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Schleswig-Holsteinische Landesregierung:

Bürgerbegehren und Volksinitiative abgeschaltet

Die Landesregierung von CDU und Grünen will die Hürden für das Bürgerbegehren und den Volksentscheid so hoch setzen, dass es praktisch unmöglich wird. Im Innen- und Rechtsausschuss wurde am 15.3.2023 eine letzte Änderung der Gesetzesvorlage zu kommunalrechtlichen Vorschriften (Drucksache 20/377) vorgelegt, die voraussichtlich schon am 22./23. März 2023 im Schleswig-holsteinischen Landtag beschlossen wird.

BUND SH, Mehr Demokratie e.V., attac und weitere 21 Initiativen und Parteien haben in einer gemeinsamen Stellungnahme die Landesregierung zum „Erhalt der politischen Teilhabemöglichkeiten“ aufgefordert. Sie verlangen die Rücknahme der Gesetzesänderungen weil sie erhebliche Verschlechterungen für zivilgesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten mit verheerender Wirkung für Umwelt, Natur- und Klimaschutz befürchten.
Wenn die Regierung ihre Gesetzesänderung nicht zurücknimmt, erwägt das Bündnis eine Volksinitiative zu starten, die dann aber auch unter den erschwerten Bedingungen stattfinden müsste.
Am 1.3.2023 haben Mehr Demokratie e.V. und vor allem der BUND SH mit 30 Menschen vor dem Kieler Landeshaus anlässlich der Anhörung am Landtag protestiert und es gab eine überregionale Berichterstattung zu dem Thema. Kai Dolgner (SPD), Lars Harms (SSW) und Jan Kürschner (GRÜNE) stellten sich öffentlich den Fragen des Bündnisses.
Regierung und kommunale Spitzenverbände stützen ihre Begründung für das Änderungsgesetz nicht auf empirisch belegte Begründungen, sondern nur auf „Wahrnehmungen“ nach denen die ehrenamtliche Arbeit der Gemeindevertretungen zukünftig nicht durch Bürgerbegehren behindert werden soll. Auch die Einschätzungen der Juristen in der Anhörung, allen voran des Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Verfassungsgerichts Prof. Brünig, lässt darauf schließen, dass die Änderung rechtlich im Rahmen als Zulässigkeit anerkannt wird. Alle drei Oppositionsvertreter Kai Dolgner (SPD), Frank Buchholz (FDP) und Lars Harms (SSW) haben sehr fundiert im Gegensatz zu den fünf CDU-Vertretern die Anhörung genutzt, um die Widersinnigkeit der Änderung hervorzuheben. Die Regierung unter Daniel Günther machte allerdings einen sehr beratungsresistenten Eindruck.

Das Bündnis will jetzt erstmal die Verabschiedung des Gesetzes abwarten. Juristen und Staatsrechtler raten von einer rechtlichen Klage ab, da ein negatives Urteil zu erwarten sei, was ein erhebliches Misstrauen in die bürgerliches Rechtsprechung erahnen lässt. Es wird eine Volksinitiative erwogen, die die Rücknahme der Gesetzesänderungen verlangt oder auf die Landtagswahlen 2027 mit geänderten Mehrheiten gehofft. Insgesamt eine deprimierende Situation in einem Land das nun mit den Stimmen der Grünen den Demokratieabbau betreibt.
Nach Meinung von Mehr Demokratie e.V. gebe es keinen sachlichen Anlass, die Verfahrensregeln bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden einzuschränken. Weder gebe es zu viele Bürgerbegehren noch verlangsamten sie Planungsprozesse. Im Gegenteil: Fast alle Entscheidungen in den Kommunen werden von der Gemeindevertretung gefällt. Bürgerentscheide sind die Ausnahme. In sehr seltenen Fällen kommt es zu Konflikten, die per Bürgerentscheid geklärt werden. „Bürgerbegehren sind ein geordnetes, rechtsicheres Verfahren, um Streit in den Gemeinden schnell beizulegen. Sie schaffen Planungssicherheit. Wer Schlichtungswege abschafft, verhindert keine Konflikte“, heißt es in einer Pressemitteilung von Mehr Demokratie e.V. „Die Landesregierung vergrößert nur die Kluft zwischen Bürgern und Politik mit ihrem Vorhaben. Wenn die Bürger der Politik vertrauen sollen, muss die Politik auch den Bürgern vertrauen“.
Nach ihrem Faktencheck sind seit April 1990 Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Holstein möglich. Bis Oktober 2022 (dem Ende des Untersuchungszeitraums) wurden 520 Bürgerbegehren und 68 Ratsentscheide gestartet. 347 mal kam es zu einem Bürgerentscheid. Die Abstimmungsbeteiligung lag im Schnitt bei 56,3 Prozent.

Aber die Tatsachen sprechen natürlich auch für sich, denn Bürgerbegehren und Volksentscheide haben in der letzten Zeit schon erheblich für Druck auf verfehlte Politik ausgeübt.

Zu erwähnen sei die Volksinitiative zum Schutz des Wassers, die ausgerechnet während der Bundestagswahlen stattfand und erheblich Aufsehen erregte mit landesweiten Plakaten für den Erhalt der Wasserqualität und das Verbot von Fracking in S-H zum Ziel hatte. Der Grüne Umweltminister Habeck fühlte sich schon ziemlich auf den Schlipps getreten, denn er hatte in seiner Regierungszeit in S-H einigen Energiekonzernen die Aufsuchungserlaubnis für Fracking erteilt. Wie schwer es ist, trotz des brisanten Themas in dem Zeitraum von einem Jahr die erforderlichen Unterschriften zu sammeln, haben alle Beteiligten erfahren. Die Initiative schaffte es nicht ganz die erforderlichen 80.000 Unterschriften zu sammeln. Aber der Druck war stark genug, so dass die Landesregierung die wesentlichen Gesetzesänderungen im Wassergesetz übernommen hat. Der Zweck der Volksinitiative das Fracking in S-H zu verhindern wurde zumindest bis heute erreicht.
Das aktuelle Beispiel war das Bürgerbegehren zum Erhalt der Notaufnahme und der Geburtenhilfe der Imland-Klinik in Eckernförde. 67,5% stimmten im Kreis RD/ECK dafür, in Eckernförde und Amt Schlei sogar über 90%. Eigentlich wollte der Kreis RD/ECK das Bürgerbegehren nicht zulassen, weil sich die Bürger angeblich nicht so gut mit den Dingen auskennen. Jetzt hat der CDU-Kreistag RD/ECK das Bürgerbegehren hintergangen indem er die Klinik in Insolvenz gehen ließ und nun die kommunale Einrichtung an einen privaten Klinikkonzern verkauft, der die Notaufnahme und Geburtenhilfe in Eckernförde abschafft.
Jüngstes Beispiel war der Verkauf der Strom- und Gasnetze bei den Stadtwerken Neumünster. Hier hat der Stadtrat unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Privatisierung an E.ON beschlossen, und um ein Bürgerbegehren der Initiative „Unsere SWN – Unsere Netze“ zu verhindern, wurde schnell der Verkauf abgewickelt. Dies nachdem die Initiative 2021 mit einem erfolgreichen Bürgerbegehren den Verkauf die lukrativen Müllverbrennungsanlage an Remondis verhindern konnte. So geht Entdemokratisierung auch und wir dürfen gespannt sein, was die Zukunft bringt. (uws)

Themenbereiche Buergerbegehren SH

Quelle Grafik: „Bericht Bürgerbegehren in Schleswig-Holstein 2022“, Mehr Demokratie e.V., Landesverband S-H, S. 21, Themenbereiche und Bauleitplanung
www.sh.mehr-demokratie.de (Neuer Bürgerbegehrensbericht Schleswig-Holstein, 6.3.2023)