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Industriestrom:
Noch mehr Subventionen?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will einen besonders günstigen Stromtarif für Industriekunden einführen. Der DGB möchte diese Subventionen ebenfalls, auch die SPD, der Verband der chemischen Industrie und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Nur die FDP sträubt sich noch. Die Ampelparteien konnten sich in Berlin bisher nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen.
Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sei gefährdet, heißt es von den Befürwortern. Die hiesige Industrie habe viel höhere Energiekosten als in anderen Ländern, schallt es seit Monaten aus fast allen Kanälen. Mal dahingestellt, ob das mit den höheren Kosten überhaupt stimmt, muss man aus globaler Perspektive jedoch fragen, wo eigentlich das Problem wäre, wenn die hiesige Exportwirtschaft mal ein wenig im Wettbewerb zurückfallen würde. Schließlich hat Deutschland seit Jahrzehnten einen notorisch hohen Handelsbilanzüberschuss, der für allerlei Ungleichgewichte im Welthandel sorgt und unter anderem auch maßgeblich zu den großen Problemen der südeuropäischen Länder beiträgt.
Aber natürlich verfängt hierzulande die Angstmacherei vor etwaigen Schwierigkeiten in der Exportindustrie und das Gerede von der drohenden Abwanderung der Industrie nur zu gut. Fest, sehr fest ist der Standortnationalismus in die Köpfe eingebrannt und blockiert dort naheliegende Fragen nach weltwirtschaftlichen Gleichgewichten, nach Sinnhaftigkeit und Umweltverträglichkeit des Produzierten oder nach auch Arbeitszeitverkürzung als Alternative zu Entlassungen bei Absatzrückgang.
Doch all das nur am Rande. Hier soll es um Habecks Industriestrompläne gehen. Der Minister möchte gern für energieintensive Unternehmen einen sogenannten Brückenstrompreis einführen. Bis 2030 sollen sie Strom aus dem öffentlichen Netz für sechs Cent pro Kilowattstunde beziehen können. Danach würde es dann – vor dem Hintergrund eines beschleunigten Ausbaus von Solar- und Windenergie – diverse Erleichterungen und Regelungen geben, die den Verbrauch von Grünstrom in den Betrieben verbilligt und besonders attraktiv machen.
Finanziert werden soll der Brückenstrom, so ein Arbeitspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima, aus öffentlichen Mitteln, und zwar aus dem „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ der während der Corona-Pandemie geschaffen wurde und mit der Aufnahme von Krediten gefüllt wird. Allerdings will das Ministerium den Empfängerkreis klar eingegrenzt sehen. Das Ministerium spricht vor allem von der Grundstoffindustrie im Bereich der Chemie-, Stahl-, Metall-, Glas- oder Papierindustrie, die gefördert werden müsse. Auch Batteriefabriken, Fotovoltaik-Produktion, Halbleiterfertigung und ähnliches kann man sich als Empfänger vorstellen.
Der Preisnachlass sollte nach den Vorstellungen des Habeck-Ministeriums nur auf 80 Prozent des Verbrauchs gewehrt werden, um Anreize zum Stromsparen zu erhalten. Immerhin sind die Einsparpotenziale in der Industrie allem Gejammer über die hohen Preise zum Trotz noch immer beachtlich, wie auch das Bundeswirtschaftsministerium konstatiert.
Der Zuschuss soll sich nach dessen Vorstellungen nicht am tatsächlich gezahlten Preis orientieren, sondern am durchschnittlichen Börsenstrompreis im Jahr. Liegt dieser über sechs Cent pro Kilowattstunde – was auf absehbare Zeit der Fall sein wird –, dann bekommt das Unternehmen diesen Differenzbetrag für 80 Prozent des im Jahr verbrauchten Strom ausbezahlt. Auch wenn dieser tatsächlich günstiger eingekauft wurde.
Die Idee dabei ist, die Unternehmen dazu anzuhalten, trotzdem nach den günstigsten Angeboten zu suchen. Diese gibt es meist, wenn besonders viel Sonnen- oder Windstrom im Netz ist, den die Übertragungsnetzbetreiber bei den derzeitigen Regeln des Erneuerbare-Energie-Gesetzes zu jeden Preis an der Börse verkaufen, manchmal gar verschenken müssen. Wer seinen Verbrauch flexibel steuern kann oder sich größere Speicher zulegt, könnte auf diese Weise unter Umständen ein richtiges Schnäppchen machen. 25 bis 30 Milliarden Euro könnten diese Geschenke bis 2030 kosten, wird laut Tagesschau.de geschätzt.
Die Förderung sowohl mit dem Brückenstrompreis als auch mit den Programmen für vergünstigten Grünstrom nach 2030 soll an verschiedene Verpflichtungen der Unternehmen gebunden werden, wie etwa langfristige Standortgarantien, Klimaneutralität bis 2045 und Tariftreue. Das wären immerhin deutlich mehr Bedingungen, als in den letzten beiden Jahrzehnten mit Konjunktur- und Krisenprogrammen wie zuletzt während der Pandemie verbunden waren.
Aber das sind, wie gesagt, zunächst nur die Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium. Wie viele der positiv zu wertenden Einschränkungen und Vorbedingungen dann tatsächlich im koalitionsinternen Handel und einem etwaigen Gesetzgebungsprozess überleben, ist eine ganz andere Frage. Die FDP macht sich zur Zeit in der Frage Industriestrompreis zum Vertreter mittelständischer Unternehmen. Deren Verbände sind wenig erfreut von den Plänen, weil sie leer ausgehen würden und die Stärkung der großen Konkurrenz befürchten. Denkbar wäre also, dass im Ergebnis dieses Gezerres die Subventionen letztlich doch eher mit der Gießkanne verteilt und auf Garantien seitens der begünstigten Unternehmen verzichtet wird.
Unklar ist auch noch, ob die Subventionen den Segen der Wettbewerbswächter in der EU-Kommission bekämen. Letztlich wird das vermutlich von den neuen Regeln für den Strommarkt abhängen, über die die Regierungen derzeit verhandeln. Frankreich will unbedingt neue Vertragsformen einführen, die seinen alten und uralten Meilern sichere Einnahmen verschafften und ihren möglichst langen Weiterbetrieb absicherten. Die Bundesregierung hat wiederholt dagegen polemisiert, doch inzwischen scheint ein Kuhhandel möglich.
Zeit vielleicht noch einmal daran zu erinnern, dass der Strom für Industriekunden und Großabnehmer ohnehin seit eh und je in unterschiedlichen Formen vergünstigt ist. Zum Beispiel dadurch, dass Privatkunden einen höheren Preis bezahlen müssen. Die diversen Steuern und Abgaben außer Acht gelassen zahlten Private 2023 bisher im Durchschnitt 33,8 Cent pro Kilowattstunde für Beschaffung, Vertrieb und Netzentgelte. Industriekunden mussten hingegen im Durchschnitt nur 23,64 Cent pro Kilowattstunde für diesen Teil des Strompreises hinlegen.
Ist das soviel mehr, als in anderen Ländern? „Exorbitant hohe Strompreise“ zahle die deutsche Industrie im Vergleich zu Ihrer Konkurrenz, meinte im Mai BDI-Präsident Siegfried Russwurm gegenüber der Tagesschau. Stimmt das?
Das EU-Statistikamt gibt für das erste Halbjahr 2023 einen Preis für Nichthaushaltskunden von knapp 27 Cent pro Kilowattstunde an. Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft gibt für das erste Halbjahr 2023 einen durchschnittlichen Preis von 26,5 Cent pro Kilowattstunde an. Davon sind knapp drei Cent Steuern und Abgaben. (Private Verbraucher zahlen in Deutschland derzeit pro Kilowattstunde Strom im Durchschnitt 12,47 Cent an Steuern und Abgaben.)
In Italien, Belgien, den Niederlanden und in einigen osteuropäischen Ländern muss die Industrie laut Eurostat mehr bezahlen, andere Länder, wie etwa Frankreich, aber seit neuestem auch Dänemark, haben den Industriestrompreis zum Teil schon deutlich gedrückt. Nach Angaben der Plattform GlobalPetrolPrices.com mussten im März in China Gewerbekunden umgerechnet acht und in den USA 13,1 Euro-Cent pro Kilowattstunde zahlen, aber das sind nur bedingt vergleichbare Momentaufnahmen.
Von „exorbitant“ kann also nicht die Rede sein, wohl aber davon, dass Deutschland sich mit seinen Industriestrompreisen im oberen Drittel bewegt, und dass es trotz EU offensichtlich einen Wettbewerb gibt, die heimische Industrie mit niedrigen Strompreisen zu begünstigen. Aber ist das ein Grund auch hierzulande Großverbraucher noch mehr als ohnehin schon zu belohnen? Sollte man nicht eher Stromsparen stärker fördern?
Die Industrie ist nach Angaben des Umweltbundesamtes für 45 Prozent des hiesigen Stromverbrauchs verantwortlich, und dieser Anteil wird vermutlich weiter steigen, wenn zum Beispiel die Stahlproduktion und die Wasserstofferzeugung für die Chemieindustrie auf Strom umgestellt werden.
Da wird es eigentlich dringend Zeit mal darüber nachzudenken, ob wir tatsächlich 48,8 Millionen Pkw brauchen. Oder ob VW nicht doch lieber Busse und Straßenbahnen produzieren sollte. Das wäre sogar arbeitsintensiver als die Pkw-Produktion, aber es müsste weniger Material und Energie aufgewandt werden. Und es könnten in Wolfsburg zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, statt diese – wie derzeit geplant – zu reduzieren.
Doch die Prioritäten der Bundesregierung und der Industrie sehen anders aus. Das machte kürzlich auch die Initiative Energien Speichern e.V. deutlich. Der Verein ist ein Zusammenschluss von Betreibern deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher und gibt regelmäßig Prognosen zur Gas-Versorgungssicherheit ab, wie zuletzt Mitte Oktober. Demnach müsse man sich beim Gas keine allzu großen Sorgen machen, die Speicher seien zu fast 100 Prozent befüllt. Nur wenn es extrem kalt werden sollte, könne es zu einer „Gasmangellage“ kommen. In einer solchen Situation könne „vor allem die Gruppe der Haushalte und Gewerbekunden durch Einsparmaßnahmen einen großen Beitrag zum Erhalt industrieller Produktionsprozesse in Deutschland leisten“. Frieren zum Wohle der Exportindustrie? Zeit aus Standortnationalismus und Wachstumswahn auszubrechen. (wop)