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Wir dokumentieren: IMI-Standpunkt 2025/009
Kursverschärfung:
Militarisierung nach der Wahl
Angesichts der Tatsache, dass davon auszugehen ist, dass die nächste Bundesregierung unter einem CDU-Kanzler Friedrich Merz agieren wird, „lohnt“ sich ein kurzer Blick darauf, welche militärpolitischen Vorstellungen in der Union kursieren. Im Wesentlichen deutet dabei alles auf eine Art verschärfte Kontinuität hin: Die zentralen Projekte der Ampel-Regierung dürften in noch militarisierter Form fortgesetzt werden.
CDU-Enquete:
Langfristige Konfrontation
Ende Januar 2025 wurde der Bericht der von CDU/CSU ins Leben gerufenen Enquetekommission „Frieden und Sicherheit in Europa“ veröffentlicht. Russland wolle „die Geschichte zurückdrehen“, heißt es darin: „Putins Vorbild ist offenkundig die Sowjetunion, für die er 14 Jahre lang, von 1975 bis 1989, als KGB-Offizier arbeitete, die vier letzten Jahre in der DDR, in Dresden.“ Doch auch China und der Iran werden mit in eine „Achse der Autokratien“ verortet – bei den zunehmenden Konflikten mit diesen Ländern handele es sich „nicht um eine vorübergehende Krise […], sondern um eine neue, langfristige Konfrontation, die unser außen- und sicherheitspolitisches Handeln prägen wird.“
Vorbereitet 2012 und 2013 im Projekt „Neue Macht – Neue Verantwortung“ und dann vor allem beim Auftritt des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2014, wird seit Jahren gefordert, Deutschland müsse die vermeintliche Kultur der militärischen Zurückhaltung abstreifen und mehr (militärische) Führungsverantwortung übernehmen (siehe IMI-Studie 2015/2).
Die diesbezüglichen Passagen aus dem Bericht der Enquetekommission waren fast identisch schon im Bericht Neue Macht – Neue Verantwortung zu finden. Im Enquetebericht liest sich das folgendermaßen: „Aufgrund seiner Wirtschaftskraft, seiner zentralen geographischen Lage […] hat Deutschland ein Potenzial wie kein anderes europäisches Land, eine Führungsrolle zu übernehmen. Daraus entsteht auch eine Verpflichtung zur Verantwortung“.
Hierfür bedürfe es deutlich mehr Personals: „Das bedeutet nicht nur eine enorme materielle Kraftanstrengung, die keiner Bundesregierung leichtfallen wird, sondern auch die Ausweitung der Personalstärke der Bundeswehr auf bis zu 270.000 Männer und Frauen [von derzeit rund 180.000]. Beides ist im Sinne unserer Bündnisfähigkeit und damit unserer Sicherheit in Europa unausweichlich.“
Und natürlich brauche es für all die Ansprüche mehr Geld: Zwar „befürwortet die Hälfte der Bevölkerung Verteidigungsausgaben in Höhe von 3-3,5% des Bruttosozialprodukts“, also Steigerungen von aktuell rund 52 Mrd. Euro (Einzelplan 14) auf rund 120 Mrd. bis 150 Mrd. Euro, „allerdings nicht, wenn dies auf Kosten der Sozial-, Umwelt- oder Entwicklungsbudgets geht.“ Aufgrund solcher „ambivalenter Einstellungen ist eine ständige politische Kommunikation vonnöten“, um derlei Erhöhungen durchdrücken zu können.
CDU-Wahlprogramm
Etwas vorsichtiger wurde die Frage nach der Höhe der Militärausgaben im CDU-Wahlprogramm „Politikwechsel für Deutschland“ formuliert: „Wir verstehen das aktuelle Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze unserer Verteidigungsausgaben.“ Da aber dort gleichzeitig gefordert wird, die Bundeswehr müsse eine – kostspielige – „Vollausstattung und materielle Reserven für die Truppe bilden“, ist – in Kombination mit anderen Aussagen führender CDU-Politiker*innen, darunter Merz selbst – mit weiteren deutlichen Ausgabensteigerungen zu rechnen (siehe auch den Beitrag Rüstung statt Rente bei IMI Standpunkte 2025/009).
Personell setzt die CDU in ihrem Wahlprogramm auf einen Aufwuchs der Bundeswehr von aktuell rund 180.00 auf mindestens 203.000 Soldat*innen. Um dies zu erreichen, wird eine „aufwachsende Wehrpflicht“ gefordert: „Wir setzen perspektivisch auf ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das wir mit der aufwachsenden Wehrpflicht zusammendenken. So werden wir dem Personalbedarf zur Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeit gerecht. Aus dem Kreis der Gemusterten sollen diejenigen benötigten Tauglichen kontingentiert und zum Grundwehrdienst einberufen werden, die ihre Bereitschaft zum Wehrdienst signalisiert haben.“
CSU: Masterplan Bundeswehr
Konkreter wurde die CSU, die im wahrscheinlichen Falle eines Wahlsieges der Union auf das Verteidigungsministerium zu schielen scheint. Was die Partei dann so im Auge haben dürfte, lässt sich in einem „Masterplan Bundeswehr“ nachlesen, der Mitte Februar 2025 veröffentlicht wurde.
Hier wird noch klarer der Anspruch formuliert, an der Zeitenwende anzusetzen, dann aber deutlich darüber hinausgehen zu wollen: „Die ‚Zeitenwende‘ wurde bisher nur unzureichend umgesetzt. Es braucht neuen Schwung und neuen Schub. Der notwendige Dreiklang: mehr Geld, mehr Technologie und mehr Effizienz.“
Dies beinhaltet für die CSU u.a.: „Vollausstattung aller Kampfverbände und Aufbau schlagkräftiger Reserve; dafür zusätzlich 300 Kampfpanzer, 500 Schützenpanzer, 2.500 Fahrzeuge.“
Ferner will die CSU eine „Drohnen-Armee mit 100.000 Drohnen“ sowie die „Entwicklung neuer Marschflugkörper mit 2.500 km Reichweite (Deep Precision Strike)“, die mit kurzen Vorwarnzeiten bis tief nach Russland reichen würden. Was die „Finanzierung“ anbelangt, enthält es die Forderung nach einem „Zehn-Jahres-Plan für Aufwuchs auf 3 Prozent des BIP.“
Angepeilt werden „500.000 einsatzbereite Soldaten und Reservisten“ und hierfür auch eine „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ – aktuell steht die Bundeswehr bei 230.000 Soldat*innen (180.000 Aktive und 50.000 Reserve).
In der Summe sind die Pläne der CSU ein unverhohlenes Programm zur ungehemmten Aufrüstung, ein Wunschzettel des Militarismus. Wie nebenbei werden Grundrechte zur Disposition gestellt und auch offensive militärische Aktionen ins Feld geführt, geht es um „deutsche Interessen“ und „Wertepartnerschaften“.
Wie auch schon im bayerischen Bundeswehrstützungsgesetz (siehe IMI-Analyse 07/2024) wird ein militärbezogener Bürokratieabbau gefordert, der unter dem Deckmantel der Effizienzsteigerung vor allem die etablierten Kontrollmechanismen bei Rüstungsprojekten und in der Beschaffung abschafft – dass Bayern als größter Rüstungsstandort massiv profitiert, bleibt unerwähnt: Selbstlos.
Vorgeschmack
Einen Vorgeschmack auf das, was CDU und CSU sich in Punkto Sicherheitspolitik vorstellen, mag auch der im Februar 2024 erneut gescheiterte Antrag im Bundestag illustrieren. In den Medien vor allem auf die Frage der Taurus-Waffenlieferung an die Ukraine reduziert, ist der Antrag, der „Für eine echte [!] Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ wirbt, ein nahezu entgrenzter Katalog von 28 Punkten, lediglich einer davon bezieht sich auf die Ukraine und die zu liefernden Waffen.
Der erste Punkt schreibt das Feindbild fest und fordert, dass dieses auch in den Köpfen der Deutschen fest verankert wird: Russland – und vielleicht jeder andere (diffuse) „systemische Rivale“, der unseren Wohlstand herausfordert. Das implizite Feindbild China und der Anspruch zur Gestaltung Afrikas und natürlich des Balkanraumes sind hier ergänzt und nach dem Willen der Fraktionen auch militärisch zu denken.
Zur Absicherung der militärischen Kapazitäten sind nicht nur alle Mittel der Industrieförderung aktiv zu benutzen, sondern auch mögliche Störfaktoren zu eliminieren (z.B. Zivilklauseln, die angeblich eine militärische Forschung an den Hochschulen unterbinden). Entscheidend an dem Antrag sind neben den Aufrüstungsfantasien vor allem auch – wie der Verweis auf die Zivilklauseln auch deutlich macht – die Eingriffe in die Gesellschaft selbst, die zu ihrem eigenen Schutz mit Überwachung überzogen wird und aufgefordert wird, sich aktiv auf einen kommenden Krieg einzustellen. Darüber wird auch die Stärkung der nachrichtendienstlichen Kapazitäten und Befugnissen gerechtfertigt.
Fast jeder der hier nur beispielhaft angerissenen Punkte verdient mehr Aufmerksamkeit und in der Summe zeigen sie: Hier werden die europäischen oder deutschen „Werte“ nicht verteidigt, sie werden ad absurdum „geschützt“.
Trübe Aussichten
Ob sich die CSU nach der Wahl tatsächlich des Verteidigungsministeriums wird bemächtigen können, ist zwar fraglich, die recht konkreten Vorschläge ihres Masterplans dürften aber einen Einblick geben, was insgesamt in den Köpfen der Unions-Verteidigungspolitiker*innen herumgeistert – und das verheißt leider nichts Gutes!
von: Andreas Seifert und Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 18. Februar 2025
Quelle: https://www.imi-online.de/2025/02/18/kursverschaerfung-militarisierung-nach-der-wahl/