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Erdgas und Strom:

Explosion der Verbraucherpreise

Energiepreise sind in aller Munde. Kein Wunder, denn ihr Anstieg hat mitunter existenzbedrohende Ausmaße. Energieversorgung ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den einzelnen Menschen etwas ganz Elementares. Ohne Energie kein Heizen, kein Warmwasser, kein Kochen, keine Mobilität. Sie ist sozusagen ein Lebensmittel und entsprechend trifft der enorme Kostenanstieg viele von uns in den unteren Einkommensschichten besonders hart.

Um 43,9 Prozent sind laut Bundesamt für Statistik die Verbraucherpreise für Energie in den letzten 12 Monaten bis September 22 gestiegen. Die für Nahrungsmittel um 18,7 Prozent, aber das nur am Rande. Der Preisanstieg hatte bereits Monate vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine eingesetzt, hat sich aber in Folge der gegen Moskau verhängten Sanktionen und der Reaktionen der Märkte darauf seit dem beschleunigt.
In den ersten sechs Monaten 2022 ist der durchschnittliche Strompreis für private Endkunden um 16 Prozent gestiegen und liegt jetzt bei 37,3 Cent pro Kilowattstunde (kWh) (Incl. Grundpreis bei 3.500 kWh Jahresverbrauch, Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)). Gegenüber 1998 ist das mehr als eine Verdoppelung, aber die wenigsten Löhne und Gehälter dürften sich seitdem entsprechend zugelegt haben. Außerdem ist ein Ende des Preisanstiegs nicht in Sicht.
Noch dramatischer die Situation beim Erdgas. Von August 21 bis August 22 hat sich der Verbraucherpreisindex hier laut statista um etwas über 80 Prozent erhöht. Der Grund sind offensichtlich die steigenden Importpreise für Erdgas. Der Anteil der Inlandsförderung ist inzwischen aufgrund der Erschöpfung der hiesigen Lagerstätten – hauptsächlich in Niedersachsen, früher auch im benachbarten Sachsen-Anhalt – auf weniger als zehn Prozent am Verbrauch abgesunken. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik (destatis) war der Einfuhrpreis für Erdgas im Juli sechsmal so hoch wie 2015. Bis Anfang 2022 war er bereits auf gut das Dreifache gestiegen und hat sich dann noch einmal rund verdoppelt. Der aller größte Anteil des Anstiegs hat sich seit Mitte 2021 vollzogen.
Die hohen Erdgaspreise machen nicht nur den mit Gas heizenden Verbrauchern zu schaffen, sondern sie wirken sich auch auf den Strompreis aus. Ebenso – aber im geringeren Ausmaß – der Preis für die Steinkohle, die vollständig importiert werden muss, nach dem 2018 die letzte Grube Schicht im Schacht angemeldet hat. Der Einfuhrpreis für Steinkohle hat sich – da Russland auch ein Kohleexporteur ist – ähnlich wie der für Erdgas entwickelt: Bis Anfang 2021 gab es lange Zeit Stag-
nation, danach rascher Anstieg. Im August 2022 waren rund 550 Prozent des Niveaus von 2015 oder auch des Januar 2021 erreicht. Ein Teil des Anstiegs erfolgte bereits im Vorjahr, aber 2022 hat sich der Preis noch einmal rund verdoppelt.
Und auch die Fernwärme wird teurer, insbesondere dort, wo sie, wie zum Beispiel in Berlin, Köln, Leipzig, München oder Kiel, aus der Abwärme von Gaskraftwerken gespeist wird. Der Autor dieser Zeilen bekam kürzlich von seinem Vermieter die Ankündigung, dass sich der Preis der Fernwärme zum 1. Januar 2023 vervielfachen werde.

Mehrwertsteuer

Einfuhrpreise sind das eine, Verbraucherpreise oft das andere. Weil Großabnehmer und Industriekunden begünstigt werden, weil wegen längerfristiger Verträge nicht jedes Unternehmen die Kosten zeitnah auf die Abnehmer abwälzen kann und weil auch Fiskus und Netzbetreiber kräftig zulangen. Rund 55 Prozent des Gaspreises bestanden 2021 aus Steuern, Netzentgelten und Abgaben. Ähnlich die Anteile beim Strom. Im Juli 21 gingen nach Angaben des BDEW 21 Prozent des Preise an die Netzbetreiber und 29 Prozent setzten sich aus Steuern, Abgaben und Umlagen zusammen.
Zugenommen haben zwischenzeitlich vor allem die Großmarktpreise. Netzentgelte und Energiesteuer sind für Strom und Gas fix, aber der Fiskus verdient an den steigenden Preisen über die Mehrwertsteuer. Deren Satz wurde Ende September allerdings immerhin von 19 auf sieben Prozent abgesenkt. Bis April 24 soll das gelten, allerdings nur für Gas und Fernwärme. Ob die Mehrwertsteuerabsenkung tatsächlich beim Verbraucher ankommt, bleibt ungewiss. Eine Verpflichtung gibt es dazu nicht.

Der Strompreis

Bei Strom werden zunächst weiter 19 Prozent auf die Kosten, Gewinnmargen, Netzentgelte und Abgaben im Strompreis gezahlt. Allerdings wurde die sogenannte EEG-Umlage auf den Stromverbrauch zwischenzeitlich abgeschafft, doch bei den derzeit sehr hohen Börsenpreisen für Strom hätte diese Umlage ohnehin drastisch abgesenkt werden müssen. Eventuell wäre sogar Geld an die Bürger zurück zu zahlen gewesen.
Der Strommarkt ist nämlich ein ganz eigenartiges Wesen. Eines, das in besonderer Weise deutlich macht, dass Märkte nicht das Urwüchsige oder Natürliche sind, als das sie oft erscheinen, sondern vielmehr hochgradig von Machtverhältnissen oder staatlich aufgestellten Regeln abhängen. Seit der Liberalisierung des Strommarktes sind hierzulande die einstige Gebietsmonopolisten in Erzeugergesellschaften, Händler und Netzbetreiber zerlegt, wobei die verschiedenen Spannungsebenen im Netz unterschiedliche Besitzer haben.
Diese Netzbetreiber haben weiter ein quasi Monopol, und bekommen dafür vom Staat eine garantierte Rendite. Bei den Höchstspannungsnetzen lag diese in den letzten Jahren bei sechs bis sieben Prozent, finanziert über die Netzentgelte. Ab Januar werden diese in den meisten Regionen außer in Ostdeutschland voraussichtlich weiter, zum Teil kräftig steigen. Dass auch unter dem EU-Wettbewerbimperativ diese private Gewinnabschöpfung nicht sein müsste, zeigt das Beispiel Dänemark. Dort wird das Höchstspannungsnetz – auch Übertragungsnetz genannt – von einer öffentlich-rechtlichen Gesellschaft gemanagt, die ohne Gewinn arbeitet, für die Netzstabilität verantwortlich ist und die im Vergleich zu Deutschland geringen Überschüsse in entsprechende Forschung, auch in die Erforschung der dringend benötigten Speichertechnologien steckt. Die unteren Ebenen des Netzes sind in Deutschland oft in der Hand von Stadtwerken, die ebenfalls Entgelte erhalten.
Doch die Netzentgelte sind nur der kleinere Teil des Strompreises. Der größere geht an Händler und Erzeuger. Ein Teil des Stroms geht über längerfristige Verträge von den Erzeugern direkt an die Händler oder auch an Großabnehmer. (Viele industrielle Großverbraucher sind auch Selbstversorger, meist mit Gaskraftwerken. 2022 waren es bisher etwas über zehn Prozent der gesamten Stromerzeugung, aber das ist eine andere Geschichte.)

Das Merit-Order-Problem

Ein anderer und in den letzten Jahren wachsender Teil des Stroms wird sehr kurzfristig an den Börsen gehandelt, und hier findet im Augenblick die große Preistreiberei statt, denn der Preis wird dort vom teuersten Anbieter bestimmt. Verantwortlich ist dafür das sogenannte Merit-Order-Verfahren. Das Kraftwerk, dass für ein bestimmtes Zeitfenster den Strom mit den höchsten Grenzkosten anbietet – also den höchsten Preis verlangen muss, um gerade noch verlustfrei zu arbeiten – setzt für diesen Zeitraum den Preis für alle fest. Diejenigen Betreiber, die billiger anbieten können, haben Glück – sie machen einen zum Teil ziemlich ansehnlichen Extragewinn.
Insbesondere derzeit. Denn regelmäßig zu Tagesbeginn und -ende ist der Bedarf noch relativ hoch, aber das Angebot des inzwischen tagsüber reichlich vorhandenen Sonnenstrom noch oder wieder gering. Hier springen neben Speicherkraftwerken vor allem die hochflexiblen Gaskraftwerke in die Bresche. Nur ist deren Strom aufgrund der hohen Gaspreise meist der teuerste, womit sie über das Merit-Order-Prinzip auch den Betreibern der trägen, aber sehr günstig produzierenden Braunkohle- und Atomkraftwerke ansehnliche Zusatzgewinne bescheren. Die Ökostromer profitieren hingegen meist nicht. Der größere Teil des Wind- und Solarstroms wird nämlich den Anlagenbesitzern zur gesetzlich festgelegt Preisen von den Übertragungsnetzbetreibern abgekauft und von diesen an der Börse gehandelt. Tatsächlich drückt er dort an sonnigen oder windigen Tagen erheblich den Preis und hat in den letzten Monaten oft dafür gesorgt, dass hierzulande an der Börse deutlich weniger für Strom bezahlt werden musste, als in vielen Nachbarländern.
Ein großer Teil des Strompreisproblems rührt also vom Merit-Order-Verfahren her. Natürlich könnte man es abschaffen, denn die Regeln des Strommarktes werden von den Staaten gemacht, das heißt, von den EU-Mitgliedern. In Spanien und Portugal behilft man sich damit, den Gaspreis der Kraftwerke zu subventionieren, was den Merit-Order-Effekt nicht aushebelt aber dämpft. Seitens der Athener und der Prager Regierungen gibt es Vorschläge, Gaskraftwerke befristet ganz aus dem Verfahren herauszunehmen. Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck hat eine „mittelfristige“ Strommarktreform angekündigt, hält sich aber bisher mit konkreten Vorschlägen bedeckt. Ob er aber RWE & Co. tatsächlich das schöne Zusatzgeschäft vermiesen kann, und ob er das überhaupt ernsthaft beabsichtigt, ist fraglich. Der jüngste Braunkohle-Deal mit RWE, der dem Konzern die Zerstörung des für die Klimabewegung und die deutschen Klimaziele so wichtigen Lützeraths im Rheinland erlaubt, lässt anderes erwarten.
Fakt ist jedenfalls, dass der Strommarkt zumindest in seiner jetzigen Form nicht nur massiv zur Umverteilung beiträgt, sondern auch finanzielle Ressourcen den Vertretern der alten, trägen, technisch überlebten und klimaschädlichen Kraftwerke zuleitet, die dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energieträger technisch wie politisch im Wege stehen. (wop)

Bild: Oktober 2021. Ein riesiger Braunkohlebagger frisst sich durch den fruchtbaren Lössboden auf Lützerath zu.

   

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