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Kiel muss wählen!
Ein Beitrag von Bettina Jürgensen
Seit 1998 werden in Schleswig-Holstein Bürgermeister*innen und Oberbürgermeister-*innen direkt gewählt. Vorher haben die Abgeordneten in den Rathäusern entschieden, wer diesen Job machen soll. Bei der letzten OB-Wahl 2019 teilten sich die Stimmen auf vier Kandidaten. Über 65 % holte der SPD-Kandidat Dr. Kämpfer. Vor sechs Jahren galt Kiel noch als eine Hochburg für die SPD, die Grünen unterstützten die Kandidatur.
Für die Wahl am 16. November 2025 als Kiels Oberbürgermeister bewerben sich diesmal neun Kandidierende. So viele wie noch nie bei einer Oberbürgermeisterwahl. Das wird den amtierenden OB freuen, liebt er doch jede Superlative in seiner Amtszeit, egal ob Kieler Woche Besuchszahlen, Luftreinigungssysteme, Velorouten – ob auch von Kiel aus stattfindende NATO-Manöver und Rüstungsproduktion ist nicht bekannt.
Er tritt nicht wieder an und bewirbt sich in seiner Partei gegen die Vorsitzende Serpil Midyatli um die Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl.
„Wohin des Weges, Bursch?“
möchte man in Anlehnung an Brösels „Werner“ fragen und wird wenig konkrete Antworten bekommen. Eine Riege von selbst ernannten Brückenbauern und Manager*innen tritt gegeneinander an, um die Geschicke der Landeshauptstadt zu führen.
Ulf Daude hatte sich als einziger Kandidat in der Aufstellungsversammlung der SPD beworben. Aber: „Ulf Daude ist ein richtig guter Kandidat,“ sagt Gesine Stück (SPD). Daude selbst meint: „Ich kann Brücken bauen“. (KN 16.3.25)
Gerrit Derkowski wollte zunächst als parteiloser Bewerber für die SPD antreten, die wollten ihn nicht, er stellte sich der CDU vor und wurde mangels Bewerbungen der CDU-Mitglieder als Kandidat gewählt, die FDP unterstützt diesen Vorschlag. Derkowski hat Moderations-Erfahrungen durch seine Arbeit beim NDR.
Ist das die Umsetzung des Beschlusses vom CDU-Landesparteitag 2018 den „Bürgermeisterwahlkampf professionalisieren“ und „vor allem einen Kandidatenpool aufbauen“?
Björn Thoroe von DIE LINKE hat bereits eine Kandidatur zum OB-Amt 2019 bestritten. Seit der letzten Kommunalwahl ist er Fraktionsvorsitzender die gemeinsame Fraktion von DIE LINKE/DiePARTEI. Mit einem Antrag im Sommer 2024 wurde sich gegen die Nutzung des Kieler Hafens für Waffenlieferungen und Ausgangspunkt für Manöver in der Ostsee eingesetzt hat. Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Ob diese Fragen im Wahlkampf eine Rolle spielen, liegt auch an den Wähler*innen, die jetzt bereits mit 16 Jahren die Stimme abgeben können.
Mit Florian Wrobel von Die PARTEI stellt sich auch der andere Teil der Fraktion zur Wahl. Auch Wrobel hatte bereits 2019 kandidiert und macht nun noch einmal sich und seine Partei wählbar.
Der Kieler SSW hat sich entschieden Marcel Schmidt aufzustellen. Der Ratsherr und in vielen Ortsbeiräten umtriebige, pensionierte Polizeibeamter, hatte in der von der KN durchgeführten Talkshow die Nase auf gleicher Höhe wie der SPD-Kandidat.
Auf der Veranstaltung konnte sich auch Viola Ketelsen von der Partei Volt vorstellen. Entsprechend ihrem Beruf als „Projektmanagerin“ sieht sie sich als Oberbürgermeisterin anscheinend auch überwiegend als Managerin im Rathaus. Sie meint: „Ich trete an, weil ich daran glaube, dass Kiel mutig und kollaborativ Zukunft gestalten kann“. Ob das in einem Rathaus mit den Beschäftigten und der Ratsversammlung erfolgreich in eine Richtung gehen kann?
Der wissenschaftsferne Klimawandelleugner Ansgar Stalder von die Basis und Hubert Pinto de Kraus von der rassistischen bis faschistischen Höcke-Partei AfD werden auch auf dem Stimmzettel stehen. Der Protest gegen deren Wahlveranstaltungen sollte sich fortsetzen: Keine Stimme!
Last but not least:
Zweimal erst wurden Frauen zur Oberbürgermeisterin in Kiel gewählt. Das brachte wohl die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anke Oetken, kurz nach der Kommunalwahl zur Aussage: „Wir brauchen in zwei Jahren einen eigenen Oberbürgermeister-Kandidaten, vorzugsweise eine Frau.“ (KN 15.5.23)
Das war wohl nicht abgesprochen mit ihrem Kreisverband. Denn auch der jetzt ehemalige Ratsherr Dirk Scheelje (er stolperte über Vorwürfe gegen Förderungsbedingungen für den Anscharcampus verstoßen zu haben) hatte eine Meinung dazu. In der KN konnten wir lesen: „In zweieinhalb Jahren ist OB-Wahl. Deshalb ist es Zeit, dass Ulf Kämpfer sich dazu bekennt, ob er Ambitionen in der Landespolitik hat.“ Einen eigenen OB-Kandidaten baue man schließlich nicht von heute auf morgen auf. (KN 15.5.2023)
Yilmaz selbst meinte bereits vor zwei Jahren, von dem Redakteur der Kieler Nachrichten zu den Ambitionen für eine Kandidatur als Oberbürgermeister befragt: „Ich bin für viele Dinge offen.“ Und weiter: „Mir fehlt diese politische Erfahrung noch. Aber ich habe mich ja bewusst für diesen Weg entschieden.“
Den eingeschlagenen Weg ist Ratsherr Yilmaz dann schnurstracks weitergegangen: er wurde Vorsitzender des Hauptausschusses. Der Ausschuss, über den gesagt, durch ihn sei die engste Zusammenarbeit des OB gegeben. Dies bietet nun, Zufall oder nicht, die beste Möglichkeit für einen Überblick der Aufgaben eines OB. Ein Wissensvorsprung, mit dem nach zwei Jahren Abgeordnetentätigkeit im Rat, ein OB-Kandidat glänzen kann.
Die Kieler Grünen stellten nun nicht „vorzugsweise eine Frau“ sondern Samet Yilmaz als OB-Kandidat auf. Ihm kann man also nicht nachsagen „seinen Weg“ nicht konsequent geplant und bis zur Kandidatur umgesetzt zu haben. Und wer den hier oft zitierten Artikel aus 2023 mit dem Titel „Nach Sieg der Grünen in Kiel: Kann Samet Yilmaz auch Oberbürgermeister?“ heute liest, kann sich angesichts der Entwicklung bis zum am 15.10.2025 erschienenen Interview mit angehängter „Homestory“ nur die Augen reiben.
Verwiesen wird überall darauf, dass er ist ein promovierter Politologe und Mitglied im Rotary Club ist und Referent in der Landesregierung, außerdem „Yilmaz’ Lebenslauf liest sich wie eine Muster-Biografie für einen, der die Brücken bauen kann zwischen zwei Welten“. (KN 2023)
Weshalb bei dieser Nähe zu einem Kieler Politiker und Referatsleiter im Landeshaus der schwarz-grünen Regierung nicht besser informiert oder recherchiert wurde, bleibt das Geheimnis der einzigen Tageszeitung in der Landeshauptstadt.
Erst die taz hat am 8.6.2025 online in einem Artikel über den OB-Kandidaten Samet Yilmaz in einem Kasten hervorgehoben: „Im Innenministerium ist Yilmaz Referatsleiter im Bereich Verfassungsschutz“.
Was bisher wie ein gut gehütetes Geheimnis schien, aber in Kiel nicht ganz unbekannt war, konnte nun gelesen werden. In der Berichterstattung der KN und schon gar nicht in den Wahlkampfnews der Grünen wurde es weiter nicht erwähnt.
Erst ein Artikel am 15.10.2025 im Spiegel und nachfolgend in anderen Zeitungen stellt die Frage, weshalb es von Yilmaz „Hilfe für extremistisches Frühlingsfest“ im Kieler Werftpark gegeben hat.
Im Zuge dieser Berichterstattungen wird deutlich, dass Samet Yilmaz nicht nur „irgendein“ Referatsleiter seiner Landesregierung ist, sondern beim Verfassungsschutz Leiter des Referats Auswertung für Extremismus mit Auslandsbezug, auch zuständig für Aktivitäten türkischer Rechtsextremisten und der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK.
Eben solche türkischen Rechtsextremisten der Ülkücü-Bewegung und Graue Wölfe haben das Frühlingsfest ausgerichtet und sich an Yilmaz gewandt mit der Bitte, das Fest wegen Schlechtwetters später abzubauen. Diesem Wunsch hat Yilmaz entsprochen mit der Weiterleitung an Verantwortliche im Rathaus.
In diesem Zusammenhang wurde laut Berichterstattung im Spiegel und später der Kieler Nachrichten, Samet Yilmaz aus dem Referat des Verfassungsschutz versetzt und soll nun im Sportreferat u.a. für die Olympiabewerbung arbeiten.
Yilmaz selbst weist alle Verdächtigungen einer Zusammenarbeit mit türkischen Faschisten zurück. Nachdenklich macht:
Nach einigen Berichten innerhalb weniger Tage scheint das Thema nun auf Eis gelegt zu sein. Zumindest medial gibt es keine neuen Berichte oder Informationen. Dies genau haben die Grünen aus dem Landeshaus und dem Kreisverband Kiel wohl auch bezweckt. Sie sind quasi Sturm gelaufen gegen die Berichterstattung über Yilmaz. Unisono gab es permanente Hinweise der Grünen-Spitze auf den „Demokraten“ und die Vermutung eines Komplotts gegen ihren Kandidaten.
Die Landesvorsitzende Anke Erdmann sagte am 15.10.2025 der KN, die Stimmung sei „kämpferisch“. Der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Lasse Petersdotter meinte Yilmaz „ist Demokrat durch und durch“. Insgesamt sehen die Grünen anscheinend keinen Grund, ihrem Kandidaten nicht die Treue zu halten. Das mag auch daran liegen, dass es keine Möglichkeit gibt, die Kandidatur zu wechseln.
Oder, wenn die Grünen von Komplott gegen sich reden darf auch dies erlaubt sein, die Grünen nehmen diesen medialen Aufschwung für ihren Kandidaten einfach mit. Nach dem Motto: „Eine schlechte Presse ist besser als keine Presse.“
Fakt ist, der Spiegel brachte seine Meldung wenige Tage nach dem Start der Briefwahl. Ob das alles einen Einfluss auf den weiteren Wahlkampf hat werden die nächsten Wochen zeigen. Alle anderen Kandidaten halten sich zurück mit Äußerungen, machen es nicht zu einem Wahlkampfthema.
Thema werden sollte doch aber die Frage: Wie halten wir es mit dem Verfassungsschutz? Was bedeutet es, wenn höhere Beamte des Inlandsgeheimdienstes sich in die Parlamente wählen lassen?
Losgelöst von der Frage, dass der Kandidat Yilmaz sich mit seinem Agieren und der geleisteten Hilfe für ultrarechte Gruppen als OB-Kandidat verbrannt haben dürfte, zeigt seine Aussage er dürfe sich als Beamter nicht äußern, nicht nur Intransparenz (gewollt oder dienstlich verordnet ist egal) sondern lässt Vermutungen in alle Richtungen zu.
Der Verfassungsschutz steht ja auch nicht zwingend für Demokratie, Freiheit und Schutz der Meinungsfreiheit. Der VS hat in seiner und der Geschichte des ganzen Landes oft genug bewiesen, das er selbst dazu beiträgt demokratische Regeln auszuhöhlen, über Bord zu werfen und bis hin zur immer noch nicht endgültig aufgeklärten Beteiligung an der NSU-Mordserie. Nicht ohne Grund wird von vielen Aktiven in Bündnissen und Initiativen gefordert: Auflösung des Verfassungsschutz!
Abschließend:
Noch stehen neun Bewerber*innen auf dem Stimmzettel. Und vielleicht zeigt es sich diesmal besonders: Wer die Wahl hat, hat die Qual! Der Termin für eine Stichwahl von zwei Bewerbern mit den meisten Stimmen ist bereits für den 7. Dezember vorgesehen.
Bettina Jürgensen

