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„Hier stehen Menschen gegen Kapital“
Über 2.000 Menschen haben am Samstag im holsteinischen Itzehoe gegen die geplante Vernichtung von 1.200 Arbeitsplätzen der mehrheitlich dem Bertelsmann-Konzern gehörenden Prinovis- Großdruckerei demonstriert. Ausgestattet mit Trillerpfeifen,Tröten und Transparenten zogen die Betroffenen und ihre Familien vom Werk in die Innenstadt. Dabei hielten sie auch Schilder mit den Bildern von Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe und Prinovis-Vorstandschef Bertram Stausberg hoch, auf denen "schuldig" stand. Prinovis ist ein Tochterunternehmen von Bertelsmann (74,9 Prozent) und Axel Springer (25,1 Prozent). Unterstützung erhielten die Itzehoer KollegInnen von Beschäftigten aus anderen Druckereien und Bertelsmann-Unternehmen. Betriebsräte anderer Firmen, Feuerwehr oder Vereine - alle aus der Stadt waren da, um sich solidarisch zu zeigen. Auch die Kirchengemeinden zeigten sich solidarisch und ließen für die Prinovis-Mitarbeiter in ganz Itzehoe die Kirchenglocken rund fünf Minuten lang läuten.
Wut, Enttäuschung aber vor allem Kampfentschlossenheit und Solidarität prägten die Kundgebung in der Innenstadt Itzehoes. "Es ist fünf nach zwölf, doch das bedeutet für uns nicht Totentanz, sondern der Anfang des Kampfes um die Zukunft der 1.200 Beschäftigten und ihrer Familien. Hier stehen Menschen gegen Kapital. Aus Bertelsmann gegen Tausend müsse Tausende gegen Bertelsmann werden", betonte Verdi-Sprecher Martin Dieckmann. Wichtig sei, dass sich die Belegschaften konzernweit sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Auch Helmut Böttger vom Prinovis-Betriebsrat bekräftigte, dass die Demonstration kein Trauermarsch sei. "Wir wollen heute ein Signal setzen. So wie wir auch am Dienstag mit dem Besuch der Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin ein Signal gesetzt haben."
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Uwe Polkaehn (DGB-Nord) kritisierte, dass unter dem Mäntelchen der "Bertelsmann-Ideologie" im Konzern immer mehr Praktiken des Manchester-Kapitalismus um sich griffen und das Prinzip "Heuern und Feuern" statt sicherer Arbeitsplätze zunehemnd die Unternehmensphilosophie sei. Er forderte in diesem Zusammenhang von der Politik, dem Grundgesetzartikel, wonach "Eigentum verpflichtet", Geltung zu verschaffen.Die solidarischen Grüße an die Prinovis-Belegschaft überbrachte auch Torben May, Betriebsrat der 350 von Entlassung betroffenen Redakteure der "Financial Times Deutschland". Aus leidvoller eigener Erfahrung konnte er über Tricks und Finten bei den Sozialplanverhandlungen durch den Bertelsmann-Konzern berichten konnte. Solidarität der Berschäftigten untereinander müsse das oberste Gebot sein – man dürfe sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) forderte die Konzerne Bertelsmann und Springer auf, zu ihrer sozialen Verantwortung zu stehen: Die Landesregierung werde "beharrlich daran arbeiten, dass es eine Zukunft gibt, und zwar für jeden Einzelnen", versprach er und kündigte die Gründung eines "Runden Tisches" an.
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Seit Bekanntgabe der Schließungspläne auf einer stürmisch verlaufenden Betriebsversammlung vor zehn Tagen, auf der Vorstandschef Stausberg verkündete, dass der Standort Itzehoe im Sommer 2014 aus Kostengründen vollständig geschlossen werden solle, um rund 20 Millionen Euro einzusparen, fand am Samstag damit bereits die dritte Protestaktion der Prinovis-Belegschaft statt.Drei Tage nach Ankündigung der Arbeitsplatzvernichtung hatten rund 300 Beschäftigte und Angehörige mit Protestplakaten und einem als Tod verkleideten Kollegen vor dem Werk ihren Protest zu Ausdruck gebracht.
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Gut 100 Beschäftigte hatten am darauffolgenden Dienstag vor der Bertelsmann-Repräsentanz in Berliner protestiert. Mit Schildern und einem riesigen schwarzen Kreuz machten sie lautstark ihrem Ärger über die Entscheidung des Mutterkonzerns Luft, den Itzehoer Standort bis Mitte 2014 zu schließen. Rabe und andere wichtige Vertreter von Bertelsmann — darunter laut Programm auch Liz Mohn als Chefin der Eigentümer — waren in Berlin zu einer internen Tagung zusammengekommen. Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe trat überraschend vor die Demonstranten und musste sich den unbequemen Fragen der Betroffenen stellen. Nach Angaben von Verdi war es das erste Mal, dass der Bertelsmann-Chef spontan vor eine Gruppe Demonstranten getreten ist.
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Prinovis gilt als der größte Tiefdruckkonzern in Europa (Bertelsmann hält 74,9 Prozent, die restlichen 25,1 Prozent liegen bei der Axel Springer AG). Produktionsstandorte der rund 3.800 Beschäftigten sind Itzehoe, Ahrensburg, Dresden, Nürnberg und Liverpool. Der Medienkonzern Bertelsmann (Gruner + Jahr, RTL-Group, Random House, Arvato) wies 2012 einen Konzernumsatz von rund 16 Milliarden Euro (Vorjahr: 15,4 Mrd. Euro) aus. Die Umsatzrendite überstieg erneut die 10-Prozent-Marke. Das Operating EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen) betrug wie im Vorjahr ca. 2,2 Milliarden Euro.
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Mit der Schließung des Druckortes Itzehoe soll der Profit weiter in die Höhe schnellen. Den Verlust von 1.200 Arbeitsplätzen, den die Betriebsschließung der modernen Großdruckerei kosten wird, wird billigend in Kauf genommen. Betroffen wären aber nicht nur die Beschäftigten und ihre Familien sondern darüber hinaus viele Lieferanten und Händler in der Stadt Itzehoe. In einem auf der Kundgebung verteilten Fluglatt solidarisierte sich die DKP Schleswig-Holstein mit dem Kampf der Prinovis-Beschäftigten um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Im Flugblatt heisst es u.a.: "Von der Landesregierung und den kommunalen Körperschaften erwarten wir, dass sie laufende Geschäfte und Verträge mit der Bertelsmann-Stiftung umgehend kündigt. Mit Unternehmen, in denen der Beschäftigte nur ein Baustein für den Profit ist, dürfen keine Geschäfte gemacht werden. Die Prinovis-Beschäftigten haben die richtige Antwort gegeben, indem sie nicht kampflos auf ihre Arbeitsplätze verzichten wollen.
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Die Beschäftigten haben die bittere Erfahrung machen müssen, dass Versprechen der Konzernbosse, durch Lohnverzicht Arbeitsplätze sichern zu können, das Papier nicht wert ist, auf die es geschrieben wurde. Die jetzt angekündigte Schließung des Werkes beweist wieder einmal die alte gewerkschaftliche Erfahrung: Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze! Mit ihren Plänen zeigt der Konzern sein wahres Gesicht, denn es geht um mehr Profite - und das ist menschenverachtende kapitalistische Willkür. Diese Willkür trifft eine Region in Schleswig-Holstein mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Jetzt ist Solidarität gefordert.Der schnelle anhaltende Protest der Betroffenen ist ein ermutigendes Zeichen, dass damit jetzt der Kampf um den Erhalt der qualifizierten Arbeitsplätze begonnen hat – denn darum muss es jetzt in erster Linie gehen und nicht um Sozialpläne und Transfergesellschaft. Ein Erfolg des Kampfes gegen den Bertelsmann-Konzern wird nur möglich werden, wenn Belegschaft und Gewerkschaften im Bündnis mit der Region und ihren politischen und sozialen Akteuren solidarisch in Aktion treten.
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Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
text/bilder: gst
Bertelsmann Stiftung
Über die Konzernmacht hinaus übt Bertelsmann eine bedeutende politische Meinungs- und Gestaltungsmacht durch seine Bertelsmann Stiftung aus. Mit über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bis zu 100 Projekte betreuen, hat sich die Stiftung seit den 90er Jahren zu einem führenden deutschen Think-Tank der Bourgeoisie entwickelt. Die Bertelsmann Stiftung vertritt eine Art deutschen Sonderweg in die "wirtschaftsliberal" globalisierte Welt, ein Sonderweg, der auf eine korporatistische Unternehmenskultur setzt, in der angeblich keine grundlegenden widersprüchlichen Interessen von Unternehmern und Beschäftigten existieren. Die Stiftung betrachtet
Das Spektrum der Projekte der Bertelsmann Stiftung reicht dabei vom Kindergarten über die Schule bis zur Hochschule. Die Bertelsmann Stiftung verfolgt dabei die Idee eines breiten Niedriglohnsektors - sie war an der Ausgestaltung des früheren Bündnisses für Arbeit, der Agenda 2010 und von Hartz IV – wenn auch nur indirekt, aber doch – prägend beteiligt. Die Bertelsmann Stiftung war sozusagen die „unsichtbare Vierte“ im Bündnis für Arbeit, wie es das Handelsblatt einmal formuliert hat. Die Bertelsmann-Stiftung liefert zahllose Angebote vor allem für Schulen. Unter dem Titel „SEIS macht Schule“ entwickelte die Stiftung für beteiligte Schulen ein Selbstevaluations- und Steuerungsinstrument, das den „Entwicklungsprozess einer Schule zielgerichtet, effizient, systemisch und nachhaltig“ voranbringen soll. Ein Netzwerk von weit über 1000 sog. innovativen Schulen im Sinne der Verbesserung marktrelevanter Verwertungsmöglichkeiten ist in 16 Bundesländern schon aufgebaut.