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Warum beschäftigt sich ver.di mit Neonazis und Rechtspopulisten?
Die Gewerkschaft ver.di hat wie alle anderen Gewerkschaften den ihr von unseren als Widerstandskämper*innen gegen den NS-Faschismus verfolgten und ermordeten Kolleg*innen erteilten Auftrag ernst zu nehmen, zur Schaffung einer Welt des Friedens und der Freiheit beizutragen, wozu „die Ausrottung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ (Schwur von Buchenwald) als Voraussetzung zu begreifen ist. Das Wurzelwerk ist verankert im kapitalistischen Wirtschaftssystem und durchaus noch vorhanden. Es bringt zurzeit neue Triebe hervor: Mit dem Aufkommen von „Pegida“ und dem Aufstieg der rassistischen und völkisch-nationalistischen Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) besteht die Gefahr einer neuen profaschistischen Massenbewegung. Eine Bedrohung für diese Republik insgesamt und insbesondere für die abhängig Beschäftigten. Ihr muss ver.di wie der gesamte DGB in allen Betrieben und Dienststellen und darüber hinaus in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf allen Feldern und mit allen gewerkschaftlichen Mitteln (d. h.: ohne irgendein den Gewerkschaften zur Verfügung stehendes Mittel grundsätzlich auszuschließen) entgegentreten.
In ver.di haben sich auf örtlicher und regionaler Ebene, in Landesbezirken und mit dem Arbeitskreis „Offensiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus“ (ZAKO) auch auf Bundesebene Kolleg*innen zusammengefunden, die solche Arbeit organisieren, in ihre Gewerkschaft hinein wirken und mit anderen gesellschaftlichen Akteur*innen zusammenarbeiten.
Alarmierend ist die bereits vor einigen Jahren festgestellte Tatsache, dass ein beachtlicher Teil (etwa 15 Prozent) der Gewerkschaftsmitglieder ein rechtsextremes Weltbild hat. Der auf Gewerkschaftsmitglieder entfallende Stimmenanteil der AfD bei der Bundestagswahl hat gezeigt, dass dieses Problem fortbesteht. Den Begriff „alarmierend“ benutze ich in Widerspruch zu einer Äußerung des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, der nach dem Auftreten und dem mäßigen Erfolg von AfD-nahen Listen bei den diesjährigen Betriebsratswahlen vor „unangebrachtem Alarmismus“ gewarnt hat. Es geht nicht um Panikmache. Es geht darum, den Charakter der Gewerkschaften als Bollwerk gegen rassistische und faschistische Einflüsse und Politik zu sichern.
Im Organisationsbereich von ver.di sind AfD-nahe Listen nicht bekannt. Zu prüfen ist, ob AfD-nahe Personen über andere Listen in Gremien eingezogen sind.
Wer sich mit der pseudo-objektiven Feststellung zufrieden gibt, die Gewerkschaften seien eben „Spiegelbild der Gesellschaft“, hat den besonderen Charakter der Gewerkschaften als Interessenvertretung eines besonderen Teils der Gesellschaft, der Arbeiter*innen und aller abhängig Beschäftigten nicht begriffen. Gewerkschaften sind Klassenorganisationen. Wenn die genannte Feststellung also stimmen sollte, was die Bewusstseinslage ihrer Mitglieder angeht, dann darf es jedenfalls nicht so bleiben.
Mein Vorbild im gewerkschaftlichen antifaschistischen Kampf, der einstige Vorsitzende der IG Druck und Papier Loni Mahlein, hat mit gutem Grund hervorgehoben: „Welche Erkenntnisse haben wir aus dem Ringen um die einfachsten demokratischen Rechte (…) zu ziehen? - Es ist erstens die Einsicht in die Unüberbrückbarkeit des Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit.“ Für ihn hat diese Erkenntnis immer praktische Auswirkungen gehabt, die in jeder Tarifauseinandersetzung zu spüren waren. Er wusste auch: „Unter den heutigen Bedingungen wird das Aufwerfen der Eigentumsfrage wieder zu einer aktuellen Aufgabe, weil ohne strukturelle Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Großkapitals keine wirklichen Fortschritte mehr zu erreichen sind.“ (Entwicklungsperspektiven der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung,1985 (!))
Die Verteidigung der Einheitsgewerkschaft unter selbstverständlicher Einbeziehung der Kommunist*innen und Ausschluss aller neofaschistischen und rassistischen Aktivist*innen war Mahleins besonderes Anliegen und ist auch unseres. Wer sich für NPD oder AfD engagiert, kann nicht Mitglied der ver.di sein.
„Rassistische Erklärungsmuster und Orientierungen entstehen in der Mitte der Gesellschaft. (...) Sie werden gefördert durch gesellschaftliche Verhältnisse, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit bis zur Vernichtung des Konkurrenten erfordern, Ungleichheit und Abbau sozialer Errungenschaften als Fortschrittsmotor rechtfertigen und damit Entsolidarisierung und Ausgrenzungsbereitschaft notwendig hervorbringen.“ („Kieler Erklärung“ des von ver.di und IG Metall unterstützten Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus)
Die Gewerkschaftsbewegung muss Gegenmacht verkörpern angesichts der Angriffe auf die Lebensinteressen der arbeitenden und der in die Erwerbslosigkeit gezwungenen Menschen, muss „Schutzmacht für alle Schattierungen der Lohnabhängigen“ (zit. aus der Studie „Rechtspopulismus und Gewerkschaften“) sein. Sie muss im nationalen und internationalen Rahmen solidarisch handeln mit allen Ausgegrenzten und mit den zur Flucht aus ihren Heimatländern Gezwungenen, muss dem Standortnationalismus eine Absage erteilen und darf nicht zulassen, dass Hunderttausende Arbeiter*innen meinen, ihre Zukunftshoffnung in die Produktion und den Export von Kriegsgerät setzen zu müssen und darum auch deutsche Kriegspolitik dulden. So wird sie auch den Einfluss des Rechtsextremismus auf die abhängig Beschäftigten zurückdrängen. So wird sie demokratische Verhältnisse verteidigen und die Aussicht auf eine Gesellschaft offenhalten, in der Rassismus und Faschismus keinen Nährboden mehr finden.
Dietrich Lohse
Dietrich Lohse ist ver.di-Vertreter am Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel und Sprecher dieses Bündnisses. Er ist aktiv in der Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ und Mitglied des Arbeitskreises Antirassismus und Antifaschismus in ver.di Nord sowie des ZAKO.