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Kunst als Widerspiel

Die Kieler Stadtgalerie zeigt Arbeiten von Heinrich Ehmsen, Isa Genzken und Kristin Grothe

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Heinrich-Ehmsen-Am-Ende-eines-Krieges-1954-Öl-auf-Leinwand-©-Nachlass-Heinrich-Ehmsen

Mit der Ausstellung „Kunst als Widerspiel“ zeigen die Heinrich-Ehmsen-Stiftung und die Kieler Stadtgalerie in den Räumen der Stiftung die bereits zehnte Sonderausstellung seit 1983. Stadtgaleriechef Wolfgang Zeigerer präsentiert neben drei Gemälden Ehmsens (Geburtsjahr 1886) Arbeiten von zwei jüngeren Künstlerinnen,  der 1949 geborenen Isa Genzken und von Kristin Grothe, mit dreiundvierzig Jahren noch einmal eine Generation jünger.

Die Bilder Ehmsens waren in der alten Bundesrepublik lange Zeit so gut wie unbekannt. Der in Kiel geborene Maler und Zeichner war 1945 Mitbegründer der Hochschule für Bildende Künstler in Berlin-Charlottenburg. Bereits vier Jahre später aber schmiss man ihn raus, hatte er doch für den Weltfriedenstag, den Picasso und andere den Kommunisten zugerechnete Künstler organisiert hatten, eine Solidaritätserklärung unterschrieben. Das konnte man auf keinen Fall zulassen, zumal Ehmsen bereits in früheren Jahren als Mitglied im Kampfkomitee der Künstler und Geistesarbeiter zur Unterstützung der KPD bei den Reichstagswahlen 1930 als Linker aufgefallen war. Dass er während des zweiten Weltkriegs als Leutnant der Propagandaabteilung der Wehrmacht im besetzten Frankreich Goebbels’ Vorstellungen von einer Kulturpolitik umsetzte, die in Frankreich für gute Laune sorgen sollte – so durften etwa Bücher von Sartre oder Camus gedruckt werden – das blieb bei der Entscheidung des Westberliners Senats, ihn zu feuern, außer Betracht. Rote Socke bleibt Rote Socke, dachte man sich und fühlte sich bestätigt, als Heinrich Ehmsen kurz entschlossen nach Ostberlin übersiedelte und an der dortigen Deutschen Akademie der Künste die Malereiklasse übernahm.

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Kristin-Grothe-Ohne-Titel-2009-Radierung-Monotypie

Von da an war der Mann in der Bundesrepublik Persona non grata, ob Bilder wie das jetzt gezeigte „Am Ende eines Krieges“ von 1954 oder die apokalyptische „Störungsrechnung“ aus dem gleichen Jahre, eine Warnung vor dem Atomkrieg, nun etwas taugten oder nicht. Sie taugen übrigens etwas in ihrer eigentümlichen Mischung von Spätexpressionismus, karikierender Zeichnung und Abstraktion im Stile der École de Paris. Was man ja durchaus nicht von allen Bildern Ehmsens sagen kann.

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Isa-Genzken-Brunnen-1986-Beton-Stahl-Draht-Stahlgestell-©-VG-Bild-Kunst-Bonn-2015-Sammlung-Stadtgalerie-Kiel

Schon seit geraumer Zeit zählt die 1972 geborene Kristin Grothe zu den bekanntesten Künstlerinnen Schleswig-Holsteins. Die Stadtgalerie stellt ihre grafischen Arbeiten den Gemälden Ehmsens zur Seite. Sie zeigen in zunehmender Abstraktion Bruchstücke utopischer, zerstörter oder halbfertig aufgegebener Bauwerke, Arbeiten, die teilweise an die Architekturphantasien Piranesis oder die Zukunftsvisionen der italienischen Futuristen erinnern. Diese manchmal rätselhaften Bilder sind in einem langwierigen, sehr aufwändigen Schaffensprozess entstanden. Grundlage ist zunächst einmal eine Radierung. Mit Hilfe von Schablonen wird dann das Blatt mit Teilansichten überdruckt. Schabtechniken legen darauf das versehrte Papier frei, Ritzungen und Schnitte sorgen für neue Strukturen. So entstehen gewissermaßen Miniaturskulpturen aus Papier, die den Betrachter geradezu anspringen. Allen Blättern gemeinsam ist eine ungeheure Dynamik, die sie in vibrierende Bewegung zu setzen scheint.

Ein weiters Signal setzt Isa Genzkens 1986 entstandenes Betonobjekt „Brunnen“ aus der Sammlung der Stadtgalerie, die auf den ersten Blick wie ein Objet trouvé, ein Ready-made anmutet, aber im Gegensatz zum Urinal Duchamps oder dem Stierschädel Picassos aus einem Fahrradlenker nicht „ge-“ sondern „erfunden“ ist. Der Betonguss eines scheinbar teilzerstörten Brunnenringes weckt mit seinen brüchigen Kanten, den Absplitterungen und Rissen wie ein Relikt nach einem Bombenkrieg, eine Assoziation, die der 1949 in Oldesloe geborenen Künstlerin nicht fremd sein dürfte. Ob man nun der Konzeptkunst, zu der man den „Brunnen“ wohl rechnen muss, positiv oder weniger freundlich gegenüber steht, man wird konzedieren müssen, dass die Bezüge zu den Arbeiten Ehmsens und Kristin Grothes durchaus Sinn machen.

Ursprünglich war vorgesehen, ein zweites, ebenfalls im Besitz der Stadtgalerie befindliches  Objekt der weltweit bekannten Künstlerin, deren Arbeiten vielfältig und nicht unter einem einheitlichen Werkbegriff zu fassen sind, zu zeigen. Aber nach Retrospektiven in London und im Kölner Museum Ludwig und im vorigen Jahr der großen Jubiläumsausstellung im New Yorker MOMA hatte das Amsterdamer Stedelijk Museum, das bedeutendste holländische Museum für Gegenwartskunst, das im November eine Einzelausstellung für Isa Genzken ausrichtet, um eine Leihgabe gebeten. Der man natürlich nachkam. In so feinen Kreisen bewegt man sich in Kiel.

Von Hannes Hansen

Stadtgalerie Kiel: „Die Kunst als Widerspiel“. Eröffnung 8.10., 19 Uhr. Dauer der Ausstellung: 9. Oktober 2015 – 22. November 2015, sowie 5. Dezember 2015 – 14. Februar 2016. Öffnungszeiten: Di + Mi 10 – 17 Uhr, Do 10 – 19 Uhr, Fr 10 – 17 Uhr, Sa + So 11 – 17 Uhr; 10. + 11. Oktober (Kieler Ateliertage) 10 – 17 Uhr, 1. November 10 – 17 Uhr, 24. + 25. Dezember geschlossen, 26. Dezember 11 – 17 Uhr, 31. Dezember geschlossen, 1. Januar 2016 11 – 17 Uhr

   

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