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Krieg und Propaganda:

Geschichte wiederholt sich nicht, aber man kann aus ihr lernen

- Der erste Weltkrieg und die Kriegsgefahren in Europa heute -

Das Attentat von Sarajevo am 28.Juli 1914 an dem österreichischen Thronfolger und dessen Frau war bekanntlich der Funke, der ein Pulverfass zur Explosion brachte. In diesem Krieg starben 17 Millionen Soldaten und 7 Millionen Zivilisten.

Konflikte zwischen imperialistischen Staaten *)

Der erste Weltkrieg war die Folge von zahlreichen Spannungen und Kriegen zwischen imperialistischen Staaten. Dabei ging es vor allem um Grenzverschiebungen, Autonomieansprüche, um Rohstoffe und um geostrategischen Einfluss. Der Krieg lag förmlich in der Luft und brauchte nur noch einen Auslöser.

So nutzte Österreich/Ungarn das Attentat als Vorwand, Serbien den Krieg zu erklären und sicherte sich vorher den Beistand des deutschen Kaiserreichs.

Dadurch wurde eine vorhersehbare Eskalationsspirale ausgelöst. Russland erklärte als Bündnispartner Serbiens Österreich/Ungarn den Krieg, woraufhin das Deutsche Reich Russland und Frankreich den Krieg erklärte. Ein deutsches Ultimatum an Belgien, in dem der ungehinderte Durchmarsch deutscher Truppen nach Frankreich gefordert wurde, führte zum Kriegseintritt Englands an der Seite Frankreichs und Russlands. Der U-Boot- Krieg im Nordatlantik löste schließlich 1917 den Kriegseintritt der USA aus. Der Ausgang dieses verheerenden Krieges ist bekannt.

Krieg und Propaganda

Die Voraussetzungen für den Krieg waren Hochrüstungen und Bevölkerungen, die der Kriegsbereitschaft ihrer Länder weitgehend zustimmten und sich mit ihren „Vaterländern“ identifizierten.

Die wirksamen Instrumente für solche Zustimmung sind die Propagierung von Patriotismus und von Feindbildern, die den Gegner entmenschlichen sowie das Schüren von Ängsten vor der Vernichtung durch das „Böse“ (daher: „Jeder Schuss ein Russ“, „jeder Stoß ein Franzos“).

Ähnliche Parolen gab es natürlich auch in den anderen Nationen. Menschen, die dieser Haltung nicht folgten, drohte Gefängnis oder gesellschaftliche Diskriminierung und Ausgrenzung („Vaterlandsverräter“).

Darüber hinaus ist es propagandistisch immer notwendig, die eigene Kriegsführung als gerechtfertigten Verteidigungskrieg zu legitimieren, egal ob es zutrifft oder nicht. Selbst Hitler begründete seinen Überfall auf Polen mit den Worten: „Seit 5.45 Uhr wird zurück geschossen.“

Als aufsteigende Industrie- und Militärmacht strebte das deutsche Kaiserreich nach mehr Weltgeltung. Man wollte quasi mehr vom Kuchen und fühlte sich bei der Aufteilung der Welt benachteiligt.

Die Voraussetzungen für den Krieg schienen durch die Kultur des preußischen Militarismus und die hoch entwickelte Schwer- und Rüstungsindustrie materiell und mental besonders günstig.

So konnte Wilhelm II. kurz vor Kriegsbeginn im Reichstag unwidersprochen verkünden:
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. Er gewährte den Sozialdemokraten in einer generösen Geste „Vergebung“, weil sie inzwischen bereit waren, das Volk zu den Waffen zu rufen und die finanziellen Mittel für diesen Krieg zu bewilligen.
Weiter stellte er fest: „Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre ein Verrat am Vaterland.“

Am Abend des 21.Juli 1914 teilte das Kriegsministerium den militärischen Kommandos mit:
„Nach sicherer Mitteilung habe die SPD die feste Absicht, sich so zu verhalten, wie es sich für jeden Deutschen unter den gegenwärtigen Verhältnissen geziemt.“ (vgl. SPIEGEL- GESCHICHTE 5/2013).

Die sozialdemokratische Presse begründete diese Haltung damit, dass es um Verteidigung gehe, weil die russischen Barbarenhorden schon im Anmarsch seien.

Noch am 25.7.1914 (4 Tage vor Kriegsausbruch) rief der Parteivorstand der SPD zu einer Großkundgebung gegen das „kriegsverbrecherische Treiben“ der Regierung auf. Dem Aufruf folgten eine halbe Million Menschen.

10 Tage später stimmte die Reichstagsfraktion am 4. August den Kriegskrediten zu. Die Gewerkschaften riefen bereits am 2. August zur Einstellung aller Lohnkämpfe und zur „patriotischen Zusammenarbeit“ auf. Die Mehrheit der SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre wollte nicht mehr als „vaterlandslose Gesellen“ diskriminiert werden. Sie beugte sich der herrschenden Propaganda und wechselte die Seite.

Widerstand gegen Imperialismus und Krieg vor dem 1. Weltkrieg

Dieser Stimmungswandel erleichterte es der Reichsregierung, den Krieg zu beginnen. Bis dahin waren Sozialdemokratie und die Gewerkschaften die einzigen nennenswerten Kräfte, die sich entschieden gegen Imperialismus und Krieg wandten.

Bereits 1912 auf dem internationalen sozialdemokratischen Kongress (II. Internationale) in Basel sah man deutlich die Kriegsgefahr zwischen den imperialistischen Staaten heraufziehen und beschloss, den „Friedenskampf international zu führen und sich jeder nationalistischen Verklärung zu erwehren“. Man war nicht bereit, sich in der Konkurrenz der Herrschenden wechselseitig auf die Schlachtbank treiben zu lassen. Diese Haltung war bis kurz vor Ausbruch des Krieges auch in den internationalen Gewerkschaftsbewegungen vorherrschend.

Doch ähnlich wie in Deutschland brach auch in Frankreich und Österreich/Ungarn kurz vor dem 1. Weltkrieg der Widerstand der organisierten Arbeiterbewegung gegen die Kriegsgefahr zusammen. Die herrschende patriotische Propaganda war übermächtig, und es geschah das, wovor 1912 der sozialdemokratische Kongress in Basel gewarnt hatte. Man ließ sich im Interesse der Herrschenden auf die Schlachtbank führen.

Vom Patriotismus verblendet, zogen Millionen Soldaten in den Krieg. Doch schon wenige Wochen später war in den Schützengräben zwischen Toten, Trümmern und Granaten die Euphorie verflogen.

Und heute?

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie und Menschenrecht. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ (Egon Bahr vor Gymnasiast*innen 2013)

Nach Ende des “Kalten Krieges“ und der deutschen Wiedervereinigung verschob die NATO ihren militärischen Einflussbereich bis an die Grenzen Russlands.

Das widersprach den Zusagen der USA in den „2+4 Verhandlungen“ zur deutschen Wiedervereinigung und den Sicherheitsinteressen Russlands.

Russische Verhandlungsangebote zu einer neuen Friedensordnung in Europa wurden ignoriert. In einer Gewinner-Euphorie des Westens verkündete der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sogar „das Ende der Geschichte“. Er ging davon aus, dass die Geschichte in der Ausprägung „westlicher Demokratien“ ihre Endgültigkeit erreicht habe. Doch der weitere Verlauf zeigte, dass er sich irrte.
Denn auch danach gab und gibt es Kriege und Systemkonkurrenzen (z.B. in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Georgien, Ukraine, Jemen, Gaza).

Inzwischen wird die weltweite Vormachtstellung der USA zunehmend durch China infrage gestellt, und große Staaten des globalen Südens (z.B. Indien, Brasilien, Südafrika) entziehen sich immer mehr der postkolonialen „regelbasierten“ Weltordnung des Westens. Es geht wieder um den Erhalt oder um die Neuordnung geostrategischer Einflusssphären, um die „Verteilung des Kuchens“.

In der imperialen Auseinandersetzung spielt in Europa der Krieg in der Ukraine eine zentrale Rolle. Letztlich marschierten russische Truppen in die Ukraine ein, um eine Westbindung der Ukraine mit einem NATO-Beitritt zu verhindern. Umgekehrt setzten die NATO-Staaten vor und in diesem Krieg alles daran, eine Abhängigkeit der Ukraine von Russland abzuwenden.

Die aktuelle Entwicklung, die darauf hinweist, dass sich die USA über einen Waffenstillstandsvertrag aus der Ukraine zurückziehen will, weil Trump dieser Krieg zu teuer und in seinem Sinne als erfolglos erscheint, lässt nicht gerade aufatmen. Denn daraus folgt nach Ansicht der herrschenden Politik in Deutschland und der EU die Notwendigkeit zu einer massiven Aufrüstung, weil „die Europäer im Konflikt mit Russland endlich selbständig werden müssen“ (allgem. EU und NATO-Slogan). Dabei wird dieser Konflikt und die Perspektive eines möglichern künftigen Krieges geradezu als zwangsläufig konstruiert. Wer das hinterfragt, gilt als „Putinversteher“ (vergl. „Vaterlandsverräter“).

Auch wenn Trump in der Ukraine einen Waffenstillstand anstrebt und die Folgen des Krieges den „Europäern“ überlassen will, ist er keine „Friedenstaube“. So erhebt er ungeschminkt und ohne Scheinmoral imperialistische Ansprüche auf Kanada, Grönland und den Panama-Kanal.

Für Gaza sieht er die US-Übernahme und eine ethnische Säuberung vor, um anschließend mit reichen Investoren eine Riviera des Nahen Osten zu bauen. Egal wie realistisch das ist, es wirft ein Schlaglicht auf die politische Gesinnung des Präsidenten der USA, der mit einer einmaligen Machtposition das Land regieren bzw. beherrschen kann.

Dieser Mann ist kein Paradiesvogel, der vom Himmel flog, sondern ein Präsident, der mit einer breiten Mehrheit gewählt wurde, und hinter dem eine gewaltige Wirtschaftslobby u. a. mit den reichsten Männern dieser Welt steht. Bezogen auf Russland wird das gern Oligarchie genannt.

Krieg und Propaganda

Im Verlauf des Ukraine-Krieges hat sich Deutschland nach den USA mit Hilfszahlungen (Waffen und zivile Infrastruktur) von insgesamt 38 Milliarden Euro besonders stark positioniert. Die von Olaf Scholz proklamierte „Zeitenwende“ löste nicht nur eine erhebliche Aufrüstung der Bundeswehr aus, sondern sie wird politisch von der Mehrheit aller Parteien mit einer ständig wachsenden bellizistischen Stimmung untermauert.

Das Land muss wieder „kriegstüchtig“ werden, heißt es, weil spätestens ab 2030, so der Verteidigungsminister Pistorius, wieder einmal der Russe vor der Tür steht. Kaja Kallas, die Außenbeauftragte der EU, verkündete, dass wir uns auf einen Krieg vorbereiten müssen.

In einem Überbietungswettbewerb, der zusätzlich von den USA befeurt wird, fordern CDU/CSU, SPD,GRÜNE und die AfD einen immer höheren Anteil der Rüstung am Sozialprodukt.

Die beliebig von der NATO gesetzten 2 % reichen da nicht mehr aus. Herr Habeck ist inzwischen bei 3,5 % angekommen. Das wären 150 Milliarden oder rund 30 % des jetzigen Bundeshaushalts. Trump fordert sogar 5 % von den Verbündeten. Das käme auch dem US-Rüstungssektor sehr zugute.

Um eine dazu passende Stimmung in der Bevölkerung zu erreichen, greifen die herrschende Politik und die Mainstreammedien auf die klassischen Propagandainstrumente zurück.

Ähnlich wie vor dem ersten Weltkrieg wird ein großes Bedrohungsszenario konstruiert und die Welt in „gut“ und „böse“ aufgeteilt (Wertewesten gegen Despoten nach Wahl). Der Gegner wird völlig entwertet (Dämonisierung von Putin und Russophobie vergl. russische Barbarenhorden).

Dabei wird von einem Bedrohungsszenario ausgegangen, das vor allem auf Mutmaßungen basiert. Es stimmt zwar, dass Russland völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschiert ist und eine Hochrüstung betreibt, um diesen Krieg zu gewinnen. Hunderttausende Tote und die Zerstörung von Städten und wichtiger Infrastruktur in der Ukraine sind katastrophal und nicht zu rechtfertigen. Auch das ist Ausdruck imperialer Politik.

Doch daraus zu schließen, dass Russland nach diesem verlustreichen Krieg auch Staaten der militärisch überlegenen NATO angreifen wird, ist eine absurde propagandistische Konstruktion, für die es keine Belege gibt.

So erweist sich oftmals der Hinweis auf die wachsende Bedrohung durch die hybride Kriegsführung der Russen im wahrsten Sinne des Wortes als ein Schlag ins Wasser.

Die Explosionen von Nord-Stream 1+2 wurden zunächst reflexartig den Russen angekreidet. Nach über 2 Jahren ermittelt die Bundesanwaltschaft immer noch. Inzwischen wird eher davon ausgegangen, dass der Anschlag durch die Ukraine erfolgte.

Auch die angeblichen Zerstörungen von Unterseekabeln in der Ostsee durch Russland sind nicht erwiesen. Nach Berichten der Washington Post gehen selbst mehrere westliche Geheimdienste davon aus, dass es sich dabei um Unfälle gehandelt habe. So gab inzwischen Schweden nach geradezu hysterischen Schlagzeilen in den Mainstreammedien den bulgarischen Tanker Vezhen wieder frei, weil es sich bei der Beschädigung des Unterseekabels nach ausgiebigen Untersuchungen schwedische Behörden nicht um Sabotage gehandelt hat. Diese Nachrichten fielen in den Medien allerdings recht mager aus.

Bei all den Hinweisen auf die Bedrohung der NATO durch Russland ist „mutmaßlich“ die zentrale Vokabel. Natürlich wird Russland verstärkt Geheimdienstaktionen auf NATO-Gebiet durchführen. Das ist bei der Aufrüstung der NATO und der damit verbundenen Kriegsrhetorik nicht erstaunlich. Umgekehrt werden auch die CIA, der MI6 und der BND mit Sicherheit in Russland hoch aktiv sein, doch das ist geheim und business as usual.

Insgesamt führen die Unterstellung, dass Russland ab 2030 einen Krieg gegen NATO-Staaten beginnen könnte und die Annahme einer zunehmenden hybriden Kriegsführung durch mutmaßliche Anschläge dazu, Hochrüstungsprogramme durchzusetzen und eine bellizistische Stimmung in diesem Land zu propagieren, die seit dem „Kalten Krieg“ einmalig ist.

Wir leben also wieder in einer Zeit, in der es einen Krieg in Europa gibt, in der hochgerüstete Imperien um geostrategische Einflusssphären und Grenzverschiebungen kämpfen. Wir leben wieder in einer Zeit, in der Hochrüstung und Drohgebärden eine Situation schaffen können, in der ein Funke reicht, der das Fass zur Explosion bringt.

Eine Politik, die eine militärische Eskalationsspirale vorantreibt und diese Risiken in Kauf nimmt, ist gefährlich und verantwortungslos. Ein Krieg zwischen Russland und der NATO kann nur in einem atomaren Inferno enden. All das ist nicht im Interesse der Bevölkerung Europas.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die folgende Aussage Rosa Luxemburgs gut auf die heutige Zeit übersetzen:

„Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das werden wir nicht tun!“
(Rosa Luxemburg in ihrer Frankfurter Rede 1913).

(Andreas Meyer)

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*) Als imperialistisch werden hier Staaten oder Bündnisse bezeichnet, die durch Kriege, militärische Drohungen oder Sanktionen ihre Interessen und ihren politischen Einfluss auf andere Staaten ausdehnen oder danach streben.