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Bauchschmerzen mit der Koalition:
Schleswig-Holsteinische SPD zerrissen
01. Februar 2018 Nach der Bundestagswahl-Klatsche hatte der Landes- und Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner getwitter: „Opposition und Absage an große Koalition ohne jede Hintertür! Basta! Glaubwürdigkeit der SPD auf dem Spiel!“ Noch am 20. November erklärte er im ZDF-Morgenmagazin: „Wenn wir uns am Wahltag entschieden haben, wir machen keine GroKo, dann gilt das auch noch zwei Monate später.“
Als Mitglied der sozialdemokratischen Sondierungskommission vollzog er dann doch schnell einen Wandel, hin zum ja, aber. Die Ergebnisse der SPD-Verhandler waren zwar im Grunde "hervorragend", aber wenige Stunden später wollte die halbe SPD nachverhandeln und nachbessern, darunter Malu Dreyer und Ralf Stegner, die selbst bei den Sondierungen dabei waren. Kurioserweise waren auch sie nicht mehr damit zufrieden, was sie selbst mit ausgehandelt hatten.
Das sieht auch seine stellvertretende Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli so, die schon im SPD-Bundesvorstand gegen die Ergebnisse der Sondierungen gestimmt hat. „Was die SPD erreicht hat, ist noch weniger als 2013.“ Vor allem die Zugeständnisse ihrer Partei in der Zuwanderungsfrage lassen sie bei ihrem Nein bleiben. Zudem gebe es einen Parteitagsbeschluss vom November, in dem sich die Landes-SPD festgelegt hat, auch im Falle eines Scheiterns von Jamaika keine Große Koalition im Bund eingehen zu wollen. Dabei soll es bleiben, wenn es nach den Jungsozialisten geht, die mit acht Delegierten aus dem Norden auf dem Bundesparteitag vertreten sein werden. „Wir sind uns einig“, sagt die Vorsitzende Sophia Schiebe. Ein Bundesparteitag habe 60 Punkte festgelegt, die die Partei durchsetzen wolle. „Davon ist vielleicht ein Drittel umgesetzt worden“, so Schiebe.
Der Kieler Bundestagabgeordnete Mathias Stein wollte für seine Entscheidung erst noch die Diskussionen der nächsten Tage abwarten. „Ich habe immer noch Bauchschmerzen, die Tendenz geht aber eher zur Zustimmung, um weiterzuverhandeln.“
Die Landes-SPD entsendet 24 Delegierte zum Bundesparteitag am 21.1.und verfügt mit den zusätzlichen Mandaten von Ralf Stegner als Bundesvize und Serpil Midyatli als Beisitzerin im Vorstand über 26 Stimmen. Letztlich hat sich der Bundesparteitag mit vergleichsweise knapper Mehrheit von 56 Prozent für die Aufnahme vpn Koalitionsgesprächen entschieden. Über das Abstimmungsverhalten der schleswig-holsteinischen Delegierten war bei Redaktionsschluss nichts bekannt.
Kurz vor dem Parteitag hatten eine Reihe schleswig-holsteinischer Organisationen (siehe nebenstehende Liste) einen offenen Brief an die hiesisge SPDn geschrieben, in der sie die diese aufforderten dieser "Anti-Asyl-GroKo" nicht zuzustimmen. Im Nachfolgenden zitieren wir den Wortlaut: (gst)
Die Sondierungsgespräche zwischen den Unionsparteien und der SPD sind abgeschlossen. Mit Blick auf den im kleinen Kreis der Herren Thomas de Maizière (CDU, Sachsen), Volker Bouffier (CDU, Hessen), Boris Pistorius SPD, Niedersachsen) und Ralf Stegner (SPD, SH) übereinstimmend verabredeten Teil „Migration und Integration“ im Sondierungsergebnispapier vom 12. Januar spricht PRO ASYL von einem „Sieg der Hardliner über Humanität und Menschenrechte“. Der IPPNW urteilt: „Wer Schutzsuchende so behandelt, hat die Menschenrechte grundsätzlich falsch verstanden.“ Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst moniert, die Koalition setze „auf ein ‚weiter so‘ in der tödlichen europäischen Abschottungspolitik und innenpolitisch auf rückwärtsgewandte Verschärfungen“.
Die Unterzeichnenden - Flüchtlingsorganisationen, Migrations- & Integrationsfachdienste, Organisationen aus der Antirassismusarbeit und Selbstorganisationen - schließen sich dieser Kritik an. Wir bitten die SPD Schleswig-Holstein und ihre Mitglieder, Koalitionsvereinbarungen, die sich durch eine wie im Sondierungspapier beschriebenen Zuwanderungs- und Integrationspolitik auszeichnen, nicht zuzustimmen.
Zur notwendigen Kritik im Einzelnen:
• Wenn die Sondierer erklären, sie wollten die Fluchtursachen bekämpfen und nicht die Flüchtlinge, und dazu einen seit Jahrzehnten ständig wiederholten, jedoch aller Erfahrung nach nicht ernst gemeinten Katalog von Lippenbekenntnissen diesbezüglicher Maßnahmen listen, und an anderer Stelle nur mit mehr EU-Grenzabschottung und Militärinterventionen konkret werden, bleibt dieses Versprechen unglaubwürdig.
• Wenn die Sondierer erklären, „dass die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft nicht überfordert werden darf“ und deshalb trotz brummender Konjunktur den Zugang von Schutzbedürftigen verfassungswidrig auf höchstens 220.000 Personen per anno deckeln wollen, versuchen sie lediglich den eine vielfältige Gesellschaft ablehnenden Stammtischen zu genügen und den Geflüchteten die Verantwortung einer seit Jahren unzureichenden und fehlgeleiteten Sozialpolitik zuzuweisen.
• Wenn die Sondierer die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte verlängern und den generellen Familiennachzug gleich mit beseitigen und stattdessen durch eine Bingo-Politik ungenügender „humanitärer Kontingente“ von 1.000 Menschen/Monat ersetzen wollen, bedeutet dies einen Verstoß gegen den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes, internationale und europäische Menschenrechtsvereinbarungen und die UN-Kinderrechtskonvention. Es ist unerträglich, wenn in diesem Zusammenhang Eltern, Eheleute und Geschwister, die sich angesichts extrem brutalisierter Kriegsgewalt, Zwangsrekrutierung und Menschenhandel nicht anders zu helfen wissen, als ihre Kinder durch deren Flucht zu retten, von den Sondierern die Gefährdung des Kindeswohls vorgehalten und das Recht auf Familieneinheit verwehrt wird.
• Wenn die Sondierer ankündigen, Geduldete zwar bei Spracherwerb und Beschäftigung zu fördern, aber einer auf Integrationsleistung beruhenden Verfestigung von Aufenthaltsrechten eine Absage erteilen, leisten sie den im Lande bei der Integration engagierten Betrieben, Unternehmensverbänden, Integrationsfachdiensten, Ehrenamtlichen und nicht zuletzt den integrationswilligen Geflüchteten einen Bärendienst. Die geplante "bundesweit einheitliche" 3+2-Regelung für Auszubildende lässt befürchten, dass hier die bayrische Praxis, nach der fast alle ausbildungswilligen Geflüchteten abgewiesen werden, Vorbild sein soll. Dass unter der Überschrift „Wirtschaft…“ zwar Frauen, geringqualifizierte Beschäftigte und Ältere zu Zielgruppen verstärkter Weiterbildung erklärt werden, aber Zugewanderte weder an dieser Stelle noch unter der Überschrift „Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht“ als zu fördernde Zielgruppe identifiziert werden, lässt eine großkoalitionäre Beschäftigungspolitik erwarten, die Migrant*innen und Geflüchtete allenfalls auf die Rolle der Verfügungsmasse bei unstetem Arbeitsmarkt reduziert.
• Wenn die Sondierer der regelmäßigen Internierung von allen Asylsuchenden in sogenannten Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER) das Wort reden, bedeutet dies einen Rückfall in die asyl- und integrationspolitische Fehlerpolitik vergangener Jahrzehnte. Soziale Isolierung von schutzbedürftigen Kindern und Erwachsenen bedeutet, ihnen soziale Kontakte zu verwehren und den Zugang zu unabhängigen Beratungs- und ehrenamtlichen Unterstützungsangeboten, Rechtsanwält*innen sowie Bildungs- und Förderangeboten zu verhindern. Damit wird die von Fachpolitik, Wirtschaft und Verbänden geforderte frühestmögliche Integration konterkariert.
• Wenn die Sondierer lapidar erklären, „vollziehbar Ausreisepflichtige müssen unser Land verlassen“, und sich die humanitäre Potenz der künftigen GroKo mit dem Angebot der vermeintlich „freiwilligen Rückkehr“ in lebensgefährliche Herkunfts- und risikoreiche Dublin-Staaten schon erschöpft, ist zu befürchten, dass sich hier eine unbarmherzige Abschiebungspolitik ankündigt.
• Wenn die Sondierer Herkunftsländer regelmäßig als sicher dekretieren wollen, wenn lediglich unter 5 % der Asylgesuche von dort stammender Flüchtlinge anerkannt werden, wären zentrale verfassungsrechtliche<s>n</s> Voraussetzungen kaum erfüllbar: Verfolgungsfreiheit und der regelmäßige Ausschluss struktureller Menschenrechtsdefizite können in keinem Land angenommen werden, aus dem Teile der Bevölkerung zu fliehen versuchen. Mit einer solchen Regelung würde sich die kommende Bundesregierung ihrer Verpflichtung zu einer fairen Prüfung entziehen.
• Dass unter der Überschrift „Migration und Integration“ und auch an anderer Stelle im Sondierungspapier kein Wort verloren wird über den zunehmenden strukturellen und gesellschaftlichen Rassismus und damit auch keine nachhaltige Bekämpfungsstrategien angekündigt werden, ist weiterer Anlass zu Kritik an den Verabredungen zwischen den künftigen Großkoalitionären. Das Sondierungspapier zeichnet sich darüber hinaus durch eine selektive Zuwanderungspolitik von ‚teile und herrsche‘ aus, indem die Förderungsbedarfe von EU-Zuwanderern in prekärer Lage anerkannt und die Überlebensstrategien von Drittstaatenangehörigen als „missbräuchliche Zuwanderung“ in die Sozialsysteme verunglimpft werden. Dabei ist gerade die Menschenwürde unteilbar.
Die SPD stand in Schleswig-Holstein in den vergangenen Dekaden für eine i.d.R. rechtspolitisch progressive und humanitär ambitionierte Flüchtlings- und Integrationspolitik. Das am 12.1.2018 vorgelegte Sondierungspapier mit seinen im Ergebnis auf die systematische Ausgrenzung von Geflüchteten angelegten Plänen wird diesem Anspruch nicht gerecht.
Anlässlich der Beratungen des SPD-Landesvorstands am Samstag und des am Sonntag folgenden Sonderparteitages in Bonn bitten die Unterzeichnenden die sozialdemokratische Partei in Schleswig-Holstein und ihre Mitglieder, dem so im Sondierungspapier niedergelegten flüchtlings- und zuwanderungsfeindlichen Politikkonzept und ggf. solcherart Koalitionsvereinbarungen die Zustimmung zu verweigern.