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Sinti und Roma endlich anerkannt, aber...

01.Dezember 2012  Der Landtag Schleswig-Holsteins hat den Schutz der im Bundesland beheimateten Sinti und Roma in der Landesverfassung verankert. In Artikel 5 heißt es künftig: "Die nationale dänische Minderheit, die Minderheit der deutschen Sinti und Roma und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung." Auf der Tribüne verfolgten der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, und der Landesvorsitzende Matthäus Weiß die Abstimmung.

"Dieser Beschluss bedeutet uns sehr viel", sagt Verbandsvorsitzende Weiß. Es sei ein Symbol, das den Sinti und Roma mehr Sicherheit geben werde. Seit dem 15. Jahrhunderts leben Angehörige der Minderheit im Norden, wurden aber immer wieder ausgegrenzt und verfolgt. Während des Faschismus starben etwa 400 Angehörige der Minderheit aus Schleswig-Holstein in den Vernichtungslagern. Jedes Jahr gedenkt der Landesverband der Verschleppung der schleswig-holsteinischen Sinti und Roma am 16. Mai 1940 mit einer kleinen Gedenkfeier an einem Mahnmal im Kieler Hiroshima-Park.Der schleswig-holsteinische Landesverband Deutscher Sinti und Roma e.V. schätzt die Zahl der Sinti und Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit in Schleswig-Holstein auf etwa 5.000 Menschen. Sie wohnen und leben vor allem in den Städten Kiel und Lübeck sowie im Hamburger Umland.

Die kulturelle Identität der Sinti und Roma gründet sich im wesentlichen auf ihrer Sprache Romanes, ihrer Musik und dem Zusammenleben in großen Familienverbänden, aber auch in der Erfahrung jahrelanger Verfolgung.Romanes gehört zu den nach der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen geschützten Minderheitensprachen. Es handelt sich um eine eigenständige, aus dem altindischen Sanskrit stammende Sprache, die in verschiedenen Varianten gesprochen wird. Die Sprache wird ausschließlich im Rahmen der Familie und Familienverbände gepflegt und an kommende Generationen weitergegeben.Zersiedeltes Wohnen widerspricht der Kultur der Sinti und Roma und bedroht ihre Sprache. Deshalb haben Sinti und Roma den Wunsch, generationenübergreifend miteinander leben und ihre kulturellen Besonderheiten und ihre Sprache Romanes bewahren können - ohne sich von der Mehrheitsbevölkerung abzuschotten.

In Kiel ist ein derartiges Wohnprojekt geschaffen worden. Seit 2007 wohnen Sinti und Roma in dem Wohnprojekt "Maro Temm (Unser Platz)" auf einem 10.000 Quadratmeter großen Grundstück im Stadtteil Gaarden in einer Reihenhaussiedlung mit 13 Wohneinheiten. Hausaufgabenhilfe, Freizeitaktivitäten, Versammlungen und kulturelle Begegnungsfeste werden dort für die BewohnerInnen ermöglicht.Soviel zur ermutigenden Seite der schleswig-holsteinischen Minderheitenpolitik. Die dunkle Seite offenbart sich nur wenige hundert Meter weit entfernt; ebenfalls in Kiel-Gaarden. In erbärmlichen Wohnungen im Kirchenweg, die von profitgierigen Hausbesitzern vermietet werden, "wohnen" bis zu 20 Personen in einem Zimmer -  Geschlafen wird in Schichten. Die hier Unterschlupf gefunden haben, gehören zu den rund 600 in Kiel lebenden Roma, die aus Ungarn, Rumänien oder Bulgarien vor rassistischen Übergriffen oder wegen sozialer Ausgrenzung geflohen sind.

Auf das Elend dieser Menschen angesprochen sagt Matthäus Weiß, Landesvorsitzender der Roma und Sinti, gegenüber der shz-online (15.11.12): Er freue sich, dass der Landtag nach langem Hickhack seine Volksgruppe als Minderheit anerkannt habe und fügt dann hinzu: "Wenn man das Thema der anderen Roma hier im Landtag zur Sprache bringen würde, müssten viele Abgeordnete ganz betroffen raus gehen." Dabei seien nicht nur die aus EU-Ländern wie Rumänien und Bulgarien kommenden Roma schlecht dran. Genauso hart sei das Schicksal der illegal aus den nicht EU-Ländern wie Serbien oder Bosnien eingereisten Roma oder der Asylbewerber aus diesen Ländern - ebenfalls zu über 80 Prozent Roma. "Man kann nicht einen Container aufstellen und die Menschen da rein schmeißen wie die Schweine", so Weiß. Das Schicksal nichtdeutscher Roma in Schleswig-Holstein dürfe nicht länger unter der Decke gehalten werden.

Auch der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein macht in seiner Presseerklärung vom 14.11.12 darauf aufmerksam, dass das Schutzversprechen der Landesverfassung ein positives Signal sei – aber nur für Roma und Sinti mit deutscher Staatsangehörigkeit gelte. Andere Mitglieder dieser Minderheit – Flüchtlinge, die gewalttätigen Pogromen in Ungarn oder anderen EU-Mitgliedsländern entkommen sind, oder Asylsuchende Roma aus Serbien, Mazedonien und dem Kosovo – bleiben verfassungsschutzlos (...) Wenn es ihnen glückt, nach Deutschland zu entkommen, werden diese Menschen hier pauschal als Asylbetrüger und Wirtschaftsmigranten verunglimpft.Der Flüchtlingsrat fordert einen sofortigen Abschiebestopp, ein Bleiberecht und Integrationsförderung für Roma aus den Herkunftsstaaten des ehemaligen Jugoslawien."

Erst Ende Oktober diesen Jahres war in Berlin nach langen politischen Auseinandersetzungen das Denkmal für die in der Nazizeit ermordeten Roma und Sinti eingeweiht worden. Der Völkermord an Sinti und Roma sei der „vergessene Holocaust“, sagte der Zeitzeuge Soni Weisz bei der Einweihung. Das Denkmal sei ein „Zeichen der Anerkennung des zugefügten Leids“, aber auch der Hoffnung, dass „Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus nicht mehr diese Formen annimmt wie in den dreißiger Jahren.“ Weisz kritisierte zugleich den Umgang mit Sinti und Roma in der Gegenwart. Die Gesellschaft habe „fast nichts“ gelernt.

Immer wieder in der Geschichte waren Sinti und Roma Diskriminierungen ausgesetzt. Als "Zigeuner" beschimpft, wurden sie aus ihren Berufen verdrängt und aus Städten oder Regionen vertrieben. Während der Zeit des Faschismus erlebten Sinti und Roma in ganz Europa systematische Verfolgung und Völkermord mit dem Ziel der totalen Vernichtung. Über 500.000 Sinti und Roma fielen im besetzten Europa dem Holocaust zum Opfer. Heute leben etwa 60.000 deutsche Sinti und 10.000 deutsche Roma in der Bundesrepublik.

(gst)