Durchschnittstemperatur abgeschätzt werden kann. In den Jahrzehnten davor waren die Temperaturmessungen noch viel zu lückenhaft. Die verschiedenen Proxidaten, mit denen die Temperatur früherer Jahrhunderte und Jahrtausende bestimmt wird – Isotopenverhältnisse in Eiskernen, Pollenzusammensetzungen, Baumringe und ähnliches – sind in ihrer Genauigkeit nicht mit den instrumentellen Messungen vergleichbar.
Die Dringlichkeit des Ganzen wird vielleicht etwas anschaulicher, wenn man sich vergegenwärtigt, wo wir heute stehen. Menschliche Aktivitäten, so der Bericht, haben die globale Temperatur bereits um 0,8 bis 1,2 Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau gehoben. Die Jahre 2006 bis 2015 waren 0,75 bis 0,99 Grad Celsius wärmer als die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Beim gegenwärtigen Tempo wird die globale Temperatur bereits irgendwann zwischen 2030 und 2052 die 1,5-Grad-Celsius-Marke überschreiten.
Schon jetzt sind, daran lässt der Bericht ebenfalls keinen Zweifel, viele Veränderungen in vollem Gange. Der Meeresspiegelanstieg hat sich gegenüber dem letzten Jahrhundert beschleunigt und beträgt derzeit etwas mehr als drei Zentimeter pro Jahrzehnt. Viele Formen von Extremereignissen nehmen zu und lassen sich eindeutig in einen Zusammenhang mit dem Klimawandel bringen. Hitzewellen werden häufiger und ausgedehnter, Dürren ebenso, Niederschläge intensiver. Und schon jetzt schädigt Ozon weltweit Kulturpflanzen so sehr, dass dadurch die Erträge von Weizen, Mais, Reis und Sojabohnen um drei bis 16 Prozent vermindert werden. Das aggressive Sauerstoffmolekül (O3) ist zwar kurzlebig aber dennoch erstens ein sehr effektives Treibhausgas und greift zweitens Pflanzen sowie die Atemwege der Menschen an. Es entsteht aus fotochemischen Reaktionen zwischen einerseits Abgasen von Kraftwerken und Verbrennungsmotoren und andererseits Sonneneinstrahlung. Eine drastische Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe hätte also direkt positive Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Erträge.
Überhaupt ist neben dem Meeresspiegel die Welternährung ein wesentlicher Grunde, weshalb der IPCC zur Einhaltung der 1,5-Grad-Celsius-Marke rät. Wird die Erwärmung soweit beschränkt, ließen sich zum Beispiel noch einige tropische Korallenriffe retten. Die sind schon jetzt stark geschädigt, aber bei zwei Grad Erwärmung gehen sie mit Sicherheit verloren. Mit den entsprechenden Folgen für die Fischerei. Außerdem nimmt auch die Versauerung der Meere mit der steigenden Treibhausgaskonzentration erheblich zu und gefährdet zusätzlich die Versorgung mit Fisch-Eiweiß.
Auch die Landwirtschaft wird unter der Erwärmung je mehr leiden, um so wärmer es wird. Da sind zum einen die vermehrten Dürren und die stärkeren Unwetter, die beide gleichermaßen zerstörerisch für die Ernten sind. Außerdem bekommt Hitzestress vielen Kulturpflanzen schlecht. Einige Getreidearten wachsen zwar merklich besser bei höheren CO2-Konzentrationen in der Luft sind aber zugleich weniger reich an Proteinen. Reis bildet zudem weniger Vitamine.
Besonderen Anlass zur Sorge bietet der Meeresspiegel. Dieser wird auch bei sofortigem Stopp aller Treibhausgasemissionen über viele Jahrhunderte weiter steigen, denn das Klimasystem braucht sehr lange, bis es sich auf ein neues Gleichgewicht mit der atmosphärischen Treibhausgaskonzentration eingestellt hat. Besonders die großen Eismassen auf Grönland und in der Antarktis reagieren sehr träge. Auch der tiefe Ozean benötigt viele Jahrhunderte, bis sich dort eine höhere Temperatur den Verhältnissen an der Oberfläche entsprechend eingestellt hat. Der Bericht hebt jedoch hervor, dass wahrscheinlich schon eine Erwärmung zwischen 1,5 und zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau (also 0,5 bis ein Grad von heute) reichen wird, um die großen Eismassen nachhaltig zu destabilisieren. Das aber, so zeigen Untersuchungen früherer Erdzeitalter, würde reichen, den mittleren globalen Meeresspiegel um über sechs Meter steigen zu lassen. Für viele Inselstaaten, die Städte Westafrikas, Alexandria in Ägypten, für Shanghai, New York, das Mekongdelta in Vietnam, die Küste Bangladeschs, weite Teile der Niederlande oder der deutschen Nordseeküste würde das Land unter bedeuten.
Um das zu verhindern, muss das Ruder heftig herum gerissen werden. Nicht irgendwann, sondern sofort. Ab 2020 müssen die globalen Emissionen drastisch sinken. Das wäre möglich, aber der Bericht macht auch klar, dass es nur bei verstärkter internationaler Kooperation und bei Einbeziehung der Menschen gelingen kann. Nur ökonomische Ansätze, die zugleich die Ungleichheit und Armut verringern, seien erfolgsversprechend. Seien wir also realistisch: Fordern wir das unmöglich scheinende
(wop)
Was ist der IPCC?
Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Fragen des Klimawandels) wurde 1988 auf Initiative des Weltmeteorologieorganisation WMO und des UN-Umweltprogramms UNEP und mit der Unterstützung der UN-Generalversammlung ins Leben gerufen. Es handelt sich bei ihm um eine UN-Unterorganisation, der 195 Staaten angehören, also alle UNO-Mitglieder sowie die beiden autonomen Inselstaaten Cook-Inseln und Niue. Die Mitglieder schicken ihre Vertreter zu Generalversammlungen, in der 34 leitende Wissenschaftler gewählt werden. Diese Berufen für die jeweils zu erstellenden Berichte aus einem von den Regierungen sowie aus Fachkreisen vorgeschlagenen Kandidaten eine unterschiedliche Anzahl von Hauptautoren, die wiederum weitere Wissenschaftler heranziehen. Im Falle des vorliegenden Sonderberichtes waren es 91 Hauptautorinnen und -autoren aus 40 Ländern. Drei davon aus Deutschland. Weitere 133 Wissenschaftler haben zu einzelnen Kapiteln beigetragen. Die Berichte werden regelmäßig in einer ein paar dutzend Seiten umfassenden „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ (summary for policy maker) kondensiert, die von den Regierungen in einer Vollversammlung angenommen wird. Hier können diese auf die Formulierungen im Bericht Einfluss nehmen, die Wissenschaftler haben allerdings das letzte Wort. Anders ausgedrückt: Alle Regierungen haben die Gelegenheit, Einwände gegen die formulierten Erkenntnisse vorzubringen und können diese auch in die Texte einfließen lassen, sofern sie wissenschaftlich Hand und Fuß haben. Wenn Regierungen sich nach Veröffentlichung der Berichte Ahnungslos geben oder ihren wissenschaftlichen Wert gar anzweifeln, so handeln sie schlicht verlogen.
Die inhaltliche Arbeit des IPCC ist in drei Arbeitsgruppen unterteilt. AG I kümmert sich um den physikalischen Hintergrund, AG II beschäftigt sich mit der Anfälligkeit der Gesellschaften und der natürlichen Systeme und AG III um die Möglichkeiten der Vermeidung des Klimawandels. In letztere AG geht es viel um die Bewertung diverser ökonomischer und sozialer Szenarien zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. Der IPCC betreibt keine eigene Forschung. Seine Aufgabe ist es vielmehr, im Auftrag der Regierungen den jeweiligen Stand der Wissenschaften zusammenzutragen. In diesem Zusammenhang hat er unter anderem eine wichtige Funktion, in dem er die Kommunikation unter den Wissenschaftlern insofern fördert, als er für die Verabredung gemeinsamer Standrads sorgt, sodass die diversen Modellrechnungen und Szenarien miteinander vergleichbar werden.
Mit 13 Mitarbeitern im IPCC-Sekretariat bei der WMO in Genf und einem Etat von 8,3 Millionen Euro in 2017 (laut Fischer Weltalmanach 2018) dürfte es sich um die kleinste UN-Organisation handeln. Alle Wissenschaftler arbeiten ehrenamtlich.