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Keine Toleranz für die Flüchtlingspolitik der Regierung!
31.08.2015: Als Angela Merkel bei ihrem Besuch in Heidenau rief „Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen in Frage stellen“, wollte sie dies sicher nicht als selbstkritische Aussage verstanden haben. Dabei ist es aber die Politik der CDU, der Regierung und die EU-Flüchtlingspolitik, die die Würde des Menschen in Frage stellt! Die Gewerkschaft ver.di fordert, "dass die Politik es unterlässt, angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen einen Notstand herbeizureden oder durch Untätigkeit unerträgliche Zustände vor Aufnahmezentren erzeugt". ver.di fordert alle GewerkschafterInnen auf, "sich an den vielfältigen Aktivitäten der Will-kommensinitiativen zu beteiligen und der zunehmenden rassistischen Gewalt entgegenzutreten". (siehe unten)
Bei dem schon fast hilflosen Auftritt der Kanzlerin in der sächsischen Kleinstadt Heidenau wurden die zwei Seiten der Politik der Regierenden gezeigt: Es kommen mehr Flüchtlinge nach Europa, die vor den Kriegen, der ökologischen Zerstörung und der fehlenden Lebensperspektive in ihren Ländern fliehen. Gleichzeitig setzen EU und USA die Politik zur Ausweitung ihrer wirtschaftlichen, politischen und territorialen Macht fort, durch die die Menschen zur Flucht getrieben werden. Die Unterstützung der Regierungen kriegführender Länder in Asien, Afrika und Europa, soweit diese sich im Interesse des eigenen Machterhalts der Politik der Industrienationen beugen, ist dabei vorgesehen.
Seit Jahrzehnten fördern bundesdeutsche Regierungen diese "Außenpolitik", seit Jahrzehnten wird auch der Entwicklung von Rassismus nicht nur zugeschaut, sondern dieser mit befördert. Heute rücken wieder die Brandanschläge und andere Gewaltakte gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte in die Medien - gegeben hat es sie immer, allerdings nicht in diesem Umfang. Der Blick zurück, auf den Anfang der 90er-Jahre, wird von der herrschenden Politik nicht gemacht. Zu sehr würde dies auch ihre Verantwortung herausstellen. Nach den Brandanschlägen in Hoyerswerda, Mölln und Solingen, dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte, wurde das Asylrecht gravierend abgebaut. Statt
das Bleiberecht für alle Flüchtlinge durchzusetzen, wurde die Aufteilung verstärkt vorangetrieben - in die mit den Greencards, die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge und die "echten" Flüchtlinge. Bundespräsident Gauck hatte am 20. Jahrestag des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen erklärt, dass die Demokratie wehrhaft sein muss. Der selbe Gauck, der rechtspopulistisches Denken salonfähig machte mit der Bemerkung, Thilo Sarrazin habe mit der Herausgabe seines Buches "Mut bewiesen“, und sich heute über "Dunkel-deutschland" wundert.
Ungeachtet der Tatsache, dass das Recht auf Asyl ein Grundrecht ist, wird es seit Jahren und in letzter Zeit verstärkt, sowohl von der EU, als auch in einzelnen Staaten, immer weiter ausgehöhlt. "..., keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen in Frage stellen,“ sagt die Bundeskanzlerin. Recht hat sie! Keine Toleranz gegenüber einer Politik, die darauf orientiert Flüchtlinge nicht aufzunehmen, sondern sie bereits im Mittelmeer verrecken zu lassen, bzw. sie zu "retten“, um sie in ihre Heimatländer oder in deren Nähe in Auffanglager zu stecken! Dies stellt die Würde der Menschen und deren Selbstbestimmungsrecht auf den Ort wo sie leben wollen, in Frage. Die Würde der Menschen wird in Frage gestellt von denen, die Menschen katalogisieren in gute und schlechte Flüchtlinge, in solche die bleiben dürfen oder abgeschoben werden.
Durch diese politischen Zielsetzungen der Regierenden, gepaart mit den Parolen "wer betrügt, der fliegt“ oder "deutsche Sprache am Küchentisch“, der Aufteilung der Flüchtlinge in die aus sicheren und unsicheren Herkunftsländern, fühlen sich diejenigen befördert, die mit Alltagsrassismus, mit Rechtspopulismus bis hin zu faschistischen Denken, Reden und gewaltsamen Aktionen die sogenannte "Flut der Flüchtlinge aufhalten" wollen. Sind die PolitikerInnen wirklich so erstaunt wie sie tun, dass ihre jahrelange gegen Flüchtlinge und MigrantInnen betriebene Politik ihre Früchte trägt? Erstaunt tun sie, sowohl was die Zahl der Geflüchteten angeht, als auch die rassistischen menschenverachtenden Aktivitäten, die die Folge ihrer Politik sind.
'Institutionalisierung' der Initiativen
Zur Unterstützung und zum Schutz von Flüchtlingen haben sich Initiativen in vielfältigen Formen gebildet. Die Hilfe bei der Suche nach Wohnraum, der Sprachunterstützung, dem Sich-zurecht-finden im Dschungel der Behörden und der Gesundheitsvorsorge, die gemeinsamen sportlichen und kulturellen Aktivitäten sind ein Teil der selbst gestellten Aufgaben. Wichtig ist vielen in den Initiativen auch die inhaltliche Arbeit mit Informationsveranstaltungen über die Herkunftsländer, über die Ursachen von Flucht und über die Möglichkeiten sich dagegen gemeinsam zu wehren.
Immer deutlicher wird der Versuch, die Arbeit der Initiativen zu institutionalisieren, ihre Hilfe und das Engagement behördlich zu lenken, um die Aufgaben zu bewältigen, die von den Ämtern aufgrund fehlenden Personals nicht mehr geleistet werden kann. Freiwillige HelferInnen werden auch durch die Medien und mit dem von PolitikerInnen ständig wiederholten "Dankeschön an die ehrenamtlichen Helfer“ regelrecht gepuscht. Die Folge: sie sind oft sehr schnell am Ende ihrer Kraft. Sie finden weder Zeit für die inhaltliche Aufarbeitung des von den Flüchtlingen Gesehenen und Gehörten, noch die Zeit, sich an der politischen inhaltlichen Auseinandersetzung zu beteiligen.
Das hat zur Folge, dass teilweise auch bei Aktiven in den Initiativen von "Flüchtlingsströmen und -wellen“ geredet, zwischen Wirtschafts-flüchtlingen und Kriegsflüchtlingen und in sichere und unsichere Herkunftsländer unterschieden wird. Diese, und auch andere politische Aussagen und Regelungen, werden mehr oder weniger unbewusst akzeptiert. Die sich häufenden gewalttätigen Übergriffe, die Brand-anschläge und die Hetze gegen Flüchtlinge und ihre Wohneinrichtungen zeigen aber, dass die Arbeit gegen Rassismus ein wichtiger Bestandteil der Solidarität mit Flüchtlingen sein muss. Dies kann und sollte nicht nur für antifaschistische und antirassistische Initiativen gelten, sondern auch für die Menschen, die sich aktiv für Flüchtlinge einsetzen.
Dabei muss die Verantwortung der Politik und der Regierungen in Bund, Land und Kommunen genannt und eingefordert werden, wie es der Arbeitskreis Migration bei ver.di in einem Aufruf macht:
„Politik und Behörden müssen die Bedrohung von Rechts ernst nehmen, konsequent gegen rassistische Angreifer vorgehen und ihrer Hetze den Boden entziehen. Dazu gehört, dass die Politik es unterlässt, angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen einen Notstand herbeizureden oder durch Untätigkeit unerträgliche Zustände vor Aufnahmezentren erzeugt. Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt muss in der Lage sein, Flüchtlinge in festen Unterkünften unterzubringen und medizinische Grundversorgung, Trinkwasser und Verpflegung zur Verfügung zu stellen, ohne dass diese Leistungen als zusätzliche Belastungen für die Kommunen in der Öffentlichkeit breit getreten werden.“ (aus ver.di-migration-aufruf, siehe unten)
Widersprüche in der Politik und in den Parteien aufdecken!
Im Mai 2015 wurde auf Einladung der Landesregierung Schleswig-Holsteins ein sogenannter "Flüchtlingspakt“ geschlossen, der ein breites gesellschaftliches Bündnis für ein Willkommen der Flüchtlinge zum Ziel hatte. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sagte damals: “Der Flüchtlingspakt ist ein wichtiges Zeichen: ein Zeichen der Haltung und ein Dokument des Handelns.“
Vor 500 TeilnehmerInnen aus Politik, Wirtschaft, Verbänden, Kommunen und auch aus Organisationen, Vereinen und Initiativen, die sich in der Arbeit für und mit Flüchtlinge engagieren, wurde auf großer Bühne ein Pakt vorgestellt, der im Vorfeld von einigen wenigen Be- teiligten erarbeitet worden war. Nachfragen oder gar kritische Bemerkungen waren allemal an den Informationsständen der Organisationen möglich. Das Bühnenprogramm mit Reden, Talkrunden und wenigen kulturellen Beiträgen sah dies nicht vor. In dem Flüchtlingspakt für Schleswig-Holstein geht es um die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge, die Koordinierung in den Kommunen, um Sprachförderung, Arbeit, Bildung und noch Gesundheit. Dass es überhaupt eine Landesregierung gibt, die sich verantwortlich fühlte für die Organisation und das Zusammenwirken verschiedener Akteure, wurde von vielen lobend hervorgehoben.
Doch es gab auch Kritik an vielen Punkten des Paktes, die der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. schon im Vorfeld der Flüchtlings-konferenz eingebracht hatte. Kritisiert wurde z.B. die angestrebte Praxis, nach der eine "zeitnahe Rückführung“ in das Herkunftsland erfolgen soll, wenn der Asylantrag abgelehnt wird. Diese Regelung lässt befürchten, „"dass sie insbesondere gegen Roma und andere Minderheiten aus vermeintlich sicheren und anderen Herkunftsstaaten des Westbalkan intendiert ist.“
Wie richtig diese Einschätzung war, zeigt sich an der aktuellen Diskussion über den Winterabschiebestopp in Schleswig-Holstein. Erst-malig wurde dieser im Winter 2014/2015 eingeführt. Angekündigt wurde er auch für dieses Jahr, doch der Innenminister Stefan Studt (SPD) des Landes Schleswig-Holstein sieht die Ziele des Paktes in Gefahr und spricht sich "in der derzeitigen Situation dafür aus, das Schleswig-Holstein keinen Alleingang beim Winterabschiebestopp macht." Damit hat er in der Küstenkoalition von SPD, Grüne und SSW eine Diskussion entfacht, deren Ergebnis noch offen ist.
Der SSW spricht sich klar für einen Abschiebestopp im Winter aus, die Grünen haben unterschiedliche Positionen und in der SPD gibt es ebenfalls Debatten. Der Ministerpräsident will zwar den Winterabschiebestopp, dieser soll aber nur dann wirken, wenn Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern - wesentlich aus den Balkanländern - schneller abgeschoben und dazu deren Asylanträge schneller bearbeitet werden. Dieser Meinung will sich der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner nicht anschließen. Er stellte fest, dass es Teil sozialdemokratischer Identität sei humanitäre Spielräume zu nutzen und sagte: "Es ist unverantwortlich Menschen in Kälte und Not zurückzuschicken." Und fügte hinzu, dass Deutschland ein reiches Land sei: "Wer soll das leisten, wenn nicht wir?"
Die Diskussionen auf den Regierungs- und Verwaltungsebenen über die Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Fragen werden weiter-gehen. An uns liegt es, den außerparlamentarischen Druck für eine Politik zu erhöhen, die zum Ziel haben muss, ein Bleiberecht für Alle zu erwirken, endlich wieder in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, von dem alle sozial ausgegrenzten profitieren, eine Politik die nicht den Ausbau der Festung Europa vorsieht, sondern offene Grenzen und legale Einreisemöglichkeiten schafft.
Bettina Jürgensen
Erklärung aus der ver.di Migrationsarbeit | Berlin, 27.08.2015 | migration@verdi.de
Refugees welcome: Solidarisch gegen rassistische Angriffe!
Ob in Hildesheim, Parchim oder Berlin: Aufs Neue erfahren wir täglich von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und die Menschen, die bei uns Schutz vor Gewalt, Verfolgung oder menschen-unwürdigen Verhältnissen suchen. Viele von ihnen sind traumatisiert und haben viel Leid und Not erfahren. Wir müssen verhindern, dass sie in Deutschland weiteres Leid, Anfeindungen und Angriffe erleben. Mehrere Tage hat ein rassistischer Mob in Heidenau bei Dresden Ende August Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen bedroht, sie mit Böllern und Steinen attackiert. Die ebenso angegriffene Polizei führte keine Festnahmen auf Seiten des Mobs durch. Diese Straffreiheit für Rassisten und die Untätigkeit der sächsischen Polizeibehörden ruft Erinnerungen an die unerträgliche Situation Anfang der 90er Jahre in Deutschland wach, in der das Leben von MigrantInnen und Flüchtlingen durch rassistische Angriffe besonders bedroht war. Dies darf sich nicht wiederholen. Politik und Behörden müssen die Bedrohung von Rechts ernst nehmen, konsequent gegen rassistische Angreifer vorgehen und ihrer Hetze den Boden entziehen.
Dazu gehört, dass die Politik es unterlässt, angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen einen Notstand herbeizureden oder durch Untätigkeit unerträgliche Zustände vor Aufnahmezentren erzeugt. Deutschland als eines der reichsten Länder der Welt muss in der Lage sein, Flüchtlinge in festen Unterkünften unterzubringen und medizinische Grundversorgung, Trinkwasser und Verpflegung zur Verfügung zu stellen, ohne dass diese Leistungen als zusätzliche Belastungen für die Kommunen in der Öffentlichkeit breit getreten werden. Dazu gehört eine personelle Ausstattung in der Flüchtlingsarbeit und in den Aufnahmeeinrichtungen, der die wichtige Arbeit der Beschäftigten in angemessener Form bewältigbar macht.
Die Politikerrede vom „massenhaftem Asylmissbrauch“, die Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge und Vorschläge, Geld- und Sachleistungen für ungewollte Menschen aus den krisengeschüttelten Balkanstaaten zu kürzen, leisten der Auffassung Vorschub, dass die Flüchtlinge selbst für die aufgeladene Stimmung verantwortlich seien. Diejenigen, die rassistische Anschläge ausüben oder begrüßen, werden sich von derlei Äußerungen nicht von ihren Taten abhalten lassen, sie sind vielmehr Treibstoff und Ermunterung für weitere Angriffe.
Dagegen sollte sich die Politik in ihrer Haltung an dem Engagement vieler Beschäftigter in den zuständigen Behörden und den zivilge-sellschaftlichen Willkommensinitiativen orientieren, die die Menschen bei der Unterbringung, Versorgung oder bei der Sprachförderung unterstützen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass dies eigentlich Aufgaben staatlicher Einrichtungen sind. Dieses ehrenamtliche Engagement ist Ausdruck gelebter Solidarität und muss anerkannt, aber auch konkret unterstützt werden. Willkommenskultur braucht Willkommensstrukturen!
Wir fordern die ver.di-Mitglieder und die Kolleginnen und Kollegen der DGB-Gewerkschaften auf, sich an den vielfältigen Aktivitäten der Willkommensinitiativen zu beteiligen und der zunehmenden rassistischen Gewalt entgegenzutreten.
Refugees welcome!
Erdoğan Kaya Romin Khan Vorsitzender ver.di Bundesmigrationsausschuss Referent Migrationspolitik ver.di Bundesverwaltung