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WEDER SUPERGIRL NOCH CAPTAIN MECKPOMM 

Hört mit diesem Scheiß von Spitzenkandidatur endlich auf

 Die Partei DIE LINKE hat ihrem Grundsatzprogramm (Erfurter Programm) aus guten Gründen das schöne Gedicht von Brecht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ vorangestellt. Wer eine Partei begründen und aufbauen will, die denen eine Stimme geben und politische Kampfgemeinschaft sein will, die in der offiziellen Ge-schichtsschreibung, den Mainstream-Medien und in der Standardbildung an Schulen und Universitäten nicht vorkommen, muss sich den synthetischen Autoritäten ebenso widersetzen wie den tatsächlichen Hierarchien einer auf Privatbesitz an Produktionsmitteln aufgebauten Gesellschaft. Schon gar nicht darf dieser Mummenschanz und Prominenten-Stadl von angeblich spitzen, nein Spitzen-KandidatInnen die parteiinterne Demokratie zersetzen und demokratische Entscheidungsprozesse in der Parteimitgliedschaft auf den Kopf stellen.

 Es soll deshalb zunächst mit einem Appell an all die tapferen Genossinnen und Genossen begonnen werden, die sonst so stolz auf ihre marxistische Grundbildung, auf ihre politischen Biografien, die oft im antiautoritären Aufbruch der 60er Jahre begannen, sich in früheren oder noch aktuellen linken Organisationen wie DKP, DIDF, PDS, Stamokap-Jusos, KBW, BWK, KB, Marx21, SAV, ISL fortsetzten und die ihre aktuelle Unterstützung politischer Strömungen in der LINKEN pflegen, wie der „Sozialistischen Linken“, dem „Forum Demokratischer Sozialisten“, dem Club „Freiheit durch Sozialismus“, der „Antikapitalistischen Linken“, der „Emanzipatorischen Linken“, dem „Sozialistischen Dialog“ und wie sie alle sonst heißen sind:

Hört mit diesem Quatsch der Installation von Spitzenkandidaten auf! Gebt keinen Euro für irgendwelche „Mitgliederentscheide“ in dieser Sache aus! Widersetzt euch dem Druck der bürgerlichen Medien, die Partei DIE LINKE den anderen Parteien anzupassen und sie damit pflegeleicht und politisch unwirksam zu machen! Schmeißt die Prominenten-Mumien und synthetischen wie selbsterklärten Spitzenleute vom Podest, anstatt diese zu errichten! Seid euch doch bitte einmal selbst treu! Einmal!

 Das bundesdeutsche Wahlrecht.

Dem Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland merkt man seine historische Entstehung an der Wegscheide des militärisch besiegten faschistischen Großdeutschlands einerseits und des Beginns des kalten Krieges gegen den Kommunismus andererseits an. Es ist ein dezentrales und ein ziemlich durchstrukturiertes Verhältniswahlrecht. Es verlangt zwingend eine gewisse demokratische Legitimierung der Kandidaten (durch Unterschriften, wenn sie alleine antreten) durch die Basis der Wahlberechtigten. Es sieht bei Parteien-Kandidaturen, die sich um die Zweitstimmen bewerben, eine Legitimierung auf Parteilisten durch die Vertreterversammlungen der Parteimitgliedschaft in den jeweiligen Bundesländern vor.

Die Listen selber müssen durch vorherige Wahlerfolge oder auch durch Unterschriften von Wahlberechtigten legitimiert sein. Selbsternennung von Spitzenleuten, das Amt von SpitzenkandidatInnen und auch Beeinflussung der Parteilisten durch äußere Kräfte (wie Medien, Justiz, Regierung und Verwaltung) sind ausdrücklich nicht vorgesehen und teilweise ausdrücklich verboten. Eine gewisse Öffnung in Richtung Stärkung der Rechte der Wahlberechtigten gegenüber den Parteien ist auf kommunaler Ebene durch das Panaschieren und Kumulieren der Wahlstimmen in den letzten Jahrzehnten eingeführt worden. Die Rechte der Parteimitgliedschaft werden durch das Parteiengesetz noch weiter geschützt (teilweise auch ziemlich verletzt), aber das soll hier nicht näher betrachtet werden.

Auf jeden Fall sind diese Regelungen im Grundsatz demokratisch, demokratischer als ein Mehrheitswahlrecht oder gar staatlich reglementierte Kandidaturen allemal. Aber sie haben dennoch in Sachen Demokratie immanente Mängel (z.B. die Sperrklauseln), die von einer linken Partei kritisiert und beendet werden sollten. Wer stattdessen, die souveränen Entscheidungen von Vertreterversammlungen unterläuft, Kandidaturen von den Medien und an den Mitgliedern vorbei puscht oder behindert; wer mit medialer Hilfe eine Personalpolitik der vollendeten Tatsachen betreibt, der sich die Mitglieder nicht entziehen können, ohne selbst die Partei zu beschädigen; wer dem spätfeudalen Prominentenkult und den angeblich angeborenen Vorrechten von Vorsitzenden und Parteimanagern huldigt, verschärft diese undemokratischen Elemente und ist alles – nur nicht links.

 Die Grenzen der parlamentarischen Demokratie.

 Selbst die demokratischste Variante eines Wahlrechtes in einer bürgerlich parlamentarischen Demokratie hat die durch eine Klassengesellschaft vorgegebenen Beschränkungen. Als in der bis heute erfolgreichsten Wahlkampagne in der Geschichte der BRD, die SPD-Kampagne 1972, die Willy-Brandt-SPD über die Marktplätze zog, auf Betriebsversammlungen auftrat und eine breite Basismobilisierung der Bevölkerung betrieb, sagte der CDU-Kanzlerkandidat Rainer Barzel den bezeichnenden Satz an die Adresse der SPD: „Bei den Wahlen gehen keine Betriebe in die Wahlkabine, sondern Mann für Mann und Frau für Frau“.

Die kapitalistische Gesellschaft ist auch in Deutschland in Klassen von Produktionsmittel- und Kapital-BesitzerInnen einerseits und den Lohnabhängigen andererseits geteilt. Diese Eigentumsstrukturen erzeugen Strukturen kollektiver (Klassen-)Bewusstwerdung und kollektive Interessen. Das herrschende Bewusstsein ist, so die grandiose Erkenntnis von Marx, in letzter Instanz das Bewusstsein der Herrschenden. Die Besitzverhältnisse werden durch die Normalität der täglichen Produktion im Kopf der Menschen reproduziert. Und sollte dies mal gestört werden, dann sorgen die in Privatbesitz befindlichen bürglichen Massenmedien für eine schnelle Korrektur.

Die Realitäten der Klassengesellschaft werden durch das individuelle Wahlrecht grundsätzlich nur verfremdet abgebildet. Deshalb schlägt eine linke Partei – so auch die LINKE in ihrem Grundsatzprogramm – eine Erweiterung der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie vor, ebenso wie sie als Voraussetzung für eine solche weiter gehende Demokratisierung die Änderung der herrschenden Macht- und Besitzverhältnisse fordert.

Die LINKE hat sich deshalb als kleiner Einstieg in diese Demokratisierung stets bemüht, ihre Kandidatenlisten den wirklichen gesellschaftlichen Verhältnissen und den wirklichen Auseinandersetzungen in der Klassengesellschaft anzupassen. Es werden, beziehungsweise sollten AktivistInnen aus Bewegungen, von der bürgerlichen Gesellschaft Ausgegrenzte und Verfolgte, Minderheiten und politisch selbstbewusste Störer und Störerinnen aufgestellt werden. Nicht oder nur in engen Grenzen aufgestellt werden, sollten die Parteisekretäre, die Mitarbeiter von Mandatsträgerinnen und niemand sollte ein quasi Geburtsrecht auf weitere und dauerhafte Aufstellung eingeräumt werden.

 Wer braucht SpitzenkandidatInnen?

Eine 10-Prozentpartei mit dem politischen Programm und Profil der LINKEN braucht alles, aber keine Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidaten. Die LINKE hat nach Wahlumfragen ungefähr ein Potenzial zwischen fünf und zehn Millionen WählerInnen. Ob sie das ausschöpft, hängt am wenigsten von Spitzenleuten und deren Fotos in der Landschaft ab. Sie hat bei den Wahlen, bei denen sie als LINKE antrat 4,1 Millionen 2005, 5,1 Millionen 2009 und 3,7 Millionen 2013 Stimmen erhalten – unabhängig davon, wer und wie viele als „Spitzenkandidaten“ benannt wurden. Die LINKE muss einen Mitmachwahlkampf von und für ihre Mitgliedschaft machen – das ist am erfolgreichsten und selbstverständlich auch einzig ihrem politischen Programm und Selbstverständnis angemessen.

Die nach dem SPD-Wahlsieg von 1972 zweiterfolgreichste Wahlkampagne, diesmal einer noch ausdrücklicher „linken“ Partei, nämlich die Grünen in ihrer linken Anfangszeit, erreichte die besten Resultate völlig ohne Personenbilder. Es war ein Wahlkampf unter dem unschlagbaren Motto „Jetzt wählen wir uns selber“ – ein Anti-Promi-Wahlkampf der bisher Stimmlosen, ein handgemachter Wahlkampf ohne Profi-Agenturen und synthetischen, für die Medien rausgeputzter SpitzenkandidatInnen.

Wer braucht SpitzenkandidatInnen? Es sind zwei kleine gesellschaftliche Gruppen. Da ist zunächst die unglückliche Meute von ParlamentsjournalistInnen. Sie leben ihr gesamtes Berufsleben in enger Symbiose mit dem todlangweiligen und sich jahrein jahraus wiederholenden Parlamentszirkus. Sie gehören zu den phantasielosesten, zynischsten und regelmäßig alkoholabhängigen VertreterInnen ihrer Zunft. Sie möchten gerne personalisierte, sensationsgeile und ohne-sensations-geile Geschichten über die Parteien und ihre Promis schreiben. Sie möchten eine pflegeleichte Partei haben, ohne das Studium langer Parteiprogramme, ohne differenzierten Blick auf die tausenden Mitglieder. Sie interessiert nicht der unbekannte Aktivist und die unbekannte Aktivistin, die in sozialen Kämpfen mehr Geschichte schreiben, als all die Schreiberlinge zusammen. Sie möchten per Telefon und privaten Kneipentechtelmechtel Geschichten verzapfen, in der Hoffnung wenigstens einmal auch Geschichte zu schreiben.

Das ist nicht alles Sumpf und Verhalten menschlicher Sumpfblüten. Es ist auch – insbesondere gegenüber linken Parteien – gezielte politische Absicht. Jede Aufmüpfigkeit im Parlamentsbetrieb soll domestiziert und die Parteien sollen jederzeit anfällig für Angriffe und Unterstellungen von Außen, für politische Untergrundmanöver gemacht werden. Die Hierarchie in den Parteien soll sich gefälligst der Hierarchie in den Adressbüchern anpassen und umgekehrt. Die Kleiderordnung der Gemeinschaft der Demokraten – sie wird mit allen Mitteln eingetrichtert und aufgezwungen. Diese Manöver gegenüber linken Parteien – zuletzt die SPD und die Grünen – waren leider immer erfolgreich. Die Methode, den linken ParlamentarierInnen und ihren BüromitarbeiterInnen das Schild „Du bist wichtig“ um den Hals zu hängen, hat noch immer funktioniert. Spätestens im Vorfeld von Wahlen, und mit jeder Legislaturperiode, die angehängt wird, umso mehr, lechzt diese Schicht nach Bestätigung und nach Mitteln und Möglichkeiten, die eigene kleine Machtbasis zu erhalten und auszubauen.

Und damit wären wir bei der zweiten Gruppe, die SpitzenkandidatInnen benötigt. Es sind die, die in solche Spitzen aufsteigen wollen, höchstselbst, die, die sich schon auf den Höhen wähnen, und die zahllosen KofferträgerInnen und MitarbeiterInnen dieser derart Ambitionierten. Sie alle pflegen den idiotischen Konkurrenzkampf darum, wer von all denen, die das Schild „Ich-bin-wichtig“ um den Hals tragen, eventuell noch ein bisschen wichtiger als die anderen ist.

In der LINKEN wächst diese Schicht der vom Parlamentarismus Abhängigen leider schneller als der gesellschaftliche Einfluss der Partei, dank Staatsknete und diversen Beschäftigungsverhälltnissen sogar oft schneller als die Wahlresultate. Sie entwickeln – das ist immer wieder die bittere Erfahrung in der Geschichte – ein Eigenleben zur Selbsterhaltung. Und nicht immer, aber immer öfter nimmt dieses Eigenleben keine Rücksicht auf die innerparteiliche Demokratie, auf Rechte und Würde der Mitgliedschaft.

„Spitzenkandidaturen“ sind absolute Fremdkörper in einer demokratischen Partei, die in der Regel ausdrücklich eingepflanzt werden, um die Demokratie in der Partei zu zerstören. Eine Pressekonferenz, ein Hintergrundgespräch, ein Interviewtermin vor dem Parteitag – all das soll mächtiger sein und bleiben als demokratische Diskussion, Abstimmungsprozesse und Entscheidungen von Parteitagen und Parteigremien. Eine linke Partei muss sich diesen Mechanismen mit aller Macht entgegenstellen, stets wachsam sein und die Rechte der Mitgliedschaft verteidigen.

Ist der Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidatin erst einmal durch das Gemeinschaftsprojekt aus Partei- und Fraktionsapparat mit den Medien installiert, beginnen die selbst den gesunden Menschenverstand beleidigenden Spielchen: Jede Kritik am Verfahren soll dann die Auserwählte oder den Auserwählten beschädigen (und oft entspricht das dann auch den Tatsachen); jede Kritik an Äußerungen und Einzelpositionen der Spitzenleute wird als Majestätsbeleidigung verfolgt und als Gemeinmachen mit dem politischen Gegner verurteilt (das entspricht so gut wie nie den Tatsachen).

Die Partei liefert sich durch diese Verfahren der Kandidatenwahl mehr dem politischen Gegner und den Angriffen feindlich gesinnter Mainstream-Medien aus, als sie sich ihnen entgegenstellen kann und als alle KritikerInnen der Spitzenleute zusammen es anrichten könnten.

 Den ganzen Spuk beenden und ersatzlos streichen.

Dieser ganze Spuk muss sofort aufgehören. Ich bleibe dabei: Das alles ist eine Form der parlamentarischen Verblödung. Sie kann nur dadurch therapiert werden, dass diese Spitzenkandidatenfetischisten allesamt sofort aus dem Parlamentsleben ausscheiden, um sich zu kurieren. Gleichzeitig muss die LINKE ernsthaft darüber nachdenken, die parlamentarischen Mandatszeiten zu befristen. Zwei Legislaturperioden sind absolut genug – ab dann beginnt dieser schreckliche Kampf ums Verharren im Bestehenden und um die Verteidigung der Pöstchen sich zu verselbständigen.

Lasst uns die Landeslisten aufstellen, wie es sich gehört, und gut ist.

SpitzenkandidatInnen sind überflüssig und ich verkünde an dieser Stelle schon einmal, sollte es sie doch geben, dann wird es mir eine Pflicht, eine Ehre und oft auch ein Vergnügen sein, sie in ihren Spitzenqualitäten zu kritisieren. Schmeißt die Mumien vom Podest!

 

Thies Gleiss, Köln, 27.10.2016

   

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