Daten/Fakten  

   

Fehlende Beratung riskiert Verzweiflungstaten:

Zum Todesfall eines afghanischen Geflüchteten im Kieler Hafen

Toedliche Flucht Kiel web

Zum Fall des am Freitag, dem 13.11.2020, im Kieler Hafenbereich verunglückten afghanischen Geflüchteten nimmt der Flüchtlingsrat wie folgt Stellung:

Insbesondere unter afghanischen Geflüchteten herrscht derzeit eine große Verunsicherung. Anteil daran haben zurückgehende Anerkennungen von afghanischen Asylgesuchen, die gleichzeitig im Herkunftsland eskalierende Aufstandsgewalt und organisierte Kriminalität, Nachrichten über die vom Bund dennoch betriebene Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Kabul - trotz der sich in Afghanistan ausweitenden Pandemie, Berichte über die Überlebensnot von Rückkehrenden und Todesfälle von Abgeschobenen ...

Unter geflüchteten Afghan*innen, die hierzulande am Asylverfahren gescheitert sind, verbreitet sich angesichts ihrer formalen Ausreisepflicht Angst. Die Betroffenen fühlen sich in dieser Situation allerdings allzu oft alleingelassen. Doch eine gute Beratung - zumal als unabhängige Rechtsberatung für Geflüchtete - wird vom Land Schleswig-Holstein nicht mehr gefördert. Da aber, wo guter Rat fehlt, verbreiten sich Verzweiflung und aus der Not geborenes Fehlverhalten. Als Letzteres muss eine versuchte Weiterflucht nach Schweden, das schon lange hemmungslos nach Afghanistan abschiebt, verstanden werden.

Schleswig-Holstein schiebt derzeit keine Geflüchteten nach Afghanistan ab - und stellt sich Avancen des Bundes zur Ausweitung von Abschiebungen entgegen. Ausreisepflichtige können durch eine erfolgreiche sprachliche, soziale und Arbeitsmarktintegration Gründe für eine Aufenthaltsverfestigung schaffen. Dies zu wissen, kann Leben retten. Wem die Rechts- und Verordnungslagen transparent sind und wer Zugang zu diesbezüglich guter Beratung und Begleitung findet, geht nicht verloren.

„Wem mögliche Wege gewiesen werden, der verirrt sich nicht in seiner Angst“, ist Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, überzeugt.

Der Flüchtlingsrat appelliert dringend an die Landesregierung Schleswig-Holstein, die seit Jahresbeginn eingestellte Förderung von unabhängiger Verfahrens- bzw. Rechtsberatung wieder aufzunehmen. Guter Rat wird teuer - für uns alle - wenn er fehlt.

(Presseerklärung 18.11.20)

Seebrücke Kiel:

Für die sofortige Entkriminalisierung der Seenotrettung!

120 Aktivist*innen von SEEBRÜCKE und aus den flüchtlingssolidarischen und antirassistischen Spektren gedachten am 11.10.2020 am Bootshafen in Kiel den Menschen, die durch die Blockade der Seenotrettung durch die EU und ihren Mitgliedsstaaten ums Leben gekommen sind.

Hier ein Auszug aus dem Redebeitrag von Seebrücke:
Am 3. Oktober 2013 kamen bei einem Bootsunglück vor der Insel Lampedusa mindestens 366 Menschen ums Leben. Acht Tage später geriet ein weiteres Boot vor der Insel in Seenot, weil die Notrufe von den italienischen und maltesischen Rettungsstellen zu lange ignoriert wurden. 268 Menschen ertranken. Das war vor sieben Jahren. Wir fragen uns: Wie kann es sein, dass Europa auf die Hilferufe von der tödlichen Fluchtpassage übers Mittelmeer immer noch nicht reagiert?! Staatlich organisierte Rettungsaktionen bleiben weiterhin aus. Die Fluchtroute zwischen Libyen und Italien ist die tödlichste der Welt.
Die kürzliche Änderung der Schiffssicherheitsverordnung durch den CSU-Politiker Andreas Scheuer, ist ein Beispiel für die unerträglichen Mittel, zu denen gegriffen wird, um Seenotrettungs- und Beobachtungsschiffe festzusetzen und Seenotrettung und Beobachtungen von Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Die Verordnung wurde vom Amtsgericht Hamburg als nicht anwendbar erklärt, weil sie das geltende EU-Recht bricht. Der rechtswidrige Versuch der Änderung kostete die Retter:innen nicht nur Zeit und Geld, im Mittelmeer kostete sie Menschen das Leben.

Doch nicht nur Scheuers Schiffssicherheitsverordnung zwang die Seenotrettungscrews an Land zu bleiben. Auch weiterhin nimmt die italienische Regierung fadenscheinige Begründungen als Grundlage ihrer Festsetzungen. Aktuell darf die Sea Watch 4, Bündnisschiff von United4Rescue, nicht rausfahren, weil sie unter anderem zu viele Rettungswesten an Bord hat. Die Alan Kurdi darf seit Freitag nicht rausfahren, weil bei technischen Kontrollen von den italienischen Behörden Unregelmäßigkeiten gefunden wurden, die angeblich die geretteten Menschen und die Crew gefährden könnten. Sowohl spanische als auch deutsche Kontrollinstitutionen hatten zuvor das Schiff als mängelfrei klassifiziert.

Solange es keinen automatischen Verteilmechanismus in Europa gibt, wird dies weiterhin die Praxis der Anrainerstaaten sein, die sich wegen des unsäglichen Dublinabkommens um die fliehenden Menschen kümmern müssen, die bei ihnen zuerst registriert werden. Allerdings sieht der von Deutschland vorgelegte Plan für einen neuen Asylpakt keine konkreten Lösungen für die Seenotrettung vor. Er erwähnt lapidar, dass die zivilgesellschaftlichen NGOs unterstützt werden sollen. Es wird aber für die Verteilung keine Lösung geben, die auf einer humanen und menschenrechtskonformen Basis passieren wird. Stattdessen wird die Abschiebung durch sogenannte Abschiebepatenschaften aufnahmeunwilliger Staaten forciert und das individuelle Asylrecht durch ein pre-screening der Antragstellenden und beschleunigte Verfahren weiter eingeschränkt.

Wir fordern einen humanitären Umgang mit den Menschen an den EU-Außengrenzen, der dem Völkerrecht und der Achtung der Menschenwürde entspricht!

Wir fordern den Stopp der Repressionen und die sofortige Entkriminalisierung der Seenotrettung!

Wir fordern die Erlaubnis zum sofortigen Auslaufen für die Schiffe! Lasst die Schiffe frei!

Seenotrettung ist kein Verbrechen, sondern eine Pflicht!

Europas Abschottungspolitik ist keine Lösung, sondern Gewalt!

Stoppt endlich das Sterben im Mittelmeer!

Leave no one behind!

Moria-Demo in Kiel:

Evakuiert die Lager – Wir haben Platz !

Nach dem verheerenden Brand im Geflüchtetenlager Moria gingen am Mittwochabend, dem 9.9.2020 bis zu 1.500 Menschen spontan in Kiel auf die Straße um gegen das menschenverachtende europäische Migrationsregime und für eine sichere Unterbringung der Geflüchteten zu demonstrieren.

Moria Kiel 01 web

Mit Transparenten, Fahnen, lauten Parolen und vereinzelten pyrotechnischen Einlagen ging es von der CDU-Zentrale am Sophienblatt durch die Innenstadt, vorbei an der SPD und zurück zum Bahnhof, wo die Demonstration mit einer Kundgebung abgeschlossen wurde.
Vor den jeweiligen Parteizentralen wurde deutlich gemacht, dass die Katastrophe von Moria weder Zufall noch ein rein griechisches Versagen darstellt, sondern dass das Feuer, welches Moria zerstörte, seit Jahren von der Regierungen der EU gelegt wird. Da können die lokalen Parteiableger auch noch so viel darauf hinweisen und sich inszenieren, dass sie seit Jahren alles für eine Aufnahme von Geflüchteten geben und es einzig Horst Seehofer ist, der eine Aufnahme von weiteren Geflüchteten in Deutschland blockiert. Wenn Parteihierarchien greifen, Machtposten oder eine Regierungsbeteiligung winken oder behauptet werden müssen, fügt man sich doch den „Sachzwängen“ dieses brutalen Grenzregimes.

In Redebeiträgen wiesen Seebrücke Kiel, nara-netzwerk antirassistische aktion, ZBBS, KOA-Kollektiv afrodeutscher Frauen, die Autonome Antifa-Koordination Kiel und die Antifaschistische Jugend Kiel auf die seit langem bekannte katastrophale Situation in Moria hin: In dem Lager, das ursprünglich für 3.000 Personen ausgelegt war, lebten bis Dienstagabend mehr als 13.000 Menschen. In Zeiten der Corona-Pandemie mussten Tausende in Zelten oder im Freien schlafen, es fehlte an ausreichend sanitären Anlagen oder hygienischer Versorgung und für Nahrung mussten die Menschen oft stundenlang anstehen.

Es war klar, dass es unter diesen miserablen Bedingungen zu Infektion mit Covid-19 kommen wird, doch anstatt spätestens mit der Bestätigung der ersten Fälle die seit langem erhobene Forderung einer sofortigen Evakuierung des Lagers zu folgen, wurde Moria unter Quarantäne gestellt. Die Botschaft der ausführenden Organe der EU-Abschottungspolitik vor Ort war abermals deutlich: Lieber lassen wir euch hier am Rande Europas verrecken, als Euch Eure Bewegungsfreiheit zurückzugeben oder Euch zumindest Möglichkeiten einer menschenwürdigen Unterbringung zu schaffen. Die letzte Nacht in Moria war somit ein weiterer erschütternder Höhepunkt der Brutalität der europäischen Migrationspolitik, die maßgeblich aus Deutschland angeleitet wird.

Die Demonstration ist aufgrund der hohen Teilnehmer*innenzahl trotz kurzfristiger Mobilisierung als positiv zu bewerten und dennoch stellt sich die Frage „Wie weiter?“, wenn seit Jahren antirassistische Proteste von der parlamentarischen Politik ignoriert und konterkariert werden. Wer sind potentielle Bezugspunkte, Ansprechpartner*innen und Verbündete in diesem Kampf und wer nicht? Welches sind die geeigneten und notwendigen Mittel um den ständig eskalierenden rassistischen Normalzustand zu stören?

Daran anschließend stellte die Autonome Antifa-Koordination Kiel in einem Redebeiträge auf der Abschlusskundgebung fest: „Es wird immer wieder deutlich, nicht zuletzt an den europäischen Grenzen: Die EU ist kein progressives Projekt, wie von den bürgerlichen Liberalen so gerne behauptet wird. Die EU ist als neoliberales Projekt zur Stärkung der Kapitalinteressen ins Leben gerufen worden und als solche nützt sie dem Kapital, nicht den Menschen. Das menschenverachtende Grenzregime und die rassistisch-kapitalistisch Weltordnung, die Menschen ermordet und enormes Leid produziert, müssen zerstört werden, der Bestie ihr europäisches Herz entrissen werden. Unsere Antwort muss auch weiterhin sein, Solidarität mit den Verzweifelten und Vergessenen an den Außengrenzen der EU zu leisten, aber auch hier vor Ort den organisierten Widerstand gegen die Täter*innen und Profiteure dieses programmatisch-apokalyptischen Elendes voranzutreiben.“

(Quelle: Presseerklärung nara)

Kommentar

WIR SCHAFFEN DAS?

Nach dem Brand des Lagers in Moria und der noch dringender gewordenen Aufnahme der mehr als 12.000 Geflüchteten, kommt einem der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor fünf Jahren in den Sinn. „Wir schaffen das!“ hatte Merkel im August 2015 gesagt. Es ist ein Satz den sie heute nach eigener Aussage so nicht wiederholen würde.
Es waren diese drei Worte, mit denen Merkel signalisierte, dass die nach Europa und Deutschland vor dem Krieg in Syrien, aber auch aus Afghanistan, aus dem Jemen, aus Afrika fliehenden Menschen hier mindestens eine Aufnahme bekommen werden. Und es waren Worte, an denen in der Diskussion um Flucht und Asyl niemand sich vorbei mogeln konnte.
„Wir schaffen das!“ war zugleich die Aufforderung an viele Menschen in diesem Land, sich dafür einzusetzen, dass die hier ankommenden Geflüchteten mindestens einen Platz zum Schlafen, Essen und Trinken bekommen. Was bis dahin als Aufgabe von Flüchtlingsräten, von karitativen Organisationen oder auch von Aktivist*innen aus dem politisch eher linken Spektrum geleistet wurde, fand nicht nur den Zuspruch, sondern auch die Unterstützung aus breiten Bevölkerungsteilen.
Der inzwischen strapazierte Begriff der „Willkommenskultur“ zeigte sich in tausenden örtlichen Initiativen und der Entwicklung verschiedenster Arten von Hilfe und Aufnahme. Sie ging von dem Empfang der Geflüchteten auf Bahnhöfen über die Organisation von Schlafplätzen, Lebensmitteln, Kleidung. Und er wirkte weit darüber hinaus. Die kommunalen Institutionen waren überfordert und gaben gern die Organisation dieser notwendigen Unterstützung an die ehrenamtlichen Initiativen und ihre Akteure ab. Diese wiederum stellten klare Forderungen und Erwartungen auf finanzielle und logistische Hilfe, in der Folge auch bildungs-, gesundheits- und andere lebensnotwendige Maßnahmen. ...
Miteinander und voneinander lernen. Ein gemeinsamer Kampf um Sprachkurse, Wohnung, Arbeit für Geflüchtete und gemeinsame Freizeitgestaltung wurden entwickelt. Für große Teile der Bevölkerung wurde es zunächst das Ziel „es zu schaffen“. Sie erfuhren bei ihrem Handeln auch die Ursachen für Flucht, lernten ebenso den teilweise rigiden bis repressiven Umgang mit Geflüchteten kennen, leisteten zivilen Ungehorsam gegen Abschiebungen. Kurz: für viele Menschen war es der Beginn aktiver politischen Handelns. ...

(Bettina Jürgensen)

So einfach koennte es sein web

Zum Kommentar: „Wir schaffen das“ ?

Merkel, die quasi dazu aufgerufen hatte, dass sich die Bevölkerung dem „Wir schaffen das!“ anschließt, hatte in dieser Frage (Aufnahme aller Flüchtlinge, Red.) nicht einmal die gesamte Regierung hinter sich. Und auch sie selbst bleibt ihren Reden nicht treu. Was auch nicht so erstaunlich ist, immerhin ist sie Kanzlerin der CDU und des Kapitals.

EU: die Grenzen Europas abschotten

Wenn Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung am 17.8.15 schrieb: „... Die Flüchtlingszahlen, die Deutschland im Sommer 2015 beunruhigen sind auch Folge dessen, was der Raubtierkapitalismus und die gewachsene Bereitschaft der Geostrategen, Interessenkonflikte mit Gewalt zu lösen angerichtet haben ...“, so folgt daraus nicht die Konsequenz der Regierenden, um der Zahlen willen die Lösung der Konflikte gewaltlos zu suchen oder auf die Absatzmärkte und die Ausplünderung der Ressourcen anderer Länder zu verzichten. Statt Fluchtursachen zu bekämpfen und auf friedliche Konfliktlösung zu setzen, wurde der weitere Abbau des Asylrechts beschlossen.

Die Politik der EU und mit ihr die Bundesregierung aus Deutschland setzte und setzt weiter auf die gigantischen Fluchtabwehrpläne an den Grenzen. Alle Diskussionen um Rettungsprogramme täuschen nicht darüber hinweg, dass das Ziel heißt: die Grenzen Europas abzuschotten.

„Das Leid der Schutzsuchenden auf Lesbos ist seit Jahren Kalkül. Knapp eine Woche nach dem Brand in Moria werden die weiterhin überwiegend obdachlosen Schutzsuchenden durch massive Polizeipräsenz, Tränengas und das Vorenthalten von Wasser und Nahrung massiv unter Druck gesetzt, damit sie in das neu entstehende Zeltlager ziehen. Das ist eine Zermürbungsstrategie, um die Erschöpften dann in dem Lager besser kontrollieren zu können.“
Ulla Jelpke (MdB, DIE LINKE, Pressemitteilung vom 14.9.2020)

Immer noch sterben Menschen bei der Flucht, verdursten in der Wüste, ertrinken im Mittelmeer. Immer noch holt Frontex Flüchtende von ihren untergehenden Booten, um sie dann nicht in Sicherheit zu bringen, sondern um sie in die Türkei oder in die Flüchtlingslager Libyens zurückzustoßen, in denen lt. Auswärtigem Amt „KZ-ähnliche Verhältnisse“ mit „Exekutionen, Folter und Vergewaltigungen“ herrschen (Bericht des Auswärtigen Amtes, nach Spiegel, 29.01.2017). Oder sie werden in den sogenannten Hot-Spots, großen Lagern für Geflüchtete zusammengepfercht und von der weiteren Flucht in ein sichereres Leben abgehalten.

„Deutschland muss und kann auch gegenwärtig eine erhebliche Zahl von Schutzsuchenden aufnehmen“ (Pro Asyl)

Pro Asyl stellt fest:
„Trotz dieser Abwehrpolitik, für die die Bundesregierung mitverantwortlich ist, ist die Aufnahme von 890.000 Geflüchteten im Jahr 2015 eine Erfolgsgeschichte, die zeigt: #offengeht! Die Untergangs- und Schreckensszenarien, die die Aufnahme von Flüchtlingen regelmäßig begleiteten, wurden regelmäßig widerlegt – dank der Menschen, die zu uns kamen und dank der Menschen, die sich für sie eingesetzt haben.“ Und es heißt weiter: „Deutschland muss und kann auch gegenwärtig eine erhebliche Zahl von Schutzsuchenden aufnehmen. Viele Flüchtlingsunterkünfte in den Kommunen stehen leer oder können kurzfristig reaktiviert werden, die Bereitschaft zu Unterstützung und Engagement ist bei Haupt- und Ehrenamtlichen ungebrochen. Gleichzeitig verzweifeln Flüchtlinge in Elendslagern auf den griechischen Inseln, auf der Balkanroute und vor den Toren Europas, u.a. in der Türkei, im Libanon und in dem Folterstaat Libyen.“

Gleichzeitig dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass auch nach 2015 Gesetze beschlossen wurden, die der sogenannten „Willkommenskultur“ entgegenstehen. Auch diese wurden von Pro Asyl zusammengefasst dargestellt (siehe https://www.proasyl.de/pressemitteilung/5-jahre-wir-schaffen-das/).

Mit der Katalogisierung der Geflüchteten in solche aus vermeintlich sicheren oder unsicheren Herkunftsländern, die Abschiebepraxis und -zentren, mit der immer wieder geführten Diskussion um Obergrenzen und darüber, ob Straftäter nicht ohnehin und schneller abgeschoben werden sollten, wird rassistischem Denken Vorschub geleistet.
Ja, es haben gegen die Geflüchteten auch die Pegida-Demonstrationen stattgefunden, die Faschisten der AfD sind in mehr Parlamente eingezogen und es werden immer noch rassistische Anschläge und Morde verübt.

Eine die bereits 2016 den Satz von Merkel „Wir schaffen das!“ als zu leichtfertig fand, meldet sich auch nach 5 Jahren zu Wort:
Sarah Wagenknecht (MdB, DIE LINKE) meint: „Eines hat Angela Merkel geschafft: Sie hat mit ihrer Entscheidung unser Land verändert, das heute tiefer gespalten ist als je zuvor, ökonomisch, sozial, kulturell“, und „Merkel habe es geschafft, dass eine Partei wie die AfD Oppositionsführer werden konnte. Dass der Umgang miteinander ruppiger und intoleranter geworden sei.“
(ntv, 31.8.20: Sahra Wagenknecht: „Nein, Merkel hat es nicht geschafft")

Den Grund für die Rechtsentwicklung in der Aufnahme von Geflüchteten und der Aussage der Kanzlerin „Wir schaffen das!“ zu sehen, ist schon harter Tobak. Nicht nur, dass damit die Schuld für die Spaltung der Gesellschaft letzten Endes den Geflüchteten zugeschoben wird, es negiert die gesellschaftliche Entwicklung durch politische und wirtschaftliche Faktoren, negiert die Verantwortung für den Kampf um eine soziale, friedliche, gleichberechtigte und ökologische Zukunft. Eine Verantwortung, die gerade bei den linken Kräften liegt.

Die Bundesagentur für Arbeit bilanziert: „Einen „langen Atem“ brauche die Integration in den Arbeitsmarkt“ und dass es positiv sei, dass „im Mai 2020 knapp 29 Prozent der Menschen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren - im Frühsommer 2015 waren es nur gut 18 Prozent gewesen. Rechnet man die Minijobs hinzu, lag die Beschäftigungsquote zuletzt bei gut 34 Prozent.“ (Süddeutsche Zeitung, 4.9.20: Wie viele kamen, wer durfte bleiben, wie viele fanden Arbeit?)

Auch hier gilt es, die sozialen Kämpfe gemeinsam zu führen. Um das Recht auf Arbeit, auf Gesundheit, das Recht auf Wohnen. Nicht nur dazu braucht es den langen Atem.

Was ist zu tun?

Über die anstehenden aktuellen Forderungen zur Aufnahme aller Geflüchteten dürfen weitergehende Forderungen und die dazu notwendigen Diskussionen nicht aus dem Blick verschwinden. Dazu gehört ein Asyl- und Flüchtlingsgesetz für Deutschland und für Europa, das den Schutz der Flüchtlinge und ihre Perspektiven in dieser Gesellschaft in den Mittelpunkt aller Regelungen stellt. Es muss viel stärker die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit diskutiert werden. Dabei sind auch die Ursachen von Flucht und Migration und gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren.

Wir fordern: Bleiberecht für Alle!
Es muss eine Migrationspolitik in Deutschland entwickelt werden, die bereits hier lebenden Menschen zu legalisieren.
Bleiberecht für alle! Kein Mensch ist illegal!

Perspektivisch wären politische und soziale Bürger*innenrechte an den Aufenthalt in der EU zu knüpfen. Es müssen legale Fluchtwege geschaffen werden. Europa muss gefahrenfreie Wege für Flüchtlinge eröffnen. Menschen die fliehen müssen „Asylvisa“ erhalten, die dazu berechtigen würden, in die EU einzureisen, um dort einen Asylantrag zu stellen, bzw. ein Bleiberecht zu erhalten. Es darf keine Zurückweisungen von Flüchtenden an den Grenzen geben.

Flüchtlinge sollen ihr Asylverfahren im Land ihrer Wahl durchlaufen. Das Prinzip der freien Wahl bewirkt, dass Asylsuchende dort hingehen können, wo sie die Unterstützung erhalten. Die EU-Mitgliedstaaten müssen gegenseitig Statusentscheidungen anerkennen und dann Freizügigkeit gewähren.

Finanzielle Ungleichgewichte zwischen den EU-Staaten können durch Finanztransfers ausgeglichen werden. Es ist sinnvoller Geld zu verschieben als Menschen. Die in den letzten Jahrzehnten eingeführten asylpolitischen Verschärfungen müssen zurückgenommen werden.

Die Rechte von Illegalisierten müssen verteidigt werden, ebenso ihr Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Rechtsschutz gegen Gewalt und Ausbeutung. Kein Mensch ist illegal!

Im Kapitalismus sind Migrationsregime immer auch Arbeitskraftregime. Eine linke Migrationspolitik muss sich direkt gegen eine neoliberale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik richten, für die die Entrechtung qua Ausländerrecht nur ein Mechanismus von vielen ist, um Löhne zu senken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.

Gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben! Das heißt auch soziale Rechte für alle Arbeiter*innen auszubauen und durchzusetzen, dass Lohnbestimmungen und Arbeitsstandards eingehalten werden.

Es sollte die Möglichkeit der Arbeitsmigration ohne Asylverfahren eröffnen werden (nicht nur für Superspezialisten mit Green- und Blue-Card). Dazu muss der Arbeitsmarkt geöffnet und Diskriminierung von ausländischen Arbeiter*innen beendet werden.

Krieg ist eine Ursache für Flucht. Wir fordern den sofortigen Stopp von Waffenexporten und das Ende der Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Frieden ist jedoch auch mehr als die Abwesenheit von Krieg. Die grenzenlose Ausbeutung durch transnationales Kapital, ist strukturelle Gewaltausübung gegenüber der erdrückenden Mehrheit der Weltbevölkerung. Dies bildet den Hintergrund sowohl der heute geführten Kriege wie des Terrorismus.
Frieden erfordert, einen Weg zur Überwindung der ungerechten und unmenschlichen Strukturen der heutigen durch kapitalistische Ausbeutung strukturierten Weltgesellschaft zu öffnen. Die imperialistischen Staaten werden nicht aus sich selbst Gewaltverzicht oder weltwirtschaftliche Umorientierung im Interesse der Mehrheit der Menschen vornehmen. Dies müssen wir erkämpfen.

Was wurde geschaffen?

• Geschaffen wurde in den letzten Jahren eine Bewegung, die sich uneingeschränkt für die Rettung und die Aufnahme Geflüchteter einsetzt.
• Durchgesetzt wurde von der Seebrücke mit ihren Aktionen, dass sich inzwischen 174 Kommunen zum „Sicheren Hafen“ erklärt haben und bereit sind Geflüchtete aufzunehmen.
• Geschaffen wurde Seawatch, die mit der Überzeugung „Seenotrettung ist kein Verbrechen!“ die Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten.
• Geschaffen wurden mehr antirassistische Initiativen, Netzwerke die sich in den letzten fünf Jahren gebildet haben und heute noch aktiv sind. Die aktuell den Kampf um die Aufnahme der Geflüchteten aus Moria und den anderen griechischen Lagern führen.

#LeaveNoOneBehind!


Bettina Jürgensen, marxistische linke

Shame on EU! Seebrücke statt Seehofer!

Erklärung zur Demonstration am 9.9.2020

Heute Abend waren wir mit über 1.000 Menschen auf der Straße, um lautstark auf das Leid in Moria und an den Außengrenzen der EU aufmerksam zu machen. Die Stadt Kiel erklärte sich im November 2018 zum Sicheren Hafen für flüchtende Menschen. Bis zum heutigen Tag wird diese Erklärung von über 180 Städten, Kommunen und auch von einzelnen Bundesländern unterstützt. Wir fordern die Landeshauptstadt Kiel und die Landesregierung (CDU Schleswig-Holstein, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein, FDP Schleswig-Holstein) dazu auf, den Druck auf das Innenministerium zu erhöhen und die Geflüchteten aus ihrer menschenunwürdigen Lage zu befreien! Und auch die SPD Schleswig-Holstein, SPD-Fraktion im Bundestag sollte langsam einsehen, dass eine europäische Lösung nur eine ferne Utopie darstellt. Deutschland und die weiteren Staaten der EU missachten weiterhin ihre eigenen Grundwerte und verschärfen das Elend an den Außengrenzen Europas seit Jahren immer weiter. Die Politik des Wegsehens und der Abschottung muss mit dem Brand in Moria ihr Ende finden! Hierzu muss die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen einen ersten Schritt gehen und die geforderte Aufnahme der Menschen umsetzen.
Wir danken allen Unterstützer*innen für den starken Protest!
SEEBRÜCKE Kiel

Bild: Demonstration am 9.9.2020 in Kiel vor dem CDU-Parteibüro

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