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Nato-Truppenaufmarsch:
Vom Frontstaat zur Transitzone
01. Februar 2017 BREMERHAVEN/GARLSTEDT/BERGEN, 13.01.2017 - Mit logistischer Unterstützung der Bundeswehr sind die ersten Soldaten einer vollständigen US-Brigade am gestrigen Donnerstag in Polen eingetroffen. Die Third Armored Brigade wird sich mit über 4.000 Soldaten sowie mehr als 2.000 Panzern, Haubitzen und Militärtransportern in Polen sammeln, um anschließend in sechs östlichen EU-Staaten von Estland bis Bulgarien Kriegsübungen durchzuführen - in größtmöglicher Nähe zu Russland. Im Rahmen der "Operation Atlantic Resolve" zur Verlegung der Truppen stellt die Bundeswehr umfangreiche logistische Hilfsleistungen bereit und geleitet die US-Truppen von Bremerhaven durch insgesamt fünf Bundesländer an ihr Ziel. Deutschland, im Kalten Krieg "Frontstaat", sei mit der Ausdehnung seines Einflussbereichs in Richtung Osten jetzt zur "Transitzone" für militärische Aufmärsche geworden, heißt es bei der Bundeswehr: Man müsse die Bevölkerung daran gewöhnen und "Vertrauen aufbauen", zumal Großverlegungen wie etwa die "Operation Atlantic Resolve" in Zukunft regelmäßig stattfänden. Die Unterstützung für die US-Truppenverlegung entspricht deutschen Interessen: Russland ist dem Bestreben Berlins, seine Hegemonialsphäre auszudehnen, jüngst zweimal erfolgreich entgegengetreten - in der Ukraine und in Syrien.
Atlantische Entschlossenheit
Die "Operation Atlantic Resolve" ("Operation Atlantische Entschlossenheit"), die am vergangenen Freitag (6. Januar) in ihre entscheidende Phase übergegangen ist, beinhaltet eine der größten US-Truppenverlegungen nach Europa seit dem Ende des Kalten Kriegs. Mit ihr wird das "Combat Team" der Third Armored Brigade der Fourth Infantry Division aus Fort Canson (Colorado) nach Osteuropa bewegt; dabei handelt es sich um mehr als 4.000 Soldaten und mehr als 2.500 Panzer, Haubitzen, Militärtransporter und -container. Ziel ist zunächst Westpolen, wo die Brigade sich sammeln soll, um anschließend zu Manövern in sechs Länder Osteuropas auszuschwärmen - nach Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und Bulgarien. Die Kriegsübungen werden in großer (Baltikum) oder zumindest in größtmöglicher (Rumänien, Bulgarien) Nähe zu Russland durchgeführt. Ein Teil der Third Armored Brigade soll aus Polen nach Deutschland zurückkehren - zu Trainingsmaßnahmen auf dem Truppenübungsgelände im oberpfälzischen Grafenwöhr. Die Manöver werden sich über einen Zeitraum von neun Monaten erstrecken.
Logistische Unterstützung
Deutschland besitzt für "Atlantic Resolve" eine hohe Bedeutung: Es bietet sich mit seinen Häfen und aufgrund seiner Nähe zu Osteuropa als Anlandeort für schweres US-Kriegsgerät hervorragend an. Am vergangenen Freitag sind die ersten gepanzerten US-Fahrzeuge, die von ihrem Standort in Fort Carson (Colorado) über texanische Häfen Richtung Europa verschifft wurden, in Bremerhaven eingetroffen. Von dort werden sie per Bahn oder Straßenkonvoi nach Polen verbracht; die ersten Einheiten sind am gestrigen Donnerstag an ihrem vorläufigen Ziel eingetroffen. Prinzipiell möglich ist auch der Weitertransport aus Deutschland über Kiel oder Lübeck per Schiff direkt ins Baltikum. Deutschland, im Kalten Krieg Frontstaat, ist, wie es bei der Bundeswehr heißt, zur "Transitzone" [1] geworden - ein Hinweis darauf, dass die Konfliktlinie zwischen dem Westen und Moskau viel weiter östlich verläuft als bis 1989 und die Bedrohung für Russland entsprechend gestiegen ist. Die Bundeswehr übernimmt deshalb umfassende logistische Aufgaben. Deutsche Feldjäger sichern den US-Truppentransport ab, die Streitkräftebasis stellt Unterkünfte, Umschlag- und Abstellflächen bereit und organisiert Transportmittel und -wege gemeinsam mit US-Stellen, Feldjäger überwachen die Verlegung.
Host Nation Support
Einen herausgehobenen Stellenwert haben dabei die Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt und das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Bergen inne. An der Logistikschule in Garlstedt, das zwischen Bremerhaven und Bremen liegt, haben die US-Streitkräfte einen Gefechtsstand installiert, der die Transporte und ihre Überwachung steuert. Bei der Bundeswehr im niedersächsischen Bergen werden rund 540 US-Militärfahrzeuge auf Züge verladen, um nach wenigen Kilometern auf das zivile Gleisnetz in Richtung Polen überführt zu werden. Die Unterstützung der Bundeswehr erfolgt im Rahmen des sogenannten Host Nation Support, einer Übereinkunft, die unter NATO-Mitgliedern und einigen ihnen nahestehenden Ländern üblich ist und dafür sorgt, dass Verbündete sich bei Bedarf auf die logistische Hilfe eines Transit- oder Aufmarschlandes verlassen können. Wie die Bundeswehr mitteilt, machen eine ganze Reihe von Ländern davon Gebrauch; von den rund 1.100 Unterstützungsanfragen im Jahr 2016 kamen lediglich etwas mehr als 300 aus den Vereinigten Staaten.[2] Der gestiegenen Bedeutung logistischer Aktivitäten hat die Bundeswehr im vergangenen Jahr mit einem großangelegten Logistikmanöver Rechnung getragen; es fand im April 2016, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, unter dem Namen "Joint Derby" statt (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
"Vertrauen aufbauen"
Für die Vereinigten Staaten bildet die Verlegung einer kompletten Brigade den vorläufigen Höhepunkt ihrer "European Reassurance Initiative" ("Europäische Rückversicherungsinitiative", ERI), die US-Präsident Barack Obama im Juni 2014 ausgerufen hat und in deren Rahmen bislang zahlreiche gemeinsame Manöver US-amerikanischer und osteuropäischer Truppen durchgeführt wurden. Wie bisher werden die US-Truppen rotieren; die Third Armored Brigade wird nach neun Monaten durch eine andere US-Brigade abgelöst, die wiederum ein Dreivierteljahr für alle erdenklichen Aktivitäten in Osteuropa zur Verfügung stehen soll. Washington hat die für die ERI zur Verfügung stehenden Mittel von rund 800 Millionen US-Dollar im Jahr 2016 auf rund 3,4 Milliarden US-Dollar aufgestockt. In jeder Rotationsphase wird Deutschland nicht nur für die Anlandung und den Weitertransport der jeweils neuen US-Brigade zur Verfügung stehen, sondern auch für den Abtransport und die Verschiffung der jeweils abziehenden Brigade. Die Bundeswehr ist bemüht, die Bevölkerung daran zu gewöhnen. "Unser Ziel" sei es, "Vertrauen aufzubauen", heißt es bei der Truppe: "auf Seiten unserer Partner, aber vor allem auch auf Seiten der Region, in der wir uns im Januar bewegen".[4] Dabei handelt es sich um fünf Bundesländer: Bremen, Niedersachsen, Hamburg, Brandenburg und Sachsen.
Eine US-Division in Europa
Eine erhebliche Bedeutung für die Ost-Aktivitäten der US-Streitkräfte besitzt die Bundesrepublik darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Army Prepositioned Stock (APS). Dabei handelt es sich um schweres Kriegsgerät, das die US-Streitkräfte in Westeuropa deponieren - in Lagern in den Niederlanden (Eygelshoven in der Nähe von Aachen), in Belgien (Zutendaal bei Genk) und im Westen der Bundesrepublik (Miesau zwischen Kaiserslautern und Saarbrücken sowie Dülmen bei Münster). Allein in Eygelshoven sollen 1.600 Panzer, Haubitzen und Militärtransporter gelagert werden - im Prinzip einsatzbereit, so dass lediglich die Soldaten dazu eingeflogen werden müssen, um augenblicklich in beliebige Operationen zu starten. De facto sei mit Hilfe von APS verdeckt "eine amerikanische Armeedivision in Europa" stationiert - 15.000 bis 20.000 Soldaten -, erläuterte Douglas Lute, US-Botschafter bei der NATO, im Februar.[5] Die Stationierung weit im Westen gilt als durchaus vorteilhaft, weil die Infrastruktur dort viel besser ausgebaut ist als in Osteuropa; das ermöglicht es, in kurzer Zeit an jeden beliebigen Einsatzort im Osten zu gelangen.
Im deutschen Interesse
Die Unterstützung für die US-Maßnahmen liegt im deutschen Interesse. Russland hat zunächst im Konflikt um die Ukraine das Bestreben Berlins durchkreuzt, das gesamte Land unversehrt per EU-Assoziierung in die deutsche Hegemonialsphäre zu übernehmen. Jetzt ist Moskau der Bundesregierung auch in Syrien in die Quere gekommen. Berlin verkündet seit geraumer Zeit, im "Krisengürtel" rings um Europa von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Zentralasien als "Ordnungsmacht" auftreten zu wollen. Nun führt Russland Friedensverhandlungen für Syrien - bislang nicht ohne Erfolg. Moskau verhandelt mit der Türkei und Iran, ohne die USA, Deutschland oder andere westliche Mächte einzubinden. Damit hat es nicht nur dem US-Establishment, sondern auch den machtpolitischen Ambitionen der Bundesregierung einen zweiten kräftigen Dämpfer verpasst. Dass Berlin eine solche Einschränkung seiner Herrschaftsambitionen ohne weiteres hinnehmen wird, steht nicht zu erwarten.[6]
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59516
[1] Atlantic Resolve - bald geht es los. www.streitkraeftebasis.de 07.01.2017.
[2] Welcome to Germany! Streitkräftebasis unterstützt US Army bei der Verlegung von Truppe und Gerät nach Osteuropa. 06.01.2017.
[3] S. dazu Realitäts- und einsatznah (II).
[4] Atlantic Resolve - bald geht es los. www.streitkraeftebasis.de 07.01.2017.
[5] Ambassador Lute's Pre-Ministerial Press Briefing. nato.usmission.gov 09.02.2016.
[6] S. dazu Streit um die Russland-Sanktionen (I) und Eskalation mit Nuklearpotenzial.