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Auf dem Weg zur Revolution I

Das Jahr 1917

Das Jahr 1917 war vor allem anderen das Jahr der russischen Revolutionen und brachte einen entscheidenden Umschwung im  Kriegs- geschehen. Mit dem Sieg der Bolschewiki, deren Friedensresolution bei den Arbeitern aller kriegführenden Staaten auf ungeheure Resonanz stieß, wurde der Weg für das Ausscheiden Russlands aus dem imperialistischen Gemetzel frei.

 

Der Eintritt der USA in den Krieg gegen Deutschland, der am 3. April erklärt wurde, ließ die Hoffnung auf einen „Siegfrieden“ auch im bürgerlichen Lager schwinden. Breitere Kreise suchten nach einem Weg, möglichst ohne größere territoriale und wirtschaftliche Schäden aus dem Krieg herauszukommen; nun empörte man sich über den „Vernichtungswillen“ der uneinsichtigen Gegner des „stets  friedens- bereiten“ Deutschlands – eine Propaganda, in die die Generalkommission der deutschen Gewerkschaften, den unbedingten Durchhaltewillen der Arbeiterschaft beschwörend, einstimmte.

Mit diesem Durchhaltewillen sah es immer schlechter aus. Die revolutionären Ereignisse in Russland beflügelten viele in ihrem  Wider- stand. Seine organisatorische Stärkung fand er auch in der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) im April. Die neue Partei und der Spartakusbund, der ihr beigetreten war und ihren linken Flügel (oft in schroffem Gegensatz zur Parteiführung) bildete, verstärkten ihre Agitation gegen den Krieg. Streikbewegungen häuften sich, regelmäßig gegen den Widerstand der  General- kommission; mischt sie sich ein, dann mit dem Ziel, die Arbeitskämpfe möglichst rasch zu beenden. Das Militär wurde gegen Arbeiter in Stellung gebracht, Betriebe unter militärische Leitung gestellt. Die Streikenden wandten sich gegen schlechte Lebensmittelversorgung, gegen Verhaftungen von Arbeitervertretern, für einen Frieden ohne Annexionen, sie stellten zunehmend politische Forderungen; der Ruf nach Arbeiterräten wurde laut. In Kiel streikten Ende März 26.000 Arbeiter zwei Tage lang.

Die Streikbewegung hatte bereits im Januar, nach dem „Kohlrübenwinter“ mit Kälte und Hungersnot, begonnen. In den Berliner Rüstungsbetrieben traten die revolutionären Obleute, die in der Novemberrevolution noch eine wichtige Rolle spielen sollten, als Organisatoren der ersten mehrtägigen Streiks während des Krieges hervor. Nach verschiedenen weiteren Streiks in anderen Städten, an denen oft 10.000 Arbeiter und mehr beteiligt waren, erlebte wiederum Berlin den größten Massenstreik, als vom 16. April an etwa 300.000 Arbeiter die Arbeit niederlegten. „Das in der offiziellen Arbeiterbewegung von den Instanzen verpönte und gehasste Prinzip der selbständigen Massenaktion ist auf der ganzen Linie zum Durchbruch gekommen und hat gesiegt; neue gewaltige Ausblicke eröffnen sich für die Arbeiterbewegung in Deutschland“, so bilanzierte der Spartakusbund die Ereignisse.

Das Jahr 1917 sah auch die erste große revolutionäre Bewegung in der Wehrmacht, die so genannte Marinemeuterei. Die Matrosen Albin Köbis und Max Reichpietsch, Mitglieder der eine umfassende Aufstandsbewegung vorbereitenden „Flottenzentrale“, wurden am 5. September erschossen, andere wurden zu Zuchthausstrafen von insgesamt 400 Jahren verurteilt. „Es ist unzweifelhaft, dass der Aufstand in der deutschen Flotte ein Anzeichen der großen Krise des Heranreifens der Weltrevolution ist“ schrieb Lenin, der schon am 1. Mai angesichts des „Brodelns“ in der „proletarischen Masse“ Deutschlands optimistisch erklärt hatte: „Das deutsche Proletariat ist der treueste, zuverlässigste Verbündete der russischen und der internationalen proletarischen Revolution.“ Sollte es das wirklich werden, waren die hemmenden Kräfte in den eigenen Reihen zu überwinden.

„Werte Genossen! Am Sonnabend hatte ich mit dem Mitglied der Generalkommission, dem Genossen Robert Schmidt, und dem Genossen Cohen eine Besprechung über die Generalstreikpläne, die gegenwärtig in Berlin und auch wohl an anderen Orten von der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft und der Spartakusgruppe geplant werden. (…) Eine Zusammenarbeit zwischen  General- kommission und Parteivorstand halte ich für sehr erwünscht, um dadurch der Streikgefahr entgegenzuwirken.“ (Aus einem Schreiben von August Müller, SPD, an die Generalkommission vom 10. April.)

Am 26. April richteten die Zentralleitungen der Gewerkschaften und Angestelltenverbände eine Ergebenheitsadresse für den „Herrn Generalfeldmarschall von Hindenburg“ an den damaligen Chef des Kriegsamts Groener. In dem Schreiben, das an erster Stelle die Unterschrift Carl Legiens trägt, heißt es: „Arbeitseinstellungen in der gegenwärtigen Stunde sind zu vermeiden; Erhaltung und Sicherheit des Reiches stehen an erster Stelle. (...) Seit Jahresfrist haben England und Frankreich, unterstützt von den Vereinigten Staaten Nordamerikas, ungeheure Massen von Geschützen und Munition an der französisch-belgischen Front aufgehäuft. Das Ungeheuerlichste, was Menschenhirn sich auszumalen vermag, ist über unsere dort kämpfenden Volksgenossen hereingebrochen. Nur ein herzloser, gewissenloser Mensch kann dazu raten, diesen die erforderlichen Verteidigungsmittel zu versagen. Diese Auffassung beherrscht nach unserer innersten Überzeugung auch die Bevölkerungskreise, die durch unsere Organisationen vertreten werden. Unsererseits wird alles geschehen, sie nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken und zu erweitern.“ – Auf diese Bereitschaft kamen die kaiserlichen Militärs mehrfach und niemals vergebens zurück, so auch bei der Marinemeuterei.

Am 15. Oktober 1917 besuchte Carl Legien, Vorsitzender der Generalkommission und in Kiel gewählter Reichstagsabgeordneter, mit seinem Stellvertreter Gustav Bauer nebst Vertretern christlicher Gewerkschaften das Große Hauptquartier. Er brachte dort wie üblich die Bitte nach mehr Verständnis für die Probleme der Arbeiter und der Gewerkschaften vor. Die Gewerkschaftsführer vermochten gleichzeitig General Ludendorff von ihrer eigenen Zuverlässigkeit zu überzeugen; Ludendorffs ausdrücklicher Bemerkung, er betrachte Streikende als Landesverräter, widersprachen sie nicht. „Sämtliche Vertreter haben offenbar die gute Absicht, dahin zu wirken, dass die Arbeiterschaft ruhig bleibt und ihre Pflicht tut. Sie glauben auch ihrer Leute so weit sicher zu sein, daß größere Streiks und Unruhen nicht zu befürchten sind, sofern nicht unvorhergesehene Ereignisse dazwischen treten“, beschreibt Ludendorff denn auch seine Eindrücke in einer Mitteilung an das Kriegsamt. Zumindest bestimmten Klagen der Führer der freien Gewerkschaften schenkte der General wohlwollende Aufmerksamkeit, so etwa der, „daß ihre Tätigkeit vielfach durch die stellvertretenden Generalkommandos gehindert sei, daß letztere unter dem Einfluss der Industrie ständen und daß die Bestimmungen und Erlasse des Kriegsministeriums bzw. der Generalkommandos über Versammlungen, Streiks usw. aufreizend und schädlich wirkten. Die Stimmung der Arbeiter sei daher nicht günstig. Ich glaube nach Einzelfällen annehmen zu können, daß manche Fehler vorgekommen sind, und daß es wichtig ist, solche zu vermeiden. Der Unterschied zwischen den ruhigen, zuverlässigen und den unbedingt kurz zu haltenden, aufsässigen Elementen (meist Jugendliche, Frauen und einige Hetzer) lässt sich vielleicht schärfer betonen...“

Nov03

Am Ende des Jahres 1917 schloss sich die Generalkommission dem „Volksbund für Freiheit und Vaterland“ an, der eine Antwort auf die im September unter Vorsitz von Kapp und Tirpitz gegründete Deutsche Vaterlandspartei darstellen sollte;  diese Partei vertrat immer noch annexionistische Maximalforderungen und stemmte sich gegen jegliche Reformen auf innenpolitischem Gebiet (etwa in der Frage des Wahlrechts). Zu den Förderern des Volksbundes gehörten auch Industrielle und Bankiers, so Robert Bosch und Hjalmar Schacht. Erklärtes Ziel der Generalkommission war es, mit dem Beitritt zum Volksbund „den inneren Zusammenschluss der Nation auch im vierten Kriegsjahr aufrechtzuerhalten.“ – Es sollte ihr nicht gelingen.

D.L.
   

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