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1. Mai 2020 in Kiel:
Krise? Nicht auf unsere Kosten!
Handgezählte 50 genehmigte Teilnehmer*innen plus etwa 200 solidarische Zuschauer*innen versammelten sich am Freitagmittag bei durchwachsenem Wetter zur 1. Mai-Bündniskundgebung am internationalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse unter dem Motto: Krise? Nicht auf unsere Kosten! – 1. Mai Kundgebung Kiel auf dem Platz der Matrosen am Hauptbahnhof. Die eineinhalbstündige Aktion, die als Reaktion auf die bedauerliche Komplettabsage der traditionellen Gewerkschaftsdemo in diesem Jahr kurzfristig von linken Gruppen und Organisationen initiiert wurde, wurde in Zeiten der Corona-Pandemie unter Einhaltung der Abstandsmaßgaben durchgeführt, die Teilnehmer*innen trugen zudem Mundschutze. Einige Teilnehmer*innen nutzten den Weg zur Kundgebung zudem zum politischen Ausdruck als kleine Fahraddemo oder Autokorso.
Der inhaltliche Charakter der Kundgebung war klar antikapitalistisch. In Redebeiträgen der SDAJ Kiel, von Perspektive Solidarität Kiel (PSK), der Linksjugend Solid Kiel, der DKP Kiel, des Roten Kollektiv Kiel, der Roten Hilfe, von DIDF sowie von Gaarden solidarisch gegen Corona – Das Solidaritäts- und Hilfsnetzwerk wurde z.B. zum Widerstand gegen die zu erwartenden Angriffe auf die Lohnabhängigen nach Corona, zur Verteidigung der außer Kraft gesetzten Grundrechte und zur Alltagssolidarität aufgerufen, die Evakuierung der Geflüchtetenlager an den EU-Außengrenzen und die Vergesellschaftung des Pflege- und Gesundheitssektors gefordert. Einigkeit bestand auch darin, dass die Corona-Krise einmal mehr den menschenverachtenden Charakter des Kapitalismus unter Beweis stellt, der die Herbeiführung sozialistischer Gesellschaftsmodelle nötiger denn je erscheinen lässt. Solange jedoch muss die Devise lauten: Die Reichen sollen die Krise bezahlen!
Im Anschluss führten einige Aktivist*innen vier weitere kleine Kundgebungen im Stadtteil Gaarden durch. Am Ernst-Busch-Platz, Alfons-Jonas-Platz, Vinetaplatz und in der Iltisstraße gab es Redebeiträge zu Wohnraum, Pflege, Arbeit und der Situation von Geflüchteten in der Corona-Krise. Desweiteren wurde Gaarden solidarisch gegen Corona und die Mieter*inneninitiative Mietwucher vorgestellt sowie zur Krachmachen-Aktion gegen die Abwälzung der Krisenlasten von oben nach unten am selben Abend mobilisiert.
An dieser beteiligten sich pünktlich um 19.55 Uhr zahlreiche Menschen an Fenstern, auf Balkonen, auf der Straße und auf Häuserdächern. Insbesondere in der Iltisstraße und am Vinetaplatz wurde es einige Minuten mächtig laut: Raketen schossen in den Abendhimmel, Böller krachten, Kochtöpfe klimperten, die Internationale schallte durch die Straße, Fahnen wurden geschwenkt und sogar eine Querflöte konnte vernommen werden. Als alles schon vorbei war, kurvten ein paar Polizeigefährte irritiert durch den Stadtteil.
Die gestrigen Initiativen zum 1. Mai in Kiel haben abermals gezeigt, dass die verantwortungsvolle Durchführung von dringend nötigen politischen Demonstrationen auch im Ausnahmezustand möglich ist. Dem verlässlichen Zusammenspiel der beteiligten Strukturen ist es zu verdanken, dass der Ablauf reibungslos verlief und die inhaltliche Stoßrichtung dem Ernst der gesellschaftlichen Situation angemessen gewesen ist. Darauf sollte auch in den kommenden Wochen aufgebaut werden, um als gemeinsam agierende Linke auf die bevorstehenden massiven politischen und sozialen Herausforderungen vorbereitet zu sein.
„Damit ist die Situation vielleicht nicht offen, aber sie offenbart, dass der Kapitalismus immer weniger in der Lage ist; die eigenen Widersprüche zu vertuschen. Wenn Krankenhäuser schlecht ausgestattet sind, wenn Menschen trotz Lebensgefahr zur Arbeit müssen, während sich alle anderen zuhause isolieren sollen, wenn die gesellschaftserhaltenden Arbeiten am geringsten oder gar nicht entlohnt werden, zeigt sich deutlich, dass für dieses System die Profite und nicht Menschen zählen. Und damit offenbart sich auch, dass es ein anderes System braucht, in dem wir nicht zur Arbeit gehen müssen, wenn das zu Lasten der Gesundheit geht, in dem wir keine Miete zahlen müssen, wenn wir sie nicht haben, ein System in dem Care-Arbeit gleichmäßig auf alle Schultern verteilt ist und in dem wir keine Angst vor dem Alleinsein haben müssen. Vielleicht ist das Fenster der Möglichkeiten aktuell nicht offen, aber wir können genug Kraft entwickeln, um es einzuschlagen.“
(Perspektive Solidarität Kiel https://perspektive-solidaritaet.org)
Bündnisaufruf zum 1. Mai 2020:
Krise – nicht auf unsere Kosten!
ARBEIT. GRUNDRECHT. LEBEN. – SCHÜTZEN
KAPITALISMUS – ABSCHAFFEN
Seit Wochen befindet sich unser Leben im Ausnahmezustand. Um die Ausbreitung der tödlichen Covid19-Pandemie zu drosseln, sind weite Teile des sozialen Lebens bis auf Weiteres lahmgelegt, fundamentale Grundrechte eingeschränkt und Teilbereiche der Wirtschaft heruntergefahren. Der diesjährige 1. Mai, der internationale Kampftag aller Ausgebeuteten, fällt mitten in diesen weiter andauernden Shutdown. Und es ist höchste Zeit klarzustellen, wen die Corona-Krise schon jetzt am härtesten trifft und dass wir dies nicht widerstandslos hinnehmen werden.
Es sind 10 Stunden, die LKW-Fahrer*innen nun am Tag fahren sollen, 12 Stunden-Schichten für andere sogenannte systemrelevante Jobs, Pfleger*innen, die für eine nun unbegrenzte Zahl an Patient*innen zuständig sind, 450 Euro Jobber*innen, die ihre Jobs verlieren und die Menschen, die nun monatelang mit 60% ihres Gehaltes auskommen müssen, im Zweifelsfall ihre Schulden nicht zahlen können und ihre Wohnungen verlieren, während Wohnraumkonzerne wie z. B. Vonovia weiter Profite machen. Statt unsere Freund*innen und Familien unter angemessenen hygienischen Bestimmungen sehen zu können, dürfen wir nun wieder Shoppen gehen und Geld ausgeben, das bei vielen nicht mehr da ist. Währenddessen bleiben zigtausende Menschen unter lebensbedrohlichen Bedingungen in Geflüchtetenlagern und Sammelunterkünften eingepfercht und werden dort ihrem Schicksal überlassen.
Die besänftigenden Worte eines Gesundheitsminister Spahn, der betont, dass genügend Rücklagen für Milliardenhilfen an die Unternehmen vorhanden seien, klingen zynisch, wenn man nicht vergessen hat, dass diese durch das jahrelange Kaputtsparen der Gesundheits- und Sozialsysteme angesammelt wurden. Dies ist der eigentliche Grund, weshalb der medizinische Ausnahmezustand für viele erst zur existenziellen Krise wird. Eine Gesellschaft, in der die profitorientierte Wirtschaft über dem Wohl und den Bedürfnissen der Menschen steht, ist scheiße. Die Wirtschaft sollte für die Menschen funktionieren und nicht andersherum, um Profite für die Unternehmen abzusichern.
Trotz des Ausnahmezustands und gerade deshalb wollen wir am 1. Mai unter dem Motto „Krise – nicht auf unsere Kosten“ auf die Straße gehen. Schon jetzt werden die Weichen gestellt, wie die immensen Krisenlasten in Folge der Corona-Pandemie umverteilt werden sollen: Von oben nach unten, von Nord nach Süd. Deshalb können auch wir nicht abwarten, uns dagegen zu organisieren und klarzustellen: Die Krise sollen diejenigen bezahlen, die in den letzten Jahren von dem kapitalistischen Irrsinn profitiert haben, der nun unsere Gesundheit gefährdet und uns abermals in die Krise stürzt.
Das können wir allerdings nicht von zuhause aus, dazu müssen wir auf die Straße gehen: Demonstrieren ist unser Grundrecht, mit dem wir unseren Protest und unseren Widerstand deutlich machen. Gerade jetzt ist dies wichtiger denn je. Nicht nur am 1. Mai müssen wir uns vor den arbeitsrechtlichen Verschlechterungen schützen, genauso wie wir uns auf der Versammlung selbstverständlich gegenseitig gesundheitlich schützen müssen. Wir rufen euch dazu auf, euch unserer 1. Mai-Kundgebung anzuschließen und schon jetzt damit zu beginnen, auszuhandeln, wie unsere Welt nach Corona aussehen soll.
Heraus zum 1. Mai – die Reichen sollen die Krise bezahlen!
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8. Mai in Kiel:
Erinnern an den 75. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus
Der 8. Mai 2020, der 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, wurde in Kiel trotz aller corona-mäßigen Einschränkungen auch öffentlich begangen. Dazu hatte der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus sich zu dreierlei verabredet:
Um 16 Uhr fand eine Kranzniederlegung auf dem Gelände des bis 1945 von den Nazis betriebenen Zwangsarbeitslagers in Russee, dem von den Faschisten sogenannten „Arbeitserziehungslager Nordmark“, statt. Um 17 Uhr folgte eine Kundgebung auf dem Asmus-Bremer-Platz. Nach Beendigung der Kundgebung machten sich Zweiertrupps auf, um „Stolpersteine“, die an Opfer des Hitlerfaschismus erinnern, zu säubern.
Das Zwangsarbeitslager „AEL Nordmark“
Das Lager zwischen Rendsburger Landstraße und Speckenbeker Weg bestand bei Kriegsende aus 17 Baracken, in denen 1400 männliche, 400 weibliche Häftlinge und 250 Angehörige des Wachpersonals, das sich zum großen Teil aus Kieler Fremdarbeitern zusammensetzte, untergebracht waren. Außerdem gab es den „Bunker“, ein großes, fensterloses Gebäude mit 48 Einzelzellen, in denen Häftlinge unter kaum zu ertragenden Bedingungen eingesperrt waren.
Das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ war keine „geheime Reichssache“, von der nur wenige wussten. Viele Kieler sahen die Elendszüge der entkräfteten Häftlinge, wenn sie auf klappernden Holzschuhen in Richtung Werft oder Schlachthof marschierten. Zurück kamen sie oft mit einem oder mehreren Toten, die auf einem Lattengerüst, notdürftig zugedeckt, zurück ins Lager getragen wurden.
Als im Zweiten Weltkrieg die Alliierten im Frühjahr 1945 immer weiter auf deutschem Gebiet vordrangen, begann im „Arbeitserziehungslager“ (AEL) „Nordmark“ in Hassee die systematische Erschießung von Gefangenen. Das Register des Friedhofs Eichhof vermerkt für die Zeit vom 16. bis 26. April 119 Bestattungen von Opfern des AEL Nordmark, darunter über 60 Exekutierte. Viele von ihnen waren Mitglieder der Widerstandsgruppe „Scoor“. 1964 machte ein ehemaliger Wachmann des Lagers vor der Kieler Staatsanwaltschaft folgende Aussage:
„Eines Tages wurden über 60 Mitglieder der Widerstandsgruppen im Bunker zusammengefasst. ... Die Opfer wurden in kleinen Gruppen zu fünf oder sechs Häftlingen vom Bunker zum Leichenhaus ... geführt. ... Im Leichenhaus mussten sie sich restlos ausziehen. Ich hatte eine Liste, auf der sämtliche Namen der zu Erschießenden verzeichnet waren. Die Opfer wurden dann aus dem Leichenhaus nackt herausgeführt. ... Dann wurden die Opfer gezwungen, sich hinter dem Leichenhaus mit dem Kopf (Gesicht) nach unten auf die Erde zu legen. ...Wenn der betreffende Häftling auf der Erde lag, wurde er ... mit der Maschinenpistole hinterrücks erschossen. Das Opfer blieb dann liegen und wurde nicht etwa beseitigt. Es wurde dann der nächste Häftling herausgeführt und gezwungen, sich neben die soeben erschossenen Personen zu legen. Dann wurde auch dieser Häftling getötet. ... So ging es insgesamt 60 Mal. Zum Schluss lagen die Häftlinge in zwei Reihen nebeneinander.“ (Detlef Korte: „Erziehung“ ins Massengrab. Die Geschichte des „Arbeitserziehungslagers Nordmark“ Kiel Russee 1944-45, Veröffentlichung des Beirates für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein 10, Kiel,1991)
Die Arbeitserziehungslager sollten der Besserung „arbeitsunlustiger Elemente“ dienen. Genannte Gründe für die Einlieferung waren daher „Arbeitsbummelei“, „Arbeitsuntreue“, „Verstoß gegen die Arbeitsverträge“ und „Sabotage“.
Auch politisch Verdächtige waren im AEL. Hier ging es vor allem um die kommunistische Widerstandsgruppe „Scoor“. Bernhard Scoor, in Gaarden geboren, war im Maschinenamt der Stadt Kiel beschäftigt. Er knüpfte zu „Ostarbeitern“, vor allem zu sowjetischen Zwangsarbeitern, in verschiedenen Lagern Verbindungen. Geplant waren Anschläge beim Zurückweichen der deutschen Truppen. Scoor und weitere 150-200 Personen wurden im Oktober 1944 verhaftet, ins AEL Nordmark eingeliefert und kamen dort großteils im April 1945 um.
Die Haft war normaler Weise auf 56 Tage beschränkt. Während dieser Zeit war härteste Arbeit vorgesehen. Erwies sich der Häftling nach acht Wochen nicht als „erzogen“, erfolgte in der Regel die Einweisung in ein Konzentrationslager.
Die Inhaftierten wurden u. a. zum Bunkerbau und zur Trümmerräumung in der Stadt eingesetzt, wo sie unter Lebensgefahr Blindgänger beseitigen mussten. Manche Häftlinge wurden durch die Gestapo an Kieler Privatfirmen vermietet, z. B. arbeiteten sie bei der Holsten-Brauerei, in der Baufirma Ohle & Lovisa, der Nordland Fisch-Fabrik und im Rüstungsbetrieb Land- und See-Leichtbau GmbH.
Am 4. Mai 1945 befreiten britische Truppen das Lager. Sie fanden einige hundert Häftling im erbärmlichen Zustand vor und entdeckten die Massengräber. Die nackten oder halb nackten Leichen waren planlos übereinander gehäuft. Im Juni 1947 fand die britische Militärbehörde weitere 52 Skelette. Unweit dieser Stelle wurde bei Bauarbeiten 1962 ein weiteres Massengrab entdeckt.
Soweit die sterblichen Überreste der Lagerhäftlinge nicht in ihre Heimatländer oder auf andere Friedhöfe überführt wurden, wurden sie auf dem Friedhof Eichhof auf dem „Kriegs- und Bombenopferfeld der Landeshauptstadt Kiel“ in einem Sammelgrab zur letzten Ruhe gebettet.
Der Lagerkommandant Post und sein Stellvertreter Baumann wurden vom britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Hauptbeschuldigte für die Morde, der Kieler Gestapochef Fritz Schmidt, konnte erst 1963 verhaftet werden, da er untergetaucht war. Sein Verfahren wurde mangels Beweises eingestellt. (gst)
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Kiel:
Gegen Verschwörungsideologien, Querfront und Faschismus!
Etwa 50 Antifaschist*innen demonstrierten am Samstagnachmittag, den 9.5.2020 in der Kieler Innenstadt gegen eine die Corona-Pandemie verharmlosende Querfront-Allianz aus „Demokratischer Widerstand“ und „Widerstand 2020“. Ab 15 Uhr fand eine Kundgebung des „Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus“ auf dem Europaplatz statt.
Ein Großteil der Teilnehmer*innen begab sich nach einem kurzen Redebeitrag zum Asmus-Bremer-Platz, um dort gegen eine weitere rechtsoffene Mahnwache wegen der Corona-Maßnahmen zu protestieren. Bereits in den zwei Wochen zuvor hatte hier ein lokaler Ableger der durch die Berliner „Hygienedemos“ bekannt gewordenen Initiative „Demokratischer Widerstand“ Präsenz gezeigt. In dieser Woche schlossen sich zudem erstmals offiziell Anhänger*innen der in Niedersachsen gegründeten virtuellen Parteieninitiative „Widerstand 2020“ an, die z. B. als Veranstalter der verschwörungsideologischen Großdemos in Stuttgart fungiert. Kurz zuvor hatte bereits eine zumindest fragwürdige Kunstaktion mit ähnlichem Tenor am Asmus-Bremer-Platz stattgefunden.
Das bisher prägende Bild esoterischer Hippies, die auf Yoga-Matten meditieren, wurde entsprechend erweitert durch eine etwas kleinere Gruppe mittelalter, größtenteils männlicher Personen, die sich als dicht gedrängter Pulk daneben platzierte. Insgesamt beteiligten sich etwa 50 Menschen an der skurrilen Zusammenkunft. Der politische Ausdruck blieb weiterhin schwach: Es dominierten ein paar unkonkrete wie unproblematische Pappschilder gegen Grundrechtseinschränkungen, es wurde das Grundgesetz verteilt, aber auch verantwortungslose und im Kern sozialchauvinistische Forderungen wie „Gegen alle Corona-Maßnahmen“ wurden gezeigt. Vereinzelt nahmen Teilnehmer*innen auf Verschwörungsideologien Bezug, in ausliegenden Flugblättern wurden die Gefahren von Covid19 bagatellisiert. Offen antisemitische oder andere klar rechte Positionen wurden nicht zu Schau gestellt, mit der Parole „Gegen Faschismus“ bemühte man sich um formale Abgrenzung.
In diversen Diskussionen zwischen Mahnwachenteilnehmer*innen und Gegendemonstrant*innen offenbarte sich jedoch die gesamte Palette an unterschiedlichen Graden politischer Verwirrung und Verdorbenheit. Redebeiträge gab es nicht, das Absingen der Nationalhymne wurde erfolgreich durch lautstarke „Alerta antifascista“-Rufe abgebrochen.
Wenn auch in deutlich kleinerem Ausmaß als anderswo sehen sich Antifaschist*innen derzeit auch in Kiel mit den schwierigen Auswüchsen der rechtsoffenen Corona-Mobilisierung konfrontiert, die berechtigte Existenzängste und Unbehagen gegenüber den staatlichen Eingriffen in die Grundrechte mit Esoterik, verschwörungsideologischer Verblödung, neoliberalem Sozialchauvinismus und offen antisemitischer bis neofaschistischer Hetze verbindet. Rechte Akteure spielen bundesweit mittlerweile führende Rollen.
Die politische Antwort von links muss insofern zweigleisig agieren: Einerseits den Widerstand gegen die realen Folgen des Ausnahmezustands in Form des nächsten großen kapitalistischen Krisenschubs vorantreiben, sowie Grundrechte wie Versammlungsfreiheit verantwortungsvoll verteidigen. Andererseits darf es keine falschen Zugeständnisse geben, wenn solidarisches Handeln zum Schutze von gefährdeten Personen von Sozialchauvinist*innen negiert und bewusst angegriffen wird, wenn irrationaler Aberglaube diskursfähig wird, wenn Antisemitismus als legitime „Meinung“ gilt und wenn Faschist*innen mit- oder voranmarschieren.
Auch in den nächsten Wochen wird daher antifaschistischer Widerspruch nötig sein. Diesen gemeinsam den vereinigten „Corona-Skeptiker*innen“ entgegenzusetzen und politisch sinnvoll zu vermitteln, wird die Aufgabe aller Kieler Antifaschist*innen sein.
(Quelle: Revolutionsstadt Kiel,
https://de-de.facebook.com/RevolutionsstadtKiel/)
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Die Linke Kiel:
Mittagessen für arme Kinder vom Rat abgelehnt
Ratsfrau Svenja Bierwirth, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Ratsfraktion DIE LINKE, reagiert mit Unverständnis auf die Ablehnung beider Alternativanträge „Mittag trotz Corona“ in der gestrigen Sitzung der Ratsversammlung durch die Kooperation aus SPD, Grünen und FDP:
„Die Coronakrise stellt uns vor vielfältige Herausforderungen und natürlich sind momentan auch übergreifende und eher allgemeine Anträge wie der eigene Antrag der Kooperation ‚Solidarisch und innovativ in der Coronavirus-Krise ‘ notwendig. Genau aus diesem Grund haben wir den ja auch mitgetragen. Aber mindestens genauso wichtig ist es, das konkrete Handeln nicht zu vergessen!“
Die Ratsfraktion DIE LINKE hatte beantragt, ein Konzept zu entwickeln und umzusetzen, um Kinder, die sonst in Schule oder Kita zu Mittag essen, auch während der Corona-Krise mit einer warmen Mittagsmahlzeit zu versorgen. Dazu hatte die CDU einen Alternativantrag gestellt, der mit etwas anderen Worten und einem leicht anderen Vorgehen, doch grundsätzlich das gleiche Ziel verfolgte, nämlich Kindern und Jugendlichen aus finanziell schlecht aufgestellten Haushalten zumindest eine warme Mahlzeit am Tag zu ermöglichen.
Beide Alternativen sind jedoch von den Kooperationsparteien abgelehnt worden.
„Wir hätten durchaus auch damit leben können, wenn die Kooperation die Variante der CDU bevorzugt hätte. Aber eigentlich hätten wir erwartet, dass das grundsätzliche Anliegen, Kinder und Jugendliche, die darauf angewiesen sind, mit einem Mittagessen zu versorgen, unstrittig ist. Nur mit übergreifenden Allgemeinplätzen ohne die Begleitung konkreter Maßnahmen hilft man niemandem!“, so Bierwirth abschließend.
Und Ratsherr Stefan Rudau, Vorsitzender der Ratsfraktion DIE LINKE ergänzt ärgerlich: „Ich ganz persönlich kann auch einfach nicht verstehen, wie die Ratsherren, die in Gaarden direkt gewählt wurden, sich diesem Ansinnen verweigern können. Gerade die müssten doch wissen, dass in ihrem Stadtteil 60 % der Kinder in Armut leben und auf so ein Angebot dringend angewiesen wären!“
(Die Linke Ratsfraktion Kiel,
Presseerklärung 15. Mai 2020)
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Konzern-Bündnis für neue Kriegsschiffe:
„Kiel ist beim Kampfschiff wieder im Rennen“
Jetzt wird also der Werftstandort Kiel wohl doch Teil der Produktionskette des geplanten Mehrkampfschiffes MKS 180 der Bundesmarine. Durch eine etwas überraschende Volte (frz: Kunstgriff beim Kartenmischen) im Zuge der Neuausrichtung des europäischen Schiffbaus ist das Dock der German Naval Yards wieder im Spiel „und Kiel ist beim Kampfschiff wieder im Rennen“ (Kieler Nachrichten 16.5.2020).
„Mitten in der Nacht“ zum 14. Mai 2020 gaben die Werftengruppen Lürssen (Bremen) und German Naval Yards (Kiel) bekannt, dass sie ihre Geschäfte beim Kriegsschiffbau in einem gemeinsamen Unternehmen zusammenlegen. Die Führung in diesem neuen Konstrukt soll Lürssen übernehmen, zu der unter anderem auch Blohm + Voss in Hamburg sowie die Peene-Werft in Wolgast gehört. Von der geplanten Fusion sind die jeweiligen Aktivitäten im zivilen Schiffbau ausgenommen.
Der Clou dieser Fusion ist, dass Lürssen gleichzeitig Partner der niederländischen „Damen Shipyards“ ist und das Konsortium Damen/Lürssen jüngst den Zuschlag des Verteidigungsministeriums zum Bau des MKS 180 erhalten hat.
Neben Großyachten sind die Lürssen-Werften vor allem auf militärische Schnellboote spezialisiert. Hauptabnehmer: Saudi-Arabien. Bis Ende 2015 wurden Patrouillenboote für umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro ausgeliefert. Nach dem Mord an dem Journalisten Khashoggi und Saudi-Arabiens Rolle im Jemen-Krieg stoppte die Bundesregierung im Oktober 2018 zwar die Rüstungsexporte in das Land. Lürssen beschäftigt aber weiterhin Mitarbeiter in Saudi-Arabien, hilft bei der Ausbildung von Schiffsmannschaften und dem Unterhalt der gelieferten Boote.
German Naval Yards ist eine 100%ige Holding der europäischen Werftholding Privinvest. Neben drei deutschen Werften (German Naval Yards in Kiel, Lindenau in Kiel und Nobiskrug in Rendsburg) gehören der Privinvest-Gruppe die französische Marinewerft CMN, die Royal-Navy-Ausgründung Isherwoods in Großbritannien sowie 75 % von Hellenic-Shipyards in Griechenland. Die Privinvest-Holding befindet sich in Besitz der französisch-libanesischen Unternehmerfamilie Safa.
MKS 180 - Das „K“ steht für Kampf
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte die Bundesregierung kurz vor der Sommerpause 2015 neben dem milliardenschweren Luftabwehrsystem MEADS auch die Entwicklung eines neuartigen Mehrzweckkampfschiffes mit der Bezeichnung „MKS 180“ ausgeschrieben – die erste Ausschreibung, die europaweit erfolgte.
Anfang des Jahres hatte die Bundeswehr den milliardenschweren Großauftrag über vier bis sechs Mehrzweckkampfschiffe an das niederländische Familienunternehmen Damen Shipyards vergeben. In der finalen Runde des Bieterverfahrens befand sich neben den Niederländern auch die Kieler Werft German Naval Yards (GNY), die die Entscheidung der Bundeswehr kritisierte und darauf hin angekündigt hatte, „den vollen Rechtsweg ausschöpfen zu wollen“.
Nun hat nach dpa-Informationen GNY den Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes zurückgezogen. Aus gutem Grund: Denn die vier bis sechs MKS 180-Einheiten sollen in den Baudocks von Lürssen/GNY gefertigt werden, die damit als Unterauftragnehmer einen Löwenanteil des Milliardendeals einstreichen wird. Mit einer Länge von 426 m gehört das Trockendock von GNY zu den größten in ganz Europa und ist damit prädestiniert für die MKS 180. „Hier hätte das gesamte Berliner Reichstagsgebäude Platz“ heißt es deshalb nicht ohne Stolz auf der GNY-webside.
Die Bundeswehr möchte zunächst vier Schiffe bis 2023 in Betrieb nehmen. Auf der Homepage der Bundeswehr ist der Artikel über das MKS 180 sinnigerweise überschrieben „Das ‚K‘ steht für Kampf“. Kürzer, klarer und präziser kann man das nicht ausdrücken. Man könnte noch ergänzen: Kampf steht für Krieg. Welche Art für Krieg geplant wird, ist der Homepage ebenfalls zu entnehmen. Dort heißt es: „Das MKS Mehrzweckkampfschiff soll also in der Lage sein, einerseits überall auf der Welt lange Zeit große Seeräume zu patrouillieren, Embargos zu überwachen und notfalls deutsche Staatsbürger aus Krisensituationen zu evakuieren, andererseits im Nordatlantik oder Mittelmeer sich notfalls im Seegefecht gegen andere Kriegsschiffe seiner Art und U-Boote durchsetzen zu können. Ein einzelner Schiffstyp konnte so ein breites Aufgabenspektrum bisher nicht erfüllen.
Dabei ist die Grundvariante des MKS Mehrzweckkampfschiffes allein schon ein vollwertiges Kampfschiff. Austauschbare Einbauten ergänzen diese Kernfähigkeit und machen das Schiff dann zum Spezialisten. Zwei solcher Missionsmodule sind zurzeit vorgesehen: ein Modul ‚ASW Anti-Submarine Warfare-Lagebild‘ und ein Modul ‚Gewahrsam‘.“
So soll das „Missionsmodul Gewahrsam“ aus vier Großcontainern bestehen, die im Bauch des Schiffes eingesetzt werden. Inhalt: Gefangenenzellen und ein Behandlungsraum zur „ärztlichen Untersuchung“ der „Gewahrsamspersonen“. Weiterhin ist das MKS 180 ausgerüstet mit Einrichtungen für die Unterbringung und Wartung von Drohnen und einer Einschiffungskapazität von ca. 70 Personen, was z. B. das „Kommando Spezialkräfte Marine“ umfassen würde.
Was macht ThyssenKrupp Marine Systems?
In der Diskussion über eine Neuformierung des deutschen Schiffbaus waren die Insider bisher davon ausgegangen, dass German Naval Yards (GNY) und ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) über kurz oder lang zusammenfinden würden. Diese Option ist aktuell offensichtlich erst einmal vom Tisch.
Ursprünglich hatten Peter Lürssen und Iskandar Safa, die „Chefs“ von Lürssen und von der Privinvest Holding, zu der German Naval Yards gehört, auch mit Vertretern des Essener ThyssenKrupp Mutterkonzerns über eine Dreier-Fusion verhandelt. Allerdings seien sich die Akteure nicht handelseinig geworden. Hinderlich sind vor allem zwei Aspekte: Zunächst einmal ist TKMS vor allem im Unterwasserbereich aktiv und an diesem Geschäft haben aber weder Lürssen noch GNY Interesse. Hinzu kommt, dass Thyssen-Krupp an der Börse gelistet ist. Lürssen und GNY werden hingegen von Familien geführt. „Die betreiben ihr Geschäft anders,“ wusste das „finance-magazin“ bereits am 17.4.2020.
ThyssenKrupp hatte in der Vergangenheit immer wieder den Verkauf seiner Marinesparte angepeilt, unter anderem an den Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall. Der Verkauf war allerdings an unterschiedlichen Preisvorstellungen gescheitert.
Jetzt setzt ThyssenKrupp offensichtlich auf eine andere Karte. Laut der Nachrichtenagentur Reuters führt das Unternehmen Gespräche mit der italienischen Werft Fincantieri. Beide Werften kooperieren schon seit Längerem beim Bau von U-Booten. Die italienische Marine verfügt über die gleichen Boote mit Brennstoffzelle wie die Deutsche Marine.
Die italienische Werft Fincantieri ist die größte Marinewerft Europas. „Bereits seit 2002 arbeitet Ficantieri mit der französischen Naval Group eng zusammen. 2017 hat sie zusätzlich 50% der Anteile am zweiten großen französischen Marineausrüstungsunternehmen, der STX-Gruppe übernommen. Diese neue halbstaatliche Firmengruppe bietet nun alles an, was das Herz der Marinestrategen höher schlagen lässt: Von Flugzeugträger über Fregatten, Korvetten bis zu U-Booten. Und mit der Thales-Gruppe haben sie einen führenden Marineelektronik-Konzern mit an Bord.“ (Georg Friedrich Gerchen, Marinerüstung ist Kriegsvorbereitung!, Gegenwind März 2020). Das mögliche Joint Venture wäre ein europäischer Player mit einem Umsatz von rund drei Milliarden Euro.
IG Metall Küste zu den Fusionsplänen
Die IG Metall kritisierte die europaweite Ausschreibung des MKS 180 von Anfang an als „industriepolitische Fehlentscheidung“. Man müsse dafür sorgen, dass „die Schlüsseltechnologie Überwasserschiffbau“ – damit sind neben Kriegs- auch Kreuzfahrtschiffe gemeint – in Deutschland gesichert wird, heißt es in einem Positionspapier der Gewerkschaft. Sie schätzt die Beschäftigtenzahl der von wenigen Großaufträgen abhängigen Branche in Deutschland auf bis zu 15.000.
Mit diesen Aussagen bewegt sich die Gewerkschaft argumentativ auf gleicher Linie mit Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) und der schleswig.-holsteinischen Landesregierung (CDU/FDP/Grüne). Aktuell zu den nun bekannt gewordenen Fusionsplänen fordert die IG Metall Küste die Sicherung der Arbeitsplätze und Standorte bei der Konsolidierung im Marineschiffbau in den Mittelpunkt zu stellen. „Wir brauchen mehr Informationen über die Struktur der geplanten Fusion von Lürssen und German Naval Yards. Wir erwarten verbindliche Zusagen zur Sicherung der Standorte und Arbeitsplätze“, so Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. „Die Tarifverträge müssen bei der Fusion erhalten bleiben. Außerdem muss das neue Unternehmen klare Strukturen haben, die die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter garantieren.“
In dem Zusammenschluss der beiden Unternehmen sieht die IG Metall eine Stärkung des Marine-Überwasserschiffbaus in Deutschland. „Die Fusion kann allerdings nur ein erster Schritt sein. Bei der weiteren Konsolidierung muss ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) einbezogen werden. Es braucht eine Gesamtlösung für Unter- und Überwasserschiffbau in Deutschland, um dann eine europäische Strategie zu entwickeln.“
Die Gewerkschaft kritisiert das Verfahren, wie diese Fusion vorangetrieben worden ist. „Weder die Belegschaft noch die Arbeitnehmervertreter waren einbezogen. So etwas aus der Presse oder kurzen Gesprächen zu erfahren, ist kein guter Start für die neue Gesellschaft“, erklärte Friedrich. (Presseerklärung IGM Küste vom 14.5.20).
Anmerkung:
Angesichts des 75. Jahrestages der Befreiung und der Tatsache, dass die Stadt Kiel als Reichskriegshafen am Kriegsende zu 80% in Schutt und Asche lag, sei an den ersten Kieler Nachkriegsbürgermeister, Andreas Gayk (SPD), erinnert, der sein Amt im Mai 1946 mit dem Versprechen angetreten hatte, in der Stadt eine Friedensindustrie aufzubauen.
„Was heute jeder Kieler Bürger begreifen müsste, ist dies: Es gibt keine gesunde, krisenfeste Wirtschaft in Kiel ohne eine radikale Abkehr von jeder Rüstungspolitik. Es gibt keine gesunde, krisenfeste Wirtschaft ohne ein Bekenntnis zu einer echten Friedenswirtschaft. Diese Friedenswirtschaft wollen wir Schritt für Schritt, aber zielbewusst aufbauen.“ (gst)
Demontage der Kieler Rüstungswerften
Die für Kiel zuständige britische Militärregierung sah zunächst in der Verhinderung des Wiedererstarkens der deutschen Marine ein Hauptziel ihrer Tätigkeit in Schleswig-Holstein.
Die Militärregierung sperrte zunächst das Ostufer und andere militärische Gelände und Werke. Viele Rüstungsbetriebe sollten demontiert werden. Auf dem Ostufer wurden folgende, potentiell für Rüstungsproduktion taugliche, Industriebereiche nicht zugelassen: Stahlbaukonstruktionen, Kraftmaschinen und Kessel, Eisenbahnlokomotiven und Eisenbahn- und Straßenbahnwagen. Die Demontagen von Rüstungsfirmen begannen.
Am 5. November 1948 wurde der „Zerstörungsplan der Militärregierung für die Liquidierung des Ostufers“ bekanntgegeben, mit dem die Ostuferindustrie außerstande gesetzt werden sollte, Kriegsgüter zu produzieren. (Grieser 1991a: 426)
Von Februar 1949 bis Mai 1950 wurden weitere Gebäude auf dem Werftengelände, Hallen, Hellinge, Gleisanlagen und Kaianlagen der ehemaligen Rüstungswerften zerstört, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie zunächst angekündigt. Im Zuge der britischen Entmilitarisierungsarbeiten wurden 2.800 m der Kaimauer durch Sprengungen vernichtet. Die noch vorhandenen Docks wurden unbrauchbar gemacht: Sie wurden mit Betonblöcken aufgefüllt und anschließend mit Sand zugeschwemmt (Jensen 1978: 122).
Dass die Demontage nie in dem von den Briten ehemals geplanten Ausmaß durchgeführt wurde, lag am beginnenden „Kalten Krieg“ – es gab jetzt einen neuen gemeinsamen Feind: Die Sowjetunion und den Kommunismus. Kurze Zeit später war es dann auch im Interesse der Siegermächte, in Deutschland wieder Militär und Rüstungsproduktion zuzulassen. Der Abschluß der Demontage in Kiel war im Mai 1950. Im September 1950 wurde das Ostufer wieder freigegeben. Und 1956 wurde dann die Marine wieder in Kiel stationiert. (uws)
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Klimaschutzstadt Kiel:
Naturvernichtung in Holtenau – Gewerbegebiet Boelckestraße Nord im Bau
Die Stadt Kiel schreibt in ihrem Bebauungsplan Nr. 910 als Begründung, warum sie bestes Naturland in Gewerbegebiet umwandelt: „Zentrale Element der Wirtschaftsförderung ist die Schaffung von Gewerbeflächen für die Ansiedelung und Gründung neuer Unternehmen am Wirtschaftsstandort Kiel.“
Ein von der Stadt 2012 in Auftrag gegebenes Gutachten von der CIMA Beratung und Management GmbH hatte zum Ergebnis, dass die Stadt Kiel bis 2025 ein attraktives Flächenangebot von 25 ha als gewerbliches Bauland brauche und fand dann 2014 schnell die Gewerbefläche an der Boelckestraße als Potentialfläche. Die Stadt Kiel beschloss 2016 dies Gelände mit Priorität unabhängig von der Entwicklung des Flughafengeländes fortzuschreiben und zu entwickeln.
Diese Art von Lobby-Politik im Interesse der Wirtschaft ist typisch für die Stadt Kiel. Statt erstmal zu prüfen, welches Gewerbe denn konkret sich bei der Stadt bewirbt und dann zu schauen, ob auf den bestehenden städtischen Flächen etwas Passendes geschaffen werden kann, wird im vorauseilenden Gehorsam für die Wirtschaft gebaut, ohne dass es konkreten Bedarf gibt.
Und dies obwohl es bereits einen Beschluss gabt, dass vorrangig die brachliegenden Flächen auf dem Flughafengelände bereitgestellt werden sollen. Hier ist für jeden Kieler sichtbar, dass aufgrund des schrumpfenden Fluggewerbes ein großes Flächenpotential zur Verfügung steht. Das gilt auch für das MFG 5-Gelände, wo mit geringem Aufwand Gewerbflächen bereitgestellt werden könnten und erst recht für brachliegendes Friedrichsorter Gewerbegebiet rund um Caterpillar.
Stattdessen muss sich ausgerechnet die Klimaschutzstadt Kiel von einer Gutachterfirma, die sich erwiesenermaßen bereits bei anderen Gutachten verspekuliert hat, eines der erhaltenswürdigsten Naturgelände im Norden Kiels als Gewerbegebiet andrehen lassen.
Für eine gewerbliche Nutzungfläche von ca. 3,9 ha mit 57.000 m2 Bauland werden 7,9 ha Knicklandschaft zerstört, bei einer Gesamtfläche von 9,1 ha.
Im Bebauungsplan wird fachgerecht aufgelistet, welches Naturgut hier zerstört werden soll. Immer mit der vorgehaltenen Absicht, möglichst viel davon zu erhalten und wie viel Ausgleichsflächen wo genau geschaffen werden.
„Das Gebiet gibt einen Ausschnitt der typischen schleswig-holsteinischen Knicklandschaft wieder und besteht aus landwirtschaftlichen Nutzflächen, hier Grünflächen, die von alten Knicks mit einigen bemerkenswerten alten Eichenüberhältern parzelliert werden. Im Süden wird das Plangebiet von der Boelckestraße abgeschlossen, die von einer nach Osten hin deutlich über das Plangebiet hinausgehenden ca. 90 Jahre alten Lindenallee gesäumt wird.
Für die Knicks und die Lindenallee im Plangebiet besteht gesetzlicher Biotopschutz nach § 30 BNatSchG und § 21 LNatSchG. Für 1/3 der Grünlandflächen im Gebiet besteht seit Neufassung des LNatSchG in 2016 ebenfalls der gesetzliche Biotopschutzstatus nach § 30 BNatSchG und § 21 LNat SchG (arten- und strukturreiches Grünland). Aus denkmalpflegerischer Sicht wird die Lindenallee als erhaltenswert bewertet, ein Kulturdenkmalschutz besteht jedoch nicht. ... Die alte Knicklandschaft hat Bedeutung für europarechtlich geschützte Tierarten wie Fledermäuse und Brutvögel.
Ein namenloser Wirtschaftsweg, der im westlichen Bereich des Plangebiets von der Boelckestraße aus nach Norden abzweigt, erschließt außer den beidseitig angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzflächen auch einen Brunnen der Stadtwerke Kiel der zur Trinkwassergewinnung dient.“
Das Gelände befindet sich überwiegend im Eigentum der Stadt Kiel, bis auf den Brunnen der Stadtwerke und eine 1,5 ha große Grünfläche, wo die Stadt am 8.6.2017 beschlossen hat, diese Fläche anzukaufen, wo der Eigentümer eingewilligt hat.
Entscheidend für den Standort war vermutlich dies: Das Erschließungsgebiet befindet sich am Verkehrsknotenpunkt Zufahrt B 503 und gegenüber der Zufahrt zum Flughafen Kiel-Holtenau. Die sich direkt am geplanten Gewerbegebiet befindliche Bushaltestelle wurde bereits im letzten Jahr erneuert und verlängert. Von dort gibt es einen Ampelübergang zum angrenzenden Flughafengelände.
Das Gewerbegebiet soll über eine von der Boelckestraße abzweigende Stichstraße erschlossen werden, die mittlerweile gebaut wurde und jetzt „Groß Hasselrod“ heißt. Angeblich sollen die vorhandenen Knicks weitestgehend erhalten bleiben und das Gewerbegebiet gliedern. Die Baumaßnahmen sind jetzt schon weit fortgeschritten. Einige Knicks und große Bäume sind verschwunden und man sieht hohe Sandberge und großflächige Aufbereitung des Geländes mit verlegter Kanalisation. Ein eigenes Regenrückhaltebecken ist südlich der Kleingartenanlage im Bau, weil die Leitungen in der Boelckestraße nicht ausreichend sind.
Eine 20 m breite Fläche soll später nach Westen hin zur Auffahrt der B 530 mit Bäumen und Großsträuchern als Ausgleichsmaßnahmen bepflanzt werden.
Um den Trinkwasserbrunnen soll ein 10 m Schutzabstand eingehalten werden und sichergestellt werden, dass keine Verunreinigungen durch den Baubetrieb stattfinden.
Eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes soll gering gehalten werden und vorhandene Knickstrukturen berücksichtigt werden. Auch davon ist nicht mehr viel zu sehen. Flächen für neue Anpflanzungen dürfen als Ausgleichsmaßnahmen angerechnet werden.
Gewerblich darf es nicht für Einzelhandel, Tankstelle, sportliche, kulturelle oder soziale Zwecke genutzt werden aber soll Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentl. Betriebe bevorzugen. Es ist eine max. Firsthöhe von 12 m vorgeschrieben. Geräuschemissionen sollen bei max. 66 dB am tage nicht überschreiten.
Zum im Norden befindlichen Landschaftsschutzgebiet soll zum Schutz eine 60 m breite Grünfläche zur Pflege von Natur und Landschaft geschaffen werden, die auch als Ausgleichsflächen dient. Auf die Realisierung dürfen wir gespannt sein. „Landschaftsbildbeeinträchtigungen sind aber nicht auszuschließen, insbesondere bei Knickpflege“, heißt es vorsorglich im Bebauungsplan.
Ein großer Teil der Ausgleichsflächen soll auf Flächen der Landeshauptstadt Kiel sowie außerhalb der Stadt im Naturraum Schleswig-Holsteinisches Hügelland geschaffen werden. Und ein Teil des Ausgleich soll auch monetär (Ersatzzahlungen) erfolgen.
Insgesamt ergibt sich ein Kompensationsbedarf von 31.260 m2 Neuschaffung von Grünland, 760 lfm Ersatzknick, 55 Ersatzbaumpflanzungen und 30.099 m2 Umwandlung extensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen in Grünland. Ausgleichsmaßnahmen sind zugesichert und einzeln beschrieben. Wer kontrolliert das?
In Anspruch genommen wird eine 7.9 ha große schleswig-holsteinische Knicklandschaft mit erheblichen Umfang allgemeiner Bedeutung für den Naturschutz. Aber dies sei gerechtfertigt, denn es werde ein Standort zur Arbeitsplatzerhaltung und für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze.
Bezüglich der Entscheidung zwischen gewerblicher Nutzung und Naturzerstörung heißt es in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 910:
„In Abwägung zwischen den umweltbezogenen Belangen und den öffentlichen und privaten Belangen werden die Belange der Wirtschaft und die Auswirkungen auf die Gesamtstadt (vordringlich Belange der Arbeitsplatzschaffung/-erhaltung, Ausbildung) höher gewichtet.“ Dies entspräche der starken Nachfrage nach gewerblichen Bauflächen und der geringen Verfügbarkeit an Gewerbeflächen in Kiel. Dafür gibt es aber bis heute von der Stadt keinen Beleg. Angeblich könne die Nachfrage in den kommenden 8 Jahren durch die lang- und mittelfristig zu entwickelnden Gewerbeflächen auf dem Flughafengelände und dem MFG 5 gelände nicht gedeckt werden. Somit gäbe es gesamtstädtisch keine Planungsalternativen.
Kosten: 4,5 Mio. Euro mit 50 % Förderung durch Bund und Land.
Die BUND Kreisgruppe Kiel und die NABU Ortsgruppe Kiel forderten 2017 einen Stopp des Bauleitverfahrens für das 9,1 ha große geplante Gewerbegebiet „Boelckestraße Nord“ und stattdessen die Umsetzung auf dem Flughafengelände zu forcieren. (Wir berichteten ausführlich in der LinX 10-2017 u. 12-2017). Die Stellungnahme wurde zur Kenntnis genommen.
„Wie bereits erwähnt ist nicht mit einer kurzfristigen Entwicklung und Bereitstellung von zusätzlichen gewerblichen Bauflächen auf dem Flughafenareal zu rechnen. Davon abgesehen besteht eine grundsätzlich hohe Nachfrage nach gewerblichen Bauflächen in Kiel, die selbst mit interkommunalen Gewerbegebieten (insbesondere kurzfristig) kaum gedeckt werden können. Es stehen daher keine kurzfristigen Planungsalternativen zur Verfügung, die das Bauleitplanverfahren Nr. 910 entbehrlich machen würden. Im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 910 ist außerdem nicht mehr über Standortalternativen zu entscheiden. Die Variantenprüfung findet vielmehr innerhalb der Grenzen des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. 910 statt.“ Danach wurde am 26.10.2017 auf der Ratsversammlung die Umsetzung beschlossen.
Jetzt wird gebaut und das Naturgelände unwiderbringlich für wirtschaftliche Interessen zerstört, während Gewerbeflächen direkt gegenüber auf dem Flughafengelände für jeden sichtbar brach liegen. (uws)
Bild unten: Knicklandschaft Boelckestraße-Nord 2017
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Termine/Tipps
Laut Beschluss der Stadt Kiel sind alle öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen – unabhängig von der Personenanzahl – abgesagt. Daher fallen alle Termine in der PUMPE, Haßstr. 22, Kiel bis auf Weiteres aus. Ab dem 2. Juni 2020 soll die PUMPE wieder für Arbeitsgruppen und NutzerInnen geöffnet werden, mit Anmeldung und unter Einhaltung der allgemeinen Hygieneregeln und organisatorischen Regeln, wie von der Stadt Kiel vorgegeben.
Sa., 6. Juni 2020, 5 vor 12, (11.55 Uhr) Kiellinie/Tirpitzmole
Protestmahnwache Nein zum NATO-Manöver BALTOPS!
Kieler Friedensforum
Mi., 10.06. + 24.06.2020
ATTAC-Kiel - Plenum
Treffen in der Pumpe als online-Konferenz.
siehe www.attac-kiel.de
- Speziell mit dem Gesundheitssystem und den Lehren aus der Pandemie beschäftigt sich ein neues 2-minütiges Video von Attac: https://youtu.be/jlSGEjzhTyA
- Die Infobroschüre zu den Auswirkungen der Fallpauschalen vom Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“:
https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Kiel/KH_statt_Fabrik_Broschuere_2020.pdf
- Der wissenschaftliche Beirat von Attac Deutschland ruft auf:
Keine Rückkehr zur „Normalität“ des Kapitalismus:
https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Gremien/Wissenschaftlicher_Beirat/Corona_Text_aus_Beirat_final.pdf
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Aktion SEEBRÜCKE Kiel:
#LeaveNoOneBehind – Griechische Lager evakuieren
Für den 18.4.2020 um 17 Uhr hatte SEEBRÜCKE Kiel zu einer Protestveranstaltung auf die Reventlouwiese an der Kiellinie aufgerufen, um gegen die inhumane Abschottungspolitik der EU-Staaten gegenüber Schutzsuchenden zu demonstrieren.
In der Presseerklärung dazu heißt es: „Wir waren 150 Menschen gestern auf unserer Kundgebung, die sich ziemlich kurzfristig aber stabil gegen die Abschottungspolitik Europas auf der Reventlouwiese versammelt haben. Zuvor gab es eine schöne Schilder- und Plakataktion an der Hörnbrücke unserer Freund*innen von der TKKG Turboklimakampfgruppe. (...)
Corona hat nichts daran geändert, dass Europa Menschen an der Außengrenze sterben lässt und auch nichts daran, dass die EU Menschen in Griechenland in Lager pfercht und sie dort ihrem Schicksal überlässt.
Ganz im Gegenteil. Die Corona Krise zeigt uns gerade, dass Europa noch weniger als zuvor schon, den Friedensnobelpreis verdient hat. Die europäische Menschenrechtskonvention gilt als Herzstück des Europarats, der als Antwort auf die Gräueltaten während der NS-Zeit, 1949 gegründet wurde. Sie stehen einmal mehr auf dem Prüfstand. Denn heute lässt man Boote nach Libyen zurückschicken, um die Menschen in den Booten loszuwerden. Ein klarer Verstoß gegen das geltende Recht. Letzte Woche wurden Menschen auf gleich mehreren Booten nicht geholfen und in den europäischen Seenotrettungszonen sich selbst überlassen.Was aus ihnen geworden ist, weiß niemand.
Die Dramen haben sich nie nur auf dem Mittelmeer abgespielt. In den Lagern, sei es in Libyen, sei es auf den griechischen Inseln, in Italien oder auf den Landfluchtwegen. Die Menschen waren nie vor Gewalt geschützt. Sie leben seit Jahren in desaströsen hygienischen Zuständen, weil sie an Orten „wohnen“ müssen, die nicht dafür ausgelegt oder einfach viel zu klein sind. Weil es die EU nicht schafft, klare Absprachen zu schaffen, Verantwortlichkeiten zu verteilen. Im Camp Moria befinden sich aktuell 23.000 Menschen auf einer Fläche und in einem Lager das nur für 3.000 Menschen ausgelegt ist.
Die Zustände waren schon vor Corona schlimm, nun kommt die Angst vor dem Virus dazu. (...)
Wir fordern die Evakuierung aller Lager und die sofortige Einrichtung einer staatliche Seenotrettung im Mittelmeer!
Die Aufnahme von 50 Kindern durch die Bundesregierung ist angesichts von 40.000 Menschen mehr als lachhaft.
Auch Schleswig-Holstein kann seinen Teil dazu beitragen! Wir fordern von der Landesregierung die sofortige Aufnahme von Menschen aus den griechischen Lagern!“
Bereits am 5. April 2020 hatten die Freunde von der SEEBRÜCKE Kiel zum Sonntagsspaziergang aufgerufen, um mit Plakaten und Kreidemalereien unter dem Motto „Spuren hinterlassen“ auf das Schicksal der Geflüchteten in den südeuropäischen Lagern aufmerksam zu machen. (gst)
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Protest in Corona-Zeiten:
„Wo ihrer drei beisammen stehn, da soll man auseinander gehen!“
Ungebremster Klimawandel, Auslandseinsätze der Bundeswehr als Normalität, Waffenexporte auf Rekordhoch, Rechtsterrorismus, inhumane Flüchtlingspolitik – von den gewöhnlichen tagtäglichen Sauereien des Kapitals gegen die Werktätigen ganz zu schweigen: Es gäbe unzählige Gründe gerade jetzt (trotz Corona) zu protestieren – und das auch in öffentlich sichtbarer Form.
Die auf Bundes- und Landesebene regierenden Parteien versuchen mit althergebrachten Inhalten und Formen die Krisenszenarien zu managen. Der Bevölkerung wird vermittelt, dass alle Verhältnisse im weltweiten Vergleich doch besser seien als anderswo und daher Kontinuität und Vertrauen wichtig sind, um diese Krise zu überstehen. Proteste also überflüssig.
„Gemanagt“ wird die „Corona-Krisenbewältigung“ in Form von Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten wie niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. So wird bundesweit kurzerhand das Versammlungsverbot außer Kraft gesetzt – ohne dass dies zumindest in dem Parlamenten diskutiert und abgesegnet wurde.
In Konsequenz wurden Protestaktionen der SEEBRÜCKE z.B. in Hamburg, Berlin, Frankfurt (ja, auch das mit Kreide auf den Boden schreiben) untersagt und polizeilich durchgesetzt. Dabei trugen die Protestler Schutzmasken, hielten sich an den empfohlenen Sicherheitsabstand, waren alleine oder in Zweiergruppen unterwegs.
Zur Erinnerung: Zur Lohnarbeit muss man weiterhin fahren, sofern es noch etwas zu tun gibt und Homeoffice nicht möglich ist. Die Ansteckungsgefahr wird offenbar als vertretbar angesehen. Warum soll hier Handlungsspielraum existieren, beim Protest aber nicht?
Ein bisschen mehr Widerständigkeit gegen den Allparteienkonsens vom „Runter von der Strasse“ hätte man sich schon von der Linkspartei, dem DGB und von Teilen von SPD und Grünen gewünscht.
Das Hauptproblem daran ist, dass solche Maßnahmen, einmal eingeführt, schwer wieder zurück zu drehen sind. Es steht zu befürchten, dass einige der neuen Befugnisse, in dieser Ausnahmesituation auf ihre Funktionsweise erprobt, etabliert bleiben und bei nächster Gelegenheit, mit geringer Hürde schnell wieder aus der Schublade geholt werden – ein Testballon, um mal zu sehen wie weit sich die Gesellschaft darauf einlässt.
Ein wenig liberaler geht da glücklicherweise noch in Schleswig-Holstein zu. So konnten zumindest friedenspolitische öffentliche Aktionen in Jagel und Kiel durchgeführt werden und auch die Aktivitäten der SEEBRÜCKE wurden von den Ordnungshütern wohlwollend begleitet.
(gst)
„Wo ihrer drei beisammen stehn,
da soll man auseinander gehn. …
Wer auf der Straße räsoniert wird unverzüglich füsiliert!
Das Räsonieren durch Gebärden
soll gleichfalls hart bestrafet werden!“
Heinrich Heine, 1854: Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen
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GEHT DOCH!
60 Jahre Ostermarsch!
Das Corona-Virus und der Schutz vor einer zu schnellen Verbreitung hat in den Bundesländern zu einschränkenden Maßnahmen bis hin zum Verbot von Kontakten in Kleingruppen geführt. Der Förderalismus der BRD führt dazu, dass die Einschränkungen sehr unterschiedlich sind.
Weil in einigen Bundesländern das öffentliche Leben fast zum Erliegen gekommen ist, mussten die Friedensaktivist*innen andere Möglichkeiten zur Darstellung ihrer Forderungen finden. Der „virtuelle Ostermarsch“ wurde von vielen Initiativen als Alternative genutzt. Damit werden jedoch nur diejenigen erreicht, die mit der entsprechenden Computertechnik ausgerüstet und mit den dafür notwendigen PC-Programmen vertraut sind. Trotz allem: es ist eine Form der gemeinsamen Aktion, ist ist in einigen Regionen momentan eine Art der Kontaktaufnahme und die Möglichkeit die Forderungen der Friedensbewegung öffentlich zu machen und zu verbreiten.
Auch in Schleswig-Holstein gibt es Auflagen und Beschränkungen, auch hier dürfen maximal Familien, WG´s oder Lebenspartner*innen mit einer zusätzlichen Person in die Öffentlichkeit. Unter dem Eindruck der Verordnungen der Bundes- und Landesregierung und auch der Unsicherheit mit dem neuen Virus wurden geplante Ostermärsche von Veranstalter*innen in abgesagt. Teilweise wurde von den Initiativen zu anderen Aktionsformen eingeladen wie z. B. in Wedel zu einem virtuellen Ostermarsch mit Musik, Fotos, einem Videorundgang durch die Stadt.
Aber es geht auch anders. Jedes Jahr am Karfreitag findet eine Friedensdemonstration von Schleswig nach Jagel statt, mit Abschlusskundgebung vor dem Drohnen- und Tornado-Standort der Bundeswehr in Schleswig-Holstein.
Auch für 2020 war die Demo und Kundgebung geplant. In Folge der Corona-Pandemie wurde die Demonstration untersagt, da es nach Auffassung der Ordnungsbehörde „nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der (für die Verhinderung von Coronavirusübertragungen) vorgeschriebene Abstand (von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern) marschbedingt ungewollt verringert und weitere Personen hinzukommen.“
Für die Kundgebung in Jagel wurde die Einhaltung eines 1,5 m Abstandes vorgeschrieben, mit dem diese stattfinden konnte. Gemäß Behördenschreiben „sind Teilnehmer mit erkennbaren Symptomen einer COVID19-Erkrankung oder jeglichen Erkältungssymptomen auszuschließen.“
Das im Versammlungsgesetz Schleswig-Holstein festgelegte „Vermummungsverbot“ wurde wie folgt relativiert:
„Das Vermummen der Teilnehmer in Form von Tüchern, Schals oder Atemschutzmasken ist erlaubt und wird aufgrund der aktuellen Pandemie zur Verringerung der Ansteckungsgefahr begrüßt. Ich weise darauf hin, dass Vermummungen zur Verhinderung der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gem. § 17 Abs.1 Nr. 1 VersFG SH weiterhin verboten sind.“
Unter Einhaltung dieser Auflagen hat die Kundgebung als Osterfriedensaktion stattgefunden. Gefordert wurde im 60. Jahr der Ostemarschbewegung von den bis zu 70 Teilnehmer*innen:
• Die nukleare Teilhabe der Bundeswehr an dem NATO-Aufrüstungsprogramm sofort zu beenden !
• Die umgehende Schließung kriegsrelevanter Standorte wie Jagel !
• Kein Einsatz von Drohnen !
• Die Beendigung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr !
• Abrüsten statt aufrüsten !
Diese Forderung der bundesweiten Friedensbewegungen war auch vor dem Haupttor zum Fliegerhorst in Jagel unüberhörbar.
Ostermahnwache in Kiel
Oster-Mahnwache in Kiel
Der Ostersonnabend ist in Kiel seit einigen Jahrzehnten für Friedensbewegte immer der Tag des Ostermarsches. Auch für dieses Jahr gab es einen Aufruf, der von einem breiten Unterstützer*innenkreis, darunter auch die marxistische linke, getragen wurde. Darin hieß es unter anderem:
Die Ostsee – ein Meer des Friedens !
Überall auf dem Kontinent demonstrieren Menschen gegen die lebensbedrohende Umweltzerstörung und für die Eindämmung des Klimawandels. Während die Jugend ihre Zukunft einfordert, praktiziert das Militär, einer der größten Umweltvernichter, unbeeindruckt seine Rituale. Die regelmäßigen Manöver in unserer Ostseeregion sind gegen Russland gerichtet und machen eine Entspannungspolitik unmöglich.
8. Mai 1945: Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus !
Der Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion darf nicht vergessen werden. Dieses Verbrechen forderte Millionen Tote, Elend und Zerstörung. Wir empfinden es als Provokation, dass gerade zu Beginn des Gedenkjahres 2020 (75 Jahre Befreiung des KZ Auschwitz, 75 Jahre Befreiung von Krieg und Faschismus) im Baltikum und an der russischen Westgrenze die von NATO-Staaten unterstützte amerikanische Großübung Defender 2020 stattfindet. Deutschland übernimmt dabei die Funktion einer logistischen Drehscheibe auf der Grundlage des Truppenstationierungsabkommen. Es ist höchste Zeit, dieses Abkommen zu kündigen.“
Wir erinnern uns: Viele Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie waren bereits durchgesetzt, das Defender2020 Manöver war jedoch zu dem Zeitpunkt noch in voller Aufrüstung. Dies macht die notwendige, mindestens mahnende und inhaltliche Aktivität gegen die Hochrüstung und das Säbelrasseln auch in Zeiten der Corona-Pandemie deutlich.
Der Ostermarsch 2020 in Kiel wurde bereits Mitte März wegen der Maßnahmen gegen die Pandemie und mit Blick auf die Gesundheit der Aktivist*innen alternativlos abgesagt. Mit Blick auf die Entwicklungen in Kiel selbst – die Rüstungswerft der Thyssen-Krupp-Marine Systems (TKMS) hat am 9.4.2020 ein U-Boot an die ägyptische Armee übergeben – ergriff die örtliche DFG-VK die Initiative und meldete eine Mahnwache für den Frieden an. Da die meisten Geschäfte wegen der Auflagen geschlossen sind, blieb der Zuspruch der Bevölkerung überschaubar, trotzdem wurde die Aktion interessiert wahrgenommen. Zwei Stunden Mahnwache, mit dem notwendigen Abstand der Aktivist*innen zueinander, statt Ostermarsch waren eine wichtige Alternative.
Der Motorradclub Kuhle Wampe Kiel hatte sich entschlossen in kleinen zweier Gruppen mit Motorrädern über Ostern zu touren. Das die Kuhle Wampe dabei nicht die Probleme und das Geschehen in der Welt außer acht lässt, erstaunt nicht, denn die Mitglieder stehen für Frieden, Antifaschismus und Demokratie. „Macht von euren demokratischen Rechten weiterhin Gebrauch“ waren dann auch die nach außen sichtbaren an den Motorrädern angebrachten Forderungen.
Auf der Kieler Gablenzbrücke wurden innerhalb von 5 Minuten fünf Fahrer*innen von der Polizei zur Kontrolle angehalten. Außerdem gab es die Aufforderung die Transparente zu entfernen. Von zwei Mitgliedern der Kuhlen Wampe wurden die Personalien aufgenommen. Insgesamt wurde die Tour von den Teilnehmenden als positiv eingeschätzt.
Das Aktivitäten dieser Art in Schleswig-Holstein möglich sind, liegt nicht nur an den, gegenüber anderen Bundesländern, noch nicht so scharfen Einschränkungen und Kontaktauflagen. Die Durchführung dieser Aktionen zur Wahrnehmung der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit war nur durch das aktive Einfordern der Anmelder*innen möglich. Es ist auch kein, wie einige Außenstehende geäußert haben, sorgloser Umgang von Aktivist*innen mit der Gefahr einer möglichen Infektion für sich und andere Menschen. Immerhin wurde bei beiden Aktionen mehr Abstand gewahrt und Mund-Nase-Schutz genutzt, als es oft in Super- und Baumärkten durch Kund*innen geschieht. Erwähnt werden sollte, dass auch die anwesende Polizei nur mit wenig Personal und „begleitend“ erschienen ist. Es ist bekannt, dass an anderen Orten in den letzten Wochen Aktionen für die Aufnahme Geflüchteter, sowie anderer notwendiger Protest, Widerstand und Informationen per Kundgebungen, mit Polizeigewalt verhindert wurden. Die Solidarität mit denen, die derart repressiv an ihrer Meinungsäußerung gehindert werden, ist gefordert und notwendig!
Die Kundgebung in Jagel, die Mahnwache in Kiel und die Aktion der Kuhlen Wampe waren ermutigende Zeichen, dass auch in Zeiten der Corona-Pandemie das Demonstrationsrecht, wenngleich mit Einschränkungen, wahrgenommen werden kann.
Bettina Jürgensen, marxistische linke
Osteraktion Kuhle Wampe in Kiel
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Rüstung in Kiel:
Kriegsschiffbau – ein todsicher florierendes Geschäft
Mit der Schlagzeile „TKMS arbeitet weiter - Corona kann U-Bootbau nicht stoppen“ machten die Kieler Nachrichten am 1.4.2020 auf einen noch aktiven Produktionsbereich in Kiel aufmerksam. Manch eine/r dachte wohl zunächst an einen Aprilscherz. Doch, so die KN weiter: „Die Lage auf den deutschen Werften ist aufgrund der Corona-Krise angespannt. Fast alle Werften haben Kurzarbeit angemeldet und die Produktion heruntergefahren. Bei Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) in Kiel-Gaarden allerdings wird in drei Schichten rund um die Uhr weitergearbeitet.“
Das sollte wohl die Kieler Bevölkerung beruhigen, denn immer noch gelten die Werften als eine der wichtigen Industriezweige in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt.
Gleichzeitig hatte die German Naval Yards Kiel (GNYK) ab dem April Kurzarbeit angemeldet und Teile des Betriebs, wie die Werkstätten sowie die Fertigung und damit die Arbeiten an und in den Schiffen, geschlossen.
Ein Grund für die Fortführung des Betriebs auf der TKMS wurde am 9.4. deutlich: Das dritte von vier U-Booten wurde an den Oberbefehlshaber der ägyptischen Marine, Vizeadmiral Ahmed übergeben. Laut Angaben der „Kieler Nachrichten“ sollen alle vier Boote rund eine Milliarde Euro einbringen.
Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen auf der Werft erfolgte die Übergabe ohne Zeremonie im engsten Kreis der Projektverantwortlichen, so die TKMS.
Doch Kieler Aktivist*innen ließen das U-Boot nicht ohne öffentlichen Widerspruch vom Stapel. Eine Gruppe hatte sich zur Mittagszeit des 9. April vor dem Haupttor der Werft mit Transparent und Protestschildern versammelt. Sie stellten mit ihrem Protest auch die Frage, ob der U-Boot-Bau in Kiel systemrelevant ist, denn während allerorts die Produktion wegen der Corona-Pandemie runtergefahren wurde, läuft die Werft auf Hochtouren weiter.
Der Protest gegen Rüstungsexporte wächst in der Bevölkerung, die Forderung nach einem Verbot von Waffenexporten wird lauter. Kritisiert wird, dass mit der Auslieferung des U-Bootes an Ägypten außerdem die von Saudi-Arabien geführte Kriegskoalition im Jemen unterstützt wird, zu der auch Ägypten gehört. Deutlich wird hier die Rolle Deutschlands und der TKMS, die an den Toten dieses Krieges verdienen.
Dass die Aktion vor dem Haupttor der TKMS kurz vor Ostern stattgefunden hat, ist ein wichtiger Protest, da in diesem Jahr die Ostermärsche abgesagt wurden und hier aber deutlich wird, wie wichtig auch in Corona-Zeiten die politische Aktion ist.
„Krieg beginnt hier!“ ist nicht nur eine Parole der Friedensbewegten, sondern die Rüstungsindustrie selbst zeigt, dass sie rund um die Uhr den Kriegen in der Welt die Waffen liefert.
Dazu gehört auch das eingefädelte Milliardengeschäft der TKMS mit Brasilien. Eine Werftentochter von Thyssenkrupp soll in Brasilien vier Kriegsschiffe bauen. Der brasilianische Staatskonzern Emgepron wird mit einem dazu gegründeten Konsortium aus Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), der brasilianischen Embraer Defense & Securities sowie der Embraer-Tocher Atech vier Kriegsschiffe bauen. 2025 soll das erste Schiff ausgeliefert werden.
Auch wenn die Produktion mit einem Wert von 1,7 Milliarden Euro nicht in Kiel, sondern in Brasilien stattfindet, wird die TKMS auch hier mit ihrem technischen Know-How, wie es beschrieben wird, mit Wissenstransfer für Kriegsschiffbau verdienen.
Wie eine Randnotiz wirkte da der Hinweis am 10.4.2020 in den Kieler Nachrichten: „Deutsche Marine U-Boot-Krise ist überstanden - Fast zweieinhalb Jahre dauerte die Reparatur. Jetzt bereitet sich „U 35“ auf die Rückkehr in die Marine vor. In dieser Woche kam das U-Boot im Kieler Hafen wieder ins Wasser. Die Werft Thyssen Krupp Marine Systems hatte das Boot repariert.“
Noch vor wenigen Jahren wurde das „Werftensterben in Deutschland“ beklagt und negative Auswirkungen auf die norddeutsche Wirtschaft insgesamt erwartet. In dieser Situation fusionierte die HDW-Kiel im Jahr 2005 mit Thyssen-Krupp Marine Systems. Dies und der noch stärkere Ausbau der Rüstungsproduktion, die HDW war immer Werft für Kriegsschiffbau, wurde den Beschäftigten auf den Werften und der Bevölkerung als Mittel gegen den Abbau von Arbeitsplätzen „verkauft“. Die TKMS gliederte 2005 den zivilen Überwasserschiffbau aus. 2011 wurde dieser Teil dann von „Abu Dhabi Mar“ übernommen. Da die israelische Regierung an diesen Teil der Werft vier Korvettenschiffe in Auftrag gegeben hatte und sich an dem arabischen Namen störte, wurde die Werft 2015 in German Naval Yards umbenannt. Gleichzeitig war dies der Start für das Ende des zivilen Schiffbaus.
Arbeitsplätze hat dies alles nicht gerettet. Bei der Thyssen-Krupp Marine Systems ist die Zahl von 6.024 Beschäftigten im Jahr 2006 auf 3.441 Beschäftigten in 2019 gesunken. Die German Naval Yards hatte 2015 noch 964 Beschäftigte, in 2019 waren es 915. (Zahlen lt. Statista)
Kein Geheimnis ist, dass die Bundesregierung Deutschland den Export von U-Booten mit Kreditzusagen und Kaufsubventionen fördert. Im März 2010 hatte die deutsche Regierung z.B. von Griechenland als Voraussetzung für das Rettungspaket gefordert, zwei U-Boote in Lizenz der HDW für eine Milliarde Euro zu kaufen. Ebenso gehen Rüstungsaufträge der Bundeswehr an die deutschen Werften und sind bereits bei der Auftragsgebung eine sprudelnde Quelle der Finanzierung.
Dass (Rüstungs-)Aufträge für deutsche Werften erwartet werden, machte unlängst die Vergabe eines europäisch ausgeschriebenen Auftrags der Bundeswehr für das Mehrzweckkampfschiff 180 deutlich. Nicht die TKMS hatte den Zuschlag für das 5,3 Milliarden Euro-Projekt erhalten, sondern am 14.Januar 2020 die niederländische Damen-Werft. Dies sorgte für Kritik in Politik und Wirtschaft, insbesondere in Schleswig-Holstein. Die Kieler Wert German Naval Yards (GNYK) hat dagegen, mit Unterstützung der Landesregierung, juristische Schritte eingeleitet.
Die Produktion und der Verkauf von Rüstungsgütern aus Deutschland sollte Anlass sein, die Bewegung gegen Krieg und Militarisierung zu stärken! Gerade im 75. Jahr nach dem Ende des von Deutschen begonnenen Krieges muss die Forderung „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ nicht nur virtuell, sondern konkret, sichtbar und hörbar gestellt werden. Dazu bedarf es unter den Beschränkungen für Veranstaltungen Kreativität und vielleicht auch Mut. Dass dies nicht unmöglich ist, zeigten Aktivitäten zu Ostern und zur Rettung Geflüchteter.
Bettina Jürgensen, marxistische linke
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U-Boot-Erfinder an der Hörn:
Mit der Wilhelm-Bauer-Büste Werbung für heimtückische Waffen
Die Stadt Kiel und der Ortsbeirat Gaarden hat am 31.3.2020 die Bronzebüste des Erbauers des ersten U-Bootes in Kiel am Hörnufer südlich des Museumshafens Kiel aufgebaut. Das erste deutsche U-Boot versank gleich auf seiner Probefahrt am 1.2.1851 in der Kieler Förde und erst 1887 wurde der „Brandtaucher“ geborgen.
Die Stadt Kiel schreibt in einer Pressemitteilung: „Im vergangenen Jahr hatte sich ein Kreis von Engagierten um den Kieler Historiker Prof. Dr. Peter Wulf dafür eingesetzt, die Büste wieder aufzustellen. Der renommierte Bildhauer Manfred Sihle-Wissel hat mit Unterstützung durch das Kulturdezernat jetzt einen vorhandenen Amboss genutzt und sein Kunstwerk erneuert. Der Amboss befand sich im städtischen Besitz und stand in der Nähe des Schifffahrtsmuseums. Gemeinsam mit dem Bildhauer, dem Ortsbeirat Gaarden und dem Kieler Kunstbeirat, der die Wiederaufstellung finanziert hat, wurde zudem ein neuer Standort an der Hörn für das Kunstwerk gefunden. In Nachbarschaft des Neubaus der Investitionsbank SH und des Theaterschiffs steht nun seit dem 31. März weithin sichtbar die tonnenschwere Büste.“
Die Büste steht direkt am sogenannten Germaniahafen (benannt nach der ersten deutschen Kriegswerft), direkt an der Stelle, wo nach dem 2. Weltkrieg die ersten U-Boote von HDW-Gaarden gebaut wurden. Unter anderem auch für das faschistische Regime in Chile, nach dem dort der blutige Putsch gegen die sozialistische Regierung von Alliende stattgefunden hatte.
Damit nicht genug. Mittlerweile werden von der ehemaligen HDW-Werft, jetzt unter dem Namen Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) modernste U-Boote gebaut, die mit Brennstoffzellen-Antrieb wochenlang unentdeckt die Weltmeere durchtauchen können, um angeblich sicherheitspolitisch relevante geheime Informationen zu sammeln. Wichtige Verkehrswege können gesichert oder auch bedroht werden. Im Kriegseinsatz können sie über die Geräuscheortung den richtigen Feind ausspähen und mit Torpedos vernichten. Neuerdings werden sie auch von anderen Ländern, wie z. B. Israel mit Atomraketen nachgerüstet. Diese U-Boote werden problemlos auch an Länder geliefert, die in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind, wie z. B. Türkei und Ägypten. An Letzteres wurde am 9.4.2020 das dritte U-Boot übergeben. Die Baugenehmigung für die U-Boote erteilte 2014/25 das Bundeswirtschaftsministerium unter der Führung von Sigmar Gabriel (SPD). So ein U-Boot kostet denn locker mal 400-500 Mio. Euro. Ägypten liegt mit der Exportbilanz aktuell mit 800 Mio. Euro knapp hinter Ungarn. Aber das ist ja fast nichts im Vergleich zu den vom Bundessicherheitsrat im Jahre 2019 genehmigten Rüstungsexporten im Wert von 7,95 Mrd. Euro. Die Rüstungskonzerne verdienen in Kiel außerordentlich gut, zahlen ihre Steuern größtenteils woanders und weil das Geschäft so profitabel ist, dürfen die Arbeiter auch bei Corona arbeiten.
Einige SPD- und Grünen-Politiker reden manchmal von Konversion (sprich Umwandlung in zivile Produktion). Aber da lachen nur noch die Möwen. „Ohne Export wäre die wehrtechnische Industrie in Schleswig-Holstein nicht überlebensfähig.“ sagt der Vorsitzende des Unternehmer-Arbeitskreises Wehrtechnik mit 30 Unternehmen und 6.400 Arbeitern. Eine traurige Wirtschaftsform, die nur noch durch Krieg und Mord am Leben zu erhalten ist. Corona hat uns mal kurz gezeigt, dass es Wichtigeres gibt und dass es mit Krieg und Waffen keine Lösung gibt.
Diese Büste am Germaniahafen macht nun unverschämte Werbung für die Produktion zum (heimtückischen) Töten. Nicht nur für die Traditionsschiffe im Museumshafen ist das eine Provokation. Niemand wurde gefragt, ob das Denkmal gewünscht ist. Auf die Beschilderung durch die Stadt Kiel dürfen wir gespannt sein. (uws) (Bild oben: Manfred Sihle-Wissel an der Wilhelm-Bauer-Büste am Germaniahafen. Foto: LH-Kiel, Imke Schroeder)
Bild: Im Ersten Weltkrieg kaperte das deutsche U-Boot U54 u.a. das Norwegische Segelschiff "Ocean" und versenkte es am 31.7.1917
LETZTE MELDUNG:
Das Nato-Manöver BALTOPS soll trotz der Corona-Krise vom 6.-19. Juni 2020 in der Ostsee stattfinden. Versorgungshäfen sind die Marinestützpunkte in Kiel und Eckernförde.
Aus 18 Nationen werden wieder 50 Schiffe mit ca. 8000 Soldaten erwartet. USA und NATO wollen ihre Stärke gegenüber Russland zeigen, die angeblich seit März vor der dänischen und deutschen Küste mit Aufklärungsschiffen agieren.
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Klimaschutzstadt Kiel 2020:
Kahlschlagpolitik im Grüngürtel
Radikales und schnelles Abholzen, auch über Nacht, erlebten wir Anfang März im Norden Kiels und in Altenholz. U. a. in Kiel an der Auffahrt zur Holtenauer Hochbrücke, im Bereich des Flughafens, am Altenholzer Gewerbegebiet und direkt vor den sog. Bananenhäusern in Altenholz-Stift an der B 503 wurde besonders stark in Natur und Grünfläche gewütet und ein trostloses Gelände hinterlassen.
Was beseitigt wurde war an vielen Stellen schon lange kein Knick mehr, sondern ein mehr als 30 Jahre alter Baumbestand an den Hängen zur Hochbrücke. Vor allem in der Nähe der Abwasser-Pumpanlage auf der Westseite der Brückenauffahrt wurde ein waldähnliches Gelände dem Erdboden gleich gemacht. Alles nur verpasste Knickpflege oder Raubbau an der Natur? (uws)
Auffahrt zur Prinz-Heinrich-Brücke, B 503
Auffahrt zur Prinz-Heinrich-Brücke, B 503
Auffahrt zur Prinz-Heinrich-Brücke, B 503
Auffahrt zur Prinz-Heinrich-Brücke, B 503
Altenholz, Gewerbegebiet Am Jägersberg
Altenholz-Stift Bananenhäuser
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Seebrücke Kiel:
#WirHabenPlatz
Im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages hat das Bündnis Seebrücke am 8. Februar 2020 auch in Kiel gegen die Flüchtlings-Abschottungspolitik der Bundesregierung protestiert. Seebrücke fordert die sofortige Aufnahme von 4.000 unbegleiteten Minderjährigen aus den griechischen Lagern.
Etwa 50 Teilnehmer, neben Aktivisten der Seebrücke vor allem aus den Spektren des Flüchtlingsrates und der „Omas gegen Rechts“ hatten sich vor dem Bürgerbüro des Kieler Bundestagsabgeordneten Mathias Stein (SPD) in der Medusastr. in Gaarden versammelt.
Der Redner der Seebrücke zu ihrem Anliegen: „Die Debatte, ob die Bundesregierung Minderjährige aus Griechenland aufnimmt, zieht sich nun schon fast zwei Monate hin. Wir brauchen jetzt eine schnelle Entscheidung. Die Situation ist jetzt dramatisch. Schon viel zu lange sitzen Kinder, Jugendliche, Familien und Einzelpersonen in überfüllten Lagern auf griechischen Inseln fest. Die Lebensbedingungen in diesen Lagern sind unmenschlich: Es gibt kaum Infrastruktur, Menschen müssen in bitterer Kälte draußen schlafen – ohne jeglichen Schutz. Mehr als 40.000 Menschen werden in diesen Lagern festgehalten, darunter auch über 4.000 unbegleitete minderjährige Menschen. Es ist unmenschlich was an Europas Außengrenzen passiert und wie immer sind die Jüngsten am meisten von der Not betroffen. Wir wollen nicht länger tatenlos dabei zusehen, wie der Bund die Verantwortung von sich wegschiebt und auf eine europäische Lösung pocht. Die Zeit zu handeln ist jetzt!Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie dem Willen zahlreicher Kommunen und Länder nachkommt und unverzüglich Minderjährige aus den griechischen Lagern aufnimmt!“
Über 100 deutsche Städte und Gemeinden – davon 13 in Schleswig-Holstein - haben ihre Aufnahmebereitschaft erklärt. Die Stadt Kiel hat sich ebenfalls bereit erklärt, 8 unbegleitete geflüchtete Minderjährige aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Vor der Einreise muss aber das Innenministerium die Zustimmung erteilen; dies tut es aber nicht.
Mathias Stein machte den Anwesenden wenig Hoffnung, dass es mit dem derzeitigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu einer Lösung kommt. Des weiteren war er wortreich bemüht, die sozialdemokratischen und seine ganz persönlichen Zwänge angesichts der GroKo und Fraktionsdisziplin in Sachen Flüchtlingspolitik zu erläutern (am Beispiel seiner Zustimmung zum „Geordnete- Rückkehr-Gesetz“)
Wenige Tage darauf konnte man der Presse entnehmen, dass Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) auf einer Veranstaltung in Rendsburg erklärte, dass die Landesregierung bereit sei, 25 bis 30 Kinder und Jugendliche nach Schleswig-Holstein zu holen. Ein entsprechendes Schreiben sei an den Bundesinnenminister abgesandt worden. (gst)
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Solidarische Landwirtschaft im Kieler Raum:
Erfolgreich ins 5. Jahr mit Bundespreis
Die Solidarische Landwirtschaft Schinkeler Höfe (Solawi) wurde im Januar 2020 beim Bundeswettbewerb ökologischer Landbau mit dem Preis für das besondere „Vermarktungskonzept“ ausgezeichnet. Dabei ist das besondere an dem Konzept, dass es gerade gegen den Markt gerichtet ist. Die Solawi umgeht den freien Markt für Lebensmittel und auch die im Biobereich schwankenden Dumpingpreise.
Die zzt. 180 Ernteanteile teilen sich ca. 370 Menschen. Es gibt mittlerweile 21 Depots in Kiel, Eckernförde, Gettorf, Altenholz und Schinkel. Die Solawistas unterstützen mit den auf ein Jahr zugesagten monatlichen Zahlungen die Landwirtschaft auf drei Höfen und bekommen dafür die anteilige Ernte. Wenn es aufgrund des Wetters einmal weniger zu ernten gibt, dann tragen die Solawistas dies mit. Das schafft eine Sicherheit für die Betriebe, die es durch die normalen Absatzmärkte nicht gibt. Zugehörig ist auch eine Bäckerei. Im Laufe des 5-jährigen Bestehens der Solawi konnten durch diese Sicherheit Menschen zusätzlich eingestellt werden und es wurden neue Betriebszweige eingerichtet und Betriebsübergänge erleichtert. Diversifizierung und Weiterverarbeitung statt Spezialisierung, wie es der „Markt“ predigt. Die Anteilnahme aus dem Kieler Raum ist so groß, dass in diesem Jahr keine weiteren TeilnehmerInnen mehr aufgenommen werden können, aber es gibt eine Warteliste. Die Solawi Schinkeler Höfe unterstützt auch sehr gerne BäuerInnen und VerbraucherInnen, die weitere Solawis gründen wollen.
Zukunftswerkstatt: QUO VADIS SOLAWI?
5 Jahre - 5 Höfe - Wo wollen wir in fünf Jahren sein?
So., 1.03.2020, 9.00 - 17.00 Uhr, Op`n Uhlenhoff,
Schinkelhüttener Weg 18, 24214 Schinkel
Weitere Infos unter: www.schinkeler-hoefe.de (uws)
Herzlichen Glückwunsch SOLAWI! Wir sind die Preisträger des Bundeswettbewerbs Ökologischer Landbau 2020! - im Bereich „Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung“. Film zum Bundeswettbewerb: https://youtu.be/4ZbJjXFkIsU
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Stadthaushalt Kiel 2020:
Die Zukunft sieht nicht gut aus
Eigentlich war die Freude des Stadtkämmerers groß, als es für das Haushaltsjahr 2019 hieß, es gebe einen Überschuss von 84 Mio., denn damit konnte sich die Stadt aus der Umklammerung durch die Kommunalaufsicht des Landes lösen. In den vergangenen Jahren war der Haushalt immer im Minus, so dass mittlerweile ein Defizit des Verwaltungshaushaltes von über 200 Mio. aufgelaufen war.
Die Kommunalaufsicht des Landes lehnte alle Investitionen über 10 Mio. wegen der berüchtigten Schuldenbremse ab. Zur Erinnerung sei erwähnt, dass die Schuldenbremse zurückgeht auf die Finanzkrise 2008. Danach kostete die systemrelevante „Bankenrettung“ dem Steuerzahler nach Berechnungen des IWF bis 2013 300 Mrd., gleichzeitig wurde bei den Kommunen gespart und privatisiert, wodurch die Kommunalschulden bis 2015 auf 332 Mrd. anstiegen. Wichtige Investitionen in Abwasser, Schul- und Straßenbau wurden deshalb in den letzten Jahren auch in Kiel verzögert.
Die Freude, dass die Stadt Kiel von der Finanzaufsicht des Landes befreit ist und nach eigenem Ermessen investieren kann, hat sich aber seit 2020 wieder erledigt. Und dies, obwohl zunächst mit einem leichten Überschuss von 500.000 Euro gerechnet wurde und höhere Steuereinnahmen von ca. 2 Mio. zu erwarten waren.
Kommunalhaushalte-Harmonisierungsgesetz der Landesregierung
Hintergrund ist das „Kommunalhaushalte-Harmonisierungsgesetz“, das die Landesregierung auf ihrer letzten Landtagssitzung am 13. Nov. 2019 beschlossen hat. Danach sind die Kommunen verpflichtet in ihrem Verwaltungshaushalt Rücklagen in der Höhe von 10% des Jahresergebnisses zu bilden. Ansonsten müssen die kommunalen Haushalte vom Land genehmigt werden.
Das ist wohl eine Erpressung der Kommunen. Außerdem wurde bekannt, dass die Städte über den kommunalen Finanzausgleich weniger Zuweisungen erhalten sollen. Kiel benötigt die Überschüsse aber dringend um das aufgelaufene Defizit abzubauen.
Auf der Ratsversammlung am 12. Dez. 2019 wurde der Haushaltsplan 2020 beschlossen, in den zusätzliche Anträge für Investitionen aus den Parteien von 1,57 Mio. aufgenommen wurden. Lediglich Die Linke stimmte gegen den Haushaltsplan, weil sie noch mehr Investitionen im sozialen Wohnungsbau forderten. In der nebenstehenden Tabelle stellen wir die größten geplanten Investitionen dar. Insgesamt investiert die Stadt 91 Mio. Euro. Wir dürfen gespannt sein, ob die Finanzaufsicht des Landes das durchwinkt und diese als rentierliche Investitionen akzeptiert.
Obwohl es nach den Meldungen der Stadt Kiel immer so erscheint, als wäre die Haushaltsverschuldung doch gar nicht so erheblich (nur ein „aufgelaufenes Defizit von 180 Mio.“), sieht die wirkliche Verschuldung der Stadt wesentlich schlimmer aus. Seit der Einführung der Konzernbuchhaltung für die Kommunen ist es üblich geworden, den Verwaltungshaushalt getrennt von Finanzhaushalt zu betrachten. Geredet wird dann nur noch über den Verwaltunghaushalt, während die Verschuldung im Finanzhaushalt wieder zufinden ist.
Gesamtverschuldung über 1 Milliarde Euro
Wir haben in unserer Tabelle den Verwaltungshaushalt mit einem Jahresergebnis für 2019 von + 8,2 Mio. und einen Schuldenstand von 565,8 Mio. Euro (2019) aufgeführt (Die langfristig aufgebauten Schulden des Haushaltes finden sich als Investitionskredite wieder).
Daneben gibt es den Finanzhaushalt (Kreditverbindlichkeiten incl. Eigenbetriebe und Beteiligungen).
Hier gibt es ein Defizit von -171,9 Mio. (2019) und einen Schuldenstand von 633,2 Mio. Euro (2019).
Die Gesamtverschuldung der Stadt Kiel für 2019 ergibt somit tatsächlich: 1.119 Mio. Euro
Um dies zu verdeutlichen haben wir die städtische Grafik der Gesamtverschuldung (Zusammenführung aller Einzelbeträge) in einer Linie oberhalb ergänzt.
(Alle Zahlen, soweit erkenntlich, aus dem Haushaltsplan der Landeshauptstadt Kiel 2019 + Haushaltsplanentwurf 2020 der Landeshauptstadt Kiel, ohne Gewähr.)
Bereits im Februar 2019 haben wir in der LinX die jahrzehntelange Unterfinanzierung des Kieler Stadthaushalts in Grafiken dargestellt und vorausgesagt, dass die Gesamtverschuldung in diesem Jahr die Milliarden-Grenze überschreiten wird. Die Stadt ist tatsächlich seit ca. 20 Jahren dauerhaft unterfinanziert. Trotzdem wurde der Haushaltsabschluss bejubelt und die tatsächliche finanzielle Lage der Stadt schöngeredet.
Die schwierige Lage der Stadtfinanzen lässt sich immerhin aus der Schlussbemerkung zum Haushaltsentwurf 2019 erkennen:
„Diese positive Entwicklung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ergebnisplan noch nicht „über den Berg“ ist. Summiert man die Jahresergebnisse seit Einführung der Doppik auf, so schiebt der Kieler Haushalt unter Berücksichtigung des Nachtragsergebnisses mit Stand Ende 2018 immer noch aufgelaufene Haushaltsdefizite in Höhen von mehr als 200 Mio. EUR vor sich her. Mit der hier vorliegenden Planung würde diese Zahl sich bis Ende 2022 auf rund 182,3 Mio. EUR reduzieren. Im Haushalt nicht veranschlagt werden darf die in den Jahren 2019 bis 2022 an die Stadt fließende Konsolidierungshilfe. Für den genannten Zeitraum wird sich diese auf schätzungsweise 65 Mio. EUR summieren. Insgesamt könnte das aufgelaufene Defizit bis 2022 somit auf rd. 117 Mio. EUR reduziert werden. Gegenwärtig wird im Rahmen des Jahresabschlusses sogar von einem deutlich höheren Jahresüberschuss für 2018 von mehr als 80 Mio. EUR ausgegangen, so dass sich das aufgelaufene Defizit nochmals um bis zu 40 Mio. EUR verbessern kann. Aber selbst bei einer weiterhin positiven Haushaltsentwicklung über das Jahr 2022 hinaus, wird es noch einige Jahre dauern, bis das aufgelaufene Defizit vollständig abgebaut ist. Erst dann wird die Stadt in der Lage sein, aus den Überschüssen im Ergebnisplan ihre Investitionen zumindest teilweise ohne neue Kreditaufnahmen selber zu finanzieren. Bis dahin werden sämtliche Eigenanteile städtischer Investitionen weiterhin kreditfinanziert.
Dennoch hat die Forderung an Land und Bund nach einer auskömmlichen, nachhaltigen, aufgaben- und bedarfsorientierten Finanzausstattung der Kommunen nicht an Aktualität und Bedeutung verloren. Entscheidender Bedeutung kommt dabei neben der anstehenden Neuordnung der Finanzierung von Betreuungseinrichtungen der durch das Landesverfassungsgericht aufgegebenen Überarbeitung des Kommunalen Finanzausgleichs zu. Nur bei einer schnellen und strukturell deutlich verbesserten Grundfinanzierung insbesondere der kreisfreien Städte wird eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung und ein Eindämmen der kommunalen Verschuldung – auch angesichts stetig steigender städtischer Aufgaben – zu verhindern sein. Nur wenn hier deutlich nachgebessert wird, kann sich die Landeshauptstadt Kiel aus der starken konjunkturellen Abhängigkeit auf der Ertragsseite befreien, die positive Haushaltsentwicklung nachhaltig stabilisieren und weiter verbessern.“ (Schlussbemerkung und Perspektiven aus dem Haushaltsplan 2019 Band 1, Christian Zierrau, Stadtrat)
Gibt es Lösungsmöglichkeiten?
Hinter dieser Verschuldung steht eine grundsätzliche Missachtung der kommunalen Aufgaben durch die Bundesregierung. Immer mehr Aufgaben für die Kommunen, aber nur ein geringer Teil der staatlichen Finanzen fließt in die kommunale Daseinsvorsorge. Und dies obwohl laut Grundgesetz der Staat verpflichtet ist die kommunalen Mittel bereitzustellen.
Die Folgen sind katastrophal. Stadtwerke, Wohnungsbau und Berufsschulen wurden privatisiert um den Haushalt zu retten. Aber ohne Erfolg. Den Politikern ist es durchaus bewusst, wenn erwähnt wird, die Stadt könne ihre strukturelle Verschuldung nicht aus eigenen Kräften beheben und es ginge um die Wiederherstellung eigener Gestaltungsspielräume. Leider sind es dann zuerst die freiwilligen Aufgaben (Kultur usw.), die auf dem Spiel stehen.
Aber woher soll das Geld kommen für den notwendigen sozialen Wohnungsbau, für öffentlichen Personalverkehr, Wasser-, und Abwassernetze, für Kitas, Schulen, Schwimmbäder und Straßen. Hierzu ist auf Bundesebene eine ganz andere Verteilung der Steuereinnahmen nötig. Erwähnt sei, dass dies in unserem Nachbarland Dänemark grundsätzlich anders läuft: Hier landet der größte Teil der Steuereinnahmen zunächst bei den Kommunen, danach erst auf höherer Ebene.
- Seit längerem fordern z.B. ver.di und Attac eine Erhöhung des Gesamtsteueraufkommens und des kommunalen Anteils daran von derzeit ca. 12 auf 20 Prozent. Das würde laut Attac 50 Milliarden Euro zusätzliche Mittel für Städte und Gemeinden bedeuten.
- Die Einnahmen über die Gewerbesteuer sind örtlich sehr unterschiedlich und keine zuverlässige Einnahmequelle für die Gemeinden. Es macht die Gemeinden auch leicht erpressbar, für Gewerbe lukrative Grundstücke und Erschließung kostengünstig bereitzustellen (Beispiel Möbel Kraft und Amazon). Wir brauchen also auch eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer.
- All das alleine wird wohl auch nicht reichen. Um die Handlungsfähigkeit der Städte und Kommunen zu erhalten, ist ein kommunaler Schuldenerlass nötig. (Uwe Stahl)
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