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IWF finanziert den Bürgerkrieg

01. November 2014 Der Bürgerkrieg in der Ukraine schwelt trotz Waffenstillstands weiter vor sich hin. Am 21.10. berichtete zum Beispiel die Baseler Zeitung, dass ein Schweizer Rotkreuz-Mitarbeiter am 2.10. von einer Streubombe getötet worden sei, die von Regierungstruppen abgeschossen wurde. Er habe im Zentrum der Stadt vor dem Büro der Roten Kreuzes gestanden, als in seiner Nähe eine Bombe explodierte. Die Zeitung beruft sich auf die Organisation Human Rights Watch, die angibt „überwältigend klare“ Hinweise für die Verantwortung Kiews gesammelt zu haben. Auch die Gegenseite setze solche, von vielen Ländern geächteten Waffen ein, aber die Gruppe konnte für den fraglichen Tag drei Geschosse, vermutlich Raketen, identifizieren, die Regierungstruppen auf das dicht bewohnte Stadtzentrum von Donezk abgeschossen hatten. 

Trotz der immer wieder mal aufflackernder Kampfhandlungen sind allerdings, wie es derzeit aussieht, beide Seite bemüht, Verletzungen des Abkommens eher runter zu spielen und die Situation nicht vollends eskalieren zu lassen. Unterdessen berichtete Ende Oktober ein Vertreter der linken, marxistischen Organisation Borotbar auf einer Diskussionsveranstaltung in Berlin über die komplizierte Lage in seinem Land. Er sieht in den Aufständen in der Ostukraine eine starke Beteiligung der Arbeiterklasse, die aber durchaus manches nationalistisches Vorurteil habe. Auch sonst mischten reaktionäre Kräfte mit. Berichte, wonach in Lugansk Homosexualität kriminalisiert worden sei, gehörten allerdings ins Reich der Propagandalügen.

Ansonsten gebe es in den aufständischen Gebieten zwei Linien. Die eine fordert einen unabhängigen Staat, der enge Beziehungen zu Russland suchen solle. Die andere, die auch von Borotbar vertreten werde, kämpfe für einen einheitlichen ukrainischen Staat, in dem alle Regionen gleichberechtigt sind und die Macht der Oligrachen gebrochen wird. Es gehe darum, sich mit jenem Teil des Maidans zu verbinden, der gegen die Herrschaft der Oligarchie habe kämpfen wollen und verraten wurde. Letzteres sei aber in der polarisierten Stimmung sehr schwer.

Das dürfte nicht zuletzt am großen Einfluss offen faschistischer Kräfte liegen, die nicht nur nach den Berichten Borotbars die Maidan frühzeitig dominiert haben. Die Direkte Aktion, Zeitung der anarcho-syndikalistischen Freien ArbeiterInnenunion, hatte in ihrer  März/April- Ausgabe ein Interview mit Sergeij Tilgul von der RKAS Kiew (Revolutionäre Konföderation der Anarcho-SyndikalistInnen), das bereits vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs Ende des Winters geführt wurde. Darin der Kiewer Aktivist von einer sehr komplexen Lage in der Ukraine. Es gebe eine Intervention der EU und „finanzieller Kreise des Westens“ und „eine Menge ausländischer VertreterInnen, die über sogenannte Nichtregierungsorganisationen Zuschüsse leisten und direkte Einflussnahme auf die rechten Radikalen ausüben, um die Situation zu beeinflussen“ und „einen extrem rechten Putsch, der eine Menge einfacher Leute (die denken, dass sie für eine Volksrevolution kämpfen, aber unter starkem Einfluss von liberalen und nationalen Illusionen) mit in seinen Bann gezogen hat, um in die Konfrontation mit der Regierung zu gehen.“

Die Proteste auf dem Maidan seien „von einigen Vereinigungen Nationalliberaler und Neonazis angeführt (worden). So ist zum Beispiel einer der drei Anführer der Opposition Oleg Tyagnybok, Kopf der großen Neonazipartei „Swoboda“, die eine radikale Variante des ukrainischen Nationalismus predigt.“ In den Versammlungen wie auch auf den Barrikaden habe der „Rechte Sektor“ (Prawyi Sektor) eine führende Rolle gespielt. „Diese Vereinigung setzt sich aus ultrarechten nationalistischen Organisationen sowie aus rechten Fußballfans der 'Ultra-Bewegung' zusammen. Der Großteil der gewöhnlichen Leute, die nicht zufrieden sind mit der jetzigen Regierung und hinausgehen, um für eine mögliche Verbesserung zu protestieren, folgt normalerweise den Rechten.“ Den Anarchistischen Organisationen sei es aufgrund der Angriffe der Rechten nicht möglich gewesen, auf dem Maidan für ihre Posditionen zu werben. Ähnliches berichtet an anderer Stelle auch Borotbar.

In den Fängen des IWF

Unterdessen wird das Lande mehr und mehr für die Interessen westlicher Konzerne her gerichtet. Wie auch in zahlreichen anderen Fällen seit Anfang der 1980er Jahre wird sich dabei die Verschuldung des Landes zunutze gemacht, die es zwingt, beim Internationale Währungsfonds (IWF) Geld aufzunehmen. Dessen Zahlungen, die seit dem Frühjahr laufen, sind wie üblich mit weitreichenden Eingriffen ind die Wirtschaft der Ukraine und die Lebensbedingungen ihrer Bewohne verbunden. Anfang September hatte der Fonds bereits die zweite Tranche seines Kredits an die Ukraine freigegeben. Insgesamt wurden dem Land im Frühjahr 17 Milliarden US-Dollar (etwas mehr als 13 Milliarden Euro) zugesagt. Aktuell geht es um eine Zahlung von 1,4 Milliarden US-Dollar (gut eine Milliarde Euro). Rund 70 Prozent davon gehen in die Finanzierung des ukrainischen Haushaltsdefizits, ermöglichen also der Kiewer Regierung die Fortführung ihres Bürgerkrieges. An dieser Stelle zahlt sich offensichtlich aus, dass die USA gemeinsam mit Japan und ihren engsten Verbündeten in Europa noch immer die Stimmenmehrheit im IWF haben und die Schwellenländer überstimmen können.

Das Okay für die Auszahlung der zweiten Tranche gab es, nachdem ein Team des IWF zu dem Schluss gekommen war, dass das Land sich an die im Frühjahr gemachten Auflagen halte und die gesetzten Ziele weitgehend erreichen werden. Allerdings habe sich die Haushaltslage drastisch verschlechtert, was nicht zuletzt mit dem Rückgang der Einnahmen aus der östlichen Bürgerkriegsregion zusammen hängt. Die trägt mit 16 Prozent, gemessen an der dort lebenden Bevölkerung, überproportional zur ukrainischen Wirtschaftsleistung bei. Die finanzielle Sanierung der Ukraine sei mit den bewilligten 17 Milliarden US-Dollar nur zu erreichen, wenn der Bürgerkrieg bald beendet würde. Andernfalls könnte ein weiterer Kredit in Höhe von 19 Milliarden US-Dollar (14,7 Milliarden Euro) nötig werden.  Grundlage dieser Diagnose ist auch die aktuelle Wachtumsprognose, die weiter nach unten korrigiert wurde. In diesem Jahr werde die ukrainische Wirtschaft, die sich bereits seit dem Vorjahr in einer Rezession befindet, um weitere 6,5 Prozent schrumpfen. Für das kommende Jahr nimmt der IWF allerdings schon wieder ein Wachstum der Wirtschaft von einem Prozent an.

Merkel will Wasser privatisieren

Wie das gelingen soll, bleibt sein Geheimnis. Unabhängige Beobachter gehen nach einem Bericht der britischen Zeitung Guardian vom 2.9. eher von einem noch stärkeren Rückgang der Wirtschaftsleistung aus. Die Frage sei nicht, ob, sondern wann die Ukraine ein Umschuldungsprogramm benötigt. Bei einem solchen wird gewöhnlich mit den Gläubigern ausgehandelt, dass diese auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Diese Aussicht dürfte es für die Ukraine schwer machen, im Ausland Kredite für den Wiederaufbau zu bekommen. Es sei denn, es handelt sich um politisch motivierte Zahlungen, wie die 500 Millionen Euro, die Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem letzten Kiew-Besuch versprochen hat. Mit diesem Geld sollen die öffentlichen Wasserwerke der Ukraine für eine Privatisierung aufgehübscht werden, eine Politik, die Merkel übrigens im letzten Jahr noch für die hiesige Wasserversorgung, vermutlich aus wahltaktischen Gründen, abgelehnt hatte. In der Ukraine scheint das aber etwas anderes zu sein, denn das Land soll, ähnlich wie Griechenland, einer neoliberalen Schocktherapie unterzogen werden. In einem sogenannten letter of intent, also einer als verbindlich angesehenen Absichtserklärung, verpflichten sich Präsident Petro Poroschenko, Premierminister Arsenij Jazenzuk sowie der Finanzminister und der Zentralbankchef 27.000 öffentlichen Angestellten zu kündigen und die Gehälter der restlichen sowie Renten und Sozialhilfe für dieses Jahr einzufrieren. Bei einer Inflation, die bis zum Jahresende 20 Prozent erreichen könnte, bedeutet das eine massiven Verarmung und zugleich einen erheblichen Kaufkraftverlust. Dass derlei die Wirtschaft unmöglich ankurbeln kann, wurde zuletzt in Griechenland und zuvor schon in zahlreichen lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Ländern gezeigt, die sich den Programmen des IWF unterwerfen mussten.

Nebenbei ist aus dem Brief auch zu erfahren, dass der Kiewer Haushalt bisher unvorhergesehene Militärausgaben in Höhe von 580 Millionen Euro hatte, die ganz offensichtlich eine Folge des von der neuen Regierung losgetretenen Bürgerkrieges sind. Diese, so versprechen Präsident und Regierungschef dem Fonds, würden durch Kürzungen unter anderem bei den Subventionen, den staatlichen Dienstleistungen und den Transferzahlungen wett gemacht. Bei Letzterem handelt es sich um Renten, Sozialhilfe und ähnliches. Ab nächstem Jahr werden die Gehälter der öffentlichen Angestellten wieder steigen, allerdings nur nominell. Die Regierung verpflichtet sich, dieses an die Inflationsrate zu koppeln. Das heißt, die Angestellten und Beamten sollen dauerhaft auf dem niedrigen Niveau gehalten werden, auf das man sie 2014 gedrückt hat. Gewerkschaften und Tarifverhandlungen sind in der Ukraine offenbar nicht mehr vorgesehen. Dafür wird es aber weitere Entlassungen geben. Ab 2015 soll das Heer der öffentlichen Bediensteten um weitere drei Prozent geschrumpft werden.

Lästige Demokratie

Die Regierung verpflichtet sich, regelmäßig beim IWF Rechenschaft über die Umsetzung dieser Maßnahmen und insbesondere auch die Gehaltssummen abzulegen. Nur wenn die Finanzfachleute des Fonds mit der Meinung sind, dass die staatlichen Ausgaben für Löhne und Soziales wie vereinbart gedeckelt wurden, werden weitere Kredittranchen ausgezahlt.
Viel wird sicherlich davon abhängen, inwieweit die Bevölkerung die Zumutungen der IWF-Auflagen hinnimmt und ob diese zum Beispiel bei den anstehenden Parlamentswahlen eine Rolle spielen werden. Die eingefrorenen Gehälter und teilweise gekürzten Renten steht nämlich eine wachsende Inflation von 13 Prozent im Juli gegenüber, die zum Jahresende noch auf 20 Prozent ansteigen könnte. Verursacht wird diese unter anderem durch die vom IWF verordneten Preissteigerungen für Gas und die Verteuerung der Einfuhren. Letzteres ist eine Folge der Abwertung der ukrainischen Hryvnia, die seit Jahresbeginn gegenüber dem US-Dollar ein Drittel an Wert verloren hat. Dadurch werden nicht nur die Importe verteuert sondern auch die in ausländischer Währung aufgenommenen Kredite.

Dennoch gehört es zum neoliberalen Credo, auf das die Kiewer Regierung vom IWF verpflichtet wurde, dass die Wechselkurse dem Markt überlassen und der Kapitalverkehr frei bleiben muss. Davon lässt sich der Fonds auch durch die Feststellung nicht abbringen, dass die Kapitalabflüsse aus dem Land in den vergangenen Monaten größer als erwartet waren. Im Gegenteil: Im Letter of Intent lässt er sich von der Kiewer Regierung versichern, dass man für das "ungehinderte Funktionieren des Devisenmarktes" sorgen werde und die zuvor für 22 Banken ausgesprochenen Beschränkungen zurückgenommen habe. Und auch die den Griechen inzwischen sehr vertraute spezielle Vorstellung Washingtons und Berlins von parlamentarischer Demokratie wird in dem Dokument deutlich: Präsident, Regierung und Zentralbankführung der Ukraine müssen dem IWF Fonds versprechen, gegebenenfalls gegen die gewählte Volksvertretung arbeiten zu wollen: "Wir werden jedem Druck widerstehen, per Gesetz die Vollmachten der (ukrainischen) Zentralbank gegenüber dem Devisen- und Finanzmarkt auszubauen." Wie man sieht, schreitet die Durchsetzung westlicher Werte in der Ukraine voran.                     

(wop)


   

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