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Anschlag auf Nord Stream:
Kieler Marine sucht Lecks
Unmittelbar nach dem Anschlag auf die Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 am 26.9.2022 in internationalen Gewässern rund um Bornholm haben Dänemark und Schweden militärische Einheiten zu den Explosionsstellen geschickt. Nun ermittelt auch die deutsche Bundespolizei und schickte zur Spurensuche und Beweisermittlung die Bundeswehr zwecks Amtshilfe das Kieler Minenjagdboot „Dillingen“ und das Mehrzweckschiff „Mittelgrund“ am 7.10.2022 eiligst zur Unfallstelle.
Bild: Das Kieler Minenjagdboot „Dillingen“
Mit Unterwasserdrohnen des Typs „Seefuchs“ und „Sea Cat“ wurden in 70 Meter Tiefe Fotos gemacht, auf denen ein acht Meter langes Leck an der Pipeline zu erkennen ist, was eindeutig auf eine Sprengstoffexplosion hinweist. Untersucht wurde nur eine Stelle an der Pipeline und aus technischen Gründen konnte angeblich keine Sicherstellung von Beweismitteln durch Bodenproben aus den Unterwasserkratern gemacht werden. Die Ergebnisse der Untersuchung sind noch streng geheim und die Bundespolizei wollte sich „aus einsatztaktischen Erwägungen nicht äußern“. So lautet es in den KN vom 15.10.2022. Danach habe „der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet“.
Angeblich habe die dänische Marine das Offshore-Spezialschiff „Assister“ zur Entnahme von Bodenproben zur Beweissicherung gechartet.
An drei Stellen der Pipelines tritt seit dem Anschlag Gas aus. Die Medien schreiben, dass niemand bisher genau sagen könne, was mit den Pipelines geschah. „Die Welt tappt im Dunkeln.“ Aber für Politikwissenschaftler der Bundeswehruniversität in München und Experten des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik der Universität, wie selbstverständlich für die Medien, steht fest, „dass es die Russen gewesen sind, um Verwirrung zu stiften.“
Interessant zu wissen ist es allerdings, dass bis zum 22.9. in den Gewässern rund um Bornholm ein großer amphibischer Kampfverband der USA, der „Kearsage“-Flugzeugträger in der Ostsee unterwegs war. Nach einem Manöver in Norwegen hatte der Kampfverband dann Mitte Mai Kurs auf die Ostsee genommen, als Signal an Russland – und an die Verbündeten – hieß es – und um an dem NATO-Manöver Baltops teilzunehmen. Zusammen mit dem US-Landungsschiff „Gunston Hall“ mit mehr als 300 Marinesoldaten, waren sie fünf Monate in der Ostsee unterwegs. Die „Kearsage“ ist mit 40.000 Tonnen Verdrängung, 40 Hubschraubern und Flugzeugen und 2.000 Soldaten das größte Kampfschiff der USA, das jemals in der Ostsee war.
Einen Tag nach der Ankündigung der Mobilmachung durch Russlands Präsident Wladimir Putin verließ der US-Amphibienkampfverband die Ostsee und erklärte dass „die „Kearsage“-Kampfgruppe ihren Auftrag erfüllt hat“. (siehe KN v. 23.9.2022)
Was damit gemeint war, ist mit der Zerstörung der Nord Stream Pipeline klar, aber niemand wagt es zu sagen oder auch nur zu vermuten. Die bürgerlichen Medien folgen den Anschuldigungen gegen Russland und verbreiten die These, dass Russland einen Anschlag auf „Europas Lebensadern“ plane. Allein die „Nachdenkseiten“ untersuchten die reale Situation um Bornholm.
Bild: Das US-amerikanisch-amphibische Kampfschiff USS „Kearsage“ im Golf von Aqaba auf der Heimreise nach dem Einsatz in der Operation Iraqi Freedom im Juni 2003. (Quelle: Wikipedia)
Pipelines sprengen unter Freunden, das geht gar nicht
„Um halbwegs unbemerkt Sprengkörper an einer Gaspipeline anbringen zu können, bräuchte man eine plausible Ablenkung – einen Grund, warum man in der Nähe von Bornholm taucht, ohne dass man gleich in den Verdacht gerät, einen Sabotageakt zu verüben. Das muss zeitlich gar nicht einmal in direktem Zusammenhang mit den Anschlägen erfolgt sein. Moderne Sprengsätze sind natürlich fernzündbar. Wer hat also in den letzten Wochen derartige Operationen in dem Seegebiet durchgeführt?
Anfang bis Mitte Juni fand in der Ostsee das jährliche NATO-Manöver Baltops statt. Unter dem Kommando der 6. US-Flotte nahmen in diesem Jahr 47 Kriegsschiffe an der Übung teil, darunter der US-Flottenverband rund um den Hubschrauberträger USS Kearsarge. Von besonderer Bedeutung ist dabei ein bestimmtes Manöver, das von der Task Force 68 der 6. Flotte durchgeführt wurde – einer Spezialeinheit für Kampfmittelbeseitigung und Unterwasseroperationen der US-Marines, also genau die Einheit, die die erste Adresse für einen Sabotageakt an einer Unterwasserpipeline wäre. Wie das Fachblatt „Seapower“ berichtete, war im Juni dieses Jahres genau diese Einheit vor der Insel Bornholm mit einem Manöver beschäftigt, bei dem man mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen operierte.
„Zur Unterstützung von BALTOPS hat sich die 6. Flotte der US-Marine mit Forschungs- und Kriegsführungszentren der US-Marine zusammengetan, um die neuesten Fortschritte in der Minenjagdtechnologie mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen in die Ostsee zu bringen und die Wirksamkeit des Fahrzeugs in Einsatzszenarien zu demonstrieren.
Die Experimente wurden vor der Küste von Bornholm, Dänemark, mit Teilnehmern des Naval Information Warfare Center Pacific, des Naval Undersea Warfare Center Newport und des Mine Warfare Readiness and Effectiveness Measuring durchgeführt, die alle unter der Leitung der U.S. 6th Fleet Task Force 68 standen.
Aus: BALTOPS 22: A Perfect Opportunity for Research and Resting New Technology, Seapower“
Unterwasserfahrzeuge, die Minen entschärfen können, können sicherlich auch Minen oder Sprengsätze legen. Es ist fraglich, ob während eines militärischen Manövers davon jemand Notiz genommen hätte.
Wie der Zufall es will, war genau jene Einsatzgruppe rund um die USS Kearsarge in der letzten Woche abermals im Seegebiet um Bornholm. Das letzte öffentlich verfügbare Positionssignal kam am letzten Mittwoch von einer Position, keine 10 Seemeilen von Bornholm entfernt. Seitdem haben die Schiffe des Flottenverbandes ihr automatisches Identifikationssystem AIS ausgeschaltet. Für die Seeraumüberwachung der Anrainerstaaten sind sie natürlich dennoch zu orten. Ist das die „smoking gun“?
Zugegeben, dies sind reine Spekulationen. Dass die USA nach Abwägung der Pros und Kontras ein sehr wahrscheinlicher Tatverdächtiger für die Sabotageakte sind, hatten wir ja bereits gestern gezeigt. Nun kommt hinzu, dass sie nicht nur ein Motiv und die Mittel haben, sondern auch im Tatzeitraum mit Einheiten vor Ort waren, die diese Anschläge hätten durchführen können.
Gab es einen anderen Staat, für den das auch zutrifft? Man kann davon ausgehen, dass in diesen Tagen kein Über- oder Unterwasserfahrzeug die Häfen von St. Petersburg oder Kaliningrad Richtung Bornholm verlassen kann, ohne dass es von den Sonar- und Unterwassermikrophonen der NATO auf Herz und Nieren geprüft wird. Wenn man in Dänemark, Schweden oder bei der NATO diesbezügliche Informationen hat, sollte man sie auch öffentlich bekanntgeben können. Schließlich würde eine russische Täterschaft ja voll in das Blatt dieser Akteure spielen.
Deutschland ist offenbar zu naiv. Betrachtet man sich die Karte von Nord Stream, so sieht man, dass die Pipeline von Staaten umzingelt ist, die schon immer gegen sie opponiert haben. Dies fängt bei Finnland, Schweden und Dänemark an und geht über die baltischen Republiken bis Polen. Bis auf Russland und Deutschland waren alle Ostseeanrainerstaaten ausgemachte Gegner dieser Pipelines und niemand wird ihnen heute eine Träne nachweinen. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass wir jemals harte Daten sehen werden, aus denen man die Täterschaft ableiten kann. Das heißt nicht, dass es diese Daten nicht gibt. Es gibt sie sicher und wahrscheinlich liegen sie auch in diesem Moment allen Beteiligten inkl. dem Bundeskanzleramt vor. Dass man auch dort kein Interesse hat, diese Daten öffentlich zu machen, versteht sich von selbst. Pipelines sprengen unter Freunden, das geht nun mal gar nicht.“ (Zitat und Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=88603)
Es gibt wieder Gas über die Pipeline!
Nach Meldung der Tageszeitung „jungeWelt“, vom 15./16.10.2022 hat Putin nun doch Gaslieferungen in den Westen zu Marktpreisen angeboten. „Die Wiederaufnahme der Gaslieferungen ist möglich. Nach russischen Feststellungen sei ein Strang von Nord Stream 2 bei dem mutmaßlichen Sabotageakt Ende September nicht wesentlich beschädigt worden. Der Ball liege nun im westlichen Spielfeld, sagte Putin am Mittwoch auf der „Woche der russischen Energiewirtschaft“ in Moskau. Um die Lieferungen zu starten, reiche es, „den Hahn aufzudrehen“. Das stehe in der Macht der Abnehmerstaaten. ...
Mit Blick auf die Beschädigung der Pipelines warf Putin dem Westen, insbesondere den USA, Terrorismus vor. Und das zum Schaden ihrer angeblichen Verbündeten. Es gehe den USA darum, den europäischen Kontinent zu deindustrialisieren, um einen Konkurrenten auszuschalten. ...
Er warf den USA und der EU zudem vor, durch ihre Sanktionen gegen den russischen Gassektor nicht nur die eigenen Volkswirtschaften in die Rezession zu stürzen und eine weltweite Inflation anzuheizen, sondern auch eine weltweite Energieknappheit zu Lasten der ökonomisch schwächeren Länder im globalen Süden herbeizuführen. ...
Die Bundesregierung wies Putins Angebot, die Lieferungen wiederaufzunehmen, zurück. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 komme nicht in Frage, weil das Land kein zuverlässiger Versorger mehr sei.“ Interessanterweise wurde über Putins Angebot in der bürgerlichen Presse nicht berichtet, außer in Springers Welt. (Zitate und Quelle: jungeWelt)
(uws)
Weitere Infos zu Nord Stream auf den „Nachdenkseiten“:
- US-Außenminister Blinken zur Zerstörung von Nord Stream 2: „Dies bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre“
https://www.nachdenkseiten.de/?p=88813
- Die Anschläge auf Nord Stream und der Elefant im Raum
https://www.nachdenkseiten.de/?p=88560
- Faktencheck der „Faktenchecker“: Mit welch manipulativen Methoden das ZDF die USA im Falle der Nord-Stream-Sabotage in Schutz nimmt.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=88905
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Daseinsvorsorge sichern:
Städte schlagen Alarm und fordern Rettungsschirm für kommunale Energieversorger – Gaspreisbremse muss schnell kommen
Der Deutsche Städtetag warnt vor dem Aus für einzelne oder mehrere Stadtwerke als Folge der Energiekrise. Er fordert den Bund auf, umgehend einen Rettungsschirm für kommunale Energieversorger zu spannen und das Insolvenzrecht anzupassen. Um die Menschen und Unternehmen in den kommenden Monaten zu entlasten, fordern die Städte zudem eine Gaspreisbremse. Das machte der Präsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster, nach einer Präsidiumssitzung des kommunalen Spitzenverbandes in Kiel deutlich:
„Die Stadtwerke stehen für eine verlässliche Energieversorgung für Millionen Menschen sowie für Unternehmen, das Handwerk und das Gewerbe vor Ort. Die wirtschaftliche Lage der Stadtwerke spitzt sich jedoch mit jedem Tag weiter zu. Die Preise für Gas und für Strom steigen weiter und die Stadtwerke müssen mehr und mehr Geld in die Hand nehmen, um ihre Angebote aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig können viele Menschen ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen. Kommunale Versorger können ohne Unterstützung des Bundes in existenzielle Schwierigkeiten geraten, die wir alle spüren werden. Stadtwerke sind systemrelevant. Wir appellieren deshalb dringend an den Bund, den Stadtwerken endlich einen Rettungsschirm zuzusagen. Die Stadtwerke brauchen diesen Schutz, damit sie auch in einer existenziellen Schieflage zahlungsfähig bleiben und weiter Strom und Gas liefern können.“
Existenzielle Risiken für Unternehmen vorbeugen
Erste Städte stützten ihre Versorger bereits mit hohen Millionenbeträgen. Solche finanziellen Hilfen für ihre Unternehmen können nicht alle Städte leisten, schon gar nicht über lange Zeit. Der Städtetagspräsident betonte: „Ohne zügige Hilfen riskieren wir, dass die Stadtwerke nicht mehr umfassend und verlässlich ihre Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger anbieten können. Bei einer Insolvenz gerät alles ins Rutschen. Dann drohen Dienstleistungen wegzubrechen, auf die wir alle angewiesen sind: Wasserversorgung, Müllabfuhr oder öffentlicher Nahverkehr. Damit würden wir Stabilität und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darauf riskieren, dass unser Land gut durch die Krise kommt. Für in der Existenz bedrohte Stadtwerke muss es staatliche Bürgschaften und Liquiditätshilfen geben, damit sie weiter sicher Energie beschaffen können. Und wir brauchen ein sofortiges Insolvenzmoratorium für die Stadtwerke. Die Pflicht für gefährdete Stadtwerke, einen Insolvenzantrag zu stellen, muss zeitlich begrenzt ausgesetzt werden. Damit wäre nicht nur den kommunalen Unternehmen geholfen, sondern auch dem Mittelstand und dem Handwerk.“ Der aktuelle Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums gehe nicht weit genug.
Entlastung zügig schaffen – Überforderung abfedern
Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer aus Kiel, Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Städtetages, sagte, für die Entlastung der Menschen und der Wirtschaft werde wegen der hohen Energiepreise jetzt dringend eine Gaspreisbremse gebraucht: „Die Strompreisbremse ist richtig, reicht aber nicht. Wir fordern schon seit Wochen eine Gaspreisbremse, die jetzt immer mehr Anhänger findet. Es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die Energiekrise darf nicht zu sozialen Verwerfungen führen. Eine Gaspreisbremse ist das entscheidende Instrument, um die Preise zu dämpfen und die Überforderung breiter Schichten zu verhindern. Für private Haushalte muss ein Grundbedarf von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs an Gas vergünstigt zur Verfügung gestellt werden. Der finanzielle Rahmen muss sich an der Wirksamkeit einer Gaspreisbremse orientieren und nicht umgekehrt.“
Eine Gaspreisbremse müsse jetzt sehr schnell kommen, betonte Kämpfer: „Die Expertenkommission muss rasch Ergebnisse vorlegen. Die Menschen müssen schnell spüren, dass die hohen Preise gedämpft werden. Wir halten es deshalb auch für keinen guten Weg, jetzt erst die Gasbeschaffungsumlage einzuführen, die Menschen damit zu belasten und dann die Umlage kurz danach wieder abzuschaffen. Die Mehrkosten der Unternehmen, um Ersatz für das ausfallende Gas zu beschaffen, sollten nicht auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden. Stattdessen sollten staatliche Mittel die Mehrkosten direkt auffangen.“
Zum dritten Entlastungspaket der Ampelkoalition in Berlin machte der stellvertretende Städtetagspräsident deutlich: Das Paket könne helfen, manche Überforderung der Menschen abzufedern, etwa durch die Wohngeldreform, die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, die Einmalzahlungen für Rentnerinnen und Rentner oder das erhöhte Kindergeld. Allerdings müssten die Hilfen jetzt unbürokratisch gestaltet werden und schnell bei den Menschen ankommen, die diese Hilfen besonders dringend brauchen. Die Städte begrüssten die beschlossene Wohngeldreform als wichtige Maßnahme, um einkommensschwache Haushalte von den hohen Energiekosten zu entlasten. Noch sei der Verfahrensaufwand für die kommunalen Wohngeldstellen jedoch zu hoch.
Dr. Ulf Kämpfer sagte: „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es kommt jetzt darauf an, dass das Wohngeld und der Heizkostenzuschuss schnell bei den Menschen ankommen. Dafür müssen die neuen Regeln klar und einfach sein, damit die kommunalen Wohngeldstellen gut und schneller als bisher ermitteln können, wer welchen Anspruch hat. Noch ist das nicht so, die Regeln sind zu kompliziert. Das Antragsverfahren muss deutlich vereinfacht und komplett digitalisiert werden und die Länder sind gefordert, ihre Regelungen schnell auf den Weg zu bringen und die Kommunen zu unterstützen.“
Deutscher Städtetag, Pressemitteilung v. 28.9.2022
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Ostermarsch in Kiel:
Demokratie und Sozialstaat bewahren
Am Sa., 16.4.2020 fand der Ostermarsch in Kiel mit mehr als 500 Teilnehmer*innen statt. In Schleswig-Holstein gab es weitere Ostermärsche in Wedel, Neumünster, Lübeck, Flensburg und Schleswig.
Als Rednerin zur Auftaktveranstaltung in Kiel nahm die Landesbezirksleitung von ver.di, Susanne Schöttke, Stellung gegen den Krieg und forderte den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine und das Ende des Krieges. Susanne Schöttke wies in ihrer Rede auf die Beziehungen der Gewerkschaft ver.di mit den Gewerkschaften in der Ukraine hin. Wichtig sei es, dass die europäischen Grenzen offengehalten werden, damit allen Geflüchteten geholfen wird. Respekt und Solidarität gehört nicht nur den Menschen in der Ukraine, sondern auch denen, die sich in Russland und Belarus gegen den Krieg stellen, sagte Schöttke. Deutlich sprach sich die Landesbezirksleiterin von ver.di gegen Atomwaffen aus: „Eine Welt, die bis auf die Zähne bewaffnet ist, wird auf Dauer keinen Frieden bringen.“
Weitere Redner*innen waren Benno Stahn für das Friedensforum Kiel, Mechthild Klingenburg-Vogel als Rednerin für den IPPNW in Kiel, ein Redner der SDAJ Kiel, Ute Radermacher vom Friedensritt und Bettina Jürgensen für die marxistische linke.
(Eine Dokumentation der Redebeiträge siehe in den folgenden Beiträgen.)
Aufgerufen hatte das Kieler Friedensforum mit einem Appell:
„Die diesjährigen Ostermärsche werden unter dem Eindruck des furchtbaren Krieges in der Ukraine stattfinden. Unsere Solidarität gilt allen Menschen, die ihre Stimme gegen den russischen Angriffskrieg erheben. Gemeinsam mit ihnen streiten wir dafür, dass die russische Führung sofort alle Angriffe einstellt und sich aus der Ukraine zurückzieht. Unser Ziel sind Friedensverhandlungen, die in einem atomwaffenfreien Europa gemeinsamer Sicherheit, des Friedens und der Abrüstung unter Einschluss von Ukraine und Russland münden. Von der neuen Regierungskoalition fordern wir ein sofortiges Umsteuern in der Außen- und Militärpolitik. Wir bekennen uns zum Ziel gemeinsamer Sicherheit und fordern eine aktive Friedenspolitik. Deutschland sollte jetzt deeskalierend agieren und sich für den Status der Ukraine als neutrales Land bei Verhandlungen einsetzen. Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben Deutschlands um 100 Milliarden Euro ist falsch. Wir lehnen dies entschieden ab – genauso wie die Erhöhung der Rüstungsausgaben auf über 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dieses Geld wird benötigt für die sozial-ökologische Transformation, einen leistungsfähigen demokratischen Sozialstaat, für Bildung, Gesundheit, für Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung und den Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit."
Ein wichtiger Beitrag zum Widerstand gegen die geplante Hochrüstung ist dabei der Appell
„Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“.
Er kann hier unterschrieben werden:
https://derappell.de
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Dokumentation Ostermarsch:
Rede von Bettina Jürgensen, marxistische linke
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ostermarsch in Kiel, liebe Zuhörende,
Seit den 60er Jahren gibt es die Ostermärsche.Die Kriege und Kriegsherde auf dieser Welt waren auch nach den Weltkriegen nie ausgelöscht. Die Rüstungsindustrie hat weiter militärische Produktion betrieben und daran immer gut verdient. Doch viele Menschen wähnten sich in einigermaßen Ruhe.
Die Kriege sind weit entfernt, oft ist der Hintergrund des Krieges nicht bekannt, muss sich „erarbeitet“ werden. Nicht alle Menschen nehmen sich dafür die Zeit.
Die Friedens- und Antikriegsbewegungen gehen zu Ostern und zum Antikriegstag, dem 1. September, seit Jahren auf die Straße: Gegen Atomwaffen, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Stationierung von Pershing 2 und Cruise Missile, gegen den Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien – um nur sehr wenige Gründe zu nennen, gegen die menschenverachtende Kriegspolitik zu protestieren.
Russland hat in den letzten Jahren immer häufiger mit Beteiligungen an Kriegen seinen imperialen Weltmachtanspruch gezeigt: in Syrien, Mali, Kongo, Sudan, Libyen ….
Wir haben es gesehen und dennoch die dahinter stehenden imperialistischen Ziele Russlands nicht verstanden, vielleicht nicht verstehen wollen.
Nicht für möglich gehalten habe ich selbst, auch als Antifaschistin, dass ein Präsident und die Regierung des Landes, deren Soldaten uns 1945 von Faschismus und Krieg befreit haben, es wagt ein anderes Land zu überfallen.
Aber ich sage deutlich: Den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteile ich! Es gibt keine Erklärung, keine Geschichte, keine Vergangenheit, die diesen Krieg rechtfertigt. Der sofortige Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine ist das Gebot der Stunde!
Wenn das Blutvergießen beendet werden soll, muss der Platz beider Seiten am Verhandlungstisch sein!
• Meine Solidarität gilt der Zivilbevölkerung, die am stärksten vom Krieg betroffen ist!
• Meine Solidarität gilt den Menschen und politischen Kräften in der Ukraine und in Russland, die für den Frieden kämpfen und in beiden Ländern den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine fordern und deren Stimmen in beiden Ländern, teilweise mit Gewalt, an vielen Orten unterdrückt werden.
• Die Solidarität gehört denen, die trotz des völkerrechtswidrigen Putin-Krieges gegen die Ukraine, in beiden Ländern die Forderung nach einer ernsthaften Rückkehr an den Verhandlungstisch stellen und dies als einzige Chance für einen Frieden sehen.
In solchen Verhandlungen muss dann auch die Vorgeschichte und die Ursachen des Konflikts beleuchtet werden. Daraus muss eine Lehre gezogen werden, auch die, die lautet: Wenn Verträge zur Sicherheit der Menschen und der Grenzen geschlossen wurden, dann müssen sie eingehalten werden! Rückblickend zählen dazu der Verzicht der Osterweiterung der NATO und das Minsk II – Abkommen.
„Als marxistische linke setzen wir uns dafür ein, dass die im Entstehen begriffene neue multipolare Weltordnung sich nur auf der Anerkennung der universellen Gültigkeit der Menschenrechte und der Charta der Vereinten Nationen sowie internationalen Konventionen wie der Schlussakte von Helsinki oder der Charta von Paris vollziehen darf. Wir wenden uns gegen gefährliches Hegemonialstreben und gegen das globale Wettrüsten, das nicht nur reale Kriegsgefahren mit sich bringt, sondern auch Ressourcen bindet, die zur Bearbeitung der globalen Menschheitsfragen – des Hungers und der sozialen Frage, der laufenden Klimakatastrophe – dringend gebraucht werden.“
(Erklärung der marxistischen linke vom 6. März 2022)
Beispiele, dass Frieden nicht herbeigebombt werden kann, gibt es genug.
• In Afghanistan starben Hunderttausende. Die deutsche Regierung meinte „unsere Freiheit am Hindukush“ zu verteidigen. Hinterlassen wurde ein verwüstetes Land, Menschenrechte dort – Fehlanzeige.
• Das NATO-Mitglied Türkei bombt im Windschatten des Krieges in der Ukraine die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien und im Norden des Irak.
• Im Jemen wird seit 2015 die Zivilbevölkerung von Saudi-Arabien bombardiert – mit Waffen aus den USA und Deutschland. Diese Liste lässt sich fortsetzen:
• Ukraine, Jemen, Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia, Südsudan, Mali, ...:
So gesehen ist jeder Krieg ein Weltkrieg für die Menschen, deren Welt zerstört wird.
Deshalb: Wenn wir in kriegerischen Konflikten Partei ergreifen, dann vor allem: für den Frieden.
Frieden schaffen ohne Waffen – das war die Losung, unter der Petra Kelly und Gerd Bastian mit Mitgliedern der Grünen in den 80er Jahren demonstriert haben. Gemeinsam mit Hunderttausenden für Abrüstung.
Und heute? Die Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck fordern „schwere Waffen“ für die Ukraine. Ich bin dagegen!
Ich war und bin keine Pazifistin. Aber ich bin gegen die Geschäfte und den Profit, der mit Kriegen gemacht wird. Ich bin für das Leben und Überleben der Menschen. Deshalb bin ich gegen Militarisierung und Krieg.
Die Ampelregierung hat für 2022 mehr als 50 Milliarden für die Rüstung eingeplant und will dies nun mit 100 Milliarden „Sondervermögen“ aufstocken. Besonders brisant: für die jährlichen 2% des Bruttoinlandproduktes soll das Grundgesetz geändert werden.
Da gibt es nur eins: Sagt NEIN!
Die Erhöhung des Rüstungsetat und Rüstungsexporte werden keinen Frieden schaffen! Die Aktienkurse der Waffenindustrie gehen in die Höhe. Internationale Spannungen verschärfen sich, die Gefahr eines Weltkrieges rückt näher.
Dem müssen wir gemeinsam begegnen. Nicht mit Waffen, sondern mit gemeinsamen Forderungen, gemeinsamen Aktionen dem Wahn der Aufrüstung, der Forderung nach „schweren Waffenlieferungen“ Einhalt gebieten.
Wir sollten auch denen zuhören und gemeinsame Sache für den Frieden machen, die vielleicht nicht zu den ersten politischen Freund*innen gehören.
Mich überrascht, die seit langer Zeit gar nicht mehr von mir geschätzte, Alice Schwarzer:
„...Die Bilder der zerstörten Städte und Massaker (…) kaum zu ertragen. Wer sind die Täter? Wohl neben russischen Soldaten ebenso tschetschenische Söldner. Aber auch ukrainischen Soldaten wurde schon die gezielte Tötung russischer Gefangener nachgewiesen. Krieg ist Krieg.“ weiter: „Schon jetzt bastelt auch Deutschland an einem militärischen „Sicherheitsschirm“, (...) gleichzeitig hören forsche, so genannt kritische JournalistInnen nicht auf, von den PolitikerInnen zu fordern: Mehr Waffen für die Ukraine! (…)
Heute scheint Putin nicht mehr erreichbar. Und das ist nicht nur für die Ukraine der Horror. Es zieht auch Russland in den Abgrund. Und es bedroht den Westen. Es gibt darum nur einen Weg: Verhandeln. Jetzt!“
Auch Ralf Stegner, SPD, mahnt angesichts der Forderung nach Lieferung schwerer Waffen seine Parteifreund*innen: „Diese Position entspricht nicht dem, was in der SPD oder der Ampel bislang vereinbart worden ist.“ Und er stellt auch fest: „Was Reinhard Bütikofer oder Volker Beck sagen, es gehe jetzt nicht mehr um die besseren Argumente, sondern darum, auf der richtigen Seite zu stehen, halte ich für gefährlich. Wir schlittern in eine Kriegsrhetorik hinein, wo es für alles nur noch militärische Lösungen gibt.“ Stärken wir die Vernunft und die Zweifel gegen Rüstung, die es bei vielen Menschen gibt. Suchen wir die Zusammenarbeit gegen den Krieg!
• Mit Kriegsrhetorik wird die Solidarität mit allen Geflüchteten weiter gespalten nach deren Herkunftsland, Geschlecht, Alter.
• Mit Kriegsrhetorik werden Verhandlungen der Regierungen der Ukraine und Russlands zum Scheitern verurteilt sein.
• Kriegsrhetorik stärkt die faschistischen Organisationen in Deutschland, in Russland, in der Ukraine.
• Mit Kriegsrhetorik profitiert die Rüstungsindustrie, wie hier in Kiel und Bundeswehrstandorte wie in Schleswig-Holstein werden noch tiefer in die Kriege verwickelt.
• Mit Kriegsrhetorik wird das Grundgesetz geändert, werden die Milliarden in die Rüstung gesteckt, die besser für ein Gesundheitssystem, eine Reform der Renten- und Sozialleistungen, den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft, dem Stopp des Klimawandels und der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie zur Überwindung der globalen Armut eingesetzt werden sollten.
Widersetzen wir uns!
Heute geht es darum gemeinsam zu sagen:
Die Waffen nieder! Nein zum Krieg! Verhandeln jetzt!
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Dokumentation Ostermarsch:
Redebeitrag von Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel für die IPPNW
Liebe um den Frieden Besorgte!
Der Krieg in der Ukraine erschüttert uns hier in Deutschland mehr als andere Kriege in der Welt. Nicht, weil er der erste Krieg in Europa nach 1945 wäre – 1999 gab es den Kosovokrieg der NATO gegen Serbien – sondern weil wir uns offensichtlich hier stärker in das Leid der von den furchtbaren Zerstörungen betroffenen Menschen einfühlen können. Dies löst eine überwältigende Welle großer Hilfsbereitschaft und Solidarität aus.
Als Mutter zerreißt es mir das Herz, wenn ich an die Vernichtung, an die Verkrüppelung und Beschädigung von so viel hoffnungsvollem Leben, von so viel hoffnungsvoller Zukunft denke!
Wie viele in der Friedensbewegung fühle ich mich durch den russischen Angriffskrieg überrumpelt und in meinen pazifistischen Überzeugungen verunsichert.
Stimmt es denn, dass gewaltfreier Widerstand nicht nur deutlich weniger Opfer fordert als militärischer Widerstand, dass gewaltfreier Widerstand nachhaltiger und erfolgreicher ist? Dass gewaltfreier Widerstand auch gegen einen autokratischen Despoten eine Chance hat, wie dies der Friedensforscher Oliver Müller vertritt? Was hätte das für die Ukraine bedeutet?
Ist es nicht naheliegend, dass, wenn man mit Gewalt angegriffen wird, man sich mit Gewalt wehren will? Haben die Abschreckungsbefürworter, diejenigen, die jetzt Aufrüstung fordern doch Recht, dass es gegen einen aggressiven Gegner eine Politik der Stärke braucht? Jedenfalls bestimmen sie derzeit die öffentliche Meinung und das politische Handeln.
Die Friedensbewegung schreit NEIN! STOPPT dieses sinnlose Blutvergießen!
Ist das naiv? Nein! Krieg kann nie eine dauerhafte Lösung von Konflikten sein. Insbesondere darf Krieg im Zeitalter eines drohenden Atomkriegs kein Mittel der Politik sein! Wir wollen nicht das Schlachtfeld von Kämpfen um Dominanz, geopolitische Einflussbereiche und wirtschaftliche Macht sein! Menschen sind keine Schachfiguren!
Der Verlauf eines Krieges ist nie vorhersehbar, je länger er dauert, umso mehr droht er zu eskalieren und brutaler zu werden. Auch wenn wir in diesem David-gegen-Goliath-Kampf auf der Seite der Angegriffenen, der Ukraine sind, was passiert, falls Putin - in die Enge getrieben - zum Äußersten greift? Wenn er die - verharmlosend - als „klein“ bezeichneten, strategischen Atombomben einsetzen würde? Käme es dann zum atomaren Schlagabtausch? Ist es den Befürwortern der deutschen nuklearen Teilhabe klar, dass Deutschland durch als wichtiges Kommando- und Versorgungszentrum zum atomaren Schlachtfeld werden wird? Atomkrieg muss geächtet werden, wie es der Atomwaffenverbotsvertrag fordert.
Der Rüstungswettlauf verschlingt Unsummen an Mitteln, die dringend für die Lösung globaler Probleme gebraucht würden. Wir können uns angesichts der drohenden Klimakatastrophe einfach keinen Krieg mehr leisten! Militär und Rüstungsindustrie sind massivste Klimakiller! Und der Wiederaufbau der Zerstörungen verbraucht wertvolle Ressourcen und verursacht Unmengen an CO2! ...
Die Bilder über die Kriegsgräuel lösen heftige Empörung und den Ruf nach Gegenwehr, nach immer mehr Waffen für die mutigen Verteidiger aus. Diese Bilder führen zu heftiger Emotionalisierung, das ist auch ihr Zweck. Diese Emotionalisierung fordert schnelles Handeln, eine „Zeitenwende“ in der bisherigen Überzeugung, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, da dadurch Kriege nur verlängert werden. Aber kann man die Menschen in der Ukraine ungeschützt dem russischen Angriff ausgeliefert lassen? Wäre das nicht „unterlassene Hilfeleistung“?
In diesem furchtbaren Dilemma beobachte ich eine besorgniserregende Spaltung in ein entlastendes Schwarz-Weiß und Freund-Feind-Denken, das sogar persönliche Beziehungen zerbrechen lässt. In den Diskussionen und Stellungnahmen zeigt sich eine beunruhigende Militarisierung und Verrohung der Sprache.
Es scheint so ein gutes Gefühl, auf der Seite der moralisch „Guten“ zu sein, derer, die sich im Recht fühlen und die Putin als Inkarnation des Bösen und mit ihm häufig „die Russen“ als barbarisch verteufeln. - Können wir im Westen uns wirklich auf das moralisch hohe Ross setzen?
Das Wissen um von der eigenen Seite begangene, das Völkerrecht missachtende Kriege und Kriegsverbrechen schmälert in keiner Weise die Verurteilung russischer Kriegsverbrechen. Ist jede Frage, die die Ursachen dieser Entwicklung verstehen will, nach möglichen Weichenstellungen sucht, Verrat an den Opfern dieses eindeutig völkerrechtswidrigen Angriffskrieges? Man ist in Gefahr als „Putin-Versteher“ diffamiert und ausgegrenzt zu werden. – Mischen sich in diese heftigen antirussischen Gefühle eventuell alte, uns von den Eltern und Großeltern vererbte Ängste vor „den Russen“?
Ängste, die aus der kollektiven Traumatisierung durch schreckliche Erfahrungen beim Vormarsch der Roten Armee 1945 stammen und die das von deutschen Truppen beim Angiffskrieg 1941 den Menschen in der Sowjetunion zugefügte und wenig öffentlich anerkannte, unermessliche Leid übertönen und vergessen lassen sollen. Dürfen sich diese Ängste aus der kollektiven Traumatisierung jetzt als Russlandhass in die Empörung über diesen Krieg mischen?
Aber wir müssen uns zumuten, unterschiedliche Perspektiven und widersprüchliche Überlegungen auszuhalten.
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Dokumentation Ostermarsch:
Redebeitrag der SDAJ
Als Jugendlicher habe ich am Modell Europa Parlament teilgenommen. Man spielt dort Delegierter, sitzt in Ausschüssen im Bundesrat und spielt Europa. Ich hab mich damals nicht als Deutscher, sondern als Europäer bezeichnet. DAS Friedensprojekt des Jahrhunderts. Darauf war ich damals echt stolz.
Heute schäme ich mich. Und ich hab Angst. Scham wegen der Kriegstreiber der europäischen, allen voran der deutschen, Politik. Angst wegen der massiven Aufrüstung der NATO-Staaten und Russlands; Scham, weil nichts dafür getan wurde das Feindbild des „bösen Russen“ aus den Köpfen zu bekommen. Angst wegen der Atombomben, Angst wegen unser aller Zukunft.
Und ich bin wütend. Wütend auf Russland, weil sie einmarschiert sind; Wütend auf die NATO, die mit der Osterweiterung den Grundstein dieses Krieges gelegt hat; wütend auf Deutschland, das die eigenen Gesetze über Bord wirft um Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Wütend, dass die Bildungsministerin möchte, dass Bundeswehroffiziere an Schulen den russisch-ukrainischen Krieg erklären.
Und zu guter letzt bin ich frustriert. Frustriert, weil ich mich frage, wie Menschen in prekären Verhältnissen mit steigenden Lebensmittelpreisen und Energiekosten umgehen sollen. Frustriert weil so viele Menschen die Geschichte des Ost-West-Konflikts vergessen und nur der letzte Teil, der russische Angriff auf die Ukraine, Beachtung findet. Das Neonazi-Batallion Asow der ukrainischen Armee, der praktisch völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien 99 - so etwas passt nicht ins Narrativ. Statt dessen soll der isolierte „Irre Putin“ Schuld an allem sein.
Angst, Wut und Frustration – diese Gefühle kennt ihr sicher alle, wenn ihr an Krieg denkt. In einem Punkt aber können wir uns sicher sein: Dieser Krieg ist ein Krieg des Imperialismus‘. Es ist ein Ringen um Einflusssphären und Absatzmärkte. Und noch etwas wissen wir: Am meisten leiden die einfachen Arbeiter*innen und die Menschen in prekären Verhältnissen. Wir leiden sowieso schon unter den Folgen der Klimakrise. Nun leiden wir auch noch unter den steigenden Spritpreisen und Energiekosten. Wir leiden unter über 7% Inflation – bei gleichbleibenden Löhnen. Wir leiden, und der Regierung fällt nichts besseres ein, als 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu pumpen. Wenn zwei sich streiten, freut sich die Rüstungsindustrie.
Und uns in Deutschland geht es ja noch gut. 12% der weltweit verzehrten Kalorien stammen aus der Ukraine und Russland. Wir in Deutschland importieren unseren Weizen dann einfach von woanders. Nigeria oder Somalia können das nicht. Die Welt leidet unter diesem Krieg. Die Welt leidet unter dem Imperialismus. Das muss ein Ende haben! Wir alle müssen dem ein Ende setzen!
Und deshalb starten wir, die SDAJ, unsere Kampagne mit dem Titel „Wir wollen Frieden – Nein zur Aufrüstung!“.
Wir fordern:
Sozialpolitik statt Aufrüstung!
Humanitäre Hilfe statt Waffenexporte!
Stopp der Sanktionen gegen Russland!
Stopp der NATO-Osterweiterung!
Wiederaufnahme der Diplomatie mit Russland!
Und vor allem:
Nein zum Krieg und nieder mit den Waffen!
Auch DIE LINKE beteiligte sich am Kieler Ostermarsch und hoffte auf „das gutes Leben für alle“ nach den nächsten Landtagswahlen (!?)
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Aufruf zum Ostermarsch am Sa., 16.4.2022 in Kiel:
Krieg und Rüstung lösen keine Probleme
• Wir sind bestürzt über den Bruch des Völkerrechts und die russische Invasion in die Ukrain.
• Wir sind bestürzt über die Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik.
• Wir sind bestürzt über die gigantische Aufrüstung der Bundeswehr, die die Militarisierung vorantreibt und mit Drohnen, neuen Atombombern und dem 500 Milliarden-Euro-Projekt FCAS Mittel verschwendet. Geld, dass dringend im Bereich der Sozialpolitik, der Bildung, Gesundheit und Klimaschutz benötigt wird.
• Wir sind bestürzt, dass trotz des verheerenden Afghanistan-Krieges Auslandseinsätze der Bundeswehr zur „Durchsetzung der regelbasierten internationalen Ordnung“ weiter ausgeweitet werden sollen.
• Wir sind bestürzt über die Weltflüchtlingskatastrophe, die vor allem in Kriegen – auch unter Beteiligung von NATO-Staaten – ihren Ursprung hat.
• Wir sind bestürzt, dass unsere Regierung im Rahmen der EU und mit der NATO unter dem Begriff der ‚Strategischen Souveränität‘ die militärische Konfrontation fortsetzen will.
Wir erwarten von unserer Regierung Initiativen zu einem Dialog über deeskalierende und vertrauensbildende Maßnahmen!
Die Friedensbewegung fordert einen wirklichen Politikwechsel:
• Stopp von Rüstungsexporten - das angekündigte Rüstungskontrollexportgesetz ist unzureichend. Statt Waffenlieferungen humanitäre Hilfe.
• Abrüsten statt Aufrüsten, Frieden und Kooperation, das geht nur mit einer neuen Entspannungspolitik und internationaler Zusammenarbeit. Keine Anschaffung bewaffneter Drohnen Stattdessen: ziviles Konfliktmanagement stärken und Spannungen abbauen.
• Neben der angekündigten Teilnahme als Beobachter an der Vertragsstaatenkonferenz des UN- Atomwaffenverbotsvertrages – eine Folge des Drucks der Friedensbewegung – eine klare Abkehr von der „nukleare Teilhabe“ Deutschlands: In Deutschland sollen zukünftig keine Atomwaffen gelagert und treffsicherer gemacht werden. Stattdessen: Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag
• Rassismus und Abschiebungen bekämpfen. Menschenrechte sind universell und unteilbar. Allen Flüchtlingen muss gleichermaßen geholfen werden.
• Gegenseitiges Vertrauen aufbauen statt Kriegsvorbereitung und Drohkulissen – nur so entstehen Perspektiven für eine globale gemeinsame Sicherheit.
Mit den Ostermärschen 2022 fordert die Friedensbewegung eine ernsthafte und wirkungsvolle Friedenspolitik! Sie ist unabdingbare Voraussetzung für die Bewältigung der vielen globalen und regionalen Krisen und Herausforderungen, die die Zukunft der Menschheit bedrohen. Dafür geht die Friedensbewegung mit vielfältigen Aktionen auf die Straße.
Kommen Sie mit!
Veranstalter: Kieler Friedensforum
www.kieler-friedensforum.de
OSTERMARSCH KIEL
Samstag, 16. April 2022
12 Uhr Schevenbrücke (Europaplatz)
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Bündnis für bezahlbaren Wohnraum in Kiel:
Wohnen ist ein Menschenrecht
Wir vom Bündnis für bezahlbaren Wohnraum in Kiel setzen uns schon lange für dieses Thema ein. Unsere Landesregierung aber nicht. Sie schaffte sogar die bis dahin geltende Kappungs- und Mietpreisbremse ab, obwohl auch diese kaum Einfluss auf den Wohnungsmarkt hatte.
Bei vielen Menschen machen die Kosten für Wohnraum mehr als die Hälfte ihres Einkommens aus. Sozialwohnungen sind kaum noch vorhanden, Immobilienpreise steigen ins Unermessliche und Baustoffpreise werden auch immer weniger bezahlbar. Für Investoren ist sozialer Wohnungsbau nicht mehr attraktiv, da schnelle Profite auch so zur Verfügung stehen. Daher wenden wir uns mit dieser Demonstration an alle Parteien, die ab Mai in der Landesregierung vertreten sein wollen. Wir brauchen stärkere Maßnahmen, das von der Bundesregierung zur Verfügung gestellte Geld muss sinnvoll eingesetzt und gleichzeitig weitere Maßnahmen in Berlin beschlossen werden. Wir sehen vor allem jetzt bei den ankommenden Flüchtenden aus der Ukraine, wie verheerend die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist.
• Die Landesregierung sollte als Sofortmaßnahme über den Bundesrat einen Antrag zum Mietenstopp und zum Mietendeckel stellen
• Wir fordern 50% sozialen Wohnungsbau bei allen Neubauten
• Auslaufende Sozialbindungen müssen von Land und Kommunen aufgekauft werden, Bindungsfristen müssen entfallen
• Ausübung des Vorkaufsrechts des Landes und der Kommunen
• Stopp der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen
• öffentliches Bauland ausschließlich im Erbpachtverfahren vergeben
• auch im sozialen Wohnungsbau beste Energieeffizienz ab KfW 55
• Ein landesweites Wohnraumschutzgesetz, das landesweite Maßnahmen, die Abbruch, Zerstörung, Leerstand, strategisches Unbewohnbarmachen und Ferienvermietung (von Wohnraum) verhindert
• Alternative Wohnprojekte Mehrgenerationen-Wohnprojekte, Groß-WGs, Wagenplätze oder Hausboote.
• Housing First für Wohnungslose
Kommt alle zur landesweiten Großdemo am Sa., 23. April, 11.00 Uhr auf dem Platz der Matrosen (Hbf, Kiel)
www.bezahlbar-wohnen.org
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Kundgebung zum Jahrestag Atomwaffenverbotsvertrag in Kiel
Am Sa., 22.1.2022, 5 von 12 Uhr, versammelten sich vor dem Kieler Rathaus ca. 70 Menschen um auf die dringende Umsetzung des Atomwaffenverbots hinzuweisen. Benno Stahn sprach sich für das Kieler Friedensforum dafür aus, dass auch Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet.
Das hätte dann zur Folge, dass die amerikanischen Atomwaffen, die in Deutschland stationiert sind, abgezogen werden müssen. Stattdessen werden die Flugzeuge modernisiert, mit denen die Bomben von deutschen Piloten ins russische Ziel gebracht werden sollen, um die westliche Vorherrschaft zu sichern.
Die atomare Bedrohung sei bei Vielen heute nicht mehr so präsent, so Stahn. Mit dem Blick auf die Verschärfung des aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt wird dies aber wieder deutlich. „Die Situation bewegt uns sehr, ist beunruhigend und trägt nicht zur Sicherheit in der Region bei. Wir sehen ein Säbelrasseln, ähnlich wie wir es bei uns im Ostseeraum beobachten“, so der Kieler Friedensaktivist.
Auch Kiels Stadtpräsident Hans-Werner Tovar unterstützte die Kundgebung als einen „wichtigen Schritt in eine atomwaffenfreie Welt“ und wünschte sich, dass auch die schleswig-holsteinische Landesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag unterstützt, genauso wie die Stadt Kiel, die eine Petition unterzeichnet hat, die die Bundesregierung zum Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrags auffordert.
Siegfried Lauinger, sprach für die IPPNW, die zusammen mit dem Kieler Friedensforum und der DFG/VK zu dieser Kundgebung aufgerufen hat.
„Seit nunmehr einem Jahr ist der Atomwaffenverbotsvertrag Teil des humanitären Völkerrechtes. Der Vertrag ist am 22.01.2021 in Kraft getreten, nachdem er von 50 Staaten ratifiziert worden war. Bis heute haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 59 Staaten haben ihn ratifiziert.
Leider hat Deutschland den Vertrag noch nicht unterzeichnet und weigert sich beharrlich das in Erwägung zu ziehen. Immerhin will Deutschland an der ersten AVV-Staatenkonferenz im März in Wien teilnehmen. Als Begründung ihrer Weigerung verweist die Bundesregierung auf die Notwendigkeit der nuklearen Teilhabe; auf die Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung gegenüber Russland und auf den bestehenden Atomwaffensperrvertrag von 1970, der die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung für die Atomwaffenstaaten enthalte und deshalb genüge.
Nukleare Teilhabe bedeutet, dass deutsche Flugzeuge im Ernstfall Atombomben gegen Russland einsetzen. Atombomben, die in Büchel in der Eifel für diesen Fall bereit liegen. Flugzeuge, die den deutschen Staatshaushalt mit hunderten Millionen Euros belasten. Geld, das dringend für die Energie und Verkehrswende gebraucht wird. Die Nukleare Teilhabe ist Teil der NATO-Strategie „Frieden durch Abschreckung“.
Frieden durch Abschreckung bedeutet, dass durch eine, auch atomar betriebene, Hochrüstung einem potentiellen Feind signalisiert wird, und meist wird dabei hierzulande an Russland gedacht, ihm im Falle eines Angriffes auf das Bündnisgebiet unakzeptablen Schaden zugefügt wird.
Und schon ist die Rüstungsspirale in Gang gesetzt, die beiderseits gewaltige Ressourcen verschlingt. Und mit den Waffenarsenalen wächst das gegenseitige Misstrauen.
In der Ostseeregion stehen sich die NATO und Russland unmittelbar waffenstarrend gegenüber. Wegen der Bedeutung dieser Region sowohl für die NATO, als auch für Russland, ist in einem Kriegsfall Schleswig-Holstein mit seinen Werften, Marine- und Luftwaffenstützpunkten und Kommandozentralen als ein vorrangiges Ziel russischer Verteidigungs- oder gar Präventivschläge zu betrachten. Auch bei einer entfernteren Nuklearexplosion, beispielsweise in den baltischen Staaten oder in Kaliningrad, ist Schleswig-Holstein durch radioaktiven Fallout bedroht. Von daher muss S.-H. ein großes Interesse daran haben, diese Risiken weitestgehend zu minimieren.
Leider hat sich der Atomwaffensperrvertrag als Maßnahme zur atomaren Abrüstung nicht als wirksam erwiesen. Seit über 50 Jahren gibt es diesen Vertrag, durch den sich die Atommächte zu einer atomaren Abrüstung verpflichtet haben. Geschehen ist nichts. Deshalb ist der Atomwaffenverbotsvertrag, der heute seinen ersten Geburtstag hat, notwendig geworden. Er ist eine Mahnung und eine Aufforderung vieler Staaten, die alle von einem Atomkrieg zwischen den Großmächten betroffen wären, endlich Schluss zu machen mit der Bedrohung durch Atomwaffen.
Im Schleswig-Holsteinischen Landtag wird derzeit beraten, ob eine Empfehlung an die Bundesregierung ausgesprochen werden soll, dem AVV beizutreten. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Vier Bundesländer und alle Landeshauptstädte, auch Kiel, haben diese Empfehlung bereits ausgesprochen.
Der Beitritt Deutschlands zum Atomwffenverbotsvertrag wäre ein wichtiges Signal den untauglichen Versuch „Frieden durch Abschreckung“ zu verlassen. Frieden ist niemals das Ergebnis einer Rüstungsspirale. Frieden kann nur das Ergebnis der Bemühung um eine gemeinsame Sicherheit sein. Das bedeutet:
Jedes Land ist dafür verantwortlich, dass alle anderen sich vor ihm sicher fühlen. Das erfordert Gespräche und führt schrittweise zu immer mehr Abrüstung.“
(Aufruf der AG Atomwaffenverbotsvertrag Schleswig-Holstein, Siegfried Lauinger/uws)
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Li(e)ber Anders:
Wir bleiben – für einen linken Stadtteilladen in einem solidarischen Gaarden!
Neues Jahr, neue Räume – im März geht’s in die Kieler Straße! – Seit dem 01.01.2022 steht der „Verein zur Förderung der politischen Bildung in Gaarden e. V.“ das erste Mal in seiner Geschichte ohne feste Räumlichkeiten dar. Nachdem unsere einstige Vermieterin Ulrike Berger uns im Juli 2021 ohne Begründung aus unserer langjährigen und traditionsreichen Heimstätte in der Iltisstraße 34 geworfen hatte, die seitdem ungenutzt der Verwahrlosung preisgegeben ist, waren wir in den letzten fünf Monaten provisorisch um die Ecke im Kirchenweg 31 untergebracht. Die Räume im Kirchenweg befanden sich ohnehin in laufender Anmietung durch die Stadt Kiel und lagen ungenutzt brach, so dass die Stadt diese kurzfristig an uns weitervermietete.
Diese Nutzung war von vorn herein eine Notlösung und befristet angelegt. Die Räumlichkeiten waren für unser Projekt zu klein und offensichtlich ungeeignet, so dass wir nur einen Teil unseres Alltagsbetriebs aufrecht erhalten konnten. Insbesondere mit Einbruch des Winters und der erneuten Verschärfung der Pandemie-Situation ist es in den letzten Wochen des zurückliegenden Jahres nach außen ruhig um das Li(e)ber Anders im Exil geworden. Nichtsdestotrotz haben wir uns über alle Freund*innen und Nachbar*innen gefreut, die uns auch in dieser Phase besucht und den Laden genutzt haben.
Nun ist unsere Idee eines linken Stadtteilladens vorübergehend obdach-, aber nicht hoffnungslos. Denn natürlich waren wir auch nach der schlussendlich leider nicht von Erfolg gekrönten Kampagne für den Erhalt des Li(e)ber Anders in der Iltisstraße im Sommer vor allem mit der Suche nach geeigneten und langfristigen neuen Räumlichkeiten in Gaarden beschäftigt. Dies gestaltete sich wegen der allgemein angespannten Raumsituation in unserem Stadtteil weiterhin als schwierig, schlussendlich sind wir aber dennoch fündig geworden – wohlgemerkt aus eigener Kraft. Wenn alles nach vereinbarten Plan läuft, beziehen wir zum März 2022 unser neues Zuhause in der Kieler Straße. Wegen notwendiger Bauarbeiten konnte der Einzug zwar nicht nahtlos erfolgen, wir sind aber nichtsdestotrotz zuversichtlich und motiviert, das Potential am neuen Standort auszuloten und unsere neue Nachbarschaft kennenzulernen.
Parallel dazu nutzen wir die momentane Übergangssituation dazu, eine kollektive Diskussion darum zu führen, wie sich unsere Selbstverwaltungsstrukturen verbessern und sich unser politisches Selbstverständnis als linker Stadtteilladen und sein Wirken in die Nachbarschaft zukünftig konkretisieren lassen. Das Ergebnis ist noch offen, wir sind aber optimistisch, unsere Wiedereröffnung in diesem Jahr mit vielen neuen Erkenntnissen, Ideen und Tatendrang auf einem festen Fundament begehen zu können. Fühlt euch aufgerufen, Teil dieses Prozessen zu werden und euch einzubringen.
In den kommenden zwei Monaten sind wir wegen der Raumsituation nur per e-Mail und auf dem Postweg zu erreichen. Des Weiteren wird unsere Koch-Crew diesen Winter an wechselnden Terminen mit einer mobilen Küche für Alle im Stadtteil unterwegs sein. Wir hoffen also, dass wir auch ohne feste Anlaufstelle in Kontakt bleiben. Wir danken allen Freund*innen und Nachbar*innen, die uns im vergangen, für unser Projekt sehr dunklen Jahr zur Seite gestanden haben und uns auch weiterhin unterstützen. Wir freuen uns, in diesem Jahr zusammen mit euch den neuen Laden aufzubauen.
Wir bleiben – für einen linken Stadtteilladen in einem solidarischen Gaarden!
(Presseerklärung Revolutionsstadt Kiel 14.1.22)
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Kiel:
Kurdische Frauenbewegung gedenkt ermordeter Revolutionärinnen
Etwa 80 Freund*innen und Unterstützer-*innen der Kurdischen Befreiungsbewegung versammelten sich 8.01.2022 am Platz der Matrosen am Kieler Hauptbahnhof, um der vor neun Jahren in Paris im Auftrag des türkischen Geheimdienst MIT ermordeten Revolutionärinnen Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) zu gedenken.
Nach einer Gedenkminute und einer anschließenden Auftaktkundgebung zogen die Demonstrant-*innen unter lilafarbenen Fahnen mit den Porträts der drei Ermorderten durch die Innenstadt zum Bootshafen, wo eine Abschlusskundgebung stattfand. Redner*innen erinnerten an den herausragenden Einsatz von Sara, Rojbîn und Ronahî für den Kampf um Befreiung und forderten die vollständige Aufklärung der Morde, die Bestrafung ihrer Hintermänner im türkischen Staatsapparat sowie den Sturz des AKP-Regimes von Recep Tayyip Erdoğan.
Sakine Cansız war Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und gemeinsam mit Fidan Doğan und Leyla Şaylemez bis zu ihrem Tod führend für die Kurdische Frauenbewegung aktiv. Am 09.01.2013 wurden die drei Militanten mitten in Paris von dem Auftragskiller Ömer Güney bestialisch hingerichtet.
„Eines sollte nie vergessen werden: Ihr könnt alle Blumen herausreißen, aber ihr könnt den Frühling nicht verhindern. Ihr habt Angst vor Frauen und ihr solltet euch weiter fürchten, denn wir werden unseren Kampf niemals aufgeben und alle Angriffe scheitern lassen.“
#sakine #fidan #leyla #kiel
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Neue U-Boote für Israel:
Kieler U-Boot-Werft befeuert Pulverfass Nahost aufs Neue
ThyssenKrupp Marine Systems TKMS) hat sich mit dem israelischen Verteidigungsministerium auf die Rahmenbedingungen für den Kauf von drei U-Booten der Dakar-Klasse geeinigt. Das gab das Unternehmen in Kiel am 20.1.22 bekannt. Das erste U-Boot soll innerhalb von neun Jahren dorthin geliefert werden. Das Auftragsvolumen liegt demnach bei rund drei Milliarden Euro. Die Bundesregierung trägt – wie schon bei den bisher gelieferten U-Booten – etwa ein Drittel der Kosten. Um für den Auftrag gerüstet zu sein, investiert ThyssenKrupp Marine Systems nach eigenen Angaben rund 250 Millionen Euro in seine Werft: Damit die Kieler Werft „die größten U-Boote produzieren kann, die jemals in Deutschland gebaut wurden“ (KN 21.1.2022).
„...speziell auf die Anforderungen der israelischen Marine zugeschnitten“
Nach den Worten von TKMS-Vorstandsvorsitzenden Rolf Wirtz handelt es sich bei der Dakar-Klasse um eine neue Konstruktion, „die speziell auf die Anforderungen der israelischen Marine zugeschnitten sein wird.“ Von diesen U-Booten der neuen Generation sollen nicht nur Torpedos verschossen werden und Kampfschwimmer ausgesetzt werden, sondern es gibt auch Startschächte für Marschflugkörper.
„Ich bin zuversichtlich, dass die neuen U-Boote die Fähigkeiten der israelischen Marine verbessern und zur Sicherheitsüberlegenheit Israels in der Region beitragen werden,“ sagte Israels „Verteidingungs“minister bei Vertragsunterzeichnung.
Diese drei U-Boote werden die Dolphin-Klasse ersetzen, die auch schon mit Atomwaffen bestückt werden konnten. Sechs Boote dieser Klasse wurden von 1992 bis 2020 in Kiel gebaut und fünf an die israelische Kriegsmarine ausgeliefert (das sechste befindet sich noch in Bau). Die Lieferung der bisher letzten drei U-Boote an Israel war in die Kritik geraten, da dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, einem seiner Berater und einem ehemaligen Minister Korruption vorgeworfen wird. Es war berichtet worden, dass ein Vertreter von ThyssenKrupp hochrangige israelische Regierungsbeamte bestochen habe, um den Auftrag für die U-Boote zu erhalten.
Doch Israel ist nicht der alleinige Adressat von U-Booten ins Pulverfass Naher Osten.
Zwischen 2016 und 2021 erhielt Ägypten ebenfalls vier Boote. Und es werden sechs U-Boote der Klasse 214 in der Türkei „unter maßgeblicher Beteiligung des Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems“ gebaut. Die Lieferung der Bauteile wurde von der Regierung unter Kanzlerin Merkel im Jahr 2009 genehmigt und der Export mit einer sogenannten Hermesbürgschaft von 2,49 Milliarden Euro abgesichert. Dagegen hat vor allem der griechische Verteidigungsminister ausdrücklich protestiert. Denn die U-Boote könnten von der Regierung Erdogan dazu benutzt werden, „eine expansionistische Politik der Türkei in der Ägais und im östlichen Mittelmeer zu verfolgen.“ (telepolis 1.2.2021)
Brief von IPPNW an Kieler Oberbürgermeister (2012) – aufs Neue aktuell
Schon vor 10 Jahren (2012) war auf dem Ostermarsch in Kiel gefordert worden, die Auslieferung von U-Bootes an Israel angesichts der zunehmenden Spannungen im Nahen und Mittleren Osten zu stoppen.
Die Kieler Gruppe der IPPNW (Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges/ÄrztInnen in sozialer Verantwortung) hatte in einem Offenen Brief an Kiels OB gefordert:
„Wir sind entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit in der Presse über die Lieferung von – bei HDW gebauten U-Booten – an Israel berichtet wird. Insbesondere empört uns, dass die Ausstattung dieser U-Boote für Nuklearraketen in keiner Weise problematisiert wird. Kiel ist Mitglied der Mayors for Peace, worauf wir stolz sind und erleichtert, weil sich damit Kiel dem Grundsatz dieser Vereinigung verpflichtet, ‚der Bedrohung durch Atomwaffen ein Ende zu bereiten und sich weltweit für deren Ächtung und Abschaffung einzusetzen‘. (...) Diese Lieferung von Waffen in das hochexplosive Spannungsgebiet Nahost verstößt gegen das Grundgesetz (Art. 26) und trägt zur weiteren Eskalation der akuten Kriegsgefahr bei. (...) Der Einfluss der Waffenlobby auf unsere Politik und Wirtschaft ist besorgniserregend. Zum Erhalt von Arbeitsplätzen macht Kiel sich abhängig von der Waffenlobby und mitschuldig an der Gefahr, Krisen durch Kriege lösen zu wollen.
Wir möchten Sie deshalb um eine Stellungnahme zu unseren Bedenken bitten sowie um eine Beantwortung der Frage, welche Anstrengungen Sie unternehmen wollen, um im Sinne von „Schwerter zu Pflugscharen“ eine ernsthafte Rüstungskonversion in allen für die Rüstungsindustrie arbeitenden Betrieben in Kiel anzustreben, wie es Ihrer Verantwortung als ‚Bürgermeister für den Frieden‘ entspricht.“
(gst)
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Kieler Friedensforum:
Der neue Kooperationsvertrag zwischen dem Bildungsministerium Schleswig-Holstein und der Bundeswehr löst Protest aus
Das Image der Bundeswehr ist angekratzt: Hunderte Verdachtsfälle auf Rechtsextremismus, erniedrigende Aufnahmerituale, massive Rekrutierungsprobleme, der Fehlschlag in Afghanistan haben zu einer schwerwiegenden Sinnkrise der Bundeswehr geführt. Dass in dieser Situation das Bildungsministerium S-H der Bundeswehr einen Kooperationsvertrag anbietet, dürfte der Bundeswehr nicht ungelegen kommen.
Am 4. August unterzeichneten das Landeskommando Schleswig-Holstein und Bildungsministerin Karin Prien den Kooperationsvertrag. Neu ist der Einsatz von Jugendoffizieren(?) an Schulen in Schleswig-Holstein nicht. Mit der neuen Vereinbarung bekommen die Besuche der Jugendoffizier*innen allerdings eine ministerielle Absegnung. Außerdem kann sich die Bundeswehr sich nun auch offensiv an Schulen wenden.
Jugendoffizier*innen sollen Schüler*innen zur „differenzierten Analyse von sicherheitspolitischen Themen“ befähigen und sie sensibilisieren für „die Entstehung und die Hintergründe internationaler Konflikte“, heißt es in dem Kooperationsvertrag. Eigentlich Aufgaben, die von pädagogisch und didaktisch geschulten Lehrer*innen bewältigt werden sollten. Die Vereinbarung, die bis Ende 2025 gilt, ermöglicht auch Besuche in Standorten. Auch Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften durch Bundeswehrpersonal ist vorgesehen. Nachwuchswerbung soll dabei nicht stattfinden, heißt es im Vertrag. Erfahrungsgemäß dürfte eine solche Formulierung in der Praxis kaum Beachtung finden. Im Kern dürfte es der Bundeswehr allerdings um die Stärkung ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung gehen. Das Pädagogische können Lehrer*innen besser leisten.
Keine militärisch ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik im Unterricht!
Der Kooperationsvertrag nimmt ausdrücklich Bezug auf den Beutelsbacher Konsens von 1976. Er formuliert einen didaktischen Minimalkonsens über die Richtlinien der politischen und didaktischen Inhalte für die Lehrpläne politischer Bildung.
Der Beutelsbacher Konsens beinhaltet drei Grundsätze:
• Es ist nicht erlaubt, den Schüler*innen – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern. Für den schulischen Unterricht bedeutet dieses „Überwältigungsverbot“, junge Menschen anzuregen, ihren Verstand und ihre Urteilskraft für eine eigene Meinung zu trainieren.
• Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Zusammen mit dem Überwältigungsverbot beinhaltet dieses Kontroversitätsgebot die Forderung, unterschiedliche Standpunkte darzulegen und alternative Optionen zu erläutern.
• Die Schüler*innen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen.
Diese pädagogischen Minimalgrundsätze dürften mit den Kooperationsverträgen schwer in Einklang zu bringen sein. Die Lehrergewerkschaft GEW wendet sich entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und Fortbildung, wie sie in den Kooperationsabkommen zwischen Kultusministerien und Bundeswehr deutlich werden.
In der Kooperationsvereinbarung ist ausdrücklich angemerkt, dass die Schulen frei sind in Bezug auf die Annahme oder Ablehnung der Angebote der Bundeswehr. Es ist vor diesem Hintergrund zu hoffen, dass zahlreiche Schulen sich für den Verzicht auf die Mitarbeit der Bundeswehr im Unterricht entscheiden. Denn, so Astrid Henke, Vorsitzende der GEW Schleswig-Holstein in einer Pressemitteilung von August 2021:
„Die politische Bildung in der Schule darf nicht Aufgabe der Bundeswehr sein. Das führt geradezu zwangsläufig zur Rechtfertigung von militärisch ausgerichteter Außen- und Sicherheitspolitik im Unterricht. Der Bildungsauftrag der Schule liegt in den Händen der Lehrerinnen und Lehrer. Und das ist auch gut so. Da gehört er hin. Die Bundeswehr brauchen wir dafür nicht.“
In Kiel ist für den 25. Februar 2022, 18 Uhr eine Informations- und Diskussionsveranstaltung per Video geplant. Die zunächst geplante Veranstaltung im Kieler Musiculum wurde wegen der Pandemieentwicklung abgesagt.
Benno Stahn, Kieler Friedensforum
Veranstaltungshinweis:
Brauchen Schulen einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr?
Freitag, 25. Februar 2022, 18 Uhr, Zoom-Veranstaltung
Diskussionsveranstaltung mit
• Michael Schulze von Glasser, Publizist
• Astrid Henke, GEW S-H
• Linus Wirwoll, Landesschüler*innenvertretung Gymnasien
•Dr. Horst Leps, Hamburg, Lehrbeauftragter a.D. für Politikdidaktik an der Uni Hamburg
Eine Anmeldung ist erforderlich, bei Sabine Mordhorst, DGB Kiel Region: sabine.mordhorst@dgb.de
Unterstützer: DGB Kiel Region, Attac Kiel, GEW, IPPNW, Kieler Friedensforum, Friedensforum Neumünster, Zusammenarbeitsausschuss der Friedensbewegung in S-H
Protestaktion beim Werbetruck der Bundeswehr auf der Kieler Woche 2016:
„Kein Werben fürs Sterben“. Foto: Ulf Stephan /r-mediabase.eu
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Kieler Wohnungspolitik:
Ein sozialpolitisches Desaster
In einem Referat stellte Andreas Meyer am 12.1.2022 auf einer online-Veranstaltung von Attac Kiel die Kieler Entwicklung des Wohnungsbaus und der Mieten unter sozialpolitischen Aspekten dar. Dabei geht er auf Strukturdaten, aktuelle Bauvorhaben und besonders auf die Entwicklung des soziale Wohnungsbaus ein. Abschließend werden die Forderungen des Kieler Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum benannt. Andreas ist Vertreter von Attac in diesem Bündnis und war über Jahre der Sprecher des Bündnisses.
Bild: Weißer Riese: Wohnungsbau in Mettenhof. Foto: Andreas Meyer
Referat: Kieler Wohnungspolitik, ein sozialpolitisches Desaster
Blickt man auf die Kieler Wohnungspolitik, so zeigt sich, dass schon seit Jahrzehnten von einer sozial orientierten Wohnungspolitik nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil, es gibt einen eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnraum, besonders im Bereich der Sozialwohnungen. Die Mieten steigen erheblich und die Zahl der Wohnungslosen ebenfalls. Bevor ich darauf weiter eingehe, möchte ich zunächst einige Strukturdaten der Kieler Stadtentwicklung benennen.
Strukturdaten
Kiel hat aktuell 247.836 Einwohner*innen. Obwohl man noch vor drei Jahren davon ausgegangen war, dass die Einwohnerzahl steigt, ist sie in den letzten Jahren leicht gesunken. Das wird u. a. darauf zurückgeführt, dass zunehmend Familien mit Kindern in das Umland ausweichen, weil dort die Mietpreise, aber auch die Boden-und Baupreise vergleichsweise niedriger sind. Natürlich ziehen die Preise infolge dieser Abwanderung auch hier an.
Nach dem Sozialbericht von 2016 wohnen 67 Prozent der Kieler*innen zur Miete und 33 Prozent in Privatwohnungen bzw. in Privathäusern. An dieser Verteilung hat sich bis heute sicher nichts grundlegend geändert.
Ein besonderes Problem hinsichtlich des Wohnungsbedarfs ist der hohe Anteil der Einpersonenhaushalte. Rund 57 Prozent der Kieler*innen leben in Einpersonenhaushalten. Dagegen haben Paare und Familien mit Kindern nur einen Anteil von 34 Prozent. Diese Werte sind auf den hohen Anteil von Student*innen, die demographische Entwicklung und die beschriebene Ausweichtendenz von Familien in das Umland zurückzuführen.
Hinsichtlich der sozialen Verteilung der Kieler*innen auf städtische Wohngebiete nach niedrigem Einkommen, Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund gibt es eine erhebliche Konzentration auf die Stadtgebiete Gaarden und Mettenhof.
Während zum Beispiel in Kiel insgesamt der Anteil der Menschen mit Hartz IV Bezug 2018 bei 17 Prozent lag, lag er in Gaarden und Mettenhof bei über 40 Prozent. Die Kinderarmut in diesen Stadtteilen fiel mit rund 60 Prozent doppelt so hoch aus, wie im Kieler Durchschnitt. Auch der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund war mit über 50 Prozent doppelt so hoch wie durchschnittlich in den anderen Stadtteilen. Mit einer derart starken räumlichen sozialen Spaltung schneidet Kiel nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung im Vergleich zu 7 Großstädten am schlechtesten ab.
Bild: Obdachlosigkeit in Kiel. Foto: Andreas Meyer
Wohnungspolitik in Kiel
Für den eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist in erster Linie die Kieler Wohnungspolitik verantwortlich. So fehlten nach einer Studie der Böckler Stiftung 2018 für 24.000 Haushalte, die mit weniger als einem mittleren Einkommen auskommen müssen, bezahlbare Wohnungen.
Insgesamt schneidet Kiel mit seiner Wohnungsbautätigkeit im Bundesschnitt schlecht ab. So lag 2019 der Anteil der Wohnungen in neueren Gebäuden mit Baujahr ab 2000 in Kiel bei 5 Prozent, während der Durchschnitt im Bundesgebiet 17 Prozent beträgt. Also über das dreifache.
Der Mangel an Wohnungen führt u.a. auch zu dem skandalösen Zustand, so dass in Kiel inzwischen über 2.000 Menschen wohnungslos sind. Sie leben ohne eigenen Mietvertrag bei Bekannten oder Familienangehörigen auf der Couch, in Sammelunterkünften, in von der Stadt Kiel angemieteten Hotelzimmern oder auf der Straße.
Darüber hinaus haben ständige Mietpreissteigerungen auch für große Teile der Bevölkerung bezahlbaren Wohnraum deutlich verknappt. Das gilt besonders für Neuvermietungen.
Nach dem offiziellen Mietspiegel der Stadt Kiel sind allein in den letzten 2 Jahren die Mieten im Schnitt um 12 Prozent gestiegen. Wenn man bedenkt, dass die Mietkosten einen erheblichen Anteil an den Einkommen ausmachen, ergibt sich daraus eine Senkung der Realeinkommen. Denn die Einkommen sind im Schnitt in den letzten zwei Jahren bei weitem nicht um 12 Prozent gestiegen. Rechnet man die Explosion der Heiz- und Stromkosten hinzu, wird die Schere zwischen steigenden Mietbelastungen und der Einkommensentwicklung noch dramatischer. Dass das besonders Menschen mit einem niedrigen und mittleren Einkommen belastet, ist klar. Etwa 40.000 Haushalte haben nach Abzug der Mietzahlungen nur noch ein Resteinkommen, das unterhalb der Hartz IV Regelsätze liegt. (Studie des Pestel Instituts )
Die hier beschriebene Situation wird sich sicher durch die rege Bautätigkeit in der Innenstadt nicht wesentlich verändern. Die schicken Neubauquartiere am Schloss, an der alten Feuerwache, am Anscharpark oder die geplanten an der Hörn und am Posthof sind nicht für das Portemonnaie von Durchschnittsverdienern gedacht. Laut einer Recherche des NDR waren 2018 nur 2 Prozent aller seit 2000 in Kiel neu gebauten Wohnungen mit einem Durchschnittseinkommen bezahlbar.
An diesem Missverhältnis wird sich bei den geplanten Bauvorhaben seit 2018 nichts ändern. Als bezahlbar gilt eine Mietbelastung von maximal 30 Prozent des Nettoeinkommens.
Besonders dramatisch sieht der Mangel im Bereich des geförderten bzw. sozialen Wohnungsbaus aus. So schrumpfte der Bestand von Sozialwohnungen in Kiel seit den 80er Jahren von 90.000 Wohnungen auf heute 3.424 Wohnungen. Diese skandalöse Entwicklung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:
Die Stadt Kiel verscherbelte 1999 die 11.000 Wohnungen ihrer Kommunalen Wohnungsgesellschaft KWG an die Aktiengesellschaft WCM zu einem Preis von sage und schreibe 250 Millionen DM. Daraus ergibt sich ein Durchschnittspreis von rund 22.700 DM pro Wohnung. Die meisten dieser Wohnungen sind letztlich bei Vonovia gelandet. Dieser Konzern besitzt in Kiel inzwischen 15.000 Wohnungen. Große Bestände davon in Gaarden und Mettenhof.
Ein weiterer Faktor für die sehr negative Entwicklung im Bestand der sozialen Wohnungen besteht darin, dass ein hoher Anteil seit den 80ger Jahren aus der Sozialbindung gefallen ist, ohne dass dieser Bestand durch den kommunalen Ankauf von Sozialbindungen oder durch Neubauprojekte kompensiert wurde.
Obwohl diese Entwicklungen langfristig absehbar waren, wurde in Kiel wohnungspolitisch nichts unternommen, um sie aufzuhalten. Im Gegenteil, sie wurde durch den besagten Verkauf der städtischen Wohnungen noch befördert und verschlechterte sich jährlich.
Inzwischen hat die Stadt Kiel eine kommunale Wohnungsgesellschaft gegründet. Sie hat zum Ziel, bis 2030 1.000 Wohnungen zu besitzen. Die Endausbaustufe soll bei 4.000 liegen.
Bedenkt man, dass die Stadt mit der KWG einst 11.000 Wohnungen besaß, ist das ein äußerst bescheidener Beitrag für mehr bezahlbaren Wohnraum, und er reicht bei weitem nicht, den Mangel an sozialen Wohnungen zu beheben und schon gar nicht, um auf die Mietpreisentwicklung am Wohnungsmarkt Einfluss zu nehmen.
Daher fordert das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum, der DGB, der Kieler Mieterverein und die LINKE einen Wohnungsbestand der KiWoG von mindestens 15.000 Wohnungen in der Endausbaustufe.
Ein weiteres Instrument für die Bestandserhöhung sozialer Wohnungen ist eine Quotierung über die Bebauungsplanung. So hat die Stadt 2018 endlich beschlossen, künftig bei Baugebieten über den Bebauungsplan eine Quote von 30 Prozent für geförderten Wohnraum festzulegen. Das bedeutet, dass entweder durch kommunalen Wohnungsbau oder durch Auflagen für private Investoren diese Quote erreicht werden muss. Obwohl auch sie nicht reicht, den Mangel an sozialen Wohnraum zu beheben (Norderstedt und Hamburg haben z. B. eine von 50 Prozent), wird sie bei manchen Projekten nicht einmal eingehalten.
Dazu möchte ich auf ein Beispiel verweisen, das geradezu typisch für das Problem ist, auf dem sog. freien Wohnungsmarkt bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Am Südufer der Hörn, einem sog. Filetstück, errichtet eine private Investorengemeinschaft ein Wohnprojekt für 294 Wohnungen. Ursprünglich war auch für diese Projekt eine Quote von 30 Prozent geförderter Wohnungen vorgesehen.
Nach Aussagen von Frau Grondke, Dezernentin für Stadtentwicklung, „stand es Spitz auf Knopf, ob das Projekt überhaupt entwickelt werden kann“. Denn die langjährige Besitzerin des Grundstücks für dieses Projekt, Schmid-Sindram, verlangte dafür einen so hohen Preis, für den sich angeblich schwer ein Investor finden ließ.
Vor diesem Hintergrund erpresste die Investorengruppe die Stadt Kiel, von der 30 Prozent Quote Abstand zu nehmen, und die Stadt knickte ein. Die Investoren drohten nämlich damit, anderenfalls nicht zu investieren. So wird es auf dem Gelände nicht eine Sozialwohnung geben. An diesem Beispiel wird deutlich, wie Bodenspekulation, die Marktmacht von finanzstarken Investoren und das Einknicken bzw. die Erpressbarkeit von Kommunalpolitik zusammenfallen.
Bild: Gehobene Preisklasse: Wohnungen im Schlossquartier am Kleinen Kiel. Foto: Andreas Meyer
Insgesamt verfehlt die Stadt im Baugebiet an der Hörn ihr Ziel von 30 Prozent sozialem Wohnungsbau bei Weitem. Nach Aussagen von der Stadtbaurätin Grondke werden an der Hörn von den 1.500 geplanten Wohnungen letztlich nur knapp 15 Prozent geförderter Wohnraum sein. Die Ironie an der Geschichte ist, dass zwei Baufelder der Stadt gehören. Sie sind für eine Quartiersgarage und für gewerbliche Nutzung vorgesehen.
Die Verteidigung der Stadtbaurätin, dass einige Baugenehmigungen vor dem Ratsbeschluss hinsichtlich der 30 Prozentquote erteilt wurde, erscheint nicht stichhaltig.
Erstens kam dieser Beschluss von 2018 im Vergleich zu anderen Großstädten sehr spät (auch hier musste die Mehrheitskoalition zum Jagen getragen werden).
Zweitens hätte man die fehlenden Sozialwohnungen auf besagten Grundstücken durch eine erhöhte auf anderen Grundstücken mindestens ansatzweise kompensieren können.
Die Entwicklung der Bodenpreise und der Bodenspekulation werden besonders für die Innenstadt durch einen erheblichen Mangel an Bauland angeheizt. Die Preise haben sich in den letzten Jahren in diesem Bereich mehr als verdoppelt. Für diesen horrenden Profitaufschlag haben die Eigentümer nichts getan. Sie verdienen ausschließlich durch die Lage der Grundstücke, den Grundstücksmangel und an der von der Kommune geleisteten infrastrukturellen Anbindung. Das ist aus meiner Sicht ein Skandal.
Ohne einen gesetzlichen Eingriff in diese Spekulationsmöglichkeiten wird die Schaffung bezahlbaren Wohnraums in Innenstadtlagen fast unmöglich, oder sehr teuer – es sei denn, die Stadt besitzt den Boden.
Damit kommen wir zu einem geplanten Großbauprojekt der Stadt Kiel. Es handelt sich um das sog. MFG5-Gelände in Holtenau-Ost mit bevorzugter Wasserlage. Hier sollen auf einem 70 Hektar großen Grundstück c.a. 1.800 Wohnungen gebaut werden mit einem geplanten Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen. Das Grundstück hat die Stadt Kiel von der Bundeswehr gekauft, und es befindet sich heute insgesamt im Besitz der Stadt. Hier bestünde also gut die Möglichkeit, den beschriebenen Mangel an Sozialwohnungen mit einer 50 Prozent Quote bzw. 900 Wohnungen etwas zu mildern.
Wann die ersten Bagger anrollen, kann die Stadt nicht prognostizieren, vermutlich erst Ende dieses Jahrzehnts. Doch da die entscheidenden Planungen bis hin zur Bebauungsplanung in den kommenden Jahren erfolgen, ist es schon jetzt wichtig, politisch Einfluss darauf zu nehmen.
Ein weiteres Großbauprojekt, das allerdings in noch weiterer Ferne liegt, ist für den Kieler Süden zwischen Moorsee und Meimersdorf geplant. Hier sollen 1.600 Wohnungen in Doppel- und Reihenhaushälften entstehen und 900 im Geschossbau.
In Suchsdorf Süd sind weiterhin 44 Wohneinheiten in Form von 8 Doppel- und 18 Reihenhäusern sowie 18 Geschosswohnungen geplant.
Diese Projekte dienen in erster Linie Familien mit einem guten Einkommen. Ein großer Anteil davon wird aus Eigenheimen und Eigentumswohnungen bestehen. Sie liegen noch in weiter Ferne und werden den Mangel an bezahlbaren Wohnraum kaum reduzieren.
Fazit
Die Kieler Wohnungspolitik hat seit Jahrzehnten unter sozialpolitischen Aspekten völlig versagt. Es gibt einen eklatanten Mangel an bezahlbaren und sozialen Wohnungen. Die Bautätigkeit beschränkte sich weitgehend auf teure Miet- und Eigentumswohnungen. Die soziale Segregation nach Stadtteilen ist im Vergleich zu anderen Großstädten besonders hoch. Selbst hinsichtlich der gesamten Neubautätigkeit hinkt Kiel im Vergleich hinterher. Eine Folge dieser Politik sind über 2.000 wohnungslose Menschen.
Natürlich gibt es die beschriebene Problematik in vielen Großstädten, und in den Metropolen ist sie noch heftiger. Dennoch ist festzuhalten, dass die Kieler Wohnungspolitik sozialpolitisch besonders schlecht darauf reagiert hat.
Da diese Politik schon seit Jahrzehnten (bis auf die Ausnahme einer Legislaturperiode) von der SPD und in den letzten Jahren auch von den GRÜNEN zu verantworten ist, sind wesentliche sozialpolitische Veränderungen im Bereich der Wohnungspolitik nur durch eine erheblichen politischen Druck von außen möglich. Aus ähnlichen Erfahrungen haben sich in zahlreichen Städten Initiativen gegründet, die für bezahlbaren Wohnraum kämpfen. Dazu gehört auch das Kieler Bündnis für bezahlbaren Wohnraum.
Wie erfolgreich solche Bewegungen sein können, zeigte der Volksentscheid in Berlin, der die Enteignung von Wohnungsgesellschaften mit einem Bestand von mehr als 3.000 Wohnungen forderte. Dieser Forderung schlossen sich in der Abstimmung 56,3 Prozent der Berliner*innen an.
Selbst wenn es der SPD mit der Bürgermeisterin Giffey gelingen sollte, dieses Ergebnis auszubremsen, ist es doch ein ungeheurer Erfolg der Berliner Initiativen, auf die Macht der Wohnungskonzerne hingewiesen zu haben und den Begriff Enteignung in diesem Zusammenhang aus der Tabuzone geholt zu haben.
Forderungen
Das Kieler Bündnis für bezahlbaren Wohnraum hat seine grundsätzlichen Forderungen an die Politik in einer Erklärung niedergelegt. Die Mitgliedschaft im Bündnis setzt setzt die Zustimmung zu diesem Grundsatzpapier voraus. Die Erklärung ist im Konsens von 22 Mitgliedsorganisationen und Einzelmitgliedern erarbeitet worden. Es würde hier zu weit führen, dieses Papier in Gänze vorzustellen. Wer sich dafür und für die Arbeit des Bündnisses interessiert, kann sich auf unserer ausführlichen Website unter www.bezahlbar-wohnen.org informieren.
Hier möchte ich nur auf einige Kernforderungen aus der Erklärung hinweisen.
Dabei sind die Forderungen, je nach Zuständigkeit, an Bund, Länder und die Kommune adressiert:
• Wir fordern eine erhebliche Erweiterung des Bestands an sozialen Wohnungen durch eine verbindliche 50 Prozent-Quote in der Bebauungsplanung bei Neubauprojekten.
• Die Übernahme auslaufender Sozialbindungen und den Verzicht auf deren zeitliche Begrenzung in der Zukunft. Letzteres ist eine Forderung an den Bundesgesetzgeber.
• Erweiterung der geplanten Wohnungskapazität der KiWoG von 4.000 Wohnungen auf 15.000 Wohnungen.
• Beseitigung der Wohnungslosigkeit durch ein „Housing-first“-Konzept. Das sieht den Anspruch jedes/jeder Wohnungslosen auf eine Wohnung vor, denn eine Wohnung ist die Voraussetzung auf ein menschenwürdiges Leben. Somit muss die Sicherung einer Wohnung voraussetzungslos sein. Dieses Konzept wird bereits in Finnland erfolgreich erprobt und von den meisten Obdachlosenverbänden wie z. B. Hempels (eine Mitgliedsorganisation) in Kiel vertreten.
• Wohnungsbauflächen von Bund, Ländern und Gemeinden dürfen nur noch an öffentliche Bauträger vergeben werden. Den Verkauf öffentlichen Baulands an private Investoren lehnen wir ab. Für gemeinnützige Wohnungsgesellschaften oder auch alternative soziale Bauprojekte mit einer Gemeinnützigkeitsorientierung sollte öffentliches Bauland im Erbpachtverfahren vergeben werden.
• Deckelung der Mieten durch die Einführung einer Mietobergrenze. Für eine solche Regelung müsste den Ländern und Kommunen durch eine Bundesgesetzgebung die Möglichkeit eröffnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit dem geplanten Berliner Mietpreisdeckel entschieden, dass das nach geltender Rechtslage nicht in der Kompetenz der Länder und Kommunen liegt.
• Realistische Anpassung der Mietobergrenze für ALG II Bezieher*innen an die kommunale Mietpreisentwicklung. Wenn es in einer Region zu der Mietobergrenze keine verfügbaren Wohnungen gibt, muss der volle Mietpreis übernommen werden. Es darf nicht zu Zwangsräumungen infolge von Mieterhöhungen kommen. Der Staat finanziert damit zwar Mieterhöhungen, aber die Verdrängung einkommensschwacher Mieter*innen aus ihren Wohnungen ist keine Alternative. Hier wird besonders deutlich, wie wichtig es ist, den Bestand an kommunalen Wohnungen deutlich zu erhöhen.
• Verstärkter Ausbau öffentlicher studentischer Wohneinrichtungen
Andreas Meyer
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Gewerbegebiet Boelckestraße Nord:
Natur zerstört – Gewerbefläche liegt brach
Das Gewerbegebiet Boeckestraße Nord/„Groß Hasselrod“ liegt immer noch brach. Für 4,5 Mio. Euro hatte die Stadt Kiel 2020 eine 7,9 ha große Fläche zum Teil als zukünftiges Gewerbegebiet erschlossen, mit 50 % Förderung durch Bund und Land. Die Fläche gehört zur schleswig-holsteinischen Knicklandschaft mit erheblichem Umfang allgemeiner Bedeutung für den Naturschutz und grenzt an ein Landschaftsschutzgebiet im Norden.
Bezüglich der Entscheidung zwischen gewerblicher Nutzung und Naturzerstörung heißt es in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 910: „In Abwägung zwischen den umweltbezogenen Belangen und den öffentlichen und privaten Belangen werden die Belange der Wirtschaft und die Auswirkungen auf die Gesamtstadt (vordringlich Belange der Arbeitsplatzschaffung/-erhaltung, Ausbildung) höher gewichtet.“
Bild: 7,9 ha erschlossenes Gewerbegebiet Boelckestraße Nord – Naturzerstörung für gewerbliche Nutzung – im Dezember 2021 Brachland.
Die BUND Kreisgruppe Kiel und die NABU Ortsgruppe Kiel forderten 2017 einen Stopp des Bauleitverfahrens für das derzeit 9,1 ha große geplante Gewerbegebiet „Boelckestraße Nord“ und stattdessen die Umsetzung auf dem Flughafengelände zu forcieren. Die Stellungnahme wurde zur Kenntnis genommen und dann am 26.10.2017 auf der Ratsversammlung die Umsetzung beschlossen. Wir berichteten und dokumentierten mit Landschaftsbildern in der Ausgabe der LinX 06-2020: „Insgesamt ergibt sich ein Kompensationsbedarf von 31.260 m2 Neuschaffung von Grünland, 760 lfm Ersatzknick, 55 Ersatzbaumpflanzungen und 30.099 m2 Umwandlung extensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen in Grünland. Ausgleichsmaßnahmen sind zugesichert und einzeln beschrieben. Wer kontrolliert das?“
Eine Kleine Anfrage des Ratsherrn Burkhardt Gernhuber (Ratsfraktion DIE LINKE) vom 21.1.2021, mit der Frage, wieviel Fläche bereits an Gewerbeunternehmen vergeben wurde, antwortete der Kieler Oberbürgermeister, dass bisher nur ca. 25% der Gewerbefläche verkauft sind. Nachdem Ende Oktober 2020 die Erschließungsarbeiten abgeschlossen waren, sind 14.800 m2 für 1.270.000 Euro verscherbelt worden (ca. 85 Euro pro m2). Das Geld geht in die Refinanzierung. Es ist eine Gewerbe-Neuansiedelung dabei, die angeblich 50 Arbeitsplätze in Kiel schaffen will. Das Interesse an den Grundstücken sei groß. Der städtische Eigenbetrieb KiWi steht mit fünf Unternehmern im Kauf-Gespräch, während es ca. 20 weitere Interessenten gäbe.
Bisher ist nur ein Teil des historischen Landschaftgeländes Boelckestraße Nord für die Gewerbenutzung erschlossen. Noch besteht die Möglichkeit diesen Gewerbewahn zu stoppen. Es sind genügend ungenutzte Gewerbeflächen vorhanden.
Während es bereits einen Beschluss der Stadt Kiel gibt, dass vorrangig die brachliegenden Flächen auf dem Flughafengelände bereitgestellt werden sollen, steht jetzt auch das ehemalige MFG 5-Gelände/neuer Stadtteil „Holtenau Ost“, mit reichlich Gewerbeflächen in der Planung, die mit geringem Aufwand bereitgestellt werden könnten. Zusätzlich gibt es immer mehr Platz auf dem Friedrichsorter Gewerbegebiet rund um Caterpillar (siehe Kasten).
Immerhin hat DIE LINKE am 1.12.2021 im Wirtschaftsausschuss erreicht, dass der Bebauungsplan Nr. 1022 „Boelckestraße Süd“ geändert wird und damit ein kleines Stück Naturland, angrenzend an den Flughafen, erhalten bleibt. „Eine ökologische Aufwertung und die entsprechende Pflege als arten- und strukturreiches Dauergrünland sind vorzunehmen.“ heißt es im Beschluss.
Ein kleiner Anfang! Das Gelände Boelckestraße Nord muss wieder renaturiert werden! Keine weitere Naturvernichtung durch Gewerbeflächen!
Bebauungsplan Nr. 910 des Gewerbegebietes Boelckestraße-Nord. Bisher wurden nur die Teilgebiete 3 und 4 erschlossen sowie das Regenrückhaltebecken gebaut.
(uws)
Stadt Kiel kauft Gewerbegebiet Kiel-Friedrichsort
Die Kleine Anfrage des Ratsherrn Burkhardt Gernhuber (Ratsfraktion DIE LINKE) vom 21.1.2021 (Drs. 0031/2021) brachte auch noch interessante Informationen über die Zukunft des Gewerbegebietes Kiel-Friedrichsort zutage.
Frage: Welche Änderungen der Flächennutzung hat es in den vergangenen zehn Jahren im benachbarten Gewerbegebiet Kiel-Friedrichsort gegeben und wie viele Flächen sind dort aktuell zu vergeben?
Antwort der Stadt Kiel:
Das Gewerbe- und Industriegebiet Friedrichsort befand sich in den letzten zehn Jahren im Eigentum eines privaten Grundstückseigentümers, der die darauf befindlichen Hallen- und Bürogebäude an mehrere Großmieter wie z.B. Vossloh Locomotives, Caterpillar & McPack langfristig vermietet hat. Der Hauptmieter Vossloh Locomotives hat den Standort 2017 verlassen und hat einen neuen Produktionsstandort in Kiel-Suchsdorf bezogen. Dementsprechend standen zunächst mehrere Hallen auf dem Grundstück leer. In der Folgezeit konnte der private Eigentümer in einem deutlich kleinteiligeren Maßstab allerdings wieder Hallenteile neu vermieten. Gleichzeitig haben die LH Kiel und die KiWi Gespräche mit dem privaten Eigentümer zum Ankauf des Gewerbe- und Industriegebietes aufgenommen mit dem Ziel, dieses vollständig zu revitalisieren, zukunftsfähig herzurichten und einen modernen Gewerbestandort in Friedrichsort mit Strandlage zu schaffen. Der Kaufvertrag wurde Ende 2019 geschlossen. Die Besitzübergabe an die LH Kiel erfolgte zum 1.1.2020. Um die Interimszeit bis zum Beginn der Erschließungsarbeiten sinnvoll gewerblich zu nutzen und durch die Vermietung Einnahmen zur Refinanzierung der Erschließungsarbeiten zu generieren, hat die LH Kiel mehrere Hallen in unterschiedlichen Größenordnungen mit kurzen Laufzeiten an Unternehmen vermietet. Zusätzlich zu den oben genannten Unternehmen Caterpillar & McPack, die immer noch am Standort sind, haben z.B. die Unternehmen Dataport, Thyssen Krupp Marine Systems und der Bahndienstleister LKM Hallen- und Büroflächen angemietet. Der Fokus liegt auch künftig auf einer gewerblich-industriellen Nutzung.
Die LH Kiel beabsichtigt, das Gesamtareal komplett neu zu erschließen. Die hierfür erforderlichen (Vor-)Planungen laufen derzeit. Aufgrund des laufenden Planungsprozesses stehen die endgültig benötigten Erschließungstrassen und der Flächenbedarf für öffentliche Einrichtungen sowie die Entscheidung, welche Hallen aufgrund eines schlechten baulichen Zustandes abgerissen werden sollen und welche erhalten werden, noch nicht fest. Insofern werden weder die KiWi noch die LHK bis zum Abschluss der Baumaßnahmen Flächen vermarkten bzw. verkaufen. Kurzfristige Anmietungen mit kurzen Kündigungsfristen sind allerdings möglich, da die dann bestehende Flexibilität den Erschließungsprozess der LH Kiel positiv unterstützen kann. (LH Kiel, Dr. Ulf Kämpfer, Oberbürgermeister)
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Kommentar
Sozialer Wohnungsbau oder Investorenparadies?
Der neue Stadtteil Holtenau-Ost (ehem. MFG 5) soll jetzt entwickelt werden. Das ehemalige Militärgelände wurde für 30 Mio. von der Stadt gekauft und es soll eine Mischung aus Freizeit, Wohnen und Gewerbe entstehen. Viele Menschen aus den umliegenden Stadtteilen nutzen es schon gerne für die Naherholung am Wasser. In den ehemaligen Kasernen sind viele Flüchtlinge untergebracht. Ob sie dort wohnen bleiben dürfen, wenn in ein paar Jahren dort für 5.000 Menschen eine Wohnung gebaut wird? Die Stadt Kiel hat versprochen, dass ein baulich hochwertiges Quartier mit 30 Prozent geförderten Wohnraum entstehen soll. Solche Versprechungen gibt es immer wieder von der Stadt Kiel, wenn es um bezahlbaren Wohnraum geht. Mit der neuen eigenen Wohnungsbaugesellschaft Kiwog will sie selber Geld in die Hand nehmen und bauen. Hier gibt es die einzigartige Möglichkeit günstigen Wohnraum zu schaffen. Leider sind die Erfahrungen aus der Vergangenheit bei den Stadtplanungsprojekten sehr schlecht. Mehrfach gab es Bürgerbeteiligung und tolle Baupläne aus städtebaulichen Wettbewerben, aber dann kamen die privaten Investoren und alles wurde wieder über den Haufen geschmissen. Zuletzt beim sog. Schlossquartier. Trotz guter Vorschläge durch Stadt und Bürger kam dann plötzlich eine Investorengesellschaft und baute teuerste Wohnungen und einen Kaufhauskomplex rund um den Alten Markt und realisierte höchstmietige Wohnklötze bis zum Schloss. Die Rendite ist gesichert. Oder die ehem. Planungen an der Hörn. Auch hier sollte ursprünglich Wohnen am Wasser mit viel Grün realisiert werden. Aber schließlich gingen dort die waghalsigsten Investoren mit ihren Hochbauten in die Insolvenz. Jetzt viele Jahre später wird nur noch in Büropaläste investiert, von sozialem Wohnungsbau ist nicht viel übrig geblieben. Gaardener können sich das dort jedenfalls nicht leisten. Jetzt schreien schon IHK und der Eigentümerverband Haus & Grund, dass die Investoren und Gewerbe auf dem neuen Holtenauer Quartier zu kurz kommen würden. Da brauchen sie sich eigentlich keine Sorgen machen, denn die Stadt Kiel hat ohnehin kein Geld um selber zu bauen. Die Investoren sind ganz schnell da, zumal es um eines der lukrativsten Standorte an der Kieler Förde geht. Nicht umsonst wird davon ausgegangen, dass der Tonnenhof umgesiedelt wird, um dort den Bau von Luxuswohnungen fortzusetzen, wie jetzt schon beim Holtenauer Schwimmbad. (uws)
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