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­Kriegspropaganda

01. November 2016 Den Kieler Nachrichten ist, wie es aussieht, jeder Sinn für die Realität abhanden gekommen. Mit „Alarm in der Nordsee“ beginnt am Samstag vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe ein Titelseitenbericht über einen russischen Marinekonvoi auf dem Weg ins Mittelmeer. Weit außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer zog Mitte der Woche ein Flottenverband aus dem russischen Arktishafen Murmansk kommend 120 Kilometer westlich von Helgoland vorbei, das war in knapp 100 Kilometern Entfernung von der deutschen Seegrenze. Daraus ein reißerisches Drama zu machen, zeugt entweder von grenzenloser Naivität oder dem festen Willen, gefällige Kriegspropaganda abzuliefern. 

 

Der Schaum vor dem Mund des KN-Journalisten passt ganz gut zur Stimmung im Lande. Nur wenige Tage zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland gefordert. Begründung: Die Bomben auf Aleppo. Nun ist die Unterstützung der russischen Regierung für den brutalen Diktator Assad mit nichts zu rechtfertigen. Aber das sollte uns nicht die Augen für die Verbrechen der NATO-Staaten verschließen, an denen die Bundeswehr zumindest indirekt mit ihrer Aufklärungseinheit in Incirlik beteiligt ist. Jahrelang hat NATO-Mitglied Türkei die Mörderbanden des IS gepäppelt, ohne von Washington oder Berlin dafür auch nur öffentlich kritisiert worden zu sein. Selbst die brutalsten Verbrechen des Autokraten Recep Tayyip Erdoğan gegen die syrische und die türkische Bevölkerung können die Bundesregierung nicht von ihrem Schmusekurs mit Ankara abbringen. Auch nicht, dass er neuerdings mit Unterstützung anderer islamistischer Rebellen, die uns trotz ihrer Nähe zu Al Quaida als gemäßigt verkauft werden, die syrischen Kurden angreift. 

 

Sich gegen diesen ganzen Wahnsinn zu wenden, den Abzug der deutschen Soldaten und Sanktionen gegen die Türkei zu fordern, heißt nicht, sich auf die Seite Putins oder Assads zu schlagen. Unsere Solidarität gilt den Menschen, die diesem mörderischen Krieg versuchen zu entfliehen und jenen, die den Kampf für ein demokratisches Syrien für alle Konfessionen und Ethnien noch nicht aufgegeben haben. Unsere Politiker mögen anderes behaupten, aber Afghanistan, Libyen, Jugoslawien und der Irak haben in den letzten zwei Jahrzehnten zur Genüge gezeigt, dass ihnen menschliches Leid völlig egal ist und ihre Kriege millionenfachen Tod, unbeschreibliches Elend und jede Menge Rekruten für allerlei religiös-faschistische Terrornetzwerke aber weder Demokratie noch Sicherheit bringen.

 

(wop)

   

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