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Konsequenzen aus jüngsten Wahldebakeln

„Die Leute halten uns für systemimmanent und so ganz unrecht haben sie nicht“ 

Gespräch mit Ralf Michalowsky . Der Landessprecher der Partei Die Linke in NRW fordert von seiner Partei: Positionen müssen radikaler formuliert und vor allem auch vertreten werden.

 F: Sie sind Landessprecher der Linkspartei im bevölkerungsreichsten Bundesland. In Meinungsumfragen wird Ihre Partei aktuell bei 7 Prozent gehandelt. Wie sollte DIE LINKE bis zur NRW-Landtagswahl am 14. Mai 2017 agieren, um diesen Wert zu halten?

Ich werde mich an den Obergrenzendiskussionen in bezug auf die Flüchtlingspolitik nicht beteiligen. Für mich ist klar, dass wir weiterhin für Humanität und offene Grenzen stehen. Punkt!

Statt dessen sollten wir uns mal anschauen wo wir selbst stehen und was mit uns passiert ist.  

F: Inwiefern?

In den letzten Jahren gab es kaum einen Talk in dem nicht verwundert gefragt wurde, warum DIE LINKE nicht von der grassierenden Armut, der Leiharbeit, den Aufstockern und Arbeitslosen partizipiert. An den Infoständen heißt es oft: „Ihr seid doch wie die anderen Parteien, ihr seid alle gleich und nicht wählbar.“ Anfangs habe ich noch zu überzeugen versucht und unsere Kernforderungen bemüht, um deutlich zu machen, dass es doch Unterschiede gibt. Irgendwann habe ich aber erkannt, was die Leute meinen, sie halten uns für systemimmanent und so ganz unrecht haben sie nicht.

Immer wieder wurde auch von uns auf die vielen Nichtwähler „eingeprügelt“. Alle Parteien sahen in ihnen die Sündenböcke die dafür sorgten, dass gerade sie die Wahlen nicht gewannen. Und plötzlich gehen sie wählen und keiner, außer der AfD freut sich darüber.

Für mich ist klar, dass dort ein Potential schlummert, das auch von der Linken gewonnen werden kann. Doch solange wir von ihnen als Teil des Systems angesehen werden, von dem sie schon lange nichts mehr erwarten, werden wir auch keine relevanten Stimmenanteile aus dem Bereich der Nichtwähler bekommen.
 

F: Sie konstatieren, dass DIE LINKE als Teil des Systems angesehen wird?

Genau. Deshalb werden unsere inhaltlich guten Programmpunkte nicht honoriert. Obwohl wir uns, wie ich meine, recht deutlich von den anderen Parteien unterscheiden, dümpeln wir im Westen kommunal im Landesschnitt bei 5 Prozent herum, bei Landtagswahlen setzt uns die 5 Prozent-Hürde Schranken und im Bundesschnitt liegen wird nur durch die starken neuen Bundesländer bei rund 10 Prozent. Das ist seit 10 Jahren so und ich sehe nicht, dass wir das ändern könnten, wenn wir so weiter machen.
 

F: Und was ergibt sich daraus für Ihre künftige Politik?

Ich denke, dass man den Nichtwählern nicht mit filigranen Wahlprogrammen kommen kann, sondern mit klaren, konsequenten und radikaleren Forderungen. Bei den letzten drei Landtagswahlen haben wir gesehen, dass Wahlprogramme offensichtlich nicht das Wichtigste sind. Sonst hätten die Menschen, die in prekären Situationen leben oder davon bedroht sind, nicht in diesem Maße eine Partei gewählt, die mit ihrem Programm die Reichen bedienen will.

In der Mitte der deutschen Gesellschaft, das ist seit Jahren durch Studien belegt, schlummern Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und ein Hang zu faschistischen Positionen. Der AfD ist es mit einem einzigen Thema, der Flüchtlingsfrage, gelungen, das Ventil zu öffnen mit dem diese ganze braune Soße sichtbar wurde. Keineswegs will ich das jetzt allen Protestwählern unterstellen, doch ein gewisser Mangel an Trennschärfe ist bei ihnen schon vorhanden.
 

F: Müsste Ihre Partei ihre Forderungen radikaler formulieren und offensiver vertreten?

Unbedingt. Bodo Ramelow forderte in diesen Tagen, dass man den vom Abstieg bedrohten Menschen das Gefühl vermitteln solle, dass sie nicht absteigen werden. Das ist bestimmt gut gemeint, reicht aber nicht. Gefühle kann man nicht essen. Wir müssen statt dessen dafür sorgen, dass sie tatsächlich nicht absteigen.

Wir sollten uns genau überlegen, wie wir den Menschen schnell und wirklich helfen können, dabei müssen wir auch mit innerparteilichen „Tabus“ brechen.
 

F: Innerparteiliche Tabus? Was meinen Sie?

Dass wir uns seit vielen Jahren vor einer fortschrittlichen Positionierung zum Grundeinkommen herumdrücken, gehört dazu. Ich bin seit mehr als 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied, kann mich aber den Ansichten der Funktionäre nicht anschließen, die das „Bedingungslose Grundeinkommen“ (BGS) verteufeln. Da muss Die Linke voran kommen.

Wir lassen uns zu sehr von „Rechtsauffassungen“ ausbremsen. Es ist ein Unding, dass Reiche immer noch Kindergeld bekommen. Da muss eine Grenze gesetzt werden ab es gibt kein Kindergeld mehr gibt. Wer da mit Gleichheitsgrundsätzen gegen hält, der muss sich fragen lassen, wo der Gleichheitsgrundsatz in anderen Bereichen gilt.

Ver.di hat sich jetzt in der Braunkohlefrage bewegt, doch bei der IG Metall sehe ich noch keine Bewegung bei der Rüstungskonversion.

Wir selbst müssen uns aber auch fragen lassen, wie ernst wir es meinen. 8,50 Euro Mindestlohn haben wir jetzt, 10 Euro streben wir an. Doch jeder weiß, dass jemand der 45 Jahre lang den Mindestlohn von 10 Euro verdient, als Rentner weiterhin aufstocken und Grundsicherung beantragen muss. Dass heißt, wir gestatten den Unternehmern sowenig wie möglich zu zahlen und wissen genau, dass wir alle als Steuerzahler zur Kasse gebeten werden, um später die Altersarmut abzufedern.

Unsere Forderung muss sein, dass ein Mindestlohn gezahlt wird, der eine Altersrente oberhalb der Grundsicherung ermöglicht.
 

F: Aber die Flüchtlingsfrage und deren Kosten wollen Sie ganz ausblenden?

Keineswegs. Ich schätze das so ein, dass maßlos übertrieben wird. Einer aktuellen Anfrage unser Bundestagsfraktion zufolge kamen im letzten Jahr nicht eine Millionen Flüchtlinge, sondern nur 600.000 nach Deutschland. Das hat jedenfalls die Bundesregierung so beantwortet. Natürlich wird das Milliarden Euro kosten, Geld das vorhanden ist.

Aber auf den Haushaltsüberschuß im Bund haben schon ganz andere Leute den Blick geworfen. Die herrschende Klasse wird nichts von ihrer Beute abgeben. Sie wird auch an dieser „Krise“ gewinnen.

Schauen wir uns doch mal an, wo jetzt das Geld bleibt. Zelte und Container werden gekauft, Wachdienste beauftragt, Essenlieferungen bestellt, Wohnberechtigungsscheine werden ausgegeben und private Vermieter werden derzeit die letzten Hucken zu Höchstmieten los.
 

F: Nochmal zurück. Wie könnte DIE LINKE überhaupt deutlicher herausarbeiten, dass sie „nicht wie die anderen“ ist?

Es muss erkennbarer werden, dass wir uns konsequent für die Verbesserung der Lebenssituation der „abgehängten Menschen“ einsetzen. Dabei dürfen wir uns nicht von den Bürokratiemonstern, den Systemparteien und der herrschenden Klasse aufhalten lassen.

Dem zum Mindestlohn arbeitenden Lagerarbeiter in Gelsenkirchen, der nur über die Runden kommt, wenn er für seine fünfköpfige Familien Wohngeld, Kindergeld und noch einen Zuschuss von Staat bekommt, kann man nicht mit einem Monster wie dem Teilhabekonzept kommen. Er will nicht regelmäßig Formulare ausfüllen um 15 Euro für den Sportverein seiner Kinder zu bekommen. Er will auch keinen Sozialarbeiter, der ihm dabei hilft.

Die Menschen haben auch keinerlei Verständnis für diese kleinteilige Politik, bei der sie anschließend doch immer den Kürzeren ziehen. Da wird wochenlang in den Medien diskutiert, ob man den Hartz IV–Satz um 5 oder 6 Euro erhöht. Doch im Hintergrund werden schon andere Leistungskürzungen beschlossen und es wird an den Sanktionsschrauben gedreht. Unterm Strich wird es wieder weniger. Hier muss Die Linke deutlich härter auftreten! Und noch etwas rate ich meinen Genossen.
 

F: Nämlich?

Kommt raus aus dem eigenen Saft. Geht auch mal hin und wieder an die Stehtische eines großen Kaffeerösters und hört euch an, worüber die Leute reden. Dort ist es authentisch. Während wir uns auf Parteiveranstaltungen zu TTIP und CETA gegenseitig davon überzeugen wie wichtig der Kampf gegen Freihandelsabkommen ist und dass wir mit unserer Meinung richtig liegen, trifft man dort Menschen, die CETA für eine Käsesorte und TTIP für ein Heftpflaster halten.

Aber diese Menschen sind beileibe nicht doof. Diese Themen interessieren sie überhaupt nicht. Sie haben existentielle Sorgen die sie dort diskutieren. Sorgen mit denen sie täglich zu kämpfen haben. Ihre Kinder leben in Armut und kennen keine anderen Einkünfte als Hartz IV. Ihre Ehefrauen leiden unter dem Mangel und der Familienverbund wird immer loser. „Freunde“ wenden sich ab und die Verwandtschaft will auch nicht dauernd angepumpt werden. Das ständige Bittstellen belastet die Psyche, wenn die Kinder nur mit fremder Hilfe an einer Klassenfahrt teilnehmen können und wenn die Behörden das Geldgeschenk der Oma zur Konfirmation kassieren, dann steht so mancher vor einem Gewaltausbruch.
 

F: Aber dazu raten Sie den Betroffenen jetzt nicht – oder?

Nein, ich rate nicht dazu, aber ich rechne mit sozialen Unruhen, wenn wir keine tatsächlichen Hilfen finden.

Die Geschicke unseres Staates lenken die Vermögenden, die sich so organisiert haben, dass sie immer mehr in ihre Taschen lenken können. Dazu haben sie Bürokratiemonster geschaffen, die sogar Anwaltskanzleien beauftragen die Gesetze zu schreiben, die die Politiker dann beschließen. Damit die nötigen Mehrheiten stimmen, haben Lobbyisten freien Zugang zum Bundestag und lassen Unmengen an Geld fließen.

Und alle Parteien spielen mit. Sie diskutieren Mehrheiten durch Koalitionen, bei denen ich Brechreiz bekomme. DIE LINKE muss deutlich machen, dass sie da nicht mit macht. Die Alternative hieße kommunal 3 bis 7 Prozent in den Westländern und immer weniger im Osten und unter 10 Prozent im Bund.

Wer damit zufrieden ist, soll so weiter machen wie bisher.

PS: Dieses Interview sollte eigentlich in den letzten Tagen in einer linken Tageszeitung erscheinen. Mir ist nicht ganz klar, warum das trotz einer Zusage nicht geschah. Andere werden da besser informiert sein als ich.
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Mit freundlichen Grüßen
Ralf Michalowsky
Landessprecher DIE LINKE. NRW, 27.03.2016

 

   

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