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Sie gehen über Leichen
Wir leben in wirklich außergewöhnlichen Zeiten. Massengräber in New York, bewaffnete Rechte, die in den USA, von ihrem Präsidenten ermutigt, in ein Regionalparlament eindringen, italienisches Militär, das in Bergamo in nächtlichen Militärkonvois die Leichen abtransportiert, weil Leichenhalle und Friedhof der Stadt hoffnungslos überlastet sind. Örtliche Industrielle hatten zuvor erfolgreich Ausgangssperren und Schulschließungen verhindert.
Das alles kam nicht wirklich überraschend, jedenfalls nicht für Epidemiologen. Schon 2013 hatten sie zum Beispiel in Deutschland für die Bundesregierung ein entsprechendes Szenario ausgemalt und entsprechende Vorsorgemaßnahmen empfohlen. Doch Vorsorge ist in der Welt des Neoliberalismus nicht vorgesehen. Das schmälert Share-holder-value und Dividende, stört bei der Privatisierung der Krankenhäuser und der Ausplünderung der öffentlichen Kassen. Also hatte das Bundesgesundheitsministerium weder für Notfallpläne noch für die Bevorratung von Schutzkleidung und Masken gesorgt. Es gab nicht einmal Pläne und Strukturen, die aus dem Stand heraus für deren Beschaffung aktiviert werden konnten. Entsprechend eierte man erst einmal ein paar Wochen herum, erzählte dem Volk etwas von Grippewelle, behauptete, Masken bringen nichts und machte ansonsten weiter Werbung für die Schließung von Krankenhäusern. Noch Ende Februar, in Deutschland wurden bereits die ersten Infizierten registriert aber weiter fröhlich Karneval gefeiert, verkündete Gesundheitsminister Jens Spahn, dass doch die vielen kleinen Krankenhäuser auf dem Land viel zu ineffizient seien.
Nun gibt es Zeitgenossen, die das alles nicht anficht, die die Regierung nicht etwa wegen ihrer Verantwortungslosigkeit und mangelnden Vorsorge kritisieren, sondern uns erzählen wollen, das Virus sei völlig harmlos und alle dann doch noch eingeleiteten Maßnahmen völlig übertrieben. Demnach hätten sich 192 Regierungschefs aus aller Welt (alle außer Trump und Bolsonaro) miteinander verschworen, um die Weltbevölkerung an der Nase herum zu führen und mal eben die eigene Wirtschaft gegen die Wand zu fahren? Um mal eben aus der ohnehin in den Startlöchern hockenden Wirtschaftskrise die schlimmste Depression seit den 1928ff zu machen? Ernsthaft? Dann ist es also nicht so schlimm, wenn osteuropäische Erntehelfer und Schlachthofarbeiter so zusammengepfercht werden, dass sie sich gegenseitig anstecken, an Corona sterben und die Behörden dem tatenlos zuschauen? Wollen wir wirklich in einer solchen, über Leichen gehenden Gesellschaft leben? (wop)