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Merkel will‘s mal wieder aussitzen

„Das #Klimapaket der Bundesregierung: Einem Ertrinkenden eine kleine, süße Badeente zur Rettung ins Wasser werfen, weil die Benutzung einer Schwimmweste finanziell zu aufwendig ist und weil die Schwimmweste die Freiheit des Ertrinkenden einschränken könnte.“ @kaffeecup auf Twitter

Foto: Ulf Stefan, r-mediabase.eu

Der Berg hat gekreißt und gebar – wenig überraschend – eine Maus. Am 20. September hat in Berlin das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung (Kanzlerin + Ministerinnen und Minister für Wirtschaft, Umwelt, Verkehr, Finanzen, Inneres, Kanzleramt, Agrar sowie der Chef des Presseamtes) seinen Plan für den Klimaschutz in den kommenden Jahren vorgelegt, und zwar offensichtlich ziemlich unbeeindruckt von den gleichzeitig stattfindenden, historisch zu nennenden Protesten. 

Wie es aussieht meint die Bundeskanzlerin mal wieder, den Unmut aussitzen zu können, während die SPD aus Angst vor dem Untergang weiter an ihrem politischen Selbstmord auf Raten arbeitet. Mit diesem Klimapaket, das eigentlich bestenfalls ein Päckchen ist, wird Deutschland sein offizielle Klimaschutzziel für 2030 krachend verfehlen. Und dieses Ziel bleibt weit hinter dem Nötigen, den eingegangenen Verpflichtungen und den Forderungen der Schüler zurück. Auf 563 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente (88 Prozent davon sind in Deutschland CO2, der Rest andere Treibhausgase, die entsprechend ihrer Wirksamkeit umgerechnet werden.) will die Bundesregierung bis 2030 die jährlichen Emissionen reduzieren. Nach den Ende September der UNO vorgelegten Daten der WMO, der Dachorganisation der nationalen Wetterdienste, müssten die weltweiten Emissionen bis 2030 allerdings mehr als halbiert werden, um noch die vereinbarten Ziele zu erreichen. Deutschlands Anteil wäre gemäß seines Anteils an der Weltbevölkerung und historischen Emissionen für den Augenblick vergessend 264 Milliarden Tonnen jährlich.

Entsprechend haben die Fridays-for-Future-Schüler, die Umweltverbände, die Windindustrie und selbst der Verband der Energiewirtschaft dieses unsägliche Klimapäckchen umgehend in der Luft zerrissen. Doch voran bemisst sich eigentlich ernsthafter Klimaschutz? Was ist nötig?

Nach endlosem Gezerre und Jahrzehnte langen Verhandlungen gibt es seit 2015 mit der „Pariser Übereinkunft“ endlich eine gemeinsame Formel: Die globale Durchschnittstemperatur soll „deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau“ gehalten werden. Zugleich sollen „Anstrengungen unternommen werden, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau (zu beschränken), die Tatsache anerkennend, dass dies die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels signifikant vermindern würde“ (Artikel 2, 1.(a)). Ratifiziert haben diese trotz der wichtigen Definition völkerrechtlich äußerst unverbindlich gehaltene Pariser Übereinkunft 177 Länder, darunter auch die USA. Diese haben inzwischen ihren Austritt erklärt, der aber frühestens Anfang November 2020 wirksam wird.

Mittels der Klima- und Erdsystemmodelle der Wissenschaftler kann nun berechnet werden, welche Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre zu welchen Temperaturen führt. Und da wir wissen, wie viel CO2 – und andere in Frege stehende Gase – bereits in der Atmosphäre sind, lässt sich für jedes Temperaturziel berechnen, wie viel Emissionen wir uns noch erlauben können. Würde zum Beispiel 1,75 Grad Celsius angestrebt, hätten wir bei Emission von weiteren 880 Milliarden Tonnen, eine Chance von 67 Prozent, also 2 zu 1, dass das Ziel eingehalten werden kann. Wollen wir die Erwärmung aber auf 1,5 Grad Celsius beschränken, dann bleiben ab Anfang 2016 nur noch 500 Milliarden Tonnen (gleiche Wahrscheinlichkeit). Deutschland hat einen Anteil von 1,1 Prozent an der Weltbevölkerung und kann daher bestenfalls einen eben so hohen am Budget für sich in Anspruch nehmen. Das ist sogar noch sehr großzügig gerechnet, weil es die historischen Emissionen außer acht lässt. Immerhin ist Deutschland nach den USA, China und Russland der viertgrößte Verursacher, wenn alle in den letzten 150 Jahren verursachten Treibhausgase aufsummiert werden.

Deutschlands Anteil wäre also, je nach Ziel 5,5 bis 9,7 Milliarden Tonnen. Davon werden bis zum Ende 2019 bereits rund drei Milliarden Tonnen aufgebraucht sein. Verbleiben also noch 2,5 bis 6,7 Milliarden Tonnen CO2, die wir in die Luft blasen könnten. Alles was darüber hinaus geht, würde die Klimaziele, zu denen sich Deutschland mit der Pariser Klimaübereinkunft verpflichtet hat, verletzen. 2018 wurden hierzulande etwas weniger als 800 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen. Emittieren wir in diesem Tempo weiter, wird unser (nur halbwegs) gerechte Anteil bereits irgendwann im Jahre 2023 oder spätestens 2028 verbraucht sein. Im letzteren Fall könnten wir nicht einmal mehr sicher sein, dass das Eis auf Grönland langfristig stabil bleiben wird.

Offensichtlich wird es sehr, sehr schwer werden, mit einem so kleinen Budget noch auszukommen. Hätte man 1990 angefangen, als die wesentlich Fakten schon bekannt waren, wäre der Übergang viel einfacher und ruhiger zu organisieren gewesen. Hat man aber nicht. Also bleibt jetzt die einzige Chance die Emissionen in raschen Schritten abzubauen.

Das Päckchen der Bundesregierung ist davon allerdings Lichtjahre entfernt. Schüler und Wissenschaftler hatten zum Beispiel gefordert, als Lenkungsinstrument umgehend eine CO2-Steuer einzuführen. Ein Einstieg in Höhe von 50 Euro pro Tonne schwebt dem renommierten Umweltökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung vor, die Schüler fordern, die Steuer rasch auf 180 Euro pro Tonne anzuheben. Sie können sich dabei auf das Umweltbundesamt berufen, das mit diesem Betrag die Folgekosten der Emissionen beziffert.

Was wir bekommen ist aber etwas völlig anderes: Ein Zertifikatesystem, das bürokratisch ist, das erst 2021 eingeführt wird und das mit zunächst zehn 2025 dann 35 Euro pro Tonne viel zu wenig Wirkung haben wird und diese auch noch zu spät. Natürlich setzte sofort ein wildes Geschrei des rechten Boulevards ein, was offensichtlich ganz im Sinne der Bundesregierung war. Diese betont nämlich immer wieder, die ärmeren Teile der Bevölkerung könnten sich keinen Klimaschutz leisten. Offensichtlich steckt dort die Absicht dahinter, diese gegen den Klimaschützer aufzuhetzen, denn mit den Fakten hat das alles nichts zu tun.

Durch die nun beschlossenen Maßnahmen würde zum Beispiel der Liter Diesel ab 2021 um 2,64 und bis 2025 schließlich um 9,24 Cent teurer werden. Das macht keinen wirklich ärmer und wird von den Verbrauchern ohnehin kaum gespürt werden, weil es im Rauschen anderer Preisentwicklungen untergeht. Wenn zum Beispiel die USA am Golf weiter zündeln, oder in Saudi Arabien noch eine weitere Raffinerie bombardiert wird. Zugleich nutzt die Bundesregierung die CO2-Bepreisung aber auch zur Umverteilung an die Wohlhabenderen, in dem sie die Pendlerpauschale erhöht. Pendler werden ab 2021 mit einem Diesel bei einem Verbrauch von acht Litern auf 100 Kilometer Mehrkosten von gut 0,17 Euro haben, die bis 2025 schrittweise auf rund 0,74 Euro steigen. Gleichzeitig können sie aber künftig pro 100 Kilometer zusätzlich fünf Euro (35 statt 30 Euro) von der Steuer absetzen. Pech haben Niedrigverdiener oder Kinderreiche, die wenig Steuern bezahlen und entsprechend wenig oder gar nichts absetzen können. Wohlhabende bekommen hingegen ein kleines Extra-Geschenk, für das der Klimaschutz als Vorwand genutzt aber zugleich Geschrei veranstaltet wird, dass dieser den Geringverdienern nicht zugemutet werden kann.

Zum Verkehrssektor, der in Deutschland rund 20 Prozent des Problems ausmacht und dessen Emissionen inzwischen wieder über dem Niveau von 1990 liegen, fällt der Bundesregierung sonst hauptsächlich ein, dass der Erwerb von Elektroautos gefördert und mehr Ladesäulen aufgestellt werden sollen. Immerhin wird aber die Mehrwertsteuer auf Bahntickets im Fernverkehr von 19 auf sieben Prozent abgesenkt, der Satz, der auch schon im Regionalverkehr erhoben wird.

Die erneuerbaren Energieträger sollen bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent an der Bruttostromerzeugung erhalten. Da aber zugleich der Stromverbrauch zunehmen wird, ist das ein Ausbauziel, dass zwar zu niedrig, aber dennoch ehrgeizig ist. Mit den in den letzten Jahren nach der fast geglückten Erdrosselung der Solarindustrie und zuletzt auch des Windausbaus erreichten mickrigen Ausbauzahlen wird es nicht zu erreichen sein. Dennoch sollen offenbar nicht mehr Anlagen ausgeschrieben werden. Zu diesem Punkt wird schlicht Stillschweigen gewahrt. Immerhin wird die Obergrenze für den Solarenergieausbau aufgehoben. Doch der Bundesverband Windenergie sieht die Energiewende mit neuen pauschalen Abstandsregeln und zusätzlichen bürokratischen Hürden „vermurkst“.

Insgesamt bleibt die Bundesregierung eine konkrete Rechnung schuldig, wie viele Emissionen es aufsummiert bis 2030 mit ihrem Szenario noch geben wird. Das Verkehrsministerium verweigerte sogar gegenüber den Kollegen aus dem Umweltressort die Herausgabe der Berechnungen für die behaupteten Einsparpotenziale. Außerdem gibt es in dem Papier keinerlei Bezug auf das oben dargestellte Gesamtbudget der (gerade) noch verträglichen Emissionen, das der Regierung seit mindestens zehn Jahren immer wieder von ihren wissenschaftlichen Beratungsgremien vorgerechnet wurde.

Das Klimapäckchen der Bundesregierung wird in den nächsten Monaten in Gesetzen und Verordnungen ausformuliert werden und neben dem Bundestag zum Teil auch den Bundesrat beschäftigen. Mit anderen Worten: Die Debatte und der politische Kampf um den Klimaschutz hat gerade erst begonnen, aber Zeit haben wir eigentlich keine mehr. Jeder Monat Verzögerung treibt die sozialen und materiellen Kosten der Klimakrise in die Höhe, auch wenn die Rechnung erst in Jahrzehnten präsentiert werden wird.

(wop)

„Zu wenig, zu langsam, zu spät.“ Scientists for Future