Daten/Fakten  

   

Beiträge

Brief an den Bundestagsabgeordneten der Stadt Kiel, Mathias Stein und bundesweite Presseerklärung:

IPPNW fordert Mut zum Verhandeln

Sehr geehrter Herr Stein!

Sie sind Bundestagsabgeordneter der Mayors-for-Peace-Stadt Kiel. Wie ist Ihre Haltung, z.B. zu der Stellungnahme Ihres Fraktionskollegen Rolf Mützenich (s.u.)? Man hört sehr wenig in dieser Richtung von Ihnen! Auch beim diesjährigen Ostermarsch und bei der letztjährigen Hiroshimaveranstaltung waren Sie leider wohl nicht.
Sie haben die  Petition von Bundestagsabgeordneten für eine Unterschrift der Bundesregierung unter den Atomwaffenverbotsvertrag unterschrieben. Das haben wir Ihnen hoch angerechnet! Wie überzeugt stehen Sie heute hinter Ihrer Unterschrift? Galt Ihre Unterschrift nur, solange die SPD nicht den Kanzler stellte?
Mein Kollege Siegfrieg Lauinger und ich haben Sie vor mehr als einem Jahr in Ihrem Büro in Kiel besucht und Sie auf die Initiativen Ihres Kollegen Ralf Stegner hinzuweisen und um Ihre Unterstützung gebeten. Haben Sie sich der Gruppe von Ralf Stegner seither angeschlossen?
Ich wünsche und erwarte mir von Ihnen mehr sichtbare Zivilcourage in Ihren Stellungnahmen zum Ukrainekrieg und zum Gazakrieg mit den Eskalationsgefahren beider und der zunehmenden Militarisierung der Politik!
Sie sind für die Sicherheit der von Ihnen vertretenen Bürgerinnen und Bürger Kiels verantwortlich! Kiel wird im Falle einer Eskalation mit seinem Hafen als Waffen- und Miltärtransporte-Umschlagsplatz und mit seinen Werften eines der Hauptziele eines gegnerischen Angriffs sein. Was tun Sie, um das zu verhindern?
Was tun Sie, um Ihrer Verantwortung gerecht zu werden?
 
Auf Ihre Stellung beziehende Antwort bin ich gespannt.
Mit freundlichen Grüßen
M. Klingenburg-Vogel

IPPNW-Pressemitteilung vom 20. März 2024 zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers und EU-Gipfeltreffen in Brüssel

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW begrüßt den Aufruf des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, darüber nachzudenken, „wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann“ und fordert die Bundesregierung und Abgeordneten auf, sich mit seinen Vorschlägen inhaltlich auseinander zu setzen. Mützenich spricht sich für lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen aus, die überführt werden könnten in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt, was die Zustimmung beider Kriegsparteien benötige.

Schwerpunkt des Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist die militärische Unterstützung der Ukraine und eine Strategie für die europäische Verteidigungsindustrie. Die Bundesregierung hat gestern bei einem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein eine weitere Unterstützung der Ukraine in Höhe von 500 Millionen Euro angekündigt. Die Friedensnobelpreisträgerorganisation warnt erneut davor, ausschließlich auf eine militärische Lösung des Konfliktes zu setzen. Mit jedem Tag, den der Krieg dauert, steige die Gefahr einer Ausweitung des Krieges bis hin zum Atomkrieg.

Dass diese Befürchtungen ernst zu nehmen sind, zeigt ein Bericht der „New York Times“ vom 9. März 2024. Danach soll die US-Regierung im Herbst 2022 mit einem russischen Einsatz von Atomwaffen gerechnet haben. Als die ukrainischen Streitkräfte während ihrer Gegenoffensive im Osten des Landes die russische Armee in die Enge getrieben haben, hätte Russland zu jener Zeit ernsthaft in Erwägung gezogen, Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen. Laut der New York Times stammen diese Informationen u.a. aus abgefangener, streng vertraulicher Kommunikation. Sollte die Ukraine versuchen, die Krim zurückzuerobern, steige die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Atomwaffen durch Russland nach Einschätzung der CIA „auf 50 Prozent oder sogar noch höher“, heißt es in dem Artikel.

„Es ist höchste Zeit für ein Umdenken. Die Parlamentarier müssen darüber nachdenken und diskutieren, wie der Teufelskreis der Kriegslogik durchbrochen werden kann und ein Einstieg in erste vertrauensbildende Maßnahmen und eine Deeskalation im Sinne der Friedenslogik gelingt,“ erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.

Der Ukrainekrieg hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte bis zum 31. Januar 2024 knapp 11.000 zivile Todesopfer in der Ukraine gefordert. Hunderttausende russische und ukrainische Soldaten sind gefallen oder schwer verletzt. Unzählige der Millionen vertriebenen Menschen leiden an körperlichen und psychischen Schäden, die noch lange nachwirken werden, wenn die eigentlichen Kampfhandlungen längst beendet sind.

In den USA wird seit 2022 eine öffentliche Debatte darüber geführt, dass eine Fortsetzung des Krieges zu unnötigem Leid und Tod sowie einem erhöhten Eskalationsrisiko führen würde. Vertreter konservativer, militärnaher Think Tanks zeichnen den Weg zu vertrauensbildenden Maßnahmen vor. Alle Parteien sollten Schritte unternehmen, um die Möglichkeit künftiger Gespräche zu schaffen und Offenheit für eventuelle Verhandlungen signalisieren.

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist nach übereinstimmender Einschätzung von zahlreichen Expert*innen für keine der Kriegsparteien mit militärischen Mitteln zu gewinnen und hat sich zu einem brutalen Abnutzungskrieg entwickelt. Die IPPNW sieht angesichts der Möglichkeiten eines langen, blutigen Krieges und ständiger Eskalationsrisiken einen Waffenstillstand und darauf aufbauende Friedensverhandlungen weiterhin als einzig sinnvollen Ausgang des Krieges an.

„Friedensfähig ist nur, wer über die Kriegslogiken hinausdenkt und diplomatische Optionen entwickelt, Gewaltkonflikte zumindest einzufrieren, um sie mittel- bis langfristig zu lösen.“ (Friedensgutachten 2022, S. 12)