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Ostermarsch Kiel:
Mehr Diplomatie wagen!
Ca. 500 Personen versammelten sich zum Kieler Ostermarsch am Sa., 8.4.2023. Er richtete sich gegen die massiven Waffenlieferungen aus den USA, Deutschland, Polen und anderen westlichen Industriestaaten an die Ukraine, mit dem Ziel Russland in einen dauerhaften Krieg zu verwickeln. Die faschistischen Militärmachthaber in der Ukraine lassen ihre Bevölkerung für die imperialistischen Weltmachtbestrebungen der USA und die Interessen der europäischen Industriestaaten als Kanonenfutter verheizen. Die militärische Einkreisung Russlands durch die NATO-Staaten, wie auch der völkerrechtswidrige Putsch in der Ukraine werden von deutschen Politikern und Medien verschwiegen und in eine einzigartige Propagandaschlacht für Aufrüstung und Krieg umgenutzt. Diese aggressive Wendung der herrschenden Parteien SPD, CDU, FDP und GRÜNE bezeichnen sie selbst als „Zeitenwende“ und sie zielt auf eine aktive weltweite Kriegspolitik und gewinnbringende Rüstungsproduktion.
Die Friedensbewegung verlangt demgegenüber einen sofortigen Waffenstillstand sowie Verhandlungen auf diplomatischer Ebene um den Stellvertreterkrieg zu beenden.
Auch in den Kieler Nachrichten wurde über den Ostermarsch berichtet: „Das Bündnis verschiedener Gruppierungen vom Kieler Friedensforum über die Gewerkschaft Verdi bis zur Deutschen Kommunistischen Partei Kiel kritisierte auch die „Aufrüstungspläne der Bundesregierung“ in Form des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für die Bundeswehr. Dies ist ein Punkt, der derzeit zu Spannungen zwischen dem Friedensforum und Teilen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) führt. Thore Steinigeweg vom Kieler Friedensforum sprach am Rande der Demonstration von einem „Konflikt mit dem DGB“, weil sich dieser schwer damit tue, die aktuelle Regierungspolitik zu kritisieren. Kritisch beobachte man auch die mediale Berichterstattung, die sich überwiegend positiv zu Waffenlieferungen in die Ukraine äußere, ergänzte Steinigeweg. Seit dem Krieg sei es generell schwieriger geworden, sich für Frieden einzusetzen, und auch viele Menschen für das Thema zu mobilisieren, so Steinigeweg. Er nehme in der Bevölkerung eher eine abwehrende Haltung wahr. „Der Ostermarsch ist für uns daher eine Chance, wahrgenommen zu werden.“ (fms, KN, 11.4.2023)
Am Rande der Kundgebung versuchte eine kleine Gegendemo von vier ukrainischen Flüchtlingen mit einem Plakat „Solidarität heißt Waffen für die Ukraine“ zu provozieren und erhielt sogar noch kurz ein Rederecht auf der Kundgebung. Allerdings kam es zu keinen Zwischenfällen.
Die Reden von Andreas Zeddel (christliche Friedensinitative Altenholz): „Krieg darf in Gottes Namen nicht sein!“ und Siegfried Lauinger (IPPNW Kiel): „Die Gefahr eines Atomkrieges wächst.“ sind nachzulesen auf der Internetseite: www.kieler-friedensforum.de
Im folgenden dokumentieren wir drei Redebeiträge auf dem Kieler Ostermarsch. (uws)
Rede des Kieler Friedensforum auf dem Ostermarsch:
Mehr Diplomatie wagen!
Krieg ist immer eine Niederlage der Diplomatie - heißt es. Wenn das so ist, dann kann auch nur Diplomatie einen Krieg beenden. Fast alle Kriege werden durch Verhandlungen beendet, nicht militärisch.
Wünschenswert wäre natürlich, wenn alle Staaten im Rahmen Charta der Vereinten Nationen bzw. der Charta von Paris, die 1990 nach der Auflösung der Sowjetunion Völkerrecht wurde und immer noch Richtschnur für zwischenstaatliches Handeln sein sollte.
Seit mehr als einem Jahr verursacht der Krieg in der Ukraine Leid, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, kommen Menschen ums Leben, werden verletzt oder traumatisiert. Mit jedem Tag wächst das Risiko, dass sich der Krieg auf andere Staaten ausweitet oder zum Atomkrieg eskaliert. Deshalb ist ein Waffenstillstand und der Beginn von Verhandlungen so dringend notwendig.
Nur sollte man sich vergegenwärtigen, dass wir bei der Suche nach Waffenstillstand und Frieden ein Prozess und nicht ein Endresultat vor Augen haben müssen. Oder, um den Diplomaten Michael von der Schulenburg zu zitieren: „Nicht der Krieg, sondern was zum Krieg geführt hat, muss gelöst werden.“
Die vier führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute stellen in ihrem Friedensgutachten 2022 fest: „Auch wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag, ist jetzt der Zeitpunkt, sich über die Schritte zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa Gedanken zu machen.“ Bevor jedoch über eine Friedensordnung nachgedacht wird, muss erst ein Waffenstillstand und der Beginn von Verhandlungen erreicht werden. Auf jeden Fall muss die Lieferung von Waffen unterbleiben.
Zu Recht heißt es im zentralen DGB-Aufruf zu den diesjährigen Ostermärschen: „Wir sind der Überzeugung, dass immer mehr Waffen nicht automatisch zu einem schnelleren Ende des Krieges führen. Im Gegenteil! Es ist unerträglich, mit welcher Leichtfertigkeit in vielen Medien und von vielen in der Politik wahllos nach immer mehr Waffen für die Ukraine gerufen wird.“ Und weiter: „Und es ist unerträglich, dass Menschen, die ausgewogener argumentieren, sich dafür auch noch rechtfertigen müssen und Anfeindungen ausgesetzt werden.“
Von den vielen diplomatischen Vorschlägen, die nun schon auf dem Tisch liegen möchte ich einige kurz streifen und verweise auf eine Broschüre der IPPNW: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Frieden_Ukrainekonflikt_Feb2023.pdf
Das 2014 beschlossene Minsk II muss immer noch als Teil des Völkerrechts gelten. Dort ist u.a. festgelegt:
• Sofortiger Beginn des Dialoges über die Modalitäten von Wahlen nach ukrainischen Recht.
• Verhandlungen über die lokale Selbstverwaltung in den Gebieten Donezk und Luhansk.
• Abzug aller ausländischen bewaffneten Einheiten und ihrer Militärtechnik, Entwaffnung aller illegalen Gruppierungen.
• Verfassungsreform, in der auch der Sonderstatus der Regionen Luhansk und Donezk und die Dezentralisierung der Ukraine verankert wird.
Zwar wurde regelmäßig gegen das Abkommen verstoßen, aber das Minsker Abkommen kann immer noch als Blaupause gelten. Als Ende des Minsker Prozesses muss das Dekret Nr. 117 der ukrainischen Regierung vom 24. März 2021 gelten, das die Regierung anweist, einen „Aktionsplan“ auszuarbeiten, um den Donbass und die Krim wieder unter staatliche ukrainische Kontrolle zu bringen. Der russische Einmarsch im Februar 2022 machte alle Verhandlungsbemühungen zunichte.
Vielversprechender war der Zehn-Punkte-Plan von Istanbul im März 2022: der einen Waffenstillstand und einen russischen Rückzug vorsah, unter der Voraussetzung: dass Kiew seine Neutralität erklärt und eine Begrenzung seiner Streitkräfte akzeptiert. Dieser unterschriftsreife Verhandlungsplan scheiterte bekanntlich Veto von Großbritannien.
Im Mai 2022 legte der italienischen Außenminister Di Maio einen Friedensplan vor, der vier Schritte vorsah:
1. Waffenstillstand
2. Schritt: Friedenskonferenz über die Einrichtung des neutralen Status der Ukraine, der mit internationalen Verträgen im Sinne einer Schutzgarantie abzusichern ist.
3. Schritt: Bilaterales Abkommen zwischen Russland und der Ukraine über den Status der umkämpften ukrainischen Gebiete. Weitgehende Autonomie der Krim und Gebiete des Donbass in den nationalen Grenzen der Ukraine.
4. Schritt: Verhandlung eines multilateralen Abkommens unter Führung der OSZE über einen europäischen Sicherheitspakt. Schrittweise Rücknahme der Sanktionen gegen Russland.
Danach gab es ähnliche Vorschläge, u.a. aus dem Vatikan, aus Mexico, aus Brasilien und Einzelpersönlichkeiten wie Henry Kissinger.
Im Februar 2023 legte China einen weitreichenden Verhandlungsvorschlag vor. Wesentlich an diesem Vorschlag sind einige Punkte, weil sie explizit Bezug auf die UN-Charta und die Charta von Paris nehmen, beispielsweise die Festlegung, dass das Völkerrecht unteilbar ist und nicht zu Lasten von anderen Staaten angestrebt werden soll. Es heißt dort u.a.:
• Respektierung der Souveränitätt aller Länder. Die gleichmäßige und einheitliche Anwendung des Völkerrechts ist zu fördern, während doppelte Standards abgelehnt werden müssen.
• Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer Länder angestrebt werden.
• Zurückhaltung aller Staaten, nicht Flammen zu schüren und verhindern, dass sich die Krise verschlechtert.
• Eine effektive und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, eine Blockkonfrontation muss verhindert werden.
• Sicherheit von Kernkraftwerken ist zu gewährleisten und - Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt, Atomkriege dürfen nicht geführt werden.
• Beendigung einseitiger Sanktionen.
Dies alles sind Vorschläge, wie man zu Verhandlungen kommen könnte Allen ist gemeinsam, dass sie sofort zurückgewiesen wurden, teilweise von den kriegsführenden Parteien, aber auch von NATO-Staaten, unterstützt von unseren Medien. Und trotzdem: Es gibt zum Dialog keine Alternative!
Noch ein Zitat aus dem DGB-Aufruf zu den Ostermärschen 2023: „Wir wissen um bestehende Bemühungen und wünschen gleichzeitig mehr davon: Haben Sie (gemeint sind Politiker, B.St.) den Mut, mehr Diplomatie zu wagen!“
Der Diplomat Wolfgang Sporrer, Verhandlungsführer bei vielen OSZE-Verhandlungen weist auf einen häufigen Fehler bei Verhandlungen hin: „Einer der größten Fehler, der von Menschen gemacht wird, die für Waffenstillstand und Frieden eintreten, ist, über mögliche Endresultate zu sprechen. Derjenige, der von potenziellen Endresultaten oder Kompromissen spricht, wird sofort so toxisch, dass er für mindestens eine der Parteien nicht mehr als akzeptabler Vermittler gilt. Alle denkbaren Endszenarien werden zu diesem Zeitpunkt zurückgewiesen werden.“ Was ist gemeint? Zu nennen wäre demnach immer wieder geäußerte Vorbedingungen wie:
• Die Ukraine solle auf die besetzten Gebiete verzichten und keine Mitgliedschaft in der NATO anstreben oder:
• Russland müsse sofort seine Truppen abziehen.
Das alles kann aber erst ein Ergebnis von Verhandlungen sein. Nun ist oft zu hören: Mit Russland kann man nicht verhandeln! Stimmt das? Wird nicht regelmäßig mit RU verhandelt, über Getreideabkommen, über Gefangenenaustausch, über den Schutz des Atomkraftwerks? Noch einmal: Zum Dialog gibt keine Alternative!
Zum Schluss noch ein Gedanke zum Weiterdenken (aus Christa Wolf, Kassandra):
„Wann der Krieg beginnt, kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg? Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen. In Ton, in Stein eingegraben, sie überliefern. Was stünde da? Da stünde unter anderem der Satz: Lasst euch nicht von den Eigenen täuschen.“
(Benno Stahn, Kieler Friedensforum)