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Gedenkveranstaltung am AEL Nordmark in Russee:

Mörderisches Finale

Am 12. September 2021 fand an der Gedenkstätte des ehemaligen „Arbeitserziehungslagers“ in Russee eine Gedenkfeier statt, organisiert von der Angehörigengruppe der Opfer des Todesmarsches von Hamburg nach Kiel. Ursprünglich sollte diese Veranstaltung schon im April/Mai des vergangenen Jahres stattfinden. Pandamiebedingt fand die Gedenkfeier nun eineinhalb Jahre später statt. Neben Ansprachen vom Landesbeauftragten für politische Bildung, Christian Meyer-Heydemann, und der Kulturministerin Karin Prien, kamen vor allem Nachfahren der Opfer zu Wort.

In den Monaten vor Kriegsende 1945 verschärften die Nazis noch einmal ihren Massenterror gegen ihre Gegner. Im Januar 1945 wurden die Gestapoleitstellen angewiesen, in Vorbeugung „umstürzlerischer Betätigung“ vor allem inhaftierte Kommunisten, Sozialdemokraten sowie ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zu eliminieren. Gleichzeitig wurden Zehntausende KZ-Häftlinge auf „Todesmärsche“ geschickt.

Einer dieser Todesmärsche führte von Hamburg nach Kiel. Ab dem 12. April 1945 wurden etwa 800 Gefangene vom Gefängnis/KZ Hamburg-Fuhlsbüttel in mehreren Gruppen in viertägigen Fußmärschen zu dem mehr als 80 Kilometer entfernten, von den Nazis „Arbeitserziehungslager Nordmark“ genannten KZ, im Kieler Stadtteil Russee getrieben.

Todesmarsch1 AEL Nordmark web

Dieser „Todesmarsch“ ist Gegenstand von umfangreichen Recherschen einer „Angehörigengruppe“, die sich 2015 gebildet hatte, um Biografien von Marschteilnehmer*innen zu erarbeiten. Diese Gruppe pflegt Kontakt zu Angehörigen von Teilnehmer*innen des Todesmarsches und hat in Zusammenarbeit mit dem „Schleswig-Holsteinischen Heimatbund“ und dem „Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS)“ an fünf Orten Gedenktafeln für die auf dem Marsch Ermordeten anbringen lassen. Zudem wurde ein Buch veröffentlicht, in dem neun Lebenswege von Menschen dargestellt, die im April 1945 den Todesmarsch von Hamburg nach Kiel mitmachen mussten. Dazu enthält der Band einen Beitrag, der den Todesmarsch zeitlich rekonstruiert sowie eine Liste mit den Namen von bislang 235 namentlich bekannten Teilnehmer*innen des Marsches.

„Alle Häftlinge, die zurück bleiben oder Fluchtversuche machen, sind zu erschießen!“

An dem Marsch nahmen die unterschiedlichsten Menschen teil. Eine große Gruppe waren deutsche Juden und Jüdinnen, die im Herbst 1941 nach Riga verschleppt worden waren und jahrelang tödliche Gewalt, Selektionen und Zwangsarbeit überlebt hatten. Die zweite Gruppe, die zum Marsch nach Kiel gezwungen wurde, bestand aus Widerstandskämpfer*innen, politisch Verfolgten sowie Menschen, die nicht systemkonform gehandelt und gedacht haben.

Auf dem Todesmarsch wurden neun Häftlinge erschossen. In Kiel-Russsee angekommen ging das Leiden weiter. Das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ war nach Aussage der in diesem Buch wiedergegeben Stimmen das Schlimmste, was sie bisher erlebt hatten: Hunger, Enge, fehlende Sanitäreinrichtungen. Die Inhaftierten wurden u.a. zum Bunkerbau und zur Trümmerräumung in der Stadt eingesetzt, wo sie unter Lebensgefahr Blindgänger beseitigen mussten. Manche Häftlinge wurden durch die Gestapo an Kieler Privatfirmen vermietet, z. B. arbeiteten sie bei der Holsten-Brauerei, in der Baufirma Ohle & Lovisa, der Nordland Fisch-Fabrik und im Rüstungsbetrieb Land- und See-Leichtbau GmbH. Fast täglich wurden Menschen vor den Augen der Lagerinsassen körperlich misshandelt, totgeprügelt oder erschossen.

Im „Arbeitserziehungslager Nordmark“, das im Juni 1944 errichtet worden war, wurden rund 5.000 Männer und Frauen inhaftiert. Mindestens 578 Gefangene starben an den Haftbedingungen oder wurden ermordet. Angesichts der herannahenden Alliierten ermordete die Gestapo in den letzten zwei Wochen vor Kriegsende etwa 300 Häftlinge.

Die Veranstaltung war ein nachdrückliches Plädoyer dafür, die Erinnerung an die Zeit des Faschismus wach zu halten und Orte zu schaffen, diesem Erinnern auch Namen und Gesichter zu geben. So z. B. durch den Ausbau der Gedenkstätte „Arbeitserziehungslager Nordmark“ in Kiel zu einer Gedenkstätte mit Dokumentenhaus, das Möglichkeiten der schulischen und außerschulischen Aufklärung dienen kann.

Günther Stamer

Literatur:

• Dietlind Kautzky/Thomas Käpernick (Hrsg.). Mein Schicksal ist nur eins von Abertausenden. Der Todesmarsch von Hamburg nach Kiel 1945. Neun Biografien. VSA: Verlag, Hamburg 2020. 192 Seiten, Hardcover, Fotos, 19.80 Euro

• AKENS, Gedenkort „Arbeitserziehungslager Nordmark“. Materialien, Fotos und Dokumente zu einer Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo in Kiel 1944-1945, 2. überarbeitete Neuauflage Kiel 2011