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Bundestag-Wahlanalyse:
Phönix aus der Asche
Die vorgezogenen Bundestagswahlen haben offensichtlich in einer Stimmung stattgefunden, die so politisiert wie seit langem nicht war. Entsprechend lag die Beteiligung mit rund 84 Prozent so hoch wie seit 1987 nicht mehr. (Alle Angaben sind vorläufig, das amtliche Endergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.)
Profitiert haben allerdings vor allem Union und AfD, die beide weit mehr als alle anderen Parteien Nichtwählerinnen und -wähler mobilisieren konnten. SPD und FDP haben jeweils ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren, „Wahlsieger“ CDU/CSU ihr zweitschlechtestes eingefahren. Das schlechteste hatte sie 2021 erreicht. Erschreckend ist der Erfolg der AfD für die rund ein Fünftel aller Wähler gestimmt haben, 830.000 von ihnen hatten bei der letzten Wahl noch die Unionsparteien gewählt. In Schleswig-Holstein blieb die Partei noch leicht unterdurchschnittlich, aber auch hier kam sie auf rund 16 Prozent. Bei den letzten Wahlen hatte es noch so ausgesehen, als sei der Norden ein klein wenig immun gegen die braun-blaue Gefahr.
Das neue „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) verfehlte denkbar knapp den Einzug in den Bundestag. Rund 14.000 Stimmen fehlten. Die Wählerwanderungsstatistik zeigt, dass das BSW Nichtwähler motivieren, aber auch von allen Parteien Wähler abwerben konnte. Von der AfD allerdings nur im minimalen Umfang. Hoffnungen, die neue Organisation würde wenigstens den Aufstieg der Faschisten deckeln, haben sich also in keiner Weise erfüllt.
Noch Ende 2024 sah es so aus, als sei die Linkspartei durch den Austritt der Gruppe um Sarah Wagenknecht so geschwächt, dass sie kaum Hoffnung hätte, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Andererseits erlebte sie nach Wagenknechts Abgang einen Zustrom neuer, sehr junger und motivierter Mitglieder, der bis zum Wahltag anhielt und die Mitgliederzahlen auf Rekordwerte von fast 100.000 hochschnellen ließen. Viele von ihnen haben sich auch sehr viele aktiv in den Wahlkampf eingebracht.
Unterm Strich hat die Linkspartei dann zwar nach den vorläufigen Auswertungen 330.000 Wählerinnen und Wähler an das BSW verloren. Zugleich hat sie aber gut 1,6 Millionen hinzugewonnen, und zwar vor allem zu etwa gleichen Teilen von SPD und den Grünen, sowie im etwas geringeren Umfang von den Nichtwählern. In Berlin ist die Linkspartei zur stärksten Partei geworden und konnte dort gleich vier Direktmandate gewinnen. Besonders interessant: Mit Neukölln und Kreuzberg-Friedrichshain gingen erstmals zwei westliche oder teilweise westliche Wahlkreise an die Linke. Ein fünftes und sechstes Direktmandat wurden in Leipzig Süd, sowie im Wahlkreis Erfurt-Weimar-Weimarer Land II gewonnen.
In Schleswig-Holstein hat die Linkspartei mit 7,7 Prozent leicht unter dem Bundesdurchschnitt abgeschnitten, wobei Kiel mit 14,3 Prozent der Zweitstimmen ziemlich heraussticht. (Im Wahlkreis Kiel, zu dem auch Kronshagen und Altenholz gehören, waren es 13,9 Prozent.) In keiner anderen Stadt zwischen den Meeren war der Anteil so hoch. Die linke Ratsfrau Tamara Mazzi hat beachtliche 9,7 Prozent der Erststimmen bekommen und zieht über ihren zweiten Platz auf der Landesliste in den neuen Bundestag ein – zusammen mit Lorenz Gösta Beutin, der 2021 wegen des seinerzeit schlechten Ergebnisses aus dem Bundestag hatte ausscheiden müssen.
Ein Blick in die Stadtteile zeigt, dass die SPD-Kandidatin nur noch auf dem Ostufer und in Pries-Friedrichsort eine Stimmenmehrheit erreichte. Die Innenstadt ist fest in der Hand der Grünen. Fast das gleiche Bild bei den Zweitstimmen, außer dass in Gaarden die Linkspartei mit 25,6 Prozent die stärkste Partei ist. Im Wahllokal 181 um den Vinetaplatz herum erreichte sie sogar 31,6 Prozent. Im Gaardener Wahllokal 173 „Schulen an der Iltisstraße“ war allerdings die AfD mit 21,3 Prozent stärkste Partei, wobei sie jeweils nur wenige Zehntel Prozentpunkte vor SPD und Linkspartei lag. Mit 64,1 Prozent war die Wahlbeteiligung in Gaarden gewohnt unterdurchschnittlich, aber 11,3 Prozentpunkte höher als bei der letzten Bundestagswahl 2021.
Das BSW bekam in Kiel nur auf 3,7 Prozent der Zweitstimmen. Auch die blauen Nazis lagen an der Förde deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, aber 10,2 Prozentpunkte sind natürlich noch immer 10,2 Prozent zu viel. Das Direktmandat, für das die Erststimme zählt, wurde wieder von den Grünen gewonnen.
Interessant auch die Entwicklung bei den ganz Jungen, soweit sie in der U18-Wahl deutlich wurde. Knapp 170.000 Kinder und Jugendliche hatten bundesweit in selbstorganisierten Wahllokalen in Vereinen, Jugendzentren und ähnlichen ihre Stimme abgegeben. Mit gut 20 Prozent erwies sich dabei die Linkspartei als Favorit, eine Position, die viele Jahre die Grünen innegehabt haben. Diese kamen diesmal hingegen nur noch auf 12,5 Prozent. Allerdings sind die U18-Wahlen nicht repräsentativ, unter anderem, weil sie von den Großstädten dominiert werden. Auch bei den jüngsten Wählern ist die Linkspartei die stärkste Partei gewesen, gefolgt leider von der AfD. Die Grünen haben, wie die Statistik zeigt, ihren Favoriten-Status bei den Jungen eindeutig verloren. Die Jugend scheint halt doch nicht so auf Aufrüstung und LNG-Beschiss zu stehen.
Auffällig ist, dass Migrantinnen und Migranten oder deren Nachkommen in der neuen Linksfraktion erheblich unterrepräsentiert sein werden. Das ist in einer Zeit grassierenden Rassismus und massiver Repression gegen Einwanderer-Communities ein ernsthaftes Problem. Sie stellen heute einen erheblichen Teil der Arbeiterklasse dar und linke Parteien und Organisation müssen dem unbedingt mehr Rechnung tragen. (wop)
Grafiken - Quelle:
bundeswahlleiterin.de/bundestagswahlen/2025, 24.2.2025