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Einkaufen 24 | 7 | 365:

Ladenöffnung rund um die Uhr

Den Traum träumen viele Handelsunternehmen schon lange: 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche und 365 Tage im Jahr ihre Waren verkaufen. Die Regierungen in diesem Land versuchen dem Wunsch des Kapitals auf ihrer Jagd nach Profit mit Gesetzen und immer neuen erlaubten Öffnungszeiten zu entsprechen.

Mit der „Föderalismusreform“ 2006 wurde die Regelung der Ladenöffnungszeiten auf die Länder übertragen. Seitdem sind die Öffnungszeiten regional unterschiedlich. Die Möglichkeit der Sonntagsöffnung zu bestimmten Zeiten und aus unterschiedlichen Anlässen wird inzwischen jedoch überall genutzt. So gibt es in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine „Bäderregelung“, die in touristisch besonders besuchten Regionen quasi eine Rund-um-die-Uhr-Öffnung in der Saison möglich macht. Zudem sind fast überall Öffnungen aus einem Anlass wie z.B. einem Volksfest in einer jährlich festgelegten Anzahl erlaubt.
Nur Bayern hat bisher kein eigenes Ladenöffnungsgesetz verabschiedet, hier gilt das alte Gesetz weiter. Es wird als Normalität, fast schon als Errungenschaft gepriesen, wenn Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit einkaufen können.
Einkaufen/Shopping wird den Kunden als Event dargestellt, ähnlich einer kulturellen Veranstaltung. Damit wird inzwischen auch der Salat-, Frischfleisch- und Unterhosenkauf bis in die Nacht und am Sonntag gerechtfertigt.

Sonntags einkaufen gegen Covid-19?

Gerade hat das Oberverwaltungsgericht in NRW, auf Antrag der Gewerkschaft ver.di, Ladenöffnungen für die Sonntage am 4. Oktober, 8. November und 6. Dezember 2020 in Gütersloh untersagt. Ein Erfolg für die Gewerkschaft und ihre Mitglieder im Einzelhandel.
Das ficht die Landesregierung in NRW unter Armin Laschet, CDU, nicht an. Unverfroren wurde eine Coronaschutzverordnung erlassen, die vorsieht dass „zur Vermeidung von Infektionsgefahren durch einen unregulierbaren Kundenandrang an den Wochenenden vor und nach Weihnachten Verkaufsstellen des Einzelhandels ausnahmsweise zur Entzerrung des Einkaufsgeschehens am 29. November 2020, 6., 13. und 20. Dezember 2020 sowie am 3. Januar 2021 ihre Geschäfte auch sonntags im Zeitraum zwischen 13.00 Uhr und 18.00 Uhr öffnen dürfen.“
Das Oberverwaltungsgericht hat nun bereits erhebliche Zweifel an der Gültigkeit dieser Verordnung in oben genannter Sitzung geäußert. Eine Entscheidung über die Wirksamkeit des Laschet-Coronaschutzes wird wohl nur über den juristischen Weg erreicht. Die Fachbereichsleiterin für den Handel in NRW, Silke Zimmer, kritisierte die Verordnung: „Gerade in der Frage des Infektionsschutzes überzeugt uns die Verordnung nicht. Mit ihr wird das eigentliche Ziel, die Menschen vor Infektionen zu schützen, konterkariert. (…) Im stressigen Weihnachtsgeschäft sind freie Sonntage ein besonders schützenswertes Gut. Das derzeitige Ladenöffnungsgesetz bietet aus unserer Sicht bereits ausreichend Raum, damit alle Kundinnen und Kunden ihre Weihnachtseinkäufe tätigen können.“
Das Sonntagsöffnung tatsächlich nicht zu einer Entzerrung führt, sondern die Kunden nur an einem anderen Tag in die Innenstädte lockt, zeigte der 4. Oktober. Paradox eigentlich, am Samstag wegen des 3. Oktober-Feiertags die Läden zu schließen und sie dafür am Sonntag zu öffnen.
Dass dies keine Ausnahmen sind belegen die zunehmenden Ankündigungen von Landesregierungen und Kommunen, die weitere Sonntagsöffnungen zum Ziel haben. In Thüringen hat der Ministerpräsident Bodo Ramelow eine weitere Sonntagsöffnung in der Adventszeit angekündigt. Der zuständige ver.di-Handel Fachbereichsleiter Jörg Lauenroth-Mago hat in seiner Kritik dazu festgestellt: „Das Umsatzinteresse von Einzelhändlern kann nicht als „öffentliches Interesse“ angesehen werden.“
Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die Ladenöffnung noch nach dem alten Bundesgesetz geregelt ist. Trotzdem, auch hier muss der Kampf gegen die Sonntagsöffnung geführt werden. Allerdings hat die bayerische Arbeitsministerin Trautner (CSU) erst im Juli festgestellt: „Nach meiner Überzeugung sind anlasslose verkaufsoffene Sonntage kein taugliches Instrument zur Unterstützung des Einzelhandels.“
Das sieht die Grüne/Rosa Liste mit der grünen Bürgermeisterin im Stadtrat München wohl anders und stellte einen Antrag zur Genehmigung von zwei verkaufsoffenen Sonntagen.
„Der Wortbruch der zweiten Bürgermeisterin Frau Habenschaden hat uns dabei in besonderem Maße irritiert. Hat sie uns doch mehrfach – zuletzt bei einer Frauenveranstaltung von ver.di – zugesagt, am Sonntagsschutz nicht zu rütteln.“, sagt Dominik Datz von ver.di-Handel München. Weiter stellt er fest: „Gerade das Arbeiten mit Maske verlangt den Mitarbeitern alles ab. Dass ausgerechnet diese aber nun noch mit zusätzlicher Arbeit gerade in der arbeitsintensivsten Jahreszeit belastet werden sollen, zeugt von wenig Wertschätzung den Beschäftigten gegenüber.“
Deutlich wird die fehlende Wertschätzung durch eine Petition von Farina Kerekes an Peter Altmeier (Deutscher Bundesminister für Wirtschaft und Energie). Sie schreibt darin:
„Ich bin wütend. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind wütend. Und das zu Recht! Wir im Handel sind jetzt als systemrelevant eingestuft worden. Doch statt für unseren Schutz zu sorgen, will die Regierung uns jetzt auch Sonntags arbeiten lassen. Wir, die gerade Unfassbares in den Lebensmittelläden, Drogerien und Baumärkten leisten sollen auch noch 7 Tage die Woche arbeiten? Wir haben über einen Monat nach Ausbruch des Virus nicht einmal Masken um uns selbst vor einer Ansteckung zu schützen. Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer großen Ansprache bei allen Verkäuferinnen und Verkäufern bedankt. Aber das ändert nichts daran, dass die meisten von uns in Altersarmut landen werden. Von Klatschen können wir leider keine Altersvorsorge leisten.“

„Ohne Sonntage gäbe es nur noch Werktage“

Seit Jahren wird immer wieder versucht, den Sonntag zu einem „Familieneinkaufstag“ zu machen. Und das, was bereits durch Ländergesetzgebung möglich ist, wird ständig von den Stadtmarketing-Agenturen im Zusammenwirken mit Kommunen und Einzelhandelsverbänden, oft durch die Hintertür, ausgeweitet.
Unterstützung gibt es dazu aus der Politik. Völlig Coronafrei hat die FDP in ihrem Wahlprogramm von 2017 bereits beschrieben, wie ihr Ziel aussehen soll:
„Wir Freie Demokraten setzen uns für flexible Ladenöffnungszeiten ein. In unserer modernen, digitalisierten Lebensrealität erscheinen feste gesetzliche Öffnungszeiten antiquiert. Damit es nicht mehr nur Online-Anbietern, sondern auch traditionellen Ladengeschäften möglich wird, ihre Waren rund um die Uhr zu verkaufen, setzen wir uns für flexible Ladenöffnungszeiten ein: Jedes Geschäft soll demnach selbst entscheiden können, wann es öffnet und schließt. Das allgemeine Verkaufsverbot für den Einzelhandel an Sonntagen wollen wir aufheben. Wir wollen auch andere Verbote, wie Dienstleistungen an Sonn- und Feiertagen anzubieten, aufheben.“ Entsprechend wird in den Bundesländern versucht, Änderungen zur Sonntagsöffnung durchzusetzen.
Auch die Verbände der Handelsunternehmen haben nicht erst durch die Coronapandemie die Sonntagsöffnung als Ziel ausgegeben. Erst Anfang Februar 2020 wurde das Ergebnis einer Studie des Dachverbandes HDE bekanntgegeben, derzufolge durch den Online-Handel 39.000 Standorte des Einzelhandels in den vergangenen 10 Jahren „verschwunden“ sind. Die Kieler Nachrichten vom 1.2.20 geben unter dem Titel: „Der Handel stellt die Sonntagsfrage“ die Forderung des HDE nach mehr Sonntagsöffnungen wieder. Danach sagt Stefan Genth, Geschäftsführer des HDE, dass es nicht darum gehe den Artikel 140 Grundgesetz zu streichen, der den besonderen Schutz der Sonntagsruhe vorsieht, allerdings müsse der Bezug zu einem besonderen Anlass wegfallen. Damit würden dann eine begrenzte Anzahl von Sonntagsöffnungen im Jahr zulässig.
„Der Verbandspräsident Josef Sanktjohanser bezeichnete eine entsprechende Grundgesetzänderung als ,Königsweg‘.“ (Kieler Nachrichten 1.2.2020)
Dies zeigt, dass es mit den erneuten Vorstößen zur Sonntagsöffnung nicht darum geht, Bedingungen des Handels in der Pandemie zu entwickeln, sondern es geht darum, die Corona-Pandemie zu nutzen, um die seit Jahren immer wieder versuchten Angriffe auf den arbeitsfreien Sonntag endlich gesetzlich durchzudrücken.
Orhan Akman, Verdi-Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel sagt auf der Internetplattform der Hans-Boeckler-Stiftung: „Die immer weiter forcierte Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten hat zusammen mit Tarifflucht und Lohndumping, Preiskriegen und extremen Mietsteigerungen der Ladenflächen bereits zu einer Verödung der Innenstädte geführt. Mit jedem Laden, der schließt, stirbt auch ein Teil des sozialen Lebens vor Ort. Doch das soziokulturelle Leben braucht auch Zeit, sich zu entwickeln. Verkaufsoffene Sonntage können nicht richten, was das ganze Jahr über schiefläuft.“
Das sehen die meisten Beschäftigten im Handel ebenso. Die Gewerkschaft will gemeinsam mit den Kirchen den Kommerz am Sonntag nicht zulassen oder zumindest soll er nicht ausgeweitet werden.
In einigen Bundesländern ist die „Allianz für den freien Sonntag“ erfolgreich aktiv. Die Devise „Ohne Sonntage gäbe es nur noch Werktage“ hat 2009 auch vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen, als der Sonntagsschutz rechtlich abgesichert wurde.
Der Kampf gegen die Sonntagsöffnung kann bisher als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden, denn dort, wo gegen Sonntagsöffnung Klagen eingereicht werden, werden diese meistens positiv im Interesse der Beschäftigten und der Träger*innen von Allianzen für den freien Sonntag entschieden.
Andererseits gibt es viele Regionen, in denen nicht einmal der Versuch einer Klage gemacht wird, es gibt auch unter Gewerkschafter*innen Stimmen, die eine Rund-um-die-Uhr-Ladenöffnung als „zeitgemäß“ sehen. Es wird also noch einiges an Diskussion zu führen sein und die Argumente immer wieder neu zu fassen. Solange es noch Kunden gibt, die zum Sonntagseinkauf gehen, wird dieses Thema auf der Tagesordnung bleiben.
Doch nicht nur die Läden sollen rund um die Uhr geöffnet sein. Auch in der Logistik, im IT und im Online-Handel, wird versucht die Arbeitszeiten auszudehnen. Auch hier geht es darum jede Sekunde zu nutzen, um profitabel die Waren zu den Kunden zu bringen. Für die Handelsunternehmen spielt es keine Rolle, wo sie ihren Profit generieren: ob in den Innenstädten, über Paketstationen, per Bestellung und Selbstabholung oder Lieferung an die Adresse des Kunden. Wichtig ist ihnen, dass die Umsätze möglichst schnell steigen und die Ware umgehend an die Kunden gelangt.
Solange es das Verbot der Sonntagsarbeit gibt, werden Kunden zwar rund um die Uhr ihre Bestellungen online aufgeben, allerdings erfolgt die Bearbeitung und Auslieferung in der Regel nicht an einem Sonntag. Dies möchten die Handelsunternehmen ebenfalls ändern. Anträge auf Sonntagsarbeit in der Logistik gibt es bereits, ebenso für den Online-Handel.
Der Kampf gegen die Sonntagsöffnung ist noch nicht gewonnen! Er ist in jedem Fall nicht nur ein Kampf der Beschäftigten im Einzelhandel. Sollte der Artikel 140 Grundgesetz zugunsten der Profitinteressen geändert werden, wird dies Auswirkungen für die Arbeitszeit weit über den Handel hinaus haben.

Bettina Jürgensen, marxistische linke