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Auf dem Weg zur Revolution (V)
Prinz Max und die „Revolution von oben“
Der September des Jahres 1918 brachte mit dem Eingeständnis der deutschen Niederlage durch die Oberste Heeresleitung ein- schneidende Änderungen in der Politik der herrschenden Klassen. Hatte der Staatssekretär des Auswärtigen, Paul von Hintze, noch am 21. August nach Berlin gemeldet: „Nach Ansicht der OHL (Oberste Heeresleitung – D.L.) gibt die militärische Lage keinen Anlass zu gedrückter Stimmung. Es liegt kein Grund vor, am Siege zu zweifeln. Erst wenn wir zweifeln, ob wir siegen, sind wir besiegt“, so gab auch Ludendorff Ende September den Krieg verloren und ersuchte am 28. des Monats Hindenburg um sein Einverständnis zur sofortigen Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen.
Am 1. Oktober drängte Ludendorff nochmals zur Eile: Heute noch halte die Truppe, was morgen geschehen könne, sei nicht voraus- zusehen. Eine Regierungsumbildung könne für die Verhandlungen mit den Feindmächten hilfreich sein, die Mehrheitsparteien im Reichs- tag sollten nun mit einbezogen werden. Als neuer Reichskanzler, der sich nicht allzu sehr durch Eroberungspläne kompromittiert hatte, wurde dann Max von Baden, ein Prinz von Geblüt, auserkoren. Er sollte das verwirklichen helfen, was der bereits zitierte Herr v. Hintze eine „Revolution von oben“ nannte: „Die Revolution von oben dachte ich zunächst als Mittel, der Revolution von unten vorzubeugen; letztere hielt ich in unserer Lage für Selbstmord. Von oben durch die Initiative des Monarchen in Szene gesetzt, sollte sie einen Übergang bilden, die Umstellung von Sieg auf Niederlage tragbar zu machen durch Heranziehung möglichst viel Interessierter zur Mitwirkung an der Regierung; das sollte ihre positive Wirkung sein. Noch wesentlicher und wichtiger war mir ihre positive Aufgabe: die beiseite stehenden Kräfte heranzulocken, die bereits eingesetzten Kräfte zu ermutigen unter der Losung ‚Das Vaterland ist in Gefahr!’ zur Ver- teidigung des Vaterlandes … Nach außen brauchte ich, wenn die Wirklichkeit nicht zu erreichen war, den Anschein und den Klang einer Einheitsfront des deutschen Volkes, bereit, eher zu sterben, als unwürdige oder unerträgliche Friedensbedingungen auf sich zu nehmen.“
Auch Wilhelm II. konnte schließlich dazu gebracht werden, dem Wunsch Ausdruck zu geben, „dass das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeite“; nun sei es sein Wille, dass „Männer, die von dem Vertrauen des Volkes getragen sind, in weiterem Umfange teilnehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung.“ So erfüllten schließlich Mitglieder der Nationalliberalen, des Zentrums, der Fortschrittspartei – und der deutschen Sozialdemokratie den vom nun gewesenen Militärdiktator Ludendorff geäußerten Wunsch, andere möchten die Suppe auslöffeln, die die OHL der deutschen Bevölkerung eingebrockt hatte. Damit wurde eine Grundlage für die Wirksamkeit der „Dolchstoßlegende“ gelegt
Die Sozialdemokraten in der Regierung des Prinzen Max waren seit dem 4. Oktober 1918 der Gewerkschaftsführer Bauer und Philipp Scheidemann, der diesen Schritt eigentlich nicht hatte tun wollen, weil er es für klüger hielt, Ludendorff und Spießgesellen die besagte Suppe doch lieber selbst auslöffeln zu lassen. Nichtsdestotrotz erfüllte er dann die ihm zugedachten Aufgaben gnadenlos, zum Beispiel mit seinem Aufruf zur Zeichnung der 9. (und letzten) Kriegsanleihe, für die er mit folgenden Worten warb: „Seid pflichtbewusst! Helft unserm Lande! Gedenkt der Soldaten und ihrer Familien! Wer Geld hat, der zeichne! Es ist kein Opfer, sein Geld mündelsicher zu fünf Prozent anzulegen.“ Man darf daran erinnern, dass die gezeichneten Einlagen nach der ursprünglichen Planung aus den dem nieder- geworfenen Feind auferlegten Kontributionen zurückgezahlt, also vor allem der Arbeiterklasse anderer Länder abgepresst werden sollten. Ob Scheidemann damals noch an diese Möglichkeit geglaubt hat?
Die Führer der Mehrheits-Sozialdemokratie sahen sich angesichts der auf diese ganz spezielle Weise eingeleiteten Parlamentarisierung des Reiches schon am Ziel ihrer Bestrebungen. Der „Vorwärts“ nannte diesen Vorgang, die Millionenopfer des Krieges leichten Sinns vernachlässigend, das Erreichen der „deutschen Demokratie … auf dem Wege der friedlichen Umwälzung“. Jetzt nur keine revolutionären Unruhen…
Prinz Max schrieb am 15. Oktober: „Wir stehen mitten in einer Revolution. Gelingt es mir, diese friedlich zu gestalten, so können wir noch als Staat nach Friedensschluss weiter bestehen. Gelingt das nicht, so kommt die Revolution der Gewalt und der Untergang. Heute noch hoffe ich, den Kaiser und die Dynastie Hohenzollern zu retten (…) Gottlob, dass ich in den Sozialdemokraten Männer auf meiner Seite habe, auf deren Loyalität wenigstens gegen mich ich mich vollkommen verlassen kann. Mit ihrer Hilfe werde ich hoffentlich imstande sein, den Kaiser zu retten.“
Skrupellosigkeit und Unfähigkeit, die wahren Triebkräfte des Geschehens zu begreifen, kennzeichnen die Führer der Mehrheitssozial- demokratie in diesen Tagen. Sie sahen sich endlich für ihren Dienst am Vaterland, der mit der Bewilligung der Kriegskredite begonnen hatte und mit der Hilfe bei der Organisierung der Kriegswirtschaft und der Niederhaltung unzufriedener Arbeiter fortgesetzt worden war, belohnt. Nun schienen sich auch die Worte des Abgeordneten Ludwig Frank zu bestätigen, der im August 1914 an Gustav Bauer geschrieben hatte: „Statt eines Generalstreiks führen wir nun für das preußische Wahlrecht einen Krieg“. (Der Kriegsfreiwillige Frank fiel nur einen Monat später in Frankreich.) Dabei hatten die SPD bisher, in den Zeiten der Hoffnung auf einen deutschen Sieg, alle Hoffnungen auf diesbezügliche Reformen getrogen.
Mit der Stellungnahme der revolutionären Sozialdemokraten, der Spartakus-Gruppe zu den Ereignissen Ende September/Anfang Oktober 1918 werden wir uns in der nächsten Folge dieser Reihe beschäftigen. Nachdem wir uns hier mit dem Verhalten der Militärs und der Politiker befasst haben, sollen allerdings auch die Unternehmer noch zu ihrem Recht auf angemessene Berücksichtigung kommen.
Die Hoffnungen der Unternehmerschaft
In einem Vortrag vor der Vereinigung der Handelskammern des rheinisch-westfälischen Industriebezirks benannte Dr. Johann Reichert, Geschäftsführer des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, am 30.12. 1918 die Überlegungen dieser Kreise in diesen letzten Wochen vor der Revolution: „Tatsächlich war die Lage schon in den ersten Oktobertagen klar. Es kam darauf an: Wie kann man die Industrie retten? Wie kann man auch das Unternehmertum vor der drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der Verstaatlichung und der nahenden Revolution bewahren? Am 9. Oktober saß im Stahlhof zu Düsseldorf eine Anzahl von Eisenindustriellen, die sich über diese Dinge unterhielten. Die Versammelten waren sich einig darüber, daß unter den bestehenden Verhältnissen die Regierung des Prinzen Max von Baden und des Herrn von Payer unhaltbar sei, und daß sie bald gestürzt würde. ... Jedenfalls haben sich die Eisenindustriellen von einer schwachen Regierung keine Hilfe versprechen können. Blickte man weiter und fragte man: kann vielleicht das Bürgertum künftig eine starke Stütze und Hilfe für die deutsche Wirtschaftspolitik werden, so mußte man angesichts der vielen bedauerlichen Erscheinungen und der häufigen Enttäuschungen, die man in all den Jahrzehnten erlebt hat, sich sagen: Auf das Bürgertum, wie es einmal in Deutschland ist, ist in wirtschaftspolitischen Dingen leider kein Verlaß. Einen überragenden Einfluß schien nur die organisierte Arbeiterschaft zu haben. Daraus zog man den Schluß: Inmitten der allgemeinen großen Unsicherheit, angesichts der wankenden Macht des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur auf Seiten der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen, das sind die Gewerkschaften...
Wenn in der großen Masse der organisierten Arbeitnehmer der Gedanke der Zusammengehörigkeit, der Solidarität, mit den Unternehmern für die großen wirtschaftspolitischen Fragen erweckt werden kann, dann – so schien es – ist ein Weg vorhanden, auf dem man künftig zum Besten der deutschen Industrie weitergehen kann, dann ist eine Aussicht auf Rettung.“ Es waren große Erwartungen, die die Kapitalisten da in die deutschen Gewerkschaften setzten. Wir werden sehen, wie sich ihre Führer dazu verhalten haben.
D.L.