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Kommentar

Libyen: Warum Gaddafi beseitigt wurde

Helmut Scheben / 17.02.2023  

Der Nato-Krieg in Libyen wurde als humanitäre Mission begründet. Er war vor allem eine Mission zum Schutz von Dollar und Euro.

«Brasilien und Argentinien planen eine neue, gemeinsame Währung», titelte die Financial Times Ende Januar. Andere Länder Lateinamerikas seien eingeladen mitzumachen. Es könnte die zweitgrösste Währungsunion der Welt entstehen. Die neue Währung soll Sur (Süden) heissen, wohl in Anlehnung an die lateinamerikanische Freihandelszone Mercosur. Ziel sei es, die Abhängigkeit vom Dollar zu mindern, so die Financial Times.

Offenbar muss man sich in Washington vorerst aber keine Sorgen machen, denn bis zur Realisierung solcher Pläne sei es noch ein langer Weg, wiegelte Argentiniens Wirtschaftsminister Sergio Massa ab: «Es wird eine Studie über Mechanismen einer Handelsintegration (…) Es ist der erste Schritt auf einem langen Weg, den Lateinamerika gehen muss.»

Überraschend konkret

Er wählte sicher ein gutes Statement, um besorgte Investoren zu beruhigen. Aber kurz darauf wurde die Sache doch überraschend konkret. Am 4. Januar, drei Tage nach Amtsantritt des neuen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, erklärte Daniel Scioli, der argentinische Botschafter in Brasilien, Argentinien und Brasilien würden jetzt vorwärts machen mit einer Wirtschaftsintegration und einer gemeinsamen Währung, die auf den ganzen Mercosur ausgedehnt werden soll.

Ein Phantom geht um die Welt: die Vorstellung vom Begräbnis des Dollar als Leitwährung. Russland und China begleichen ihre Rechnungen zunehmend in Yuan und Rubel. Moskau und Teheran geben bekannt, dass bereits fast die Hälfte ihres Handels in Rubel abgewickelt wird. China hilft dem hochverschuldeten Argentinien mit Milliarden-Darlehen in Yuan/Renminbi. Chinas Zentralbank und andere Zentralbanken horten Gold mit dem Ziel der «Entdollarisierung» der Weltwirtschaft.

Der harmlos klingende Begriff Leitwährung übertüncht die Übermacht, die der Leitwährung zu ihrer Leitfunktion verhilft. Diese Währungsmacht wird nicht nur mit Politik verteidigt, sondern auch mit Kampfjets, Panzern und Kanonen. Das jährlich steigende Militärbudget der USA wird demnächst die unglaubliche Summe von einer Billion Dollar erreichen.

USA wollen Gaslieferungen unterbinden

Die Hartnäckigkeit, mit der die USA – ganz im Sinne vom «grossen Schachbrett» des einstigen US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzezinski – das Funktionieren eines eurasischen Wirtschaftsraums zu verhindern suchen, ist wahrscheinlich der stärkste Faktor im Konflikt zwischen Washington und Moskau. Augenfälligstes Beispiel ist der langjährige Versuch Washingtons, die Gaslieferungen von Russland nach Westen zu hintertreiben. Es kann kaum Zweifel geben, dass Washington an dem Sprengstoffanschlag auf die Pipeline North Stream 2 beteiligt war. Präsident Biden hatte vollmundig angekündigt, man werde den Betrieb der Gasleitung zu verhindern wissen.

Weitgehend unbemerkt blieb in der westlichen Öffentlichkeit die Tatsache, dass es schon 2011 im Krieg in Libyen darum ging, ein Wirtschaftsprojekt zu verhindern. Muammar al-Gaddafi plante eine afrikanische Währungsunion und stand damit kurz vor der Verwirklichung. Ein – wie im Folgenden darzulegen – unerhörter Affront gegenüber Frankreich und westlichen Konzernen.

Gaddafi wandte sich Afrika zu

Der libysche Herrscher hatte sich im letzten Jahrzehnt seines Lebens mehr und mehr Afrika zugewandt. 2010 und 2011 war er Präsident der Afrikanischen Union. Das ölreiche Libyen nahm nicht nur viele afrikanische Arbeitsimmigranten auf und gab «den afrikanischen Brüdern» Arbeit, sondern finanzierte Projekte wie den afrikanischen Kommunikations-Satelliten, was für einen ganzen Kontinent erleichterten Zugang zu Telefon und Internet bedeutete.

Libyen war 2010 das einzige afrikanische Land mit einem vergleichsweise hohen Bruttoinlandprodukt von 14’000 US-Dollar pro Kopf. Bildung und medizinische Versorgung waren kostenlos. Für 0,12 Euro bekamen Libyer einen Liter Benzin, das war manchmal billiger als Wasser.

Höchste Alarmstufe

Das brisanteste Projekt Gaddafis war die Schaffung einer afrikanischen Währungsunion. Damit wollte er der Abhängigkeit von Dollar und Euro entgehen. Das Projekt löste in der globalen Wirtschaft, also bei grossen westlichen Banken, Rohstoffkonzernen und beim Internationalen Währungsfonds höchste Alarmstufe aus.

Der Soziologe und Nordafrika-Experte Werner Ruf nennt den Sturz und die Ermordung Gaddafis «eines der finstersten, aber kaum beachteten Beispiele neo-imperialer Politik» (Fritz Edlinger/Günther Lanier: Krisenregion Sahel, Seiten 199 ff). Laut Ruf gründete Gaddafi eine afrikanische Investitionsbank mit Sitz in Sirte (Libyen), einen afrikanischen Währungsfonds mit Sitz in Yaoundé (Kamerun) und eine afrikanische Zentralbank in Abuja (Nigeria) zwecks Einführung einer afrikanischen Währung. Kapitalisiert werden sollte das Projekt unter anderem mit der enormen Menge an Gold und Dollarreserven, die Libyen angehäuft hatte, und mit dem durch Sanktionen blockierten 30-Milliarden-Dollar-Guthaben der libyschen Zentralbank, das von der UNO freigegeben wurde.

Um die politische Explosivität dieses Vorhabens zu begreifen, muss man wissen, dass es Frankreich 1945 auf der Konferenz von Bretton Woods gelang, in seinen ehemaligen Kolonien eine Währungszone, die Communauté Financière d’Afrique (CFA) durchzusetzen, in der der CFA als Währung an den französischen Franc und später an den Euro gekoppelt war (1 Euro entspricht derzeit zirka 650 CFA).

Unter französischer Kontrolle

Die französische Zentralbank kontrolliert bis heute (im Auftrag der Europäischen Zentralbank) den Wechselkurs und die bei ihr deponierten Reserven der mehr als ein Dutzend Mitgliedsländer der Westafrikanischen und der Zentralafrikanischen Union. Die afrikanischen Länder haben also nicht die Möglichkeit, über ihre Geldpolitik selbst zu entscheiden. Der freie Kapitalverkehr garantiert westlichen Konzernen den ungehinderten Zugang zu den afrikanischen Märkten und strategisch wichtigen Rohstoffen sowie die Repatriierung von Gewinnen. Afrikanische Ökonomen kritisierten das System immer wieder als Knechtschaft und «monetäre Erpressung» (Ruf, Seiten 201/202).

Gaddafis Währungsunion stand um die Jahreswende 2010/2011 kurz vor der Realisierung, als in Tunesien und Ägypten Massenproteste und Aufstände ausbrachen, die weitgehend über die neuen Social Media organisiert worden waren. In der westlichen Öffentlichkeit breitete sich schlagartig die Parole vom «Arabischen Frühling» aus, wohl in Anlehnung an den «Prager Frühling», und ähnliche ideologisch besetzte Vokabeln. Jugendliche «Rebellen» würden, so die damals durchgehend falsche Medien-Erzählung, autoritäre Regime hinwegfegen. Im Februar 2011 griffen die Konflikte auf den Osten von Libyen über und es kam zu Kämpfen zwischen Aufständischen und der libyschen Armee.

Unheilige Allianz

Das war der Moment, in dem alte und neue Feinde Gaddafis ihre Stunde gekommen sahen und in der UNO eine unheilige Allianz aus Arabischer Liga und westlichen Regierungen zustande brachten, um den unbequemen Libyer loszuwerden. Der UNO-Sicherheitsrat beschloss am 17. März 2011 – unter Stimmenthaltung von Russland und China – eine «Flugverbotszone» über Libyen.

Die Nato übernahm ab Ende März die sogenannte «Durchsetzung des Flugverbots», was ein kosmetisches Etikett für die rund 26’500 Lufteinsätze war, mit denen die relevante Infrastruktur des libyschen Staates in Grund und Boden bombardiert wurde. Als Begründung hiess es, die Weltgemeinschaft müsse das libysche Volk vor den Angriffen des Diktators Gaddafi schützen. Die gleiche Art der Begründung verwendete man anschliessend bei der verdeckten Intervention in Syrien.

Das Video

Am 20. Oktober 2011 ging ein verwackeltes Handy-Video um die Welt, das das wenige Sekunden von der Ergreifung des libyschen Herrschers in Sirte zeigt. Da ist undeutlich zu sehen, wie der blutig geschlagene Gaddafi von einer schreienden Meute auf einen Pickup-Geländewagen gezerrt wird. Die Sequenz wurde über den Pool der European Broadcasting Union (EBU) in Genf an alle Sender der Eurovision-News und ihre assoziierten Sender ausserhalb Europas verteilt.

Ich sah die schockierenden Bilder damals im Newsraum der SRF-Tagesschau und fragte mich, ob sie der eisernen Zensur der Nato-Einsatzzentrale in Neapel entgangen waren. Diese wusste während des gesamten Libyen-Krieges äusserst effizient zu verhindern, dass Fernsehbilder von den Trümmern und den Opfern der Nato-Luftangriffe publik wurden. Die TV-Sendeanlagen der libyschen Regierung waren zu diesem Zweck kurz nach Kriegsbeginn in Schutt und Asche gelegt worden.

Vergoldete Pistole

An jenem 20. Oktober 2011 wurde über denselben EBU-Satelliten eine weitere Handy-Aufnahme verbreitet, die offenbar eine Szene kurz nach Gaddafis Ermordung zeigt. Man sah dort, wie ein Mann in einer vor Erregung rasenden Menge eine vergoldete Pistole schwingt, die vermutlich Gaddafi entwendet wurde. Der Mann schrie, wenn meine Erinnerung nicht trügt, auf arabisch, er habe ihn getötet.

Wer heute auf Wikipedia geht, der findet dazu nur die lakonische Angabe, die genauen Todesumstände Gaddafis «wurden nicht aufgedeckt und bleiben ungeklärt». Zum gesamten Verlauf des Libyen-Krieges von 2011 erfährt man von Wikipedia sehr viele Details, aber nichts, was auch nur im Geringsten von der offiziellen Version abweicht, die sich die Regierungen, die damals Libyen bombardierten, zu eigen gemacht haben. Von Gaddafis Währungs-Projekt liest man kein Wort auf Wikipedia.

Mutmassliche Kriegsverbrechen

Gaddafi wurden mutmassliche Kriegsverbrechen vorgeworfen. Von der Behauptung, er habe einen Massenmord unter der Bevölkerung im Osten des Landes geplant, bis zur Behauptung, Gaddafi habe seinen Soldaten «systematische Vergewaltigungen» befohlen, fand jede Propaganda-Story breites Echo in den Medien.

Das Meiste davon stellte sich später als Fake heraus, doch dies ist Wikipedia keiner Erwähnung wert. Auf die weltweit dominierende Internet-Enzyklopädie ist kein Verlass, sobald es um die Interessen mächtiger Konzerne und Regierungen geht. Professionelle Lobbyisten wirken dann als Autoren unter anonymen Benutzerkonten, um PR zu verbreiten und Unliebsames zu löschen.

Die 50 Millionen Euro

In dem Puzzle, das den Libyen-Krieg abbildet, gibt es ein Element, das die Sonntagspredigten der westlichen Wertegemeinschaft in ein schlechtes Licht rückt: Der libysche Herrscher, der mit Pauken und Trompeten im Elysée in Paris empfangen wurde, von Frankreich Kampfjets kaufte und an französischen Atomreaktoren interessiert war, soll 2007 dem Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy 50 Millionen Euro an illegaler Wahlkampfspende gegeben haben.

Französische Staatsanwälte ermitteln bis heute, die Beweise sind erdrückend. Der ehemalige libysche Erdölminister Schukri Ghanim, der den Sachverhalt bestätigen konnte, wurde am 29. April 2012 als Leiche in der Donau treibend gefunden. Sarkozy war der erste, der Libyen bombardieren liess, als im März 2011 die «Flugverbotszone» beschlossen war. Insider der libyschen Opposition haben ausgesagt, die Ermordung von Muammar al-Gaddafi sei von französischen Geheimdienstleuten gesteuert worden.

Es geht um die Dollar-Herrschaft

Was auch immer über Demokratisierungs-Missionen und Menschenrechts-Engagement gepredigt wird, der neue Kalte Krieg ist ein Krieg um globale Marktanteile und die Dollar-Herrschaft. Länder wie Russland, Venezuela, Iran oder Afghanistan, deren Auslandreserven von USA und EU eingefroren wurden, werden sich nach anderen Möglichkeiten der Eigentumssicherung umsehen. Die Rivalität zwischen China und den USA sowie die Sanktionen gegen Russland werden die Talfahrt des Dollar beschleunigen. Das hat sogar schon der Internationale Währungsfonds eingeräumt.

Wahrscheinlich ist, dass es dem Dollar ergehen wird wie einst der griechischen Drachme und dem römischen Denarius. Falls aber der Krieg in der Ukraine in einen Atomkrieg eskaliert, wäre das Nachdenken darüber unerheblich geworden.

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion Infosperber

Quelle: https://www.infosperber.ch/politik/libyen-warum-gaddafi-beseitigt-wurde/

Helmut Scheben © zvg

 

Kiel:

Solidarität mit den mutigen Kämpfer-innen im Iran und in Ostkurdistan

Bis zu 1.000 Teilnehmer*innen beteiligten sich am 28.01.2023 an der Kieler Demonstration in Solidarität mit der seit mehreren Monaten andauernden Revolte im Iran und in Ostkurdistan. Diese wurde durch den staatlichen Femizid an der jungen Kurdin Jina (Mahsa) Amini in Teheran im September ausgelöst und wird maßgeblich von Frauen angeführt. Zu der Demo hatte ein politisch heterogenes Bündnis um die Gruppe Zhina ye Iran mobilisiert, darunter viele antirassistische Gruppen und Initiativen.

Mehrere hundert Menschen schlossen sich innerhalb des Zuges dem lauten und ausdrucksstarken internationalistischen Block an, zu dem Kurdistan-Solidaritätsstrukturen und linksradikale Gruppen aufgerufen hatten. Hier wurde sich explizit für den Sturz des diktatorisch-klerikalen Regimes der „Islamischen Republik“ und für eine sozialrevolutionäre Perspektive für den Mittleren Osten ohne Patriarchat, Klassenherrschaft und Imperialismus ausgesprochen. Die Rojava-Revolution im benachbarten Syrien wurde hierfür als wertvoller Inspirationsquell stark gemacht.
Die Beiträge spiegelten die Breite des Bündnis wider, darunter aber auch einige emotional eindrucksvolle Darstellungen z.B. der mörderischen Repression von Redner*innen mit Herkunft aus dem Iran.

(www.facebook.com/RevolutionsstadtKiel/)

Iran Ostkurdistan Kiel web

Angriff auf das Streikrecht in Großbritannien

Chefduzen.de, Rote Hilfe Kiel und das Griechenlandsolikomitee Kiel
laden ein zur Informationsveranstaltung

mit einem Mitglied der britischen „Angry Workers“ am
Mi., 15.2.23 um 19.30 Uhr in der Hansa48, Kiel

Seit 2008 haben die britischen Arbeiter* innen 20.000 Pfund an Reallohnverlust hinnehmen müssen. Die Inflation war zeitweise bei 12 %, im November 2022 noch bei 10,7 %. Die Energiepreise haben sich um 96 % erhöht. Seit Monaten gibt es eine Streikwelle im Land, die von Hunderttausenden getragen wird. Deren Zielen stimmen Millionen Menschen zu. Es geht um Inflationsausgleich, bessere Arbeitsbedingungen, einen Stopp der Privatisierungen.

Der Regierung fällt dazu nichts Besseres ein, als den größten Angriff auf das Streikrecht seit den 80ern zu planen. Die 456.000 gewerkschaftlichen Mitglieder*innen des Gesundheitsdienstes NHS streikten das erste Mal seit 100 Jahren. Hinzu kommen massive Streiks der Post-, Hafen- und Bahnarbeiter*innen, ebenso die Kampagne „Don‘t pay UK“.

Nachdem Verhandlungen mit der britischen Regierung und den Unternehmen keine Einigungen brachten, weiten die Gewerkschaften ihre Arbeitskämpfe aus: Am 1. Februar 2023 ruft der Gewerkschaftsdachverband TUC zu einem Aktionstag gegen das Antistreikgesetz der konservativen Regierung auf. Und die Gewerkschaft der Beamten und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, PCS, wird zum 1. Februar 2023 einen eintägigen Streik organisieren.

„Angry Workers“: „Wir sind keine Gewerkschaft und sehen uns nicht als Organisatoren am Arbeitsplatz, sondern eher als Militante der Arbeiterklasse, die versuchen, eine Beziehung zwischen alltäglichen Kämpfen und einer kommunistischen oder revolutionären Perspektive herzustellen. Jede Diskussion über Strategien und politische Entwicklungen der Arbeiterklasse bleibt blutleer, wenn sie nicht in ständiger Kommunikation mit der Realität in der Werkstatt oder im Lehrerzimmer steht.“

Europas wahnsinnige Energiepolitik

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Staaten der EU, allen voran Deutschland, weitgehend von russischem Pipelineerdgas entkoppelt. Was auf den ersten Blick wie ein Erfolg aussieht, ist in Wirklichkeit in vielfacher Hinsicht eine Ansammlung von Katastrophen.

Mit dem Leerkaufen der internationalen LNG-Märkte (LNG, Liquid Natural Gas = verflüssigtes Erdgas) wurde die Energieversorgung im Globalen Süden empfindlich geschädigt. Das hat dramatische Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Energieversorgung und die politische Stabilität und fördert gleichzeitig Armut und Hunger. Gleichzeitig hat diese Europa-first-Politik dem Globalen Süden erneut vor Augen geführt, wie wenig die „werteorientierte“ Politik der EU im Krisenfall wert ist. In ihrer vom Westen verursachten Not wenden sich die Länder des Globalen Südens Russland zu. So haben z.B. Pakistan und Indien mit Russland langfristige Lieferverträge für Öl und Gas abgeschlossen bzw. verhandeln diese derzeit. Damit machen sie sich unabhängig von den politischen Entscheidungen der EU, was ihre Energieversorgung betrifft. Dafür steigt der russische Einfluss im Globalen Süden derzeit stark an.
Nach dem Scheitern von Nord-Stream 2 soll jetzt eine massiv überdimensionierte LNG-Infrastruktur ohne Rücksicht auf die Umwelt, das Klima oder demokratische Beteiligungsrechte durchgedrückt werden. Die mit heißer Nadel gestrickte gesetzliche Grundlage musste nach wenigen Monaten erneut verschärft werden, um die geplanten Vorhaben der gerichtlichen Kontrolle noch weiter zu entziehen. Gleichzeitig explodieren die Kosten innerhalb weniger Monate für die Steuerzahler von ursprünglich rund 3 Mrd. Euro auf derzeit rund 10 Mrd. Euro. Ein Ende der Kostenexplosion ist genauso wenig absehbar, wie die Realisierung der Vorhaben.
Absehbar ist jedoch, dass durch den massiven Ausbau der LNG-Infrastruktur, insbesondere in Deutschland, das Erreichen des 1,5°C-Ziels torpediert wird. Die Gasversorgung Europas von der arabischen Halbinsel wird dort zur Erschließung weiterer Vorkommen führen. Bereits die von Katar geplante Förderung von Erdgas reicht aus, um das gesteckte Klimaziel zu verfehlen, wenn man nur das CO2 aus der Verbrennung des Erdgases betrachtet. Werden alle Emissionen der Prozesskette, also auch die Methanverluste bei Förderung, Verflüssigung, Transport, Regasifizierung, erneutem Transport und Nutzung des Erdgases betrachtet, dann ist mit einer vielfach höheren Klimaauswirkung zu rechnen.
Das Ziel, Russland die Mittel zur Führung des Ukrainekrieges zu entziehen, ist richtig. Allerdings wird dieses Ziel verfehlt: 1. Russland verkauft seine , Kohle-, Öl- und Gasvorräte statt an die EU an Länder, die unter der rücksichtslosen Beschaffungspolitik der EU leiden, 2. Europa bezieht ca. 50% des für Atomkraftwerke benötigten Urans aus Russland und 3. Die Staaten der EU haben das billige russische Pipelineerdgas zu einem erheblichen Teil durch teures russisches LNG ersetzt. Wie aus Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hervorgeht, bezieht Deutschland derzeit rund 5 bis 6 Prozent seines Erdgases über russisches LNG. Europa importiert rund 13 Prozent seines LNG aus russischen Quellen, bisher im Jahr 2022 insgesamt für 27 Mrd. Euro. Der Bundeswirtschaftsminister verweigert bis heute rechtswidrig Auskunft zum bisherigen Bezug von LNG für Deutschland, insbesondere über den russischen Anteil an den Lieferungen, da er damit die Absurdität der deutschen Energiepolitik offenbaren würde. Warum wird nicht das russische Erdgas durch unser Biogas ersetzt, das ins Gasnetz eingespeichert werden könnte?
Warum werden die falschesten Anreize gesetzt, die möglich sind, indem mit der geplanten Übergewinnsteuer von (Bürger-)Wind- und Solarparks 90%, von Braunkohle- und Atomkraftwerkskonzerne 33 % und von Steinkohle- und Gaskraftwerksbetreibern null Prozent der zusätzlichen Gewinne abgeschöpft werden sollen? Warum werden die Übergewinne der Mineralölkonzerne gar nicht erwähnt? Was ist das für eine Klima- und Energiepolitik?
Die einzige Alternative zu dieser rückwärtsgewandten fossilen Energiepolitik ist ein konsequenter schneller Ausbau der Erneuerbaren Energien, der „Freiheitsenergien“. Wir erwarten von einem grünen Wirtschaftsminister, dass er alle Mittel einsetzt, die sauberen einheimischen Energien (Wind, Sonne, Wasser, Erdwärme…) zu fördern, statt durch Zigmilliarden Euro für LNG-Terminals die fossile Abhängigkeit von autokratischen Staaten zu zementieren.
Infos: https://fragdenstaat.de/anfrage/russische-lng-importe/

Pressemitteilung vom 12. Dezember 2022
Dr. Reinhard Knof, https://www.keinco2endlager.de/

Iran-Demo in Kiel:

Für „Frauen, Leben, Freiheit!“

Auch in Kiel geht die Solidarität mit den Frauen-Protesten im Iran weiter. So waren am 12.11.2022 erneut rund 300 Menschen für demokratische Rechte im Iran auf die Straße gegangen. Die Demonstration startete am Platz der Matrosen, anschließend ging der Demo-Zug durch die Innenstadt. Aufgerufen zum Protest hatte die Gruppe „Zhina ye Iran – Solidaritätsgruppe für einen freien Iran SH“. Mit Plakaten wie „Menschenrechte statt Scharia“ und „Nieder mit dem iranischen Mullah-Regime“ machten die Demonstranten ihr Anliegen deutlich. Bereits am 29.10. hatten in Kiel über 1.000 Menschen für die selben Forderungen demonstriert.

Die Solidarität gilt den seit Monaten im Iran stattfindenden systemkritischen Protesten. Auslöser war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die „Moralpolizei“ hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die Frau starb am 16. September 2022 in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem. Seitdem wurden Zehntausende Menschen verhaftet und mindestens 250 getötet.

Auch der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften verurteilen das Vorgehen des iranischen Regimes auf das Schärfste und rufen alle Gewerkschafter*innen auf, sich an Solidaritätskundgebungen für die protestierenden Iraner*innen zu beteiligen.

„Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften appellieren an die Bundesregierung, sich durch eine feministische und menschenrechtsbasierte Außenpolitik für die Entlassung der Inhaftierten und zum Tode Verurteilten einzusetzen und den couragierten Protest der iranischen Zivilgesellschaft zu unterstützen.“

Die kommunistische Tudeh-Partei im Iran weist darauf hin, „dass in der gegenwärtigen Situation, in der in mehr als 80 Städten Zehntausende von Jugendlichen, Frauen und Mädchen sowie Studentinnen und Studenten im Kampf gegen das Regime im Iran aufgestanden sind - mit Dutzenden von Toten und Hunderten von Verletzten -, die Präsenz der Arbeiter und Werktätigen, die in den letzten Jahren selbst einen entscheidenden Kampf gegen das Regime der Islamischen Republik geführt haben, noch nicht sichtbar ist. Die Beteiligung der Arbeiterklasse und der Werktätigen an diesem Kampf, um die Regierungs- und Wirtschaftsinstitutionen des Regimes lahmzulegen - und damit das Kräfteverhältnis zugunsten der Massenprotestbewegung zu verschieben - würde eine Schlüsselrolle bei der Herbeiführung grundlegender Veränderungen spielen.“
(https://www.tudehpartyiran.org/en/2022/10/02/statement-of-the-tudeh-party-of-iran-a-passionate-salute) (gst)

Neue U-Boote für Israel:

Kieler U-Boot-Werft befeuert Pulverfass Nahost aufs Neue

ThyssenKrupp Marine Systems TKMS) hat sich mit dem israelischen Verteidigungsministerium auf die Rahmenbedingungen für den Kauf von drei U-Booten der Dakar-Klasse geeinigt. Das gab das Unternehmen in Kiel am 20.1.22 bekannt. Das erste U-Boot soll innerhalb von neun Jahren dorthin geliefert werden. Das Auftragsvolumen liegt demnach bei rund drei Milliarden Euro. Die Bundesregierung trägt – wie schon bei den bisher gelieferten U-Booten – etwa ein Drittel der Kosten. Um für den Auftrag gerüstet zu sein, investiert ThyssenKrupp Marine Systems nach eigenen Angaben rund 250 Millionen Euro in seine Werft: Damit die Kieler Werft „die größten U-Boote produzieren kann, die jemals in Deutschland gebaut wurden“ (KN 21.1.2022).

„...speziell auf die Anforderungen der israelischen Marine zugeschnitten“

Nach den Worten von TKMS-Vorstandsvorsitzenden Rolf Wirtz handelt es sich bei der Dakar-Klasse um eine neue Konstruktion, „die speziell auf die Anforderungen der israelischen Marine zugeschnitten sein wird.“ Von diesen U-Booten der neuen Generation sollen nicht nur Torpedos verschossen werden und Kampfschwimmer ausgesetzt werden, sondern es gibt auch Startschächte  für Marschflugkörper.

„Ich bin zuversichtlich, dass die neuen U-Boote die Fähigkeiten der israelischen Marine verbessern und zur Sicherheitsüberlegenheit Israels in der Region beitragen werden,“ sagte Israels „Verteidingungs“minister bei Vertragsunterzeichnung.

Diese drei U-Boote werden die Dolphin-Klasse ersetzen, die auch schon mit Atomwaffen bestückt werden konnten. Sechs Boote dieser Klasse wurden von 1992 bis 2020 in Kiel gebaut und fünf an die israelische Kriegsmarine ausgeliefert (das sechste befindet sich noch in Bau). Die Lieferung der bisher letzten drei U-Boote an Israel war in die Kritik geraten, da dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, einem seiner Berater und einem ehemaligen Minister Korruption vorgeworfen wird. Es war berichtet worden, dass ein Vertreter von ThyssenKrupp hochrangige israelische Regierungsbeamte bestochen habe, um den Auftrag für die U-Boote zu erhalten. 

Doch Israel ist nicht der alleinige Adressat von U-Booten ins Pulverfass Naher Osten. 

Zwischen 2016 und 2021 erhielt Ägypten ebenfalls vier Boote. Und es werden sechs U-Boote der Klasse 214 in der Türkei „unter maßgeblicher Beteiligung des Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems“ gebaut. Die Lieferung der Bauteile wurde von der Regierung unter Kanzlerin Merkel im Jahr 2009 genehmigt und der Export mit einer sogenannten Hermesbürgschaft von 2,49 Milliarden Euro abgesichert. Dagegen hat vor allem der griechische Verteidigungsminister ausdrücklich protestiert. Denn die U-Boote könnten von der Regierung Erdogan dazu benutzt werden, „eine expansionistische Politik der Türkei in der Ägais und im östlichen Mittelmeer zu verfolgen.“ (telepolis 1.2.2021)

Brief von IPPNW an Kieler Oberbürgermeister (2012) – aufs Neue aktuell

Schon vor 10 Jahren (2012) war auf dem Ostermarsch in Kiel gefordert worden, die Auslieferung von  U-Bootes an Israel angesichts der zunehmenden Spannungen im Nahen und Mittleren Osten zu stoppen. 

Die Kieler Gruppe der IPPNW (Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges/ÄrztInnen in sozialer Verantwortung) hatte in einem Offenen Brief an Kiels OB gefordert: 

„Wir sind entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit in der Presse über die Lieferung von – bei HDW gebauten U-Booten – an Israel berichtet wird. Insbesondere empört uns, dass die Ausstattung dieser U-Boote für Nuklearraketen in keiner Weise problematisiert wird. Kiel ist Mitglied der Mayors for Peace, worauf wir stolz sind und erleichtert, weil sich damit Kiel dem Grundsatz dieser Vereinigung verpflichtet, ‚der Bedrohung durch Atomwaffen ein Ende zu bereiten und sich weltweit für deren Ächtung und Abschaffung einzusetzen‘. (...) Diese Lieferung von Waffen in das hochexplosive Spannungsgebiet Nahost verstößt gegen das Grundgesetz (Art. 26) und trägt zur weiteren Eskalation der akuten Kriegsgefahr bei. (...) Der Einfluss der Waffenlobby auf unsere Politik und Wirtschaft ist besorgniserregend. Zum Erhalt von Arbeitsplätzen macht Kiel sich abhängig von der Waffenlobby und mitschuldig an der Gefahr, Krisen durch Kriege lösen zu wollen. 

Wir möchten Sie deshalb um eine Stellungnahme zu unseren Bedenken bitten sowie um eine Beantwortung der Frage, welche Anstrengungen Sie unternehmen wollen, um im Sinne von „Schwerter zu Pflugscharen“ eine ernsthafte Rüstungskonversion in allen für die Rüstungsindustrie arbeitenden Betrieben in Kiel anzustreben, wie es Ihrer Verantwortung als ‚Bürgermeister für den Frieden‘ entspricht.“ 

(gst)

Unwort des Jahres 2021:

„Pushback“

Und wieder hat ein Wort der menschenfeindlichen Flüchtlingspolitik es geschafft zum Beginn des Jahres mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie jedes Jahr wurde das „Unwort des Jahres“ gewählt.

Eine Jury aus Mitgliedern der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) machte im Jahr 1991 den Anfang und losgelöst von deren Vorstand machten die Jurymitglieder als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ seit 1994 weiter.

Die Jury sind vier Sprachwissenschaftler*innen und zwei Journalist*innen. Vorschläge für das Unwort können aus der Bevölkerung eingereicht werden.

Mit der Wahl zum „Unwort des Jahres“ soll auf "undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden öffentlichen Sprachgebrauch" hingewiesen werden.

In den letzten Jahren haben bereits die Worte „Anti-Abschiebe-Industrie und Ankerzentrum“ (2018) sowie „Rückführungspatenschaften“ (2020) den denkwürdigen Titel erhalten.

„Pushback“ ist „Unwort des Jahres 2021“! 

Es scheint, dass jedes  „Unwort“ die politische Situation der jeweiligen Zeit spiegelt. Und damit auch hinweist auf die Veränderungen: ging es vorher noch darum, Geflüchtete und ihrem Recht auf Asyl in diesem Land zu widersprechen bzw. sie abzuschieben, kommt jetzt hinzu, Menschen auf der Flucht gar nicht erst nach Europa, geschweige denn Deutschland, einreisen zu lassen.

In vielen Medien wird nun, im Zusammenhang mit der „Auszeichnung“, über den „Pushback“ geschrieben er bedeute „zurückdrängen, zurückschieben“. Dies sind zwei der möglichen Übersetzungen. Eine weitere lautet: Zurückstoßen!

Da es um Sprache geht und mit der Wahl zum Unwort auch darum Begriffe zu demaskieren, sollte man auch bei der Übersetzung ehrlich sein. 

Der „Pushback“ richtet sich gegen Geflüchtete, die vor den Grenzen nach Europa illegal und mit Gewalt von einem Grenzübertritt abgehalten werden. Sie werden gezwungen wieder zurückzukehren in die Länder, aus denen sie geflohen sind oder in die Länder, in denen sie ihren letzten Aufenthaltsort hatten.

Diese Praxis der „Pushbacks“ wird an den Grenzen auf dem Land, aktuell insbesondere in Polen und Belarus, und auf dem Mittelmeer durch Grenzpolizei und Frontex durchgeführt. 

Menschen werden auf diese Weise daran gehindert ihr Asylrecht wahrzunehmen. Die Grenzen zu überwinden ist sehr oft mit Lebensgefahr verbunden. Grenzsoldaten versuchen das Übertreten von Grenzen auch mit Waffengewalt zu verhindern. Im Mittelmeer werden die oft ohnehin nicht seetauglichen kleinen Boote der Geflüchteten, mit den vielen Menschen an Bord, wieder zurückgetrieben und dem Meer überlassen. Von den zig-tausenden auf der Flucht im Mittelmeer ertrunkenen Menschen, sind auch die darunter, die von den Frontex-Einheiten zurückgestoßen wurden.

In der Ägäis, dem Teil des Mittelmeers zwischen der Türkei und Griechenland, werden immer wieder von der griechischen Küstenwache Geflüchtete zurück in türkische Gewässer gedrängt. 

Frontex, die europäische Grenzschutzpolizei, unterstützt bei diesen Aktionen nicht die Menschen auf der Flucht, sie retten nicht, sondern treiben mit „Pushbacks“ zurück auf das Meer. Seit Jahren gibt es an Frontex Kritik. Doch auch die neue Bundesregierung aus SPD/Grüne/FDP hat sich mit dem Koalitionsvertrag für die weitere Unterstützung des EU-Grenzregimes ausgesprochen. Sie meint es soll "auf Grundlage der Menschenrechte und des erteilten Mandats zu einer echten EU-Grenzschutzagentur weiterentwickelt werden" und weiterhin "ein wirksamer und rechtsstaatlicher Außengrenzschutz sein, der transparent ist und parlamentarisch kontrolliert wird. Frontex soll sich im Rahmen des Mandats bei der Seenotrettung aktiv beteiligen." (Koalitionsvertrag 2021)

Seit ihrem Bestehen, wird versucht der Frontex ein positives Bild zuzuschreiben. Doch immer wieder wird öffentlich, wie Frontex als eine Abwehrorganisation für Geflüchtete arbeitet. Dies scheint die Ampel-Regierung nicht sehen zu wollen. Frontex ist an den Pushbacks beteiligt.

Mit der Wahl zum Unwort des Jahres 2021 wird sich die Realität von „Pushbacks“ gegen Menschen die Schutz und Hilfe suchen nichts ändern. Dass die Wahl auf dieses Wort gefallen ist „weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt wird", so die Jury, kann jedoch dazu beitragen, dass mehr Menschen über diese Praxis des Zurückstoßens informiert werden. Darüber hinaus wird dann auch über die Einschränkungen des Asylrechts und die Versuche der unmenschlichen Abschreckung durch europäische Regierungen gelesen.

Es sind aber nicht Worte des Jahres, es sind die dazugehörigen Taten, die diesen Worten ihren erschreckenden und unmenschlichen Ausdruck geben.

Seit Jahren werden immer wieder Worte kreiert, die politische Ziele beschreiben sollen und dabei gleichzeitig den Weg zu unmenschlichen Vorhaben deutlich machen.

Wenn im Koalitionsvertrag der Bundesregierung mit dem Begriff der „Rückführungsoffensive“ die Perspektive mancher Geflüchteten beschreibt, zeigt allein schon dieses Wort wie diese Regierung mit der Frage von Flucht und Asyl umgehen wird – entgegen allen ihren eigenen Beteuerungen und Versprechungen für eine menschliche Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Wenn die CDU/CSU die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dafür kritisiert, dass sie in der EU-Flüchtlingsfrage gemeinsam mit anderen Ländern eine "Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten" schmieden will, zeigt dies, dass die Union dort weitermacht, wo der Innenminister a.D. Seehofer aufgehört hat. Deutlicher wird noch, wenn der CDU-Innenexperte Christoph de Vries der "Bild" diktiert: "Oberste Priorität für eine deutsche Innenministerin muss jetzt sein, klare Stoppsignale zu senden und keine neuen Einladungen zu verteilen", und Deutschland habe "viele Jahre die größten humanitären Lasten in Europa getragen".

"Pushback"- das Unwort des Jahres muss zur Untat des Jahres werden!

Halten wir es mit der Menschenrechtsorganisation „Mare Liberum“, die schreibt: „2022 suchen wir dann kein neues Wort, sondern schaffen diesen Unakt, die Pushbacks ab, ja? Für das Recht auf Bewegungsfreiheit und Safe Passage!“

Kämpfen wir für legale Fluchtwege!

Für das Recht zu kommen, für das Recht zu bleiben!

#LeaveNoOneBehind

Bettina Jürgensen, marxistische linke

An den Europaausschuss des Landtags von Schleswig-Holstein: 

Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag

An die Mitglieder des Europaausschusses des Landtags von Schleswig-Holstein. 

Sehr geehrte Damen und Herren! 

Der Antrag der SPD-Fraktion, der Landtag von S.-H. möge auf die Bundesregierung einwirken, dass diese den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichne, wurde an den Europaausschuss überwiesen. Damit kommt Ihrem Votum eine hohe Bedeutung bei. Wir hoffen, dass die nachfolgenden Argumente Sie erreichen können. 

Zwar ist die Entscheidung über die Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) Bundessache, doch ist das Land S.-H. mit seinen Werften, Marine- und Luftwaffenstützpunkten im Kriegsfall als ein vorrangiges Ziel potentieller gegnerischer Verteidigungs- oder gar Präventivschläge zu betrachten, nicht zuletzt selbst bei einer entfernteren Nuklearexplosion durch radioaktiven Fallout bedroht. 

Von daher muss S.-H. ein großes Interesse daran haben, diese Risiken weitestgehend zu minimieren. Laut dem gerade veröffentlichten Koalitionsvertrag planen die Parteien der künftigen Bundesregierung, an der Wiener Überprüfungskonferenz des AVV als Beobachter teilzunehmen und „die Intention dieses Vertrags konstruktiv zu begleiten“. 

Damit wird Deutschland nach Norwegen der zweite NATO-Staat und das erste Land, in dem Atomwaffen stationiert sind, das als Beobachter an der AVV-Staatenkonferenz teilnimmt. Deshalb könnten Sie der Meinung sein, dass sich nun der im Europaausschuss zu behandelnde Antrag doch eigentlich erübrigen würde. Doch die Bereitschaft der Bundesregierung zur Teilnahme an der AVV-Staatenkonferenz ist nur ein erster, wiewohl sehr wichtiger und erfreulich hoffnungsvoller Schritt. 

Ein unterstützendes Votum des S.-H. Landtags an die Bundesregierung zum Beitritt zum AVV, wie bereits von vier anderen Bundesländern und auch der Landeshauptstadt Kiel erfolgt, ist jedoch gerade deshalb von Bedeutung, weil im Koalitionsvertrag von der neuen BR explizit das Ziel „Deutschland frei von Atomwaffen” angestrebt wird, wie dies ja auch die große Mehrheit der Bevölkerung fordert.

Unzweifelhaft liegt Ihnen allen, die Sie Verantwortung für das Wohl unseres Landes tragen, die Sicherheit von uns Bürgern am Herzen. Strittig ist jedoch offenbar, welche Methoden am besten geeignet sind, diese Sicherheit zu gewährleisten. 

Über das Ziel, die US-Atomwaffen aus Deutschland zu entfernen, herrscht Uneinigkeit, meist mit Verweis auf unsere Bündnisverpflichtungen und das Risiko, dass dadurch die NATO destabilisiert würde. Deshalb sollte sich Deutschland unbedingt dafür einsetzen, den schon 2011 mit dem NATO „Deterrence and Defense Posture Review Committee“ begonnenen Dialog, bei dem ein Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe diskutiert wurde, wieder aufzunehmen. 

Der Sorge, dass die USAtomwaffen dann in Polen stationiert würden muss mit Verweis auf die NATO-Russland-Charta von 1997 begegnet werden, in der dies eindeutig verboten ist. Auch dürfen unsere „Bündnisverpflichtungen“ nicht bedeuten, dass wir uns zu Geiseln politischer Entscheidungen machen, die nicht in unserer Hand liegen! Denn die „nukleare Teilhabe Deutschlands“ bedeutet nicht, dass Deutschland im Ernstfall Einfluss auf die Entscheidung über einen Atomwaffeneinsatz hätte. 

Diese Entscheidung liegt letztlich allein beim US-Präsidenten, auch die für einen Ersteinsatz von Atomwaffen! Weiter wird von Gegnern des AVV argumentiert, dass alle Atomwaffenstaaten, wie im Atomwaffensperrvertrag (Nichtverbreitungsvertrag NVV) von 1970 beschlossen, zunächst abrüsten müssten. Doch wurde der AVV ja gerade deshalb initiiert, weil die Reduktion der Atomwaffen seit langem stagniert und deren „Modernisierung“ einer Aufrüstung gleichkommt. 

Wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages am 19.1.2021 bestätigt, steht der AVV nicht im Widerspruch zum NVV, sondern ergänzt diesen vielmehr, indem er die Verhandlungen des NVV befördern kann, statt zu einer Schwächung der Verhandlungsposition zu führen. 

Zentraler Konfliktpunkt in der Frage des Beitritts Deutschlands zum AVV ist die Strategie der Abschreckung. 

Nukleare Abschreckung ist bis heute die zentrale Sicherheitsstrategie der Großmächte. Abschreckung bedeutet, dass im Fall eines nuklearen Angriffs der Angreifer durch einen Zweitschlag mit für ihn inakzeptablen Schäden und Nachteilen zu rechnen hätte. Der Abschreckungslogik ist also die nukleare Zweitschlagslogik immanent. 

Hauptargument der Vertreter einer atomaren „Abschreckungsstrategie“ heute ist jedoch immer noch, dass dank der Abschreckungsstrategie im Kalten Krieg durch das „Gleichgewicht des Schreckens“ ein Atomkrieg verhindert worden sei. Dabei wird zum einen verschwiegen, dass es aufgrund von Fehlalarmen und Fehlinterpretationen vermeintlicher Angriffe wiederholt um Haaresbreite zu einem „Atomkrieg aus Versehen“ gekommen wäre. – Je kürzer die Vorwarnzeit, umso höher ist dieses Risiko! 

Zum anderen setzte diese gegenseitige Abschreckung damals und setzt heute wieder einen ungeheuren, Ressourcen verbrauchenden und die Umwelt belastenden, äußerst gefährlichen Rüstungswettlauf in Gang. Der auf diese Weise in Gang kommende Rüstungswettlauf verringert so die Chancen einer friedlichen Lösung politischer Konflikte. Die Abschreckungslogik sorgte im damaligen bipolaren atomaren Patt zwischen den Blöcken USA/NATO und Sowjetunion/Warschauer Pakt für eine gewisse, jedoch durch Fehlalarme immer gefährdete Stabilität und sollte die damalige konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts in Schach halten. 

Heute ist die NATO jedoch auch konventionell Russland weit überlegen. In dem heute multipolaren Kräftefeld von mindestens sieben Atommächten funktioniert diese gegenseitige Abschreckungsstrategie nicht mehr. Außerdem beinhaltet die neue, auf eine Vormachtstellung ausgerichtete US-Nuklearstrategie schon seit 2014/15, Atomwaffen auch in einem Ersteinsatz als sog. nukleare Gefechtsfeldwaffen mit vorwählbarer Sprengkraft von 0,3 - 50 kt(!) einzusetzen. (Zum Vergleich: die Hiroshimabombe hatte eine Zerstörungskraft von 20 kt!). 

Das potentielle nukleare Gefechtsfeld wäre Deutschland und Europa! Ein Einsatz von strategischen Atomwaffen wäre ein „game changer“! Er lässt sich nicht auf ein „Gefechtsfeld“ begrenzen und würde zwangsläufig zur atomaren Eskalation führen! Diese zunehmende Atomkriegsgefahr, die durch das Vorrücken der Zeiger auf der „Doomsday Clock“, der Weltuntergangsuhr, auf 100 Sekunden vor 12 symbolisiert wird, muss durch völkerrechtlich verbindliche Verträge wie den AVV unbedingt verhindert werden! 

Die Befürworter der nuklearen Teilhabe Deutschlands stützen sich jedoch noch immer auf die schon im Kalten Krieg gefährliche Strategie „Frieden durch Abschreckung“. Sie verkennen dabei die Gefahr, dass Deutschland und Europa im Ernstfall, wenn ein militärischer Konflikt atomar eskalieren würde, zum nuklearen Schlachtfeld werden würde! 

Nicht zuletzt braucht eine Abschreckungsstrategie zu ihrer Rechtfertigung den „absoluten Feind“, d.h. Feindbilder werden geschürt, statt sich in die Situation des Gegners, der sich ebenfalls bedroht fühlt, hinein zu versetzen und Frieden durch vertrauensbildende Maßnahmen zu befördern. Insbesondere das Festhalten der Bundesregierung an der nuklearen Teilhabe durch die auf deutschem Boden stationierten US-Atombomben wird auf russischer Seite als Bedrohung seiner nationalen Sicherheit bewertet und führt wiederum zu den Westen beunruhigenden Gegenmaßnahmen. 

„Frieden durch Abschreckung“ heute bedeutet Aufrüstung auf Grund der vermeintlich oder tatsächlich empfundenen Bedrohung der Sicherheit Deutschlands und Europas speziell durch Russland. Wir empfinden es deshalb als sehr beunruhigend, dass seit vielen Jahren einseitig die Bedrohung durch Russland vermittelt wird und nicht die gegenseitige Bedrohtheit durch Großmanöver beidseits der russischen Grenze anerkannt wird, die fatalerweise auf beiden Seiten zu Aufrüstungsmassnahmen führt. Diese Aufrüstungsmassnahmen verschlingen Unmengen an finanziellen und materiellen Ressourcen, die dringend für die Abwendung der die ganze Welt bedrohenden Klimakatastrophe benötigt würden. 

Deshalb ist der Beitritt Deutschlands zum AVV eine wichtige Möglichkeit, Abrüstungswillen zu signalisieren und dadurch die gegenseitige Rüstungs- und Bedrohungsspirale zu durchbrechen. Es wäre ein wichtiges Signal an Russland, dass Deutschland einen Beitrag für die gemeinsame Sicherheit mit Russland zu leisten bereit wäre. Der Beitritt zum AVV ist ein wichtiger Beitrag für Rüstungskontrolle und Abrüstung und damit ein Schritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt, ein Aufbruch in eine Welt, in der jeder Staat sich dadurch für die eigene Sicherheit einsetzt, dass er dafür sorgt, dass andere Staaten sich vor ihm sicher fühlen können. 

Wir bitten Sie deshalb dringend, das Votum des S.-H. Landtages an die Bundesregierung für einen Beitritt zum AVV zu ermöglichen! 

gez. Siegfried Lauinger

AG Atomwaffenverbotsvertrag Schleswig-Holstein Kiel, 28.11.2021 

c/o Siegfried Lauinger Dorfstr. 80 24232 Tökendorf Tel: 04348-9132264 

Bilder: Aktion am 22.01.2021 beim Kanzleramt in Berlin

Polen/Belarus:

Solidarität mit den Geflüchteten an der EU-Grenze

Etwa 50 Demonstrat*innen versammelten sich am 20.11.2021 am Kieler Hauptbahnhof und forderten offene Grenzen sowie die sofortige Aufnahme der an der polnisch-belarusischen EU-Außengrenze festgesetzen Menschen auf der Flucht.



Während das autoritäre Lukaschenko-Regime die Leidtragenden seit Wochen als Spielball im Kräftemessen mit der EU missbraucht, halten polnische Behörden mit Unterstützung diverser europäischer Staaten das EU-Grenzregime mit militärischer Brutalität aufrecht. Die Betroffenen müssen bei lebensgefährlicher Kälte in Wäldern hausen und werden an ihrer Weiterreise gehindert. Auch die deutsche Regierung hat sich jeglicher Schaffung sicherer Fluchtwege und Aufnahme der Schutzsuchenden verweigert. Zu der Kundgebung hatten Kurdische Organisationen aufgerufen; unter den Flüchtenden befinden sich viele Menschen aus Kurdistan. (Quelle: Revolutionsstadt Kiel)

Ergänzend dazu ein Kommentar der Schriftstellerin Daniela Dahn: “Kühl sagt Heiko Maas, glückloser Außenminister, Deutschland werde diese Menschen nicht aufnehmen. Es scheint egal, ob sie erfrieren oder nur erkranken. Egal, ob sie schon europäischen Boden betreten und damit das Recht auf ein Asylverfahren haben. In Brüssel wird nicht über ein Vertragsverletzungsverfahren diskutiert, sondern über die Bezahlung einer Mauer. Auf jeden Migranten, auf jede Frau, jedes Kind, kommen inzwischen drei oder vier Uniformierte an dieser Grenze der Schande – nicht mit dem Auftrag zu helfen, sondern mit dem gesetzwidrigen Pushback-Befehl. Go, go, go ist ihre Botschaft.
Das Wort Fluchtursachen scheint aus dem Vokabular gestrichen. Stattdessen werden Migranten angeblich nur noch „instrumentalisiert“, was ihnen eigene, begründete Motive abspricht. Und erst recht deren Verursacher im Dunkeln lässt. Die meisten Geflüchteten kommen aus dem Irak. Im Gegensatz zu Belarus war Polen einst mit 2.000 Soldaten beteiligt, als das Land von ausländischen Truppen, die dort nichts zu suchen hatten, in Schutt und Asche gebombt wurde.

Die Sprache zeugt heute unverändert von militantem Denken: „hybrider Angriff“ (von der Leyen), „menschliche Schutzschilde“ (Morawiecki) oder „weißrussischer Staatsterror“ (Steinmeier).“

(Daniela Dahn in: „Europa rüstet auf“. der Freitag, 19.11.2021, https://www.maskenfall.de/?p=14548)

To Mirmigi – Die Ameise.

Griechische Aktivist*innen informieren über soziale Situation in Athen

Auf Einladung des Kieler Griechenland-Solidaritätskomitees informieren Aktivist*innen des Athener Soli-Netzwerkes To Mirmigi (Die Ameise) auf zwei Veranstaltungen in Neumünster und Kiel über die soziale Situation und die Kämpfe in der griechischen Metropole. Dabei werden sie einen Einblick in ihre praktische Arbeit und auf die aktuelle politische Situation in Griechenland geben.

Und vor allem möchten sie sich bei den zahlreichen Unterstützer*innen aus Kiel und Umgebung für ihr jahrelanges Engagement bedanken, das wesentlich dazu beigetragen hat, dass das Soliprojekt auch in der Pandemiezeit überleben konnte.

Der Eintritt ist wie immer frei – Spenden sind erwünscht.

Die Veranstaltungen finden statt am:

Mittwoch, den 24. November in
Neumünster um 19.30 Uhr im KDW

Donnerstag, den 25. November in Kiel um 19.30 Uhr in der Hansastraße 48

Seit Gründung des Kieler Griechenlandsoli-Komitees unterstützt es das Soli-Projekt To Mirmigi (Die Ameise) im Athener Stadtteil Kypseli – vor allem auch finanziell. Kypseli liegt am Rande des Zentrums von Athen; dort wohnen etwa dreimal so viele Menschen wie in Kiel. Mittlerweile beträgt der dortige Migrant*innenanteil um die 40%., weitere 40% der Einwohner machen Rentner*innen aus.

To Mirmigi – zu deutsch die Ameise – wurde 2012 gegründet und betreibt dort ein kleines altes Haus, dass wochentags immer für alle Bewohner*innen des Stadtteils offen steht.

Der Hauptbestandteil der Arbeit des Soli-Netzwerkes besteht darin, Nahrungsmittel für besonders von Armut betroffene Familien zu organisieren und diese zu verteilen. Darüber hinaus kümmern sich die Mitarbeiter*innen darum

• Spielzeug und Kinderbücher zu sammeln
• Medikamente zu sammeln und sie weiter an soziale Arztpraxen oder soziale Apotheken zu verteilen
• kulturelle Aktivitäten zu organisieren (Filmvorführungen mit Diskussion, Theatervorführungen, Musikabende, Lesungen usw.)
• Sprachunterricht für Migrant*innen anzubieten.

Spenden für das Soliprojekt To Mirmigi an:
Jürgen Dollase Deutsche Skatbank Zweigniederlassung der VR-Bank Altenburger Land eG
IBAN: DE59 8306 5408 0004 1014 05
BIC GENODEF1SLR

Weitere Infos zur Ameise auf unserer Webseite: https://www.griechenlandsolikiel.de

Bericht vom DKP-Sommerfest in Kiel:
„Solidarität mit Cuba – Unblock Cuba“

Schönstes norddeutsches Sommerwetter und aktuelle Informationen aus erster Hand prägten das diesjährige Sommerfest der DKP am 21.8.2021 in Kiel. Na klar war die SDAJ aktiv dabei. „Solidarität mit Cuba – Unblock Cuba“ war der rote Faden des Fests und für künstlerische Annäherung sowie kompetente Informationen sorgten gleich mehrere hochkarätige Gäste. Die stellvertretende Botschafterin Ivet López, der bekannte Internationalist und Schauspieler Rolf Becker sowie der Journalist und ausgewiesene Cuba-Kenner Volker Hermsdorf.

Cuba hat seit vielen Jahren - so auch jetzt in der verheerenden Pandemie - Menschen in fast allen Kontinenten der Welt mit ihrem hochqualifizierten Gesundheitspersonal, der internationalistischen Henry Reeve-Gesundheitsbrigade, geholfen Seuchen zu bekämpfen und Menschenleben zu retten. Cuba, das praktische Beispiel einer besseren Welt ist aber selbst bedroht. Braucht unsere Unterstützung, - mehr denn je. Dies verdeutlichten die Beiträge der Gäste.

Diese verfluchte US-Blockade beenden! DKP-Kiel Sommerfest im Zeichen breiter und fester Solidarität.

Zum Einstieg eine geschichtliche Annäherung. Vom Gräuel und dunklen Schatten der Conquistadores zum Yankee-Imperialismus mit seinen Statthaltern zu der erlösenden Befreiung durch die von Fidel und seinen Genossen geführte „Bewegung des 26. Juli“. Damit nie wieder geschehe, was Pablo Neruda einst niederschrieb.
„Die Schlächter kamen über die Insel ... Cuba, meine Liebe – dich banden sie auf die Folterbank zerschnitten dir das Antlitz durchbohrten dich mit Messern, zerteilten und verbrannten dich in die hohen Bergkuppen flüchteten Deine Kinder verloren sich im Nebel, doch sie wurden eingeholt, eins ums andere um zu sterben – zerstückelt unter der Folter...“

Mit diesen ausdrucksvollen Versen des chilenischen Dichters eröffnete Rolf Becker den geschichtlichen roten Faden von der langen Unterdrückung und Sklaverei bis zur Befreiung.

Fidels Satz aus seiner Verteidigungsrede 1953, dass „unbegreiflich ist, dass Kinder ohne ärztliche Hilfe sterben“ leitete zur aktuellen Situation über. Die Gefährdung der Gesundheit, auch der Kinder, durch die verfluchte Blockade des Yankee-Imperialismus zeigt die verlogene Fratze der „westlichen Wertegemeinschaft“.

Durch die Lieferverweigerung lebenswichtiger Grundstoffe, selbst für Krebsmedikamente oder Beatmungsgeräte für Covid19 Patienten und Hilfsmittel für schwerkranke Menschen. Kostenfreie medizinische Versorgung und Bildung für alle, die umfassende soziale und wirtschaftliche Umsetzung der UN-Menschenrechtscharta werden attackiert. Die Früchte der Revolution sollen zerstört werden. Aber die stellvertretende Botschafterin Cubas, Ivet Lopez konnte auch gute Botschaften überbringen.

Gute Nachrichten zur Pandemiebekämpfung

„Die gute Nachricht ist, dass Cuba schon drei offizielle Impfstoffe „Soberana 02“, „Soberana Plus“ und „Abdala“ vorzuweisen hat. Sowie zwei weitere, die in der klinischen Prüfung sind und in unterschiedlicher Intensität gegen alle Virusvarianten wirksam sind. 12 Millionen Dosen wurden bereits produziert. Von den Menschen, die alle Dosen erhalten haben, erkrankten nur noch 0,8%. Und eine weitere gute Nachricht ist auch, dass voraussichtlich bis Ende des Jahres alle Cubaner:innen geimpft sein werden. Die Impfung ist freiwillig, es gibt kaum Impfverweigerer. Und Cuba ist das einzige Land auf dem lateinamerikanischen Kontinent, das erfolgreich Impfstoffe entwickelt hat. Trotz Blockade. Errungen durch die Kraft der cubanischen Revolution, die alle verfügbaren Ressourcen für die Bekämpfung der Pandemie und für den Erhalt des Lebens und der Gesundheit mobilisiert und einsetzt. Sowohl national, als auch im Rahmen internationaler Solidarität“ erläuterte Ivet López.

Der Informationsblock endete mit Ausführungen des ausgewiesenen Cuba-Kenners Volker Hermsdorf zur Lügen- und Desinformationskampagne kapitalhöriger Medien und bezahlter Influencer. Erhellend sein Beitrag über ein Gespräch mit Menschen in Cuba, die sich anfangs auch an den jüngsten Demonstrationen beteiligten. Sie berichteten:
„Ja, hier waren heute Demos gegen die schlechte Versorgungslage. Da sind wir mitgelaufen. Wir sind raus, weil die Welt auf uns und die Blockade aufmerksam gemacht werden sollte. Als wir dann gemerkt haben, dass Contras dabei waren und diese über die asozialen Netzwerke zu Gewalt aufriefen, Polizeiautos umgekippten und die ersten damit anfingen Geschäfte zu demolieren – in einer Zeit wo die Versorgungslage schon schlimm genug ist – und dann auch noch Kitas und Kinderkliniken angegriffen haben, da sind wir natürlich nach Hause gegangen. An sowas wollten wir nicht beteiligt sein.“
In den herrschenden deutschen Medien aber werden die bezahlten Provokateure und Kriminellen als Freiheitskämpfer bejubelt. Warum wohl?

(Bild: Die kleine Insel in der Karibik zeigt nicht nur wie man ein solidarisches und für alle kostenloses Gesundheitssystem aufbaut, wie man Bildung endlich zu einem Allgemeingut macht, das allen zusteht und wie man trotz der unmenschlichen Wirtschafts-Blockade durch die USA das Ganze aufrecht erhält. Sie hat auch gezeigt, wie Internationale Solidarität aussieht.)

 

Die bessere Welt schützen und verteidigen

Wenn die Frage steht „Eine andere Welt muss möglich sein“, dann zeigt Cuba, dies ist nicht nur möglich, sondern bereits Realität. Deswegen ist Cuba im Fadenkreuz des US-Imperialismus. Denn welche andere Bedrohung sollte sonst von dem „kleinen“ Karibikstaat Cuba ausgehen? Die warme und leuchtende Flamme Cubas für Staaten der Karibik und Lateinamerikas als Beispiel und Hoffnung soll erlöschen.
Und auch an Fidels Rede wurde erinnert: „Du hast die Möglichkeit. Jetzt kämpfe mit all deiner Kraft, damit die Freiheit und das Glück dein sei.“

Denn was in Kuba geworden ist, kann auch bei uns werden. Dies ist die Furcht, die den Imperialismus zu allen denkbaren Verbrechen antreibt. Nichts ist tabu. Ach ja, natürlich wurde auch für Cuba gespendet. 200 € für den Solidaritätsfonds. Den Spender:innen und allen Helfer:innen sei gedankt für das gute Gelingen des Festes.

Solidarität mit den Kämpfenden bei „Caterpillar“

Umfassende Solidarität bestimmte den Charakter des Sommerfestes. Ergänzend zur internationalen Solidarität wurde auch noch die Solidarität mit den um ihren Arbeitsplatz bangenden und kämpfenden Beschäftigten der Industriebetriebe „Caterpillar“ in Kiel und anderen Standorten sichtbar zum Ausdruck gebracht.
Die DKP steht für konsequente Unterstützung der ausgebeuteten und ausgegrenzten Menschen in Betrieben, Städten und Gemeinden. Geht dafür gemeinsam mit den Betroffenen auf die Straße. Steht aber auch als die konsequente Alternative bei Wahlen auf dem Stimmzettel. So bei der Bundestagswahl am 26. September.


(Bericht: DKP-Kiel)

Auf dem DKP-Sommerfest in Kiel: Rolf Becker, Ivet López und Volker Hermsdorf

Kommentar:

Grenzenlose Heuchelei

Das Leiden und Sterben an den Außengrenzen der EU nimmt kein Ende. Über 600 Menschen sind in diesem Jahr bereits bei der gefährlichen Überfahrt nach Europa ums Leben gekommen, doch immer wieder besteigen Verzweifelte unsichere Boote, weil die EU ihnen sichere Fluchtwege verwehrt. Einmal auf See, kann es ihnen vor den griechischen Inseln geschehen, dass sie von der dortigen Küstenwache oder auch von der Frontex der EU illegaler Weise zurück in türkische Gewässer gedrängt werden, wobei sogar schon geschossen wurde. Oder sie geraten zwischen Libyen und den italienischen Inseln in Seenot, ohne dass sich das zuständige Seenotzentrum in Italien um sie kümmern würde. Private Seenotrettungsschiffe haben in den letzten Wochen wiederholt auf solche Fälle aufmerksam gemacht. Mehr noch, die privaten Initiativen werden immer wieder nach Kräften behindert. Als die „Seaeye 4“ in der Woche vor Pfingsten mit über 400 Geretteten an Bord das sizilianische Palermo anlief, wurde sie erst auf eine zweitägige Odysee zu einem anderen Hafen geschickt und dort dann für 14 weitere Tage festgehalten. Trotz negativer Corona-Tests für alle Besatzungsmitglieder und Geretteten wurde das Schiff unter Quarantäne gestellt, nach dem die Flüchtlinge von Bord gegangen waren. Was das mit der hiesigen Politik und der Bundesregierung zu tun hat? Natürlich handelt die Regierung in Rom im Einverständnis wenn nicht gar auf Druck der in der EU Ton Angebenden und das ist vor allem Berlin. (Die meisten Regierungen der anderen Mitgliedsstaaten ticken natürlich ähnlich, aber das ist eine andere Frage.) Das Retten von Schiffsbrüchigen, eigentlich ein elementares Gebot nicht nur der Menschlichkeit sondern auch internationaler Verträge, gehört offensichtlich nicht zur deutschen Staatsräson. Man beschweigt das Leid und das Sterben lieber, so wie auch die Kriege des NATO-Partners Türkei gegen Kurden und Nachbarländer, die vollkommen unhaltbaren Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern, die Folterlager für Flüchtlinge in Libyen, in denen jene landen, die von der vermeintlichen, EU-finanzierten Küstenwache abgefangen werden. Das hält allerdings weder Bundesregierung noch grüne Opposition davon ab, sich über missliebige Regierungen, sei es in Minsk, Moskau oder Beijing zu echauffieren und ihnen Vorträge in Sachen Menschenrechten zu halten, oder israelischen und palästinischen Demonstranten Antisemitismus zu unterstellen, weil sie gegen das Bombardement Gazas demonstrieren. Obszöne, grenzenlose Heuchelei scheint das Wesen deutscher Regierungspolitik und oberstes Kriterium der „Regierungsfähigkeit“ zu sein. (wop)

Palästina-Demo:

73 Jahre Vertreibung – 73 Jahre Widerstand

Weltweit gedenken um den 15. Mai herum die Palästinenser der „Nakba“ (arab. Katastrophe), der Vertreibung und Enteignung im Zuge der Staatsgründung Israels im Jahr 1948.
Initiiert vom „Deutsch-Palästinensischen Frauenverein, Regionalgruppe Hamburg“ fand am 22. Mai 2021 auf dem Platz der Kieler Matrosen eine Protest- und Informationsveranstaltung statt, auf der Lili Sommerfeld, Musikerin und im Vorstand des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ u. a. sagte: „Ich fordere die deutsche Politik auf, die richtigen Lehren aus den Verbrechen der Nazizeit zu ziehen, die hier begangen worden sind, von den Vorfahren einiger der Menschen, die hier heute Politik machen. Die richtige Lehre daraus ist nicht „nie wieder darf so etwas Juden widerfahren“, sondern die richtige Lehre daraus ist: „Nie wieder darf so etwas irgend jemandem widerfahren!. Und dabei sage ich jetzt nicht, dass das, was Israel macht, das gleiche ist, was die Nazis mit den Juden gemacht haben. Ich mache grundsätzlich keine Nazivergleiche. Aber klar ist: Die Lehre aus den Verbrechen der Schoah muss die Charta der Menschenrechte sein.“

Palestina Demo Kiel web

Chefduzen.de:

Den Aufstand im Alltag proben!

chefduzen logo webVor gut 20 Jahren ist die Idee für das Forum der Ausgebeuteten entstanden als Versuch, jenseits des linken Kampagnenhoppings, einen zeitgemäßen klassenkämpferischen Ansatz zu entwickeln. Es war eine simple Idee, es sollte in Form eines Stammtischs ein fester Anlaufpunkt eingerichtet werden, um sich zu sozialen Fragen, also allem, was mit Arbeit und Arbeitslosigkeit zu tun hat, auszutauschen. Es war die Zeit, als das Internet zu einem schwer angesagten Ding wurde, das die Kreise der Computerfreaks hinter sich ließ und zu einem populären Medium wurde.

Die Idee des Stammtischs sollte also auch auf die Möglichkeiten des Internets ausgeweitet werden. Doch ohne Ahnung von Computern und Software, dauerte es mit der Umsetzung bis 2002, bis chefduzen.de endlich im World Wide Web auftauchte.Das Forum dümpelte eine Weile vor sich hin, bis eine spektakuläre juristische Auseinandersetzung mit einem Leiharbeitsunternehmen das Forum zum Thema in bürgerlichen Medien machte und für eine unerwartete Popularität der Plattform sorgte. Der Stammtisch hingegen folgte nicht diesem Boom und wir mußten Leute mit Nachdruck einzeln einladen und es dauerte Jahre, bis der Stammtisch funzte. Heute ist er eine Institution und es gibt Anfragen, ob wir uns Aufrufen zu Protestaktionen oder Demos anschließen könnten. Dabei sind chefduzen und der Kieler Stammtisch kaum als Organisation zu bezeichnen, eher als Idee und Versuch, Klassenkampf im Alltag umzusetzen und zu leben.

arbeitsmigranten web

Sommer letzten Jahres in Gaarden: „Arbeitsmigranten sind keine Menschen 2. Klasse. Gleicher Lohn und gleiche Rechte.“


Leiharbeit ist bei uns ein Dauerthema. Die Herausgabe der Zeitung „Leihkeule“ hat bundesweit Einfluß auf die Diskussion unter Leiharbeitern. Wir verteilten einige Ausgaben vor dem Werfttor, machten aber auch Straßenaktion an verschieden Orten. Zu Feierlichkeiten zum 20 jährigen Bestehen des Sklavenhändlerverbands iGZ tauchten wir mit Transparenten in Münster auf und wurden vom Sprecher des Verbands mit der Frage begrüßt, ob wir denn von Zoom oder chefduzen seien. Zoom ist das Leiharbeiterforum, das seit 2003 unter dem Dach der IG Metall aktiv war, bis die Gewerkschaft beschloß, das Forum im März dieses Jahres abzuschalten. Enttäuscht von ihrer Gewerkschaft zogen die Leiharbeiter ins Chefduzenforum, um dort ihre Arbeit fortzusetzen. Eine Reihe unserer Protestaktionen in Solidarität mit Leiharbeiterkollegen des chinesischen VW Werks in Changchun, die es nach den Protestaktionen mit staatliche Repression zu tun bekamen, schlugen hohe Wellen. Sie wurden von den Arbeitern in China wahrgenommen, verbreiteten sich in ihren Sozialen Medien und führten zur Wiederaufnahme des Protests. Die Deutschen Medien nahmen das auf und setzten das VW Management und den Konzernbetriebsrat mit ihren Fragen unter Druck. Die Konzernleitung entschied sich zu einer Befriedung der Situtation durch die Festanstellung von 900 entlassenen Leiharbeitern in die Stammbelegschaft des Werks Changchun zu dem doppelten Lohn eines Leiharbeiters. In Erinnerung an diesen Erfolg, versuchen wir uns nun erneut um das Organisieren von Solidarität für einen Arbeiteraktivisten in China. Ein Essenskurierfahrer aus Peking, der keine Unterstützung der offiziellen von der KP kontrollierten Gewerkschaft fand, organisierte kurzerhand seine Kollegen gegen die halsbrecherischen und Ausbeuterischen Arbeitsbedingungen über Soziale Medien und auf Treffen in einem Restaurant. Als er sie zu einem Streik aufrief, wurde er festgenommen und ihm drohen fünf Jahre Knast. Wir halten internationale Solidarität für das Gebot der Stunde.

chefduzen mengzhu web

Foto vom 1. Mai 2021

Wir versuchten uns auch der Situation der Beschäftigten in den Kieler Postdiensten zu widmen und luden wir zu einem Poststammtisch ein. Unsere Veröffentlichungen und Aktiönchen scheinen getroffen zu haben. Wir bekamen Gegenwind, aber nicht vom Management, sondern von Verdi. Erst wurden wir beim Flugblattverteilen angepöbelt, dann bekam der Poststammtisch Besuch von Verdi, es kam ein ganzes Batallion Verdianer aus der „Teppichetage“ (Verwaltung) des Verteilzentrums Wellsee. Die Stammtischler fühlten sich von der „Gegenseite“ bespitzelt und hatten Angst um ihren Job. Das war das Ende des Stammtischs.

Die Callcenter-Kollegenzeitung „die Quote“ ist auch aus dem chefduzen-Zusammenhang hervorgegangen. Die Beschäftigten eines deutschen Callcenter auf Mallorca nutzte das Internetforum als virtuelle Betriebsversammlung, die Anonymität versprach, denn es herrschte am Arbeitsplatz ein Klima der Angst. Die Diskussion wurde turbulent und es gab wohl von Managementseite ausgehende Versuche, besonders kämpferisch auftretende Mitarbeiter mit Mobbingmethoden, Beleidigungen und Unterstellungen mundtot zu kriegen, doch ohne Erfolg. Das Interesse an der Onlinediskussion wuchs, bis sich ¾ der Belegschaft zu einem Sick-out, einer kollektiven Krankschreibung als Kampfform entschied.

Da wir die Ausgebeuteten rebellisch machen und einigen Unternehmen zu einem Ruf verhalfen, der dazu führte, daß sie Probleme mit der Rekrutierung von Personal bekamen, waren die Ausbeuter nicht gut auf uns zu sprechen. Wir wurden eingedeckt mit Anwaltsschreiben und Abmahnungen. Es wurde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, einige juristische Drohungen beinhalteten Haft und Zwangsgelder von bis zu 250.000 €. Das hätten wir ohne die Unterstützung der Roten Hilfe nicht überlebt. Wir wollen uns an dieser Stelle bei dieser wichtigen Organisation noch einmal herzlich bedanken.

Wir legen uns weiter mit Ausbeutern an. Die Unikliniken Kiel erschienen uns als lohnendes Ziel. Wir wollten mit langem Atem an das Thema gehen, ahnten aber nicht, wie lange der Atem notwendig sein sollte. Wir starteten mit einem Blog und legten nach mit Aufklebern, Plakaten und Flugblättern. Wir luden zu einer Veranstaltung mit einem kämpferischen Kollegen von der Berliner Charité. Doch der Funke sprang nicht über. Die Situation änderte sich jedoch ohne unser Zutun. Beschäftigte aus dem Servicesektor waren sauer auf Verdi, die es versäumt hat, gegen das Outsourcing verschiedener Servicebereiche und die Schaffung eines Dumpinglohnbereichs vorzugehen. Da sie sich von der Gewerkschaft nicht mehr vertreten sahen, gründeten sie die Gewerkschaft der Servicekräfte (GDS) vor etwa 10 Jahren. Jetzt führen sie ihren ersten Streik am UKSH. Er ist beeindruckend. Die 800 Streikenden (je zur Hälfte in Lübeck und Kiel) sind vielleicht knapp über 50% weiblich und mehrheitlich migrantisch. Sie sind wütend, laut und kämpferisch. Wir sind hingegangen, haben Streikende und GDS Funktionäre kennengelernt und ein paar Youtube Videos zu den Warnstreiks veröffentlicht. Die täglichen Besucherzahlen des Blogs haben sich vervielfacht. Der laufende Arbeitskampf bleibt spannend.

Wir versuchen uns in einem stoischen Dranbleiben an Themen, die uns wichtig sind. Seit 10 Jahren sind wir am Thema der Berufskraftfahrer. Dazu gibt es den Youtbekanal Kilometerfresser TV. Wir haben auch nicht vergessen, daß uns die öffentliche Diskussion über den schleswig-holsteinischen Großschlachter Clemens Tönnies teuer zu stehen kam. Seine Anwälte sind bissig. Vor einem Jahr organisierten wir in Kiel mit dem Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg und der tatkräftigen Unterstützung von Perspektive Solidarität Kiel (PSK) eine Kundgebung auf dem Asmus Bremer Platz gegen die Ausbeutung osteuropäischer Arbeitskräfte in den Tönnies Schlachbetrieben. Das Plakat zur Kundgebung fand den Weg in des Buch über „Das System Tönnies“ und waren auch bei Pressekonfernz zur Buchveröffentlichung in Rheda-Wiedenbrück zugegen. Tönnies läßt inzwischen seine Anwälte gegen die Aktivist:innen von „Tear Down Tönnies“vorgehen. Wir beteiligten uns mit einem Redebeitrag an der Protestkundgebung beim Prozeß vorm Kieler Landgericht.

Es ist ein Vorteil von Kiel, daß hier die Zusammenarbeit mit anderen kämpferischen Organisationen wie PSK, TKKG oder Rotes Kollektiv problemlos ist und der antifaschistische Runde Tisch, der bis in die Gewerkschaften reicht, zeigt, daß hier die politischen Gräben weniger tief sind als in anderen Orten. Die begrenzten Teilnehmerzahlen bei den Protestaktionen belegen jedoch, dass es nicht genügt, einfach nur die vorhandenen linken Organisationen zusammenzutrommeln. Wir müssen uns mehr der unspektakulären Basisarbeit zuwenden, im Stadtteil, in der Nachbarschaft, im Betrieb. Damit sind wir bei unserem Ausgangspunkt. Wir müssen die Menschen erreichen, die weder kulturell noch politisch auf einem Nenner zu sein brauchen, sondern die durch die soziale Situation miteinander verbunden sind. Diese Arbeit ist aber auf kleine Flamme heruntergefahren unter den nicht enden wollenden Pandemiebedingungen.

Wir hatten uns trotzdem mit einem mehrsprachigen Flyer auf den Vinetaplatz gestellt, um mit Migranten ins Gespräch zu kommen. An dieser Front wollen wir weitermachen.

chefduzen G20 web

chefduzen vor brennender Barrikade beim G20 in HH

Uns sind die Proteste der Bauern nicht entgangen. Wir sehen sie als Sozialproteste. Sie sind von großer Widersprüchlichkeit geprägt, es sind dort fortschrittliche und reaktionäre Kräfte aktiv und Großagrarier versuchen Einfluß auf die Proteststrukturen zu nehmen. Nur wegen dieser Widersprüchlichkeit und einer eigenen Ratlosigkeit, sollten Linke dieses wichtige Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen nicht ignorieren. Wir haben Kontakte zu recht aufgeweckten und fortschrittlichen Landwirten geknüpft. Es wird nicht langweilig.
Unser Stammtisch findet am jeweils ersten Donnerstag des Monats ab 19°° in der Bambule in Kiel-Gaarden statt, wenn die Pandemie es zuläßt und man findet uns, je nach Wetter, entweder im Biergarten oder im Raucherraum. Ihr seid willkommen!

Links zum Forum der Ausgebeuteten und zu Projekten aus dem Umfeld:

Forum der Ausgebeuteten: https://forum.chefduzen.de

Postdienste: http://betriebsgruppepostdienstenord.blogsport.eu

Unikliniken: https://uksh-blog.netzwerkit.de

Transportsektor: https://www.youtube.com/user/DerKilometerfresser/videos

Diverse klassenkämpferische Themen:
https://www.youtube.com/channel/UCG6XnaJy5kPepz-x7HhgToA/videos

Kontakt: admin@chefduzen.de

Gewalteskalation im Nahen Osten:

Die militärische und strukturelle Gewalt beenden

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert einen sofortigen Stopp aller militärischen Angriffe. Bis heute wurden in dem gewaltsamen Konflikt bereits mehr als 200 Palästinenser*innen und zehn Israelis getötet. Die Ärzt*innenorganisation appelliert an die Bundesregierung, sich auch gegenüber der israelischen Regierung für die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte aller Menschen in Israel und in den besetzten Gebieten einzusetzen. Die Grundlagen der jüngsten Gewalteskalation liegen in der jahrzehntelang gegenüber den Palästinenser*innen ausgeübten strukturellen Gewalt und dem fehlenden Willen, diese zu beenden. Statt militärische Eskalation nur als „Recht auf Selbstverteidigung“ zu definieren und zu unterstützen, müsse Deutschland gegenüber Israel politische Lösungsschritte einfordern.
Die letzte Gewalteskalation hat komplexe Ursachen. In diesem Jahr fallen der Ramadan und der Jerusalemtag zusammen, mit dem Israel an die Annektierung Ost-Jerusalems erinnert. Sowohl die Palästinenser*innen als auch die Israelis beanspruchen den Zugang zu Altstadt und Tempelberg. In dieser aufgeheizten Stimmung drohte auch die Räumung mehrerer palästinensischer Häuser im Viertel Sheikh Jarrah. Israel plante, die palästinensischen Bewohner*innen zu vertreiben und ihre Häuser an jüdische Siedler*innen zu übertragen. Während sich israelische Gerichte auf ein Gesetz von 1970 berufen, das die Rückgabe von Eigentum an jüdische Eigentümer*innen erleichtert, sind vertriebene palästinensische Familien gesetzlich daran gehindert, ihr Land und ihre Häuser zurückzufordern. Unter anderem um gegen die geplante Räumung zu protestieren, veranstalteten Palästinenser*innen Demonstrationen, bei denen auch Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper geworfen wurden. Die israelischen Streitkräfte reagierten mit dem Einsatz von Tränengas, Betäubungsgranaten und gummibeschichteten Stahlgeschossen, auch innerhalb der al-Aqsa-Moschee. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten verletzten sie dabei ca. 1.000 Palästinenser*innen, davon 735 durch Gummigeschosse. Anschließend kam es zu weiteren Protesten – sowohl in der Westbank als auch innerhalb Israels.

Seit nunmehr 54 Jahren leben die Menschen in den palästinensischen Gebieten unter israelischer Besatzung. In Teilen wurden sie von Israel völkerrechtswidrig annektiert. Der dicht besiedelte Gazastreifen, in dem seit 2007 die  Hamas regiert, ist einer strengen Blockade von Israel und Ägypten ausgesetzt.

Über die Situation in Gaza schreibt Abed Shokry aus  Gaza am 14. Mai 2021: „Es gibt keinen Strom, da das einzige Elektrizitätswerk fast ausgeschaltet ist, weil es keine Brennstoffe gibt. Die Brennstoffe kommen aus Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde bzw. Katar zahlen dafür. Es gibt kein Leitungswasser. Und wenn es das mal gibt, dann ist es nur für die Klospülung geeignet. Das Wasser ist sehr versalzen. Es gibt kaum Medikamente in den Krankenhäusern. Die Patienten müssen sie selber kaufen. Wenn es sie denn in den Apotheken geben sollte. Es gibt keine Bodenschätze. Und die vor den Küsten  des Gazastreifens entdeckten Gasvorräte, dürfen und können wir nicht bekommen. Es gibt kaum Arbeit. Ca. 300.000 Personen haben mindestens Bachelor-Abschluss und befinden sich auf Arbeitsplatzsuche. Sie sind sehr gut ausgebildet“.

„Die strukturelle Gewalt gegenüber den Palästinenser*innen muss enden: Die Mauer, die Checkpoints und ein kafkaeskes Vergabesystem von Genehmigungen führen zu einer Zerstückelung palästinensischen Landes. Bauern werden daran gehindert, auf ihre Felder zu kommen, Kinder zu ihrer Schule und Patient*innen zum Krankenhaus“, erklärt Dr. Lars Pohlmeier, IPPNW-Vorsitzender. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sprechen inzwischen von einem System der Apartheid, weil die israelische Regierung den Palästinenser*innen weder gleiche Rechte einräumt, noch die Besatzung beendet.

Alle Bemühungen internationaler Vermittler*innen für einen Waffenstillstand waren bislang erfolglos. UN-Generalsekretär António Guterres warnte bei der Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats in New York eindringlich vor einer gefährlichen Ausweitung des Konflikts. Derzeit verhandelt das Nahost-Quartett aus den USA, Russland, der EU und den UN. Russland versucht in enger Abstimmung mit Ägypten eine Vermittlerrolle einzunehmen, um eine Waffenruhe und neue Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinenser*innen zu erreichen. Auch US-Präsident Biden fordert eine Waffenruhe.

Die IPPNW appelliert an alle Akteur*innen im israelisch-palästinensischen Konflikt, sich an die Prinzipien des internationalen Völkerrechts und der Menschenrechte zu halten. Alle bewaffneten Kräfte in der Region müssen damit aufhören, Zivilisten zu verletzen und zu töten - sowohl israelische als auch palästinensische. Es liegt in der Verantwortung der Staaten des Nahost-Quartetts und Ägyptens als Vermittler darauf zu drängen, dass die bisherige Praxis der Straflosigkeit sowohl auf Seiten Israels wie auch auf Seiten der Palästinenser*innen beendet wird.

Amnesty International hat eine Online-Petition an Präsident Biden initiiert, um die Eskalation zu beenden: https://www.amnesty.org/en/get-involved/take-action/end-the-violence-in-occupied-palestinian-territories/

IPPNW-Pressemitteilung vom 19. Mai 2021

Interview:

Solidarität mit den Palästinenser:innen, was denn sonst?

Guten Tag. Ich teile folgende Überzeugung: Die Palästinenser:innen werden von Israel unterdrückt. Sie genießen nicht die gleichen Rechte, haben nicht die gleichen demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten und sind ökonomisch benachteiligt.

Einige von ihnen leben im Gaza-Streifen in einer Art unterversorgtem Open-Air-Knast. In Israel wiederum regiert eine korrupte, rechte Clique, die zusammen mit faschistischen Siedlern daran arbeitet, auch noch die letzten palästinensischen Enklaven zu räumen und die keinerlei Interesse an Frieden hat. Ich denke, dass es legitim ist, dafür den Begriff Siedler-Kolonialismus und Apartheid zu gebrauchen. Und ich denke, dass es die Aufgabe von Internationalist:innen ist, sich mit den Palästinenser:innen zu solidarisieren. Ich denke dagegen nicht, dass es die Aufgabe von Linken ist, Bombardements von Wohngebieten, Schulen, Krankenhäusern oder Moscheen zu relativieren, rechte Hetzjagden auszublenden oder sich für die Propaganda der Netanjahu-Regierung einspannen zu lassen, indem man noch den letzten jüdischen Dissidenten als Antisemiten diffamiert. Ich denke auch nicht, dass es die Aufgabe von Linken ist, zusammen mit einer islamophoben Rechten die palästinensische und arabische Community als quasi von Natur her verdorbene, nach dem Blut von Juden gierenden Mob darzustellen.
Würde ich in irgendeinem anderen Land als Deutschland leben, wäre das eine ziemlich unkontroverse Meinung. Es wäre von Italien über das Baskenland bis Großbritannien, von Mexiko über Brasilien bis nach Argentinien, von der Türkei und Kurdistan bis nach Südafrika keine Position, für die mich irgendein anderer Linker, egal ob Anarchist, Sozialist, Kommunist ächten würde. Ich lebe aber in Deutschland, deshalb erzeugt eine solche Positionierung eine Reihe von Anfeindungen und Angriffen, die ich gerne durchspielen will, weil ich denke, dass viele Genoss:innen diesen Attacken ausgesetzt sind und auch viele eingeschüchtert sind.
Ich trete also in den Dialog mit einem fiktiven „israelsolidarischen Linken“ und wie könnte der anders eröffnet werden als mit?

Du bist also auf der Seite der Hamas und ihrer Angriffe auf jüdische Zivilist:innen?

Ich muss jetzt verneinen. Ich verneine nicht, weil ich Sympathien hegen würde und es mich nur nicht sagen traue. Ich verneine, weil ich alles, wofür Hamas und ähnliche Gruppierungen stehen, ablehne. Ich wünsche mir nicht heimlich, dass sie „gewinnen“, denn ich glaube nicht, dass Gruppen wie diese irgendjemandem eine politische Perspektive auf ein besseres Leben bieten, keinem Christen, keinem Juden, keinem Muslim, niemandem. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie letztlich nicht gewinnen können, auch wenn sie in einem andauernden Belagerungszustand eine zeitweilige Hegemonie aufbauen können, ganz so wie sich auch die israelische extreme Rechte durch den Krieg und das damit aufrechterhaltene Szenario der andauernden Bedrohung durch die zu Monstern verklärten Palästinenser:innen an der Macht halten kann.
Daraus aber ergibt sich auch schon eine Aufgabe für Linke. Die Verankerung einer politischen Perspektive. Und meiner Überzeugung nach ist es die nach einem säkularen, demokratischen, gemeinsamen – wenns nach meinen Wünschen ginge: sozialistischen – Staat aller in dieser Region lebenden Menschen from the river to the sea, wenn man so will. Wie der dann heisst, es ist mir egal.

Aha, jetzt hab ich dich, du bist also gegen das Existenzrecht Israels!

wird unser linker „israelsolidarischer“ Freund jetzt sagen. Meistens hat er diese Phrase irgendwo aufgeschnappt, weil diejenigen, die noch eine Theorie zu dieser Phrase hatten, sind heute längst nicht einmal mehr in ihrer Eigenwahrnehmung „links“, sondern sitzen irgendwo neben den Don Alphonsos dieser Republik. Die Phrase selbst ist ein Trick, denn sie vermischt Dinge mit ganz unterschiedlichem Inhalt.
Bin ich als Kommunist der Überzeugung, dass irgendein kapitalistischer Staat ein „Existenzrecht“ hat? Nein. Bin ich überzeugt, dass Israel genauso, wie es heute ist, immer weiter sein sollte? Nein. Und man muss dazu sagen, wer sich das wünscht, sagt nicht nur zugleich, dass ihm palästinensisches Leben ziemlich egal ist, er ist auch ein sehr schlechter Freund Israels. Wer könnte der Bevölkerung dieses Staats wünschen für ewig und bis in alle Zeit in diesem Ausnahmezustand ständiger Kriegführung zu existieren? Dystopisch.
In der Frage nach dem „Existenzrecht“ steckt aber ein rationaler Punkt. Die Frage nach dem Recht von Jüdinnen und Juden in Sicherheit zu leben. Und dieser Punkt ist tatsächlich eine unhintergehbare Demarkationslinie für linke Positionen zu diesem Konflikt. Nur wie dieser Zustand herzustellen ist, darüber muss eine Debatte möglich sein. Und sie kann nicht von der Frage nach dem Existenzrecht der Palästinenser:innen getrennt werden.
Und in dieser hat der „israelsolidarische“ Opponent stets eine unausgesprochene Voraussetzung im Hirn, die – zu Ende gedacht – seine offene Flanke zur rassistischen Rechten ist. Er denkt: Es braucht genau diesen militarisierten Staat, denn mit den Arabern kann man nicht koexistieren, lässt man die Zügel los, sticht er zu. Der Palästinenser braucht den Merkava, das denken diese Leute, auch die, die es sich nicht eingestehen.
Er denkt auch: Der Antisemitismus hat nichts mit der Besatzung zu tun, er ist dem Araber quasi natürlich. Vielleicht nicht genetisch, aber kulturell. Jedenfalls aber darf man auf keinen Fall fragen, ob es andere Politikansätze gäbe, als ihn zu räumen oder wegzubomben, die vielleicht eine Versöhnungsperspektive eröffnen, weil das wäre seinerseits wieder antisemitisch. Das mag jetzt polemisch erscheinen, aber politisch und konsequent weiter gedacht lässt diese Auffassung nur zwei Perspektiven zu: Den Status Quo oder den Genozid.

Sieh dir doch an, wie zerfressen vom Judenhass sie sind! Wie können Linke sich bloß mit denen gemein machen?

wird unser „israelsolidarischer“ Gesprächspartner jetzt einwenden und seine breite Sammlung an Bildern antisemitischer Demo-Schilder und Facebook-Postings hervorkramen. Es gibt hier zweierlei Probleme. Zum einen ist es halt so, dass es nahezu keine Kritik am Staatshandeln Israels gibt, die dem „Israelfreund“ nicht als antisemitisch gilt. Warum? Weil er schlichtweg die von Israel und seinen westlichen Alliierten präferierte Antisemitismus-Definition zugrunde legt, anstatt sich etwa an der Jeruslam Declaration (1) zu orientieren oder gar im Rahmen der eigenen Weltanschauung begrifflich zu entwickeln, was Antisemitismus ist. Antisemitisch ist es dann wahlweise von „Kolonialismus“ oder „Apartheid“ zu sprechen, findet man gar kein anderes Argument mehr, muss man den palästinasolidarischen Gegner daraufhin befragen, ob er diese Woche auch schon Kritisches zu Äthiopien, Myanmar, Indien oder Kanada gesagt hat, weil wenn nicht handelt es sich um einen sogenannten Doppelstandard, also Antisemitismus. Es geht hier um Diffamierung, was man schon daran erkennen kann, dass diverse Urkartoffeln im Zweifelsfall keine Scham haben, linke Jüd:innen zu glühenden Antisemiten zu erklären.
Nun ist das aber nur eine Seite der Medaille, denn die andere ist: Auch ohne unseren „israelsolidarischen“ Kumpel wird uns ja nicht entgehen, dass in der Soli-Bewegung unverhohlener Antisemitismus vorkommt. Er kommt in seiner organisierten Form vor: als rechte Gruppen von Hamas-Fans bis Graue Wölfe. Und er kommt in seiner „alltäglichen“ Form als Ressentiment von Einzelpersonen vor.

Ja genau und ihr Antiimperialisten verleiht genau dem noch einen humanitären Anstrich!

meint jetzt unser „israelsolidarischer“ Gesprächspartner. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt einen objektiven Grund für die Wut der Palästinenser:innen. Die Unterdrückung durch Israel verschwindet nicht, wenn wir wegschauen oder uns ducken. Das macht es nur reaktionären Kräften leichter, ihre Hegemonie fortzuschreiben und auszubauen. Kräften, die allerdings niemals für irgendeine Lösung des Konflikts stehen können. Die Aufgabe von Linken ist es dagegen, mit denjenigen, die auf einer progressiven Grundlage Solidarität mit den Palästinenser:innen entwickeln, zusammen zu stehen. Diese Bündnisse gibt es auch in Deutschland, sie haben – von Migrantifa (2) über „Palästina spricht“ (3) bis zum linken jüdischen Organisationen (4) – ohnehin schon ihre Stimme erhoben, anstatt zu versuchen, sie mundtot zu machen, sollten wir ihnen Gehör verschaffen. Die Bekämpfung des Antisemitismus und die Entwicklung einer politischen Perspektive in der palästinensischen Solidaritätsbewegung gehören zu ein und demselben Projekt.
Was hat die Gegenseite anzubieten? Staatstreue. Nicht nur zum israelischen. Ob sie wollen oder nicht, auch zur deutschen Staatsräson. Zwischen unseren „israelsolidarischen“ Freund, Cem Özdemir, Springer, das Außenamt oder die Werteunion passt da im Konkreten kein Blatt Papier. Der „israelsolidarische“ Linke wird zwar betonen, er sei ja nicht für Netanjahu, sondern für irgendeine abstrakte Idee des israelischen Staats, aber er wird genauso unter jedes Video eines Bombardements in Gaza „aber die Hamas!“ kommentieren wie sein Pendant aus FDP oder Junge Union. Das wiederum drängt keinen Antisemitismus zurück. Es dient einzig zur moralischen Selbstüberhöhung.

Man könnte diesen fiktiven Dialog jetzt endlos so weiter schreiben. Die Debatte ist uralt. Ich glaube aber, sie kippt gerade ein wenig. Zu verdanken ist das meiner Meinung nach dem Umstand, dass sich im Zuge von Migrantifa und Black Lives Matters migrantische Linke viel sichtbarer in Deutschland organisiert haben. Sie sind auch und gerade vielen dieser Angriffe ausgesetzt. Aber sie sind auch viel weniger dazu bereit, sich wegzuducken.

Peter Schaber
Übernommen aus dem Lower Class Magazine
(https://lowerclassmag.com/)
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion

1 The Jerusalem Declaration on Antisemitism, https://jerusalemdeclaration.org/
2 https://migrantifaberlin.wordpress.com/
3 https://www.palaestinaspricht.de/
4 https://www.juedische-stimme.de/, https://jewishbund.de/, https://www.facebook.com/salaam.schalom.initiative