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Eine Vision:
Klimaschutzstadt Kiel oder „Ich hatte einen Traum...“
Meine Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, die grüne Stadt an der blauen Förde, das Tor zum Norden mit dem völkerverbindenden Fest zur Kieler Woche bietet ein Bild des Friedens:
Auf der blauen Förde segeln Schiffe aller Größenordnungen. Ich fahre gerade mit einer Schulklasse auf der modernen Solarfähre von Belvedere in den Schwentinehafen, wo wir die letzte Wasserkraftanlage und das Forschungsinstitut Geomar besuchen wollen.
Auf der Werft sehen wir vom Wasser aus Schiffe, die mit Spezialantrieben ausgerüstet werden – Windrotoren, welche die inzwischen nahezu russfreien Schiffsdiesel unterstützen sollen, um noch mehr fossile Brennstoffe einzusparen. Die Auftragsbücher der Kieler Werften sind voll, dank einer EU-Richtlinie, die durch den Druck der Hafenstädte aller EU-Länder zusammen gemeinsam mit den Umweltverbänden durchgesetzt werden konnte:
In EU-Gewässern und -Häfen dürfen nur noch Tanker mit Doppelhülle fahren. Bis 2020 sollen zudem alle alten Schiffsdiesel ausgewechselt werden, sonst wird ihnen die Betriebsgenehmigung entzogen. Wer zusätzlich Subventionen möchte, der muss nachweisen, dass er durch alternative Antriebe oder unterstützende Antriebe aus Wind- oder Solarkraft weiter Diesel einspart.
Ich erzähle bei der Überfahrt den Kindern, wie es früher war, als man trotz des frischen Windes in Kiel immer die Diesel-, Kraftwerks- und MVK-Abgase einatmen musste und viele Kinder mit Atemwegserkrankungen in Behandlung waren.
Gerade passieren wir die Ruine des Kohlekraftwerks Ost, das aufgrund von Protesten der Kieler Bevölkerung vom Netz genommen werden musste. Es wurde durch ein modernes Gasmotorenkraftwerk ersetzt, das in der Lage ist, sich der schwankenden Nachfrage modular anzupassen. Nachdem auch das teure Frackinggas aus den USA aufgrund der schlechten CO2 Bilanz nicht mehr genutzt werden konnte, entschied sich die rekommunalisierte Stadtwerke für eine vorübergehende Lösung mit dezentralen Kraftwerkseinheiten, die Stromerzeugung mit Abwärmenutzung koppeln. Der Wärmebedarf nimmt allerdings stark ab, infolge der Auswirkung der weltweiten Klimaerwärmung und zusätzlich durch große Anstrengungen von Stadt, Land und Hausbesitzern: Nahezu alle Gebäude konnten isoliert werden, erhielten neue Fenster und wurden mit Solarthermie und Fotovoltaik ausgestattet. Die Anlagen gehören der VEB Stadtwerke Kiel, die daraus einen großen Teil ihrer Einnahmen bezieht, die im Bereich der Gasversorgung rückläufig waren. Die Einwohner zahlen einen festen Preis als Leasingrate und einen Anteil je nach Verbrauch. An der Leasingrate muss sich auch der Hausbesitzer beteiligen.
Seit der Umsetzung der EU-Verordnung braucht man in Kiel und vielen anderen Städten keine Arbeitslosigkeit mehr beklagen. Statt Panzer, Elektronik für militärische Antriebe und Steuerung wird jetzt in Busse, Bahnen und Schiffe und in die intelligente Energienutzung investiert. Das füllt dann auch das Stadtsäckel, weil ein großer Teil der Lohnsteuereinnahmen in der Kommune bleibt.
Endlich konnte das ÖPNV-Netz ausgebaut werden. Aufgrund der Überschüsse in der Stromproduktion aus Photovoltaik und Wind fahren viele Busse mit Elektroantrieb, andere wurden auf Wasserstoffantrieb umgestellt. Durch schnelle neue Querverbindungen von Ost nach West auf dem Wasser und unter Wasser (der Fernwärmetunnel wurde zu einem Fußgänger und Radfahrertunnel umgebaut), konnte der Anschlusstakt an den Haltestellen von früher 15-30 Minuten auf 7 Minuten verkürzt werden. In ca. 10 Minuten gelangte man nun von der Innenstadt nach Wellingdorf oder von Holtenau bis Gaarden, umweltfreundlich und risikofrei. Viele Menschen sind nun nicht mehr auf das Auto angewiesen, das ohnehin wegen der unattraktiven Benzinpreise überflüssig geworden war.
Gerade überqueren wir die Förde in Richtung Holtenau, mit Blick auf einen neuen klimaneutralen Stadtteil auf einem ehemaligen Militärstandort. 2.250 neue Wohnungen, überwiegend mit geförderten Wohnraum für Menschen mit niedrigem Einkommen entstanden hier direkt an der Kieler Förde. Fast wäre dieses Projekt der Klimaschutzstadt nach 9jähriger Planung und Verhandlung gescheitert. Ein breiter Protest der Bevölkerung verhinderte, dass die Marine im Zuge einer unglaublichen Aufrüstungskampagne der damaligen SPD/CDU-Regierung das Gebiet zurückkaufen konnte. Die teils wohnungslosen Menschen, die in Parks, in der Innenstadt und innerstädtischen Wäldchen in Zelten kampierten, verlegten ihre Zelte auf das MFG 5 Gelände und wurden von Studenten und Kieler Initiativen für bezahlbaren Wohnraum unterstützt und versorgt. Volksfeste, offene Seminare zum Thema Rüstungskonversion und klimaneutrales Bauen, solidarische Landwirtschaft und alternative Wohnformen für Jung und Alt belebten das Stadtviertel, so dass es kein Zurück zu „Kriegsertüchtigung“ mehr gab.
Bildung für Alle und Erziehung zu Frieden und Solidarität an Schulen und Universitäten wurde zu einem wichtigen Bestandteil der „Musterstadt“ Kiel. Die Kieler Kinder besuchen Ganztagsschulen, die ein gesundes Mittagessen bieten, und am Nachmittag in der Umgebung der Schule viele Freizeit- oder Weiterbildungsmöglichkeiten zur Auswahl bietet.
Überall an der Innenförde gibt es Bademöglichkeiten in sauberem Wasser mit attraktiven Stränden. Das zieht viele Touristen an. Direkt in der Innenstadt, zwischen Ernst-Busch-Platz und Halle 400 war ein Campingplatz entstanden. Das Sciencecenter als eine Einrichtung in kommunaler Hand, macht der Klimaschutzstadt alle Ehre: ein lichtdurchflutetes Gebäude, energieautark und deshalb preisgekrönt mit Weiterbildungsangeboten für Jedermensch zu allen Themen der Nachhaltigkeit. Neben informativen Ausstellungen und Lernstationen für Jung und Alt mit interaktivem Charakter gibt es ein Schwimmbad mit verglasten Innen- und Außenbecken. So kann man beim Schwimmen eine Blick auf die Fische und Pflanzen in Aquarien und der natürlichen Ostsee werfen.
Im überflüssig gewordenen Arbeitsamt sind Schüler und Studenten aus aller Welt untergebracht, die kostenfrei in Kiel Meereswissenschaften oder Umweltmanagement studieren können oder Praktika und Ausbildungen auf den Werften und dem Zentrum für alternative Antriebssysteme im Schwerlasttransport in Friedrichsort absolvieren.
Klimaschutzstadt Kiel wird ein Markenname – keine Worthülse mehr.
In Kiel entwickelten Werften, Fischereibetriebe und Meereswissenschaften mobile Fischzuchtanlagen auf der Ostsee. Diese waren notwendig geworden, weil durch die Überfischung der Meere robust gegengesteuert werden musste, bevor die Ökosysteme und die Versorgung der Menschen völlig zusammenbrachen.
Auch hier war es gelungen in internationaler Solidarität, dem gemeinsamen Vorgehen der Gewerkschaften, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen die Regierungen mit Streiks und massiven Protestaktionen dazu zu zwingen, dem Raubbau der Meere mit drastischen Verboten und Regelungen Einhalt zu gebieten.
Mensen und Restaurants weigerten sich, die überteuerten und teilweise kranken Fische ihren Gästen anzubieten. So war eine Absatzkrise entstanden, die eine andere Politik erforderte. Subventionen gab es nicht mehr. Fische durften nur noch für den persönlichen Bedarf und die unmittelbar Ernährung gefangen werden. Fischschutzgebiete wurden eingeführt und erweitert, tierquälerische Fangmethoden international geächtet.
Wie so etwas umsetzbar ist?
Wenn alle Betroffenen zusammenstehen und deutlich machen, dass wir uns nichts mehr gefallen lassen, dann geht mehr als mancher denkt. Einfach die demokratischen Rechte wahrnehmen:
- Demonstrieren, boykottieren, streiken.
- Internationale Solidarität mit den Hungernden und „Abgehängten Menschen“ statt Krieg um Öl, Wasser und andere Ressourcen.
- Banken und Energiekonzerne entflechten und enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Kunden und Mitarbeiter stellen.
- Mehr Steuereinnahmen in die Hand der Kommunen, da wo die Menschen arbeiten, Schulen und Universitäten besuchen...
- Betriebe der Daseinsvorsorge wieder in die öffentliche Hand zurückführen.
- Inhalte in Lehre und Forschung nach den Bedürfnissen der Menschen ausrichten.
- Unsinnige Subventionen streichen.
Eva Börnig

