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Gemeingut in Bürgerhand:

Lauterbachs Reform = Krankenhauskahlschlag

Analyse der Vorschläge der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“

Am 6. Dezember 2022 stellten der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und die Mitglieder der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ihre Vorschläge für Reformen im Krankenhausbereich vor. Die nachfolgende kritische Analyse des Bündnis Klinikrettung fasst die wichtigsten Punkte der geplanten Reform zusammen:
1) die Beibehaltung der Fallpauschalenfinanzierung (DRG, Diagnosis Related Groups),
2) die Deckelung der Krankenhauskosten auf Bundesebene,
3) die strenge Aufspaltung und Aufteilung der Krankenhauslandschaft (durch die Einführung von Krankenhauslevels und Leistungsgruppen mit strengen Strukturvorgaben) und
4) die zunehmende Ambulantisierung im Krankenhausbereich.(1)
Werden diese Maßnahmen beibehalten, wird die Reform das Kliniksterben in Deutschland nicht stoppen, sondern signifikant verschärfen.

Die Reformvorschläge tragen die deutliche Handschrift der Schließungslobbyisten Prof. Dr. Reinhard Busse und Prof. Dr. Boris Augurzky, die sich seit spätestens 2008 für den Krankenhauskahlschlag einsetzen. Bei der Vorstellung der Reformvorschläge in der Bundespressekonferenz wurde ihnen folgerichtig ausdrücklich für ihren besonderen Beitrag gedankt. Die Vorschläge für eine Vorhaltefinanzierung, für Ambulantisierung und für die Einführung von Hybrid-DRGs decken sich in wesentlichen Teilen mit Policy-Vorstößen der privaten Münch-Stiftung des Rhön-Kliniken-Gründers Eugen Münch (Vorstandsvorsitzender: Prof. Dr. Augurzky) und der AOK. Es sind also InteressensvertreterInnen der privaten Klinikkonzerne, der Beratungsfirmen und der Krankenkassen, die einen prägenden Einfluss auf die Reform geübt haben. Die von Lauterbach mehrfach betonte Unabhängigkeit der Kommission ist nur vorgetäuscht. VertreterInnen von PatientInnen, Beschäftigten und kleineren Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung wurde die Beteiligung an der Kommissionsarbeit verwehrt.

 

1. Beibehaltung der Fallpauschalenfinanzierung

Die Fallpauschalen sollen mit der Reform erhalten bleiben. Sie werden lediglich um Vorhaltepauschalen ergänzt, die nach komplexen Berechnungsformeln und strengen Regulierungsvorschriften zu ermitteln sind. Die DRGs sollen dazu auf bis zu 60% ihres bisherigen Niveaus abgesenkt, um bis zu 40% der Ausgaben über Vorhaltepauschalen zu finanzieren. Hinzu kommt, dass stationäre Fallpauschalen um neue, preislich abgesenkte Fallpauschalen für tagesstationäre Behandlungen in Krankenhäusern nach § 115e SGB V und um Hybrid-DRG für spezielle sektorengleiche Vergütung nach § 115f SGB V ergänzt werden sollen.(2)

Diese Änderungen werden den Verwaltungsaufwand für das medizinische Personal im Krankenhaus weiter erhöhen und diese Ressourcen der PatientInnenbehandlung und -Pflege entziehen.

(1) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/regierungskommission-legt-krankenhauskonzept-vor.html
(2) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/3te_Stellungnahme_Regierungskommission_Grundlegende_Reform_KH-Verguetung_6_Dez_2022_mit_Tab-anhang.pdf

 

2. Deckelung der Krankenhauskosten

Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft fehlen den Krankenhäusern aktuell jährlich 15 Mrd. Euro an operativen Finanzmitteln, bedingt durch Mehrkosten der Corona-Pandemie, extrem gestiegene Energie- und andere Kosten sowie durch Corona-bedingte Verschiebungen von planbaren Behandlungen.(3) Bereits vor der Pandemie waren Allgemeinkrankenhäuser unterfinanziert. Mit der angestrebten Reform wird es aber definitiv nicht mehr Geld für die finanziell angeschlagenen und von Insolvenz bedrohten Krankenhäuser geben. Denn die Reform soll kostenneutral sein, die Finanzmittel lediglich innerhalb der verschiedenen Finanztöpfe (verschiedene Kategorien der Fallpauschalen, Vorhaltekosten) umverteilt werden.(4)

Um Kosten zu sparen und mehr Geld im System zu haben, will Lauterbach auf die Reduktion von „unnötigen“ Operationen und die Einführung von tagesstationären Behandlungen (Letzteres als Teil des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes, KHPflEG) setzen(5). Mit den tagesstationären Behandlungen werden aber vor allem Mittelkürzungen in den Kliniken einhergehen und die Finanzdefizite weiter vergrößert.
Wie Lauterbach signifikant die Zahl der „unnötigen“ Operationen verringern möchte, bleibt sein Geheimnis. Denn die durch das DRG-System geförderten hohen Mengen an lukrativen Herz- oder Hüft-Operationen sind das Kernstück des Geschäftsmodells der privaten Fachkliniken. Das aber wird durch die Reformvorschläge überhaupt nicht in Frage gestellt. Die Mengen dieser Behandlungen werden also absehbar gleich hoch bleiben. Mit seinem Vorstoß zielt Lauterbach also vor allem auf die kleineren Allgemeinkrankenhäuser ab, denen schon heute die meisten komplizierten Eingriffe verwehrt sind. Die Zahl der „überflüssigen“ Operationen kann so nicht verringert werden.

Solange private Krankenhausketten existieren und sich lukrative Behandlunge als Rosinen rauspicken können, werden keine grundlegenden finanziellen Verbesserungen möglich sein. Alleine die vier größten Klinikkonzerne haben im Jahr 2021 knapp eine Milliarde Euro Gewinne erwirtschaftet – das stellt alle aktuell angedachten Einsparungen in den Kliniken in den Schatten.

(3) https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/krankenhausreform-braucht-den-konsens-mit-den-laendern-und-darf-nicht-auf-struktureller- unterfinanzierung-aufsetzen/
(4) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/3te_Stellungnahme_Regierungskommission_Grundlegende_Reform_KH-Verguetung_6_Dez_2022_mit_Tab-anhang.pdf
(5) https://www.gemeingut.org/beratung-im-bundestag-lauterbachs-reform-fuehrt-zu-weiteren-schliessungen/

 

3. Strenge Aufspaltung und Aufteilung der Krankenhauslandschaft, Klinikkahlschlag

Zu den Reformvorschlägen gehört auch eine strenge Aufspaltung und Aufteilung der Krankenhauslandschaft durch die Einführung von Krankenhauslevels und Leistungsgruppen mit strengen Strukturvorgaben. Die aktuell in den Bundesländern existierenden Versorgungsstufen der Grund-/Regelversorgung, der Schwerpunktversorgung und der Maximalversorgung sollen durch Level 1 bis 3 ersetzt werden. Welches Krankenhaus zu welchem Level zählen wird, und was die Krankenhäuser innerhalb ihres Levels behandeln und abrechnen dürfen, entscheiden

Leistungsgruppen mit strengen Strukturvorgaben. Die Leistungsgruppen sind auch maßgeblich für die Höhe der Vorhaltepauschalen.(6)

Das alles erhöht den Verwaltungsaufwand massiv: Leistungsgruppen sind zu beantragen und zu begründen, Strukturen sind laufend zu dokumentieren, der Medizinische Dienst überprüft das Vorhandensein der Strukturen und die Berechtigung zur Abrechnung. Klinisches Personal wird auch hier durch zusätzliche Verwaltungsaufgaben signifikant belastet.

Eine gravierende, bisher in der Öffentlichkeit wenig beachtete Folge der Reform ist die Aufteilung von Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung in die Level 1n und 1i. Nur Krankenhäuser des Levels 1n sollen noch eine Notfallversorgung bereitstellen. Krankenhäuser des Levels 1i hingegen sollen nicht unbedingt ärztlich, sondern von speziell ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden, lediglich über stationäre Pflegebetten verfügen und ambulante ärztliche Behandlung nur auf Abruf leisten. Die Einrichtungen des Levels 1i werden also keine ärztliche Verfügbarkeit an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr gewährleisten und daher vielfach nicht in der Lage sein, bei Notfällen zu helfen.

Aktuell verfügen geschätzte 650 der knapp 1.900 Krankenhäuser über keine strukturierte Notfallversorgung nach den Vorschriften des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). All diese Krankenhäuser einschließlich bisheriger Sicherstellungskrankenhäuser müssen damit rechnen, zukünftig dem Level 1i zugeordnet zu werden. Besonders betroffen sind Bundesländer mit vielen dünn besiedelten ländlichen Regionen. Bayern verfügt über 143 der 351 Krankenhäuser (= 40%) ohne strukturierte Notfallversorgung, die um ihre Zukunft als akutstationäre Krankenhäuser bangen müssen.(7)

4. Zunehmende Ambulantisierung

Die Ambulantisierung der Krankenhäuser gehört auch zu den Vorschlägen der Regierungskommission und wurde bereits am 2. Dezember 2022 als Gesetzesentwurf im Bundestag gebilligt. Ein Teil des im Bundestag beschlossenen Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes (KHPflEG) betrifft die vorgesehenen tagesstationären Behandlungen. Laut Kommissionsmitglieder sollen mit ihrer Einführung bis zu 25 Prozent der bisherig stationär erbrachten Behandlungen ambulant erfolgen. Im Gesetz ist vorgesehen, dass dies nur in medizinisch vertretbaren Fällen und mit Einwilligung der PatientInnen erfolgt.(8)

Für die Krankenhäuser bringt die Finanzierung über die niedriger vergüteten tagesstationären Behandlungen eine Einnahmenkürzung. Das wird dazu führen, dass Kliniken Personal entlassen und Abteilungen schließen müssen.
Für das Personal entsteht dadurch ein vermehrter Verwaltungsaufwand. Die Ressourcen beim Entlassungsmanagement müssen deutlich erweitert werden.
Für viele PatientInnen, insbesondere weniger mobile, multimorbide ältere Menschen, wird das zu einer Verschlechterung der Versorgung führen. Denn für die Kosten zur wiederholten Fahrt ins Krankenhaus infolge einer tagesstationären Behandlung besteht, außer in bestimmten gesetzlich definierten Fällen, „ab dem Zeitpunkt der ersten Aufnahme im Krankenhaus kein Anspruch“.

 

(6) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/3te_Stellungnahme_Regierungskommission_Grundlegende_Reform_KH-Verguetung_6_Dez_2022_mit_Tab-anhang.pdf
(7) Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern: https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/kliniken-in-not/geplante-klinikschlie%C3%9Fungen/
(8) https://dserver.bundestag.de/btd/20/047/2004708.pdf

 

Fazit


Die Krankenhausreform der Regierungskommission wird:

- klinische MitarbeiterInnen durch Dokumentation und Kodierung zusätzlich belasten

- Krankenhäuser im Rahmen der Ambulantisierung zur Reduktion des Klinikpersonals zwingen und die klinischen MitarbeiterInnen zusätzlich belasten

- die Schließung von Krankenhäusern insbesondere in ländlichen Regionen forcieren, da viele Krankenhäuser durch Einrichtungen des Level 1i oder Ambulante Gesundheitszentren ersetzt werden.

 

Selbstkostendeckung

Kleine Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung befinden sich insbesondere in ländlichen Regionen, die daher durch die geplante Reform hauptsächlich betroffen sind. Um Krankenhausschließungen und dem damit einhergehenden Kollaps der stationären Notfallversorgung vorzubeugen, hat das Bündnis Klinikrettung das Konzept der Selbstkostendeckung der Krankenhäuser entwickelt. Es löst die Probleme, die ein ökonomisch orientiertes Fallpauschalensystem bisher verursacht hat. Denn mit der Selbstkostendeckung
• gibt es keine Klinikschließungen mehr, weil die Krankenhäuser ihre Kosten exakt zu 100% erstattet bekommen,
• verschwindet die Personalnot, denn durch Verzicht auf die DRG-Kodierung und Dokumentation stehen zusätzlich geschätzt 143 Tsd. Vollzeitkräfte als vorwiegend medizinisches Personal zur Verfügung,
• wird die flächendeckende klinische Versorgung gesichert, weil nicht mehr die Ökonomie entscheidet, welche Region ein Krankenhaus in unmittelbarer Nähe vorfindet,
• entstehen keine pandemie- oder krisenbedingte Erlösausfälle für die Kliniken und keine ungedeckten krisenbedingten Kostensteigerungen (z.B. Energiekosten), denn zum Jahresende werden die Jahreskosten der Krankenhäuser geprüft und ausgeglichen. Ebenso wenig gibt es Gewinne, denn auch die Einnahmenseite wird geprüft und spitz abgerechnet.

Die Selbstkostendeckung ist kein Freibrief für Krankenhäuser. Die Jahresergebnisse werden von WirtschaftsprüferInnen abgenommen. Zum aktuellen Zeitpunkt sind das in der Regel private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Wir sehen es als notwendig an, für die Einrichtungen der Daseinsvorsorge eine demokratisch kontrollierte Instanz dazu zu beauftragen, wie zum Beispiel die Landes- oder auch kommunalen Rechnungshöfe.

Krankenhäuser werden bundesweit nach ihrer Versorgungsstufe und Bettengröße geclustert. Ist- Kosten der Krankenhäuser, die signifikant über den Abschlagszahlungen des gleichen Jahres liegen, müssen gegenüber den Wirtschaftsprüfern begründet werden. Damit wird ausgeschlossen, dass Krankenhäuser beliebige Kosten erzeugen und sich erstatten lassen.

Berlin, den 13. Dezember 2022
GiB Gemeingut in BürgerInnenhand
www.gemeingut.org

Die Studie „Selbstkostendeckung der Krankenhäuser“ des Bündnis Klinikrettung:
https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/2022-10_Studie_Selbstkostendeckung_Buendnis_Klinikrettung_aktualisierte_Ausgabe_2022-12-12.pdf