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Ist FRIEDEN der „Schnee von gestern“?
Es gab in den 50er Jahren die „Ohne mich – Bewegung“ gegen die Remilitarisierung, es sollten „Nie wieder“ Uniformen angezogen werden und „Nie wieder“ Soldaten in den Krieg geschickt werden. Beteiligt waren neben Christ*innen und Kommunist*innen auch Mitglieder der SPD.
Gustav Heinemann (DDP, CDU und später SPD) trat 1951 wegen dem von Adenauer angestrebten Aufbau der Bundeswehr als Innenminister zurück. Martin Niemöller (Theologe und ehemaliger KZ-Häftling) regte damals eine Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung an, in der 6 Millionen Unterschriften gesammelt wurden.
Ist das nur „Schnee von gestern“ oder sollte man erwarten, dass Bundespolitiker*innen die Geschichte kennen? Heute reist der Kanzler des „Sondervermögens“ Scholz im Juli 2024 zum NATO-Gipfel nach Washington, begleitet von der Außenministerin und dem Kriegsminister. Dort vereinbart er mit den USA-Verantwortlichen, dass ab 2026 US-amerikanische Mittelstreckenraketen mit größerer Reichweite in Deutschland stationiert werden. Es sind Waffen mit bis zu 2.500 km Reichweite, die also weit nach Russland hinein reichen. Vielleicht hatte der Kanzler die aktuellen Berichte aus Alaska des kriegstüchtigen Boris Pistorius im Ohr. Dessen Teilnahme am Training von Kampfpiloten für Luftkriegsoperationen zur Zerstörung gegnerischer Luftstreitkräfte, Kommandozentralen und dem Abwurf von Präzisionsbomben kann Ansporn gewesen sein. Wieder in Berlin kommt vom grünen Vizeminister Habeck Unterstützung für die Stationierung, der sich nach eigenen Worten zwar „nicht leicht tue“ damit, aber …
Doch es gibt auch kritische Stimmen, einerseits aus der Bevölkerung, andererseits aus der eigenen Partei. So meinte Rolf Mützenich, Fraktionsvorsitzender SPD, laut Spiegel vom 20. Juli: „Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich.“ Er möchte wenigstens darüber diskutieren. Das ficht einen Olaf Scholz nicht an. Wenn der Scholzomat erst einmal in Gang ist, macht er weiter. Er wischt, mit Pistorius im Einklang, eine Diskussion vom Tisch. Damit Scholz jedoch seine Zusage an die NATO nicht vergisst, erzählt er es seinem SPD-Präsidium. Und während in den aktuellen Landtagswahlkämpfen diese Frage bereits auch Thema ist, wird von der SPD-Spitze ein Beschluss gefasst, der dem Kanzler nach dem Munde redet.
Mit dem Titel „Wir organisieren Sicherheit für Deutschland und Europa“ wird die Zustimmung zur Rüstungspolitik der Regierung gegeben. Wichtig scheint der SPD (und dem Kanzler) der Hinweis auf die „Zeitenwende“. Der Begriff wird sowieso in den letzten Wochen wieder entstaubt, so als wolle man damit die fehlende Umsetzung der Wahlversprechen von 2021 und des Koalitionsvertrages begründen. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür und Stimmen für die Kanzlerpartei werden dringend gebraucht.
Mit dem zweiten Satz in dem Beschluss geht es falsch weiter. „Seit dem 24. Februar 2022 wissen wir: Der Überfall eines Staates auf einen anderen in Europa ist wieder möglich.“ Ob es an der Vergesslichkeit des Kanzlers oder es verdrängt wird, richtig ist, dass bereits im März 1999 der Überfall auf einen anderen Staat in Europa erfolgte und die SPD-Grüne Bundesregierung im NATO-Krieg gegen Jugoslawien mit Bundeswehrsoldaten beteiligt war.
Tatsächlich geht es in dem Beschluss letzten Endes um die Begründung einer Rüstungs- und Kriegspolitik mit dem Ziel, sich nicht nur in der Ukraine in Stellung zu bringen, sondern einer auf lange Dauer angelegten „Wiedererlangung unserer Fähigkeit zur Verteidigung unseres Landes ...“. Dabei fehlt nicht die moralische Begründung „der SPD zur Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss“.
Vergessen scheint, dass diese SPD Gesetze macht, die dem Satz widersprechen mit der Abschieberealität von Familien, wenn das hier geborene Kind nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Zynisch ist er auch, da Kinder in Kriegs- und Krisengebieten mit deutschen Waffen in Kriegen getötet werden und die SPD den Waffenlieferungen, sowie der Produktion deutscher Waffen in Kriegsgebieten zustimmt, wie von Rheinmetall in der Ukraine.
Im Beschluss steht: „Deutschland übernimmt in enger Absprache mit seinen Partnern eine Führungsrolle, um Sicherheit, Frieden und Freiheit in Europa zu schützen. Wir stärken die Bundeswehr und den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO.“ Will das SPD-Präsidium suggerieren, dass nicht die Regierung, nicht der Bundestag, sondern die SPD die Rolle Deutschlands in Militarisierung und Krieg und darüber hinaus auch in Europa bestimmt? Betont wird die von Partnern anerkannte Führungsrolle Deutschlands. Mühsam wird versucht das Eskalationspotential und die von der Stationierung ausgehende Kriegsgefahr kleinzureden, die Stationierung nur als „Stärkung der Verteidigung unseres Landes“ darzustellen. Dies lässt ahnen, dass auch aus der SPD selbst mit Widerstand gegen diesen Beschluss gerechnet wird.
Im Alleingang hat der Kanzlers der Stationierung der Raketen aus den USA zugestimmt. Im Alleingang hat sein SPD-Präsidium dies bestätigt. Weder im Bundestag, in den Parteien und nicht in der Bevölkerung wurde vorher darüber diskutiert. Dennoch wird zum Ende in dem Papier festgestellt: „Unsicherheit und Sorgen vor einer militärischen Eskalation auf unserem Kontinent sind in der Bevölkerung präsent. Das erfordert eine gesellschaftliche Debatte über die Bedrohungslage und die notwendigen Schritte für unsere Sicherheit, zum Erhalt unserer Freiheit und zur Sicherung von Frieden in Europa. Diese Debatte muss offen geführt werden.“ Es wird auf „Demokratiespielen“ verkehrt herum gesetzt: Erst beschließen und danach reden.
Das scheint die Logik der SPD zu sein – denn auch Waffen werden geliefert, eingesetzt und irgendwann soll dann Diplomatie folgen und verhandelt werden. Mit solchen Nebelkerzen sollen heute die 60 % der wählenden Bevölkerung im Osten der Republik erreicht werden, die sich in Umfragen Anfang August gegen die Stationierung der Raketen ausgesprochen haben.
Zugegeben – Es gibt auch manch eingefleischte Sozialdemokraten, die Nachdenkliches schreiben. Im Oktober 2022 hat Ralf Stegner ein Thesenpapier herausgegeben „Vorrang für Diplomatie – keine Militarisierung der Politik“. In diesem stellt er auch fest: „Wir wissen nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Es gibt keine „sauberen Kriege“, die sich „nur“ gegen militärische Ziele richten und es gibt schon gar keine „Gewinner“, außer in der Waffenproduktion. Im Gegenteil: Tod und Zerstörung, Flucht und Vertreibung, Terror und Angst, Verletzungen an Körper und Seele mit lang anhaltender Traumatisierung waren und bleiben Kennzeichen auch „moderner Kriegsführung“ – und sie treffen die Zivilbevölkerung wie Soldaten. Hinzu kommen Kriegsverbrechen und Gräueltaten, zu deren konsequenter Ächtung und Verfolgung der Verantwortlichen wir uns ausdrücklich bekennen.“
Man muss nicht in Allem mit Stegner übereinstimmen. Aber beim Wort nehmen sollten wir ihn, der zum Stationierungsbeschluss seiner Partei gesagt hat: „Die Welt wird davon nicht sicherer. Im Gegenteil: Wir kommen in eine Spirale, in der die Welt immer gefährlicher wird.“ Damit es kein Zurückweichen von dieser Position gibt. Nicht in der Partei und nicht im Bundestag.
Nötig wäre es. Die politische „Elite“ der Parteien wird nicht müde ihre Begeisterung für alles, was sie für „Sicherheit und Schutz der Bevölkerung“ halten zu fördern. Es gibt öffentliche Bekundungen wie die des SPD-OB Kämpfer aus Kiel, der zum Antikriegstag 2023 eine Woche in der Kaserne Mürwik in die Marine abtauchte und danach seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zurückgab, sein Kumpel Robert Habeck tat es ihm gleich und würde heute nicht mehr verweigern. Gibt es eigentlich noch eine*n Minister*in der Bundesregierung, die nicht in einem Panzer gesessen hat oder mit Stahlhelm und Schutzweste an der Front für das Foto Modell stand?
Es bleibt dabei, dass die Bewegung gegen den Kriegskurs der Regierungen und gegen die daran verdienende Rüstungsindustrie gestärkt werden muss! Mit Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen. Zum Antikriegstag am 1. September, zum Camp und Aktionstage „Rheinmetall entwaffnen“ in Kiel vom 3. - 8. September und zum 3. Oktober auf der Demonstration für Frieden in Berlin.
Bettina Jürgensen,
erschienen auf www.kommunisten.de