Beiträge
Stolze Revolutionäre
Der Kiel-Berliner Filmemacher Kai Zimmer entdeckte eines der wenigen authentischen Fotos vom Matrosenaufstand
Von Jörg Meyer
Kiel. In Sachen Kieler Matrosenaufstand 1918 ist der Kiel-Berliner Filmemacher und Brockmann-Preisträger Kai Zimmer spätestens seit der Recherche zu seinem Film „Revolution 18“ (2012) ein Experte. Nun hat er im Internet eines der wenigen authentischen Fotos von Kieler revolutionären Matrosen entdeckt.
Der Beginn der Revolution, die am Ende des 1. Weltkriegs mit dem Matrosenaufstand Anfang November 1918 in Kiel ihren Ausgang nahm, ließ ihn nicht los, seit er in seinem Film das Tagebuch des Kieler Ingenieurs Nicolaus Andersen als Quelle benutzt hatte. Schon da war ihm aufgefallen, dass viele der in Geschichtsbüchern kolportierten Fotos vom Matrosenaufstand nicht aus Kiel stammten, sondern entweder aus Wilhelmshaven, wo die Matrosen den Befehl zum Auslaufen der kaiserlichen Flotte in den finalen Untergang verweigerten („Feuer aus den Kesseln!“), bevor solcher Funke in Kiel zum Aufstand wurde, oder aus Berlin, wohin sie von Kiel aus reisten, um die dortige Revolution zu unterstützen.
In revolutionären Situationen zückt man eher die Waffe, als die Kamera. Aber Zimmer mochte nicht glauben, dass „da niemand Fotos gemacht hat“. Im Internet begab er sich in Sammler-Portalen auf die Suche und war enerviert, als er das Postkartenfoto von sechs revolutionären Matrosen entdeckte. Für knapp 100 Dollar ersteigerte er das „very rare image“ von einer Frau aus Oregon, USA, die es aus dem Nachlass ihres verstorbenen Bruders auf eBay anbot. Woher der das Foto hatte, lässt sich nicht mehr ermitteln. Zimmers Recherche ergab aber, dass das Foto offenbar in den bewegten Tagen zwischen 3. und 5. November 1918 aufgenommen wurde – im Studio des Kieler Fotografen Anton Busch (seinerzeit Holtenauer Straße 111), wie ein Stempel auf der Rückseite vermerkt. Stadtarchivar Johannes Rosenplänter konnte bestätigen, dass ein solcher Fotograf 1918 in Kiel arbeitete.
An dem Foto fasziniert Zimmer vor allem „der Stolz der Revolutionäre, die offenbar genau wussten, dass sie Geschichte schrieben“. „Hoch lebe die Freiheit – 5. Nov. 1918“ haben sie auf eine Tafel an ihren Füßen geschrieben, eine wichtige Botschaft, weil der Fotograf sie zur Kenntlichkeit retuschierte. Zudem enthüllt eine genaue Betrachtung des Fotos, dass sich die Matrosen die kaiserlichen Kokarden von den Mützen gerissen haben und statt deutschen französische Karabiner tragen. „Und sie blicken voller Stolz“, sieht Zimmer in dem Bild.
Solches „revolutionäre Selbstbewusstsein“ sieht auch Stadtarchivar Rosenplänter in dem „sehr wichtigen Dokument“, das Zimmer dem Stadtarchiv überlassen wird, nachdem er es in eine Neufassung seines Films „Revolution 18“ eingearbeitet haben wird.
Aber womöglich gibt es ja noch mehr bislang verschollenes Fotomaterial zum Matrosenaufstand, das die geplanten Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Matrosenaufstands bebildern könnte. Wer derlei findet, möge sich mit dem Stadtarchiv in Verbindung setzen unter E-Mail stadtarchiv@kiel.de oder Tel. 0431-901-3422. „Und vielleicht entdeckt auf ’meinem’ Foto ja noch jemand seinen (Ur-) Großvater“, hofft Zimmer.
Anmerkung am Rande: Das Foto der sechs stolzen Revolutionäre von 1918 zierte die Titelseite der „Kieler Nachrichten“ vom 2. Juni 2017, am 50. Jahrestag eines anderen Revolutionsbeginns, dem Todestag von Benno Ohnesorg ... Kai Zimmer: „Best Titelbild ever!“