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20 Jahre Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus
Antifaschismus nicht vergessen !
Während in der ganzen Republik an vielen Orten noch über die Möglichkeit von politischen Festen unter Corona-Maßnahmen diskutiert wird, fand am Wochenende in Kiel das „Sommerfest 20 Jahre Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus“ statt – mit Hygienekonzept und der Auflage: es dürfen nicht mehr als 250 Personen auf dem Festgelände gleichzeitig sein.
Im Spätsommer 2000 bildete sich auf Vorschlag der IG Metall und anderen Gewerkschaften das breiteste antifaschistische Bündnis in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins. Aktueller Anlass war damals die andauernde Bedrohung, bis hin zu Morddrohungen, eines hauptamtlichen Gewerkschaftssekretärs der IG Metall in Elmshorn. Auch die Nazigewalt der 90er-Jahre mit ihren mörderischen Anschlägen in Mölln, Solingen und Rostock und die dagegen noch weiter entwickelten antifaschistischen Strukturen zeigten die Notwendigkeit und Möglichkeit gemeinsamen Handelns gegen Faschisten.
Die Bundesregierung hat mit der 1993 erfolgten defacto Abschaffung des Asylrechts, der bis heute immer wieder stattfindenden menschenverachtenden Diskussion von Politiker*innen über eine „Höchstgrenze“ von Asylsuchenden in diesem Land den Faschist*innen in die Hände gespielt. Die Gewalt der Faschisten, deren Kundgebungen, Aufmärsche und deren öffentliches Auftreten zu be- und verhindern, gleichzeitig inhaltlich etwas entgegenzusetzen war ein Grund zur Bildung des Runden Tisches gegen Rassismus und Fachismus Kiel.
In der Begrüßungsrede des Runden Tisches wurde von Dietrich Lohse festgestellt: „Grundlage unserer Arbeit ist nach wie vor die gemeinsam erarbeitete „Kieler Erklärung“. Sie hält fest: Der RT bietet Platz für jede/n Antifaschist*in. Er ist kein Verein, sondern ein Forum, ein ständiges Angebot. Ein Tisch, der mindestens einmal im Monat für euch alle bereitsteht, zum Erfahrungsaustausch, zum Planen von Aktionen, zum gemeinsamen wieder Aufstehen gegen Rassismus, Faschismus und Nationalismus.“
Dass diese Zusammenarbeit weit über antifaschistische Initiativen und Organisationen geschätzt und gebraucht wird, machten die 34 Informationsstände deutlich. In Talkrunden wurde die Geschichte und Gegenwart der antifaschistischen und antirassistischen Arbeit diskutiert und dargestellt, immer ging es dabei, das Gemeinsame – den Kampf gegen Nazis – über das Trennende der Organisationen zu stellen.
Dabei gab es auch reichlich Zustimmung zur Arbeit in Kiel. Conny Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA berichtete, dass sie 2002 bei der Bildung des Hamburger Bündnis gegen Rechts dabei war und hier die Erfahrung des Kieler Runden Tisches eine große Rolle spielte. „Eure Kieler Erklärung wurde fast identisch übernommen. Und eure Arbeit, die politische Breite, wirkt auch bundesweit“ stellte Kerth fest.
Matthäus Weiß, Vorsitzender des Sinti und Roma Landesverband Schleswig-Holstein, unterstützt die Arbeit wie bisher „wir brauchen gerade in der aktuellen Situation, in der rechte Parteien in Parlamenten sitzen mehr Zusammenarbeit.“
Der Flüchtlingsrat SH, Seebrücke Kiel, Motorradclub Kuhle Wampe, DIDF und andere waren gekommen und werden auch in Zukunft die antifaschistische und antirassistische Arbeit unterstützen.
Die Landeshauptstadt Kiel hat inzwischen eine andere Position zu den antifaschistischen Aktivitäten eingenommen – zumindest geht dies aus dem Grußwort des Stadtpräsidenten Tovar hervor (Auszug):
„In der Kieler Erklärung, die von der Stadt Kiel unterstützt wird, ist u. a. als gemeinsames Ziel das Verbot und die vollständige Auflösung der NPD und aller anderen faschistischen Organisationen festgelegt. Die NPD hat sich als Organisation glücklicherweise selbst zerlegt. Aber damit ist das Gespenst des Faschismus nicht erledigt. Weite Teile der AfD haben die Nachfolge angetreten. In Kiel spielt diese Partei nur eine kleine Rolle. (…) Es gibt immer wieder wohlmeinende Menschen, die milde gestimmt betonen, dass nicht alle AfD-Wähler oder Parteimitglieder Nazis seien. Viele seien frustriert, fühlten sich abgehängt und wählten die AfD lediglich als Protestwähler. Man müsse mit ihnen reden und man müsste sie zurückholen.
Tut mir leid. Ich sehe das anders. Wer heute noch AfD wählt oder Mitglied oder gar Funktionär dieser Partei ist, der weiß dass er eine faschistische Partei wählt oder für sie arbeitet.“
(Bild links: Talkrunde mit Matthäus Weiß, Conny Kerth und Hans-Werner Tovar)
Das die LH Kiel Grüße durch ihren Stadtpräsidenten überbringt ist neu. In den vergangenen Jahren gab es oft statt Zustimmung zur Arbeit des Runden Tisches die Ablehnung. Die Breite des Bündnisses von Christen, Parteien, Verbänden, Gewerkschaften, linken und auch autonomen Kräften wurde nicht nur kritisch gesehen, sondern teilweise auch be- und verhindert. Wenn zu Sitzungen im Rathaus die Forderung gestellt wurde zu den Wahlen keine faschistischen Parteien zuzulassen, wurden Antifaschist*innen mit Polizei aus dem Saal gebracht, als die NPD mit einem Mandat eingezogen ist, erhielt eine Sprecherin des Runden Tisches „vorsorglich“ Hausverbot, weil sie als Antifaschistin bekannt war. Auch die Gespräche mit dem Ordnungsbehörden gegen Naziaufmärsche, gegen AfD-Aktivitäten waren nicht immer geprägt von dem Gedanken gemeinsam das Auftreten faschistischer Kräfte zu verhindern. Das Grußwort des Stadtpräsidenten mit der Zustimmung für antifaschistische Arbeit in Kiel wird vom Bündnis begrüßt und in den Amtsstuben der Stadt wenn nötig in Zukunft daran erinnert.
Das Programm des Sommerfestes wurde von teilnehmenden Künstler*innen inhaltlich vervollständigt. „Der Chor“ mit internationalen Liedern gegen Faschismus, „Irgendwas mit Möwen – Best of Slam Poetry“, die Safar Band bis zum Konzert von Heinz Ratz „Strom und Wasser“ haben bewiesen, dass auch mit Kultur gut kämpfen gegen Nazis ist! Durch das Programm führte Bjørn Høgsdal, sein Poetry-Slam ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, mit pointierten Ansagen und Fragen in den Talkrunden.
Dass dieses Fest auch von der örtlichen AfD wahrgenommen und auf ihrer Internetseite als „Linksextreme feiern in AWO-Zentrum“ benannt wird, macht die weitere Arbeit dieses und anderer Bündnisse gegen Faschisten deutlich. Auch dieses Wissen prägte den Tag, dass es weiterhin notwendig ist die Netzwerke nicht ab- sondern auszubauen und die antifaschistische und antirassistische Arbeit fortzusetzen.
Täglich gibt es noch Menschen, die Opfer der Gewalt werden durch Nazis werden. Dem gilt es den Widerstand aller entgegenzusetzen, die nicht in einem Land im braunen Schlamm versinken wollen.
Es ist nicht nur eine Frage, ob die Täter*innen ein Gewissen haben, wie die Worte der vorsitzenden Richterin Anne Meier-Göring im Prozess gegen den inzwischen 93-jährigen SS-Wachmann im KZ-Stutthof andeuten: „Hätten Sie doch nur Ihr Gewissen mehr angestrengt“. Sie verurteilte ihn, der tausendfache Beihilfe zum Mord geleistet hat, zu zwei Jahren Haft – auf Bewährung. Es geht doch nicht nur um einen alten Mann, der seit zig-Jahren unauffällig lebt und keiner Fliege etwas zu Leide tut. Urteile gegen Nazis und ihre Helfer*innen finden zu häufig diesen Abschluss: es wird appelliert an das Gewissen, es werden indirekt damit die Taten kleingeredet, entschuldigt.
Dabei oder deshalb zieht sich die Blutspur der menschenverachtenden Faschisten und Rassisten durch dieses Land. Die Morde des NSU, der Mord an Walter Lübcke, die Morde in Halle, die Morde in Hanau – es sind nur die letzten Opfer. Deren Namen wir nicht vergessen werden. In deren Namen für alle Opfer und für die Zukunft die Forderung nach Verfolgung und Verurteilung der Gewalttäter*innen und Mörder*innen gestellt wird. Auch die Scharfmacher und geistigen Brandstifter in Parteien und Organisationen wie NPD und AfD, in den Burschenschaften und Mädelsgruppen gilt es zu verurteilen.
An dem Sommerfest haben insgesamt 400 Menschen teilgenommen, sich über die Arbeit des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus informiert, Organisationen haben Kontakte geknüpft. Die antifaschistische Arbeit in Kiel wird fortgesetzt. Nach der Corona-Pandemie werden die soziale Folgen der Krise, nicht nur durch Corona, sich noch stärker zeigen und damit die Versuche auch der rassistischen Spaltung der Gesellschaft wieder zunehmen. Dagegen muss der gemeinsame Widerstand stehen. Jeder Stadt steht ein Bündnis wie der „Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus“ gut zu Gesicht.
Bettina Jürgensen, marxistische linke