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Ein Kommentar zur (Sozial-)Staatsdiskussion

Aktuell beherrscht ein Thema die großen politischen Medien: Den Sozialstaat „einschränken“, weil der „nicht mehr finanzierbar“ sei usw.; „Totalverweigerer“ und „Migrantenbanden“ als neue Hauptfeinde – das mag in der Linken noch wenig ziehen; wenn die aber bündnisfähig zur Mittelklasse sein und verstehen will, warum gerade am unteren Mittelklasse-Rand so scheinbar unaufhaltsam viele auf die Sache reinfallen und den Blick zu Unrecht nach unten statt nach oben richten und sogar zunehmend „das Original“ (die AfD) wählen, wenn es um‘s Nach-Unten- und -Außen-Treten geht, müssen auch mal ein paar trockene finanzpolitische Argumente her gegen die neuherrschenden Narrative:

1970, also vor dem Start jeglicher Sozialreform-Politik, lag der Spitzensteuersatz bei 56 Prozent, die Kapitalertragsteuer auf thesaurierte (in Unternehmen verbleibende) Gewinne bei 51 Prozent, die (jährliche, nicht einmalige!) Vermögensteuer bei 0,6 (gewerbliche juristische Personen) bzw. 1 (natürliche Personen) Prozent (und die wurde – seit 1923 und bis 1997 – auch erhoben!). Die Steuerquote (Steuern zu BIP) lag insgesamt aber „nur“ bei rund 23 Prozent – wie heute! 

Und weil auch das Argument noch häufig kommt: „Aber die Sozialabgaben (RV/KV/PV) ...!“ Ja, die sind heute höher, weil die Menschen ja auch viel länger gesund leben dadurch. Allerdings ist auch da die Belastungsspitze bei relativ gut verdienenden, z. B. in größeren Unternehmen schicht-arbeitenden Facharbeitern erreicht, die aber gar nicht so alt werden wie die, die auf hohe Einkommen und Vermögen (nicht nur relativ, sondern sogar absolut) nicht mehr zahlen. So dass letzteren von der unteren Hälfte neben den anderen Mehrwerten auch noch das längere Leben bezahlt wird – wo die Steuerquote deshalb erdrückt, weil auf praktisch alles Verfügbare (nämlich den Konsum) trotz niedrigster Einkommen noch die Verbrauchsteuern bei jedem Einkauf gezahlt werden -> übrigens auch eine „Doppelbesteuerung“, die Vermögende bzgl. eVermögensteuern so skandalisieren.

Weil insbesondere auch die Kapitalertragsteuer für thesaurierte (in Unternehmen verbleibende) Gewinne halbiert wurde, ist entsprechend insgesamt die quotale Gesamtbelastung hoher und vor allem sehr hoher Einkommen (und erst recht Vermögen, die ja vornehmlich betriebliche sind, wo eben der Mehrwert geschaffen wird) deutlich niedriger – und das perpetuiert sich insbesondere per erbschaftsteuerlicher Verschonungsregeln für betriebliche Vermögensteile (wie das Mrd.-Aktienpaket, das Springer-Boss Döpfner steuerfrei von Friede Springer erhielt – und BILD pflegt das o.a. Narrativ natürlich besonders und hetzt die Armen gegeneinander ...).

Und das Verrückte: Nachdem all *dies* zur heutigen Lage klammer Kassen führte, gewinnt der Mainstream gerade die Unteren dafür, sich vornehmlich gegen die noch darunter (Bürgergeld-Empfangende, Flüchtlinge) zu wenden, obgleich dort selbst bei Kürzungen ins Existenzminimum hinein insgesamt viel weniger zu holen ist als es bei einer bei weitem gegenüber früher noch niedrigeren Besteuerung der (zudem mit höchstem CO2-Footprint und auch insofern noch auf Kosten der Welt-Allgemeinheit lebenden) Wohlhabendsten wäre!

Dass heute das Narrativ „überbordender Staat“/Steuer/Sozialausgaben etc. greift, liegt also am gar nicht falschen Gefühl der Mittelklasse, die damals den Spitzensteuersatz noch bei weitem nicht zahlen musste (der griff erst beim ca. vierfachen Durchschnittseinkommen, heute grob beim doppelten) und anders als heute noch regelmäßig (insbesondere Wohn-) Eigentum bilden konnte. Aber „schuld“ sind nicht Arme und Flüchtlinge, sondern profan herrschende (Steuer-)Politik. So hatte selbst die untere Hälfte der Gesellschaft damals noch ca. 5% des Vermögens, heute nur noch ca. 2% und beschreibt „Proletarisierung“ (kein nach Arbeitskraftreproduktion verbleibendes „Vermögen“ außer Kindern) die Lebenswirklichkeit auch mit weniger schmutzigen Blaumännern durchaus bis hinein in Kreise, die früher ihr Häuschen und den jährlichen Urlaub (ca. einem Viertel hier inzwischen nicht mehr möglich) noch als „Uns geht‘s doch besser als denen drüben“ empfinden konnten. 

Weil man wenig (Aufstiegsoptionen in Deutschland im OECD-Vergleich extrem düster) bieten kann, bleibt nur Emotionalisierung gegen „Faulpelze“, „Fremde“ ... – und gern zum dritten Mal als Gemeinschaftshoffnung das „bedrohte Vaterland“, das ja nun auch ganz viel Geld für Aufrüstung benötigt, damit die Westwerte-Expansion – anders als in den 90ern gegenüber Russland behauptet – ungestört weitergehen kann. So müssten Auseinandersetzungen um Sozialstaat, neofaschistische Tendenzen und Kriegsmobilisierung zusammengeführt und auch möglichen Bündnispartnern verständlicher gemacht werden, gerade wo sie heute aus szenesoziokulturellen Gründen kaum vermutet werden. Sozialkälte, Faschisierung und Ostexpansion haben schon mal (fast) alles zerstört, es sind so wenige ganz Reiche, die auch daraus noch Nutzen ziehen konnten ... – so dass „wir dagegen“ eigentlich ganz viele sein müssten.
(uga)