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Auch ein Stellvertreterkrieg

„Frieden mit Russland“, haben kürzlich ältere Antifaschisten mit einem Transparent an der Spree auf einer hauptsächlich von Berlins vielfältiger linker Szene frequentierten Demonstration gefordert und ernteten dafür mehr als argwöhnische Blicke der jungen Ordner-Innen. Schließlich riefen diese einen Trupp vermummter Jugendlicher, die versuchten, die Teilnehmer aus der Demo zu drängen und alle, die Anstoß an ihrem Vorgehen nahmen, gleich mit. Der Ton war rüde, das Vorgehen ruppig, von den sonst viel gepriesenen Awarenes-Teams ward nichts gesehen.
Der Vorgang offenbart nicht nur, dass auch die Jungen nicht gefeit gegen Sektierertum und Intoleranz sind, und Umgangsformen an den Tag legen, wie man sie in Kiel seit 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Er zeigt zugleich einen erschreckenden Mangel an historischem Bewusstsein und macht vor allem ein großes Problem der deutschen Linken deutlich: Während der Krieg mit der russischen Teilmobilmachung, den Drohungen Moskaus, Atomwaffen einzusetzen, und den fortgesetzten Waffenlieferungen des Westens immer weiter eskaliert, ist die Linke vollkommen desorientiert und eine nennenswerte Friedensbewegung nicht im Sicht. Man ist nicht einmal in der Lage, die europäischen Regierungen zur Öffnung der Grenzen für russische Deserteure zu bewegen. Geschweige denn, dass es eine hörbare Kritik an den im Schatten des Ukraine-Kriegs weitergeführten Angriffen der Türkei auf die Kurden und Yeziden im Irak und in Syrien gibt, bei denen zuletzt gar Giftgas eingesetzt wurde. Diese Sprachlosigkeit hat auch damit zu tun, dass in einer regelrechten Burgfrieden-Atmosphäre in weiten Teilen des öffentlichen – auch des linken – Diskurses Denkverbote durchgesetzt wurden. Dabei ist es doch eigentlich nicht so schwer zu verstehen, dass der Konflikt einen Mehrfach-Charakter hat, dass es sich unter der Oberfläche der russischen Aggression zum einen um einen sowohl von der russischen Führung als auch vom Westen ausgenutzten Bürgerkrieg handelt und dass auch der Westen – mit unterschiedlichen Interessen und Schattierungen - massiv mitmischt und eskaliert, und zwar nicht erst seit dem Februar 2022. Mithin handelt es sich auch um einen Stellvertreterkrieg. Die ukrainische Bevölkerung hat das Pech, dass auf ihrem Territorium Interessen des Westens und Russlands aufeinander prallen. Wer meint, das habe irgend etwas mit Demokratie und Menschenrechten zu tun, muss nur nach der Zahl der in Russland und in der Ukraine ermordeten Journalisten fragen, nach Tschetschenien schauen oder an die Seegrenze der EU im Mittelmeer. (wop)