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Was wählen?
Irgendwie wird es von Mal zu Mal schwerer: Am 22. wird ein neuer Bundestag gewählt, aber wo kann man noch sein Kreuzchen machen? SPD und Grüne tun ja derzeit so, als haben sie mit Hartz IV nichts zu tun. Die Grünen machen sogar en bisschen Wahlkampf mit sozialen Themen. Allerdings nur ein bisschen. Schließlich will man ja auch nicht jene knapp 50 Prozent seiner Wählerschaft verprellen, die eine Koalition mit der CDU wünscht. Wie dem auch sei, derlei darf man wohl getrost in der Rubrik „billige Wahlversprechen“ ablegen, wo sie zügig einstauben und in Vergessenheit geraten werden. Und überhaupt, ist eine Partei wählbar, die jederzeit bereit ist, Deutschland in einen neuen Krieg zu führen? Sind die Kriegsverbrechen deutscher Soldaten in Afghanistan schon vergessen?
Natürlich: Wahlen verändern nichts, oder nur sehr wenig. Alle Nähe der SPD zu den Gewerkschaften hat sie nicht davon abgehalten, mit Hartz IV ein wahres Verelendungsprogramm zu beschließen. Ein nennenswerter Teil der Arbeiterklasse, insbesondere die Frauen und die Jüngeren, kann sich heute kaum noch vernünftig von seiner Arbeit ernähren. Aber die Sozialdemokratie tritt allen ernstes mit einem Spitzenkandidaten an, der schon unter Gerhard Schröder Minister gewesen war und die „Agenda 2010“ mitzuverantworten hat. Hier in Schleswig-Holstein ist Peer Steinbrück übrigens auch mal Finanzminister gewesen, und zwar just zu jener Zeit, als die HSH-Nordbank anfing, an den Finanzmärkten am ganz großen Rad zu drehen. Mit den bekannten Folgen für den Landeshaushalt.
Die Lust am Wählen kann einem vollends vergehen, wenn man sich überlegt, was am Tag danach kommt. Angela Merkel wird sich einfach aussuchen, mit wem sie weiterregiert: mit der FDP, falls diese es doch noch schafft, mit der SPD, um diese vollends gegen die Wand zu fahren, oder mit den Grünen. Letzteres wäre vielleicht noch die interessanteste Variante, weil dann vielleicht endlich auch der letzte mitbekommen würde, dass diese Partei nichts Linkes, Emanzipatorisches mehr an sich hat. Aber nicht wählen, auf das Wahlrecht verzichten, ist auch keine Alternative. Also vielleicht doch noch einmal die Linkspartei, wohlwissend, wie weit diese sich inzwischen angepasst hat und wie wenig von ihr noch zu erwarten ist? Eins ist jedenfalls sicher: alle Erfolge der letzten Jahrzehnte – viele waren es freilich nicht – wurden durch den Druck starker Bewegungen erzielt, egal wer gerade in der Regierung saß.
(wop)