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„Das war der Gipfel der Ungerechtigkeit“
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01. August 2017 Conni Möhring, Bundestagsabgeordnete der schleswig-holsteinischen Linkspartei im Interview mit Gaston Kirsche
Was war für Dich der Höhepunkt der Gipfelproteste?
Conni Möhring: Die Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am 8. Juli war sicherlich das Highlight und hat auch mir richtig Spaß gemacht. Der bunte Protest, die Vielfalt an Teilnehmenden, Familien, Ältere, Jüngere, völlig unterschiedliche politische Gruppen und Initiativen – geeint in Solidarität, fast 80.000 Menschen. Das war toll!
Und der Tiefpunkt?
Ich habe zwar mit einem rigiden Vorgehen der polizeilichen Einsatzkräfte gerechnet, aber dass derart gegen die Protestierenden vorgegangen wurde, die geplanten Camps behindert wurden und damit der gesamte Protest von vornherein kriminalisiert wurde, das fand ich echt gruselig. Entsetzt war ich auch über die Zerstörungen an Autos und Geschäften und über die Plünderungen. Die Polizeiführung hat augenscheinlich die Sicherheit der BürgerInnen, und ich betone: auch der Protestierenden, für nicht so wichtig gehalten wie die der Gipfelteilnehmenden.
War das Vorgehen der Polizeiführung um Hartmut Dudde auf Eskalation oder auf Beachtung der Grundrechte angelegt?
Hartmut Dudde verfügt über einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Es reicht, diesen zu lesen, um zu wissen, welche Strategie er bei seinen Einsatzleitungen verfolgt. Ihn einzusetzen, war ein bewusster politischer Schritt, die Eskalation zu suchen.
Ist das linke Konzept der Blockaden aufgegangen?
Dass der Gipfel in den Messehallen gut abgeschirmt sein würde, da war ja von auszugehen. Ich habe aber viele Aktionen gesehen, bei denen mehr oder weniger symbolisch blockiert wurde. Es war gut, dass sich die Menschen nicht von der massiven Polizeipräsenz haben einschüchtern lassen. Darum geht es ja auch letztendlich.
Wie gut funktionierte die parlamentarische Beobachtung?
Gut, dass wir da waren! Ich bin mehrfach von Demonstrationsteilnehmenden wegen meiner gelben Weste positiv angesprochen worden. Wir parlamentarischen BeobachterInnen von der Linken hatten eine Orientierungsfunktion und konnten einiges dafür tun, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht eingeschränkt wurde. Wir haben zudem Vorfälle dokumentiert und können unsere Beobachtungen für Untersuchungen zur Verfügung stellen. Ein gutes Konzept also.
Wie siehst Du die linke Gewalt bei den Demos?
Zunächst vorab: Jede und jeder versteht unter „linker Gewalt“ etwas anderes. Ich kann es mir einfach machen und sagen: Linke und Gewalt, das passt nicht zusammen. Allerdings verstehen manche Leute Gewalt sehr wohl als Ausdruck von Protest gegen den Staat. Ich lehne Gewalt als Mittel der Durchsetzung von Politik ab. Gewalt bei Demos ist in der Regel kontraproduktiv. Sie spaltet die Teilnehmenden, sie schüchtert ein, sie löst gewaltvolle Reaktionen der Polizei aus, sie kann Eskalationskonzepte der Polizei erfüllen, wie bei den G20-Protesten gesehen. Menschen, die Gewalt erleben, als Betroffene oder als ZuschauerInnen, können Traumatisierungen davon tragen.
Die Frage ist ja vielmehr: Wie schaffen wir es, dass Demos so kraftvoll werden, dass sie ermutigen, dass sie nachhaltig bleiben, indem sie Leute mobilisieren, sich auch weiterhin für ihre Rechte einzusetzen? Dafür braucht es keine Gewalt. Außerdem ärgert es mich, dass die Gewaltdebatte genutzt wird, um das eigentliche Thema und die vielen tollen friedlichen Protestaktionen zu verdecken. Eine böse Falle.
Die Randale im Schanzenviertel und die Autobrandstiftungen – Teil des Protestes oder unpolitische Zerstörung?
Eine unpolitische Zerstörung gibt es diesbezüglich nicht, weil die Zerstörungen benutzt werden, um gegen Linke Stimmung zu machen. Daher ist es mir ehrlich gesagt fast egal, ob einer, der eine Autoscheibe zerschlägt, damit auch protestieren wollte. Es ist und bleibt Schwachsinn und eine Straftat, eine Autoscheibe zu zertrümmern oder einen Mülleimer in Brand zu stecken.
Ich gebe Augstein Recht, wenn er sagt „die strafrechtliche Verantwortung für jede Tat liegt beim Randalierer, Brandstifter, Steinewerfer, Körperverletzer – der dadurch zum Straftäter wird, aber noch nicht zum Terroristen. Aber die politische Verantwortung tragen andere. Angela Merkel wollte diesen Gipfel nach Deutschland holen.... Merkel hat die Gewalt nach Hamburg geholt“. Und ich ergänze: Olaf Scholz auch.
Wie bewertest Du die aktuelle Debatte um linke Gewalt und Rote Flora?
Die „Rote Flora“ ist ein anerkanntes autonomes Sozialprojekt und damit schützenswert. Ihre Sprecher haben sich meiner Meinung nach – wenn auch anfangs holprig – von den Exzessen distanziert. Wer derzeit auf die Rote Flora draufhaut, ist vor allem die, in Hamburg nur eine Randrolle spielende, Landes-CDU. Das ist an Peinlichkeit schon nicht mehr zu überbieten. Die machen auf dicke Hose, mehr nicht.
Was sind Deiner Meinung nach die nächsten wichtigen Schritte?
Ich finde es richtig, dass die Bürgerschaftsfraktion der Linken einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert hat. Nur so ist es möglich, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Ich finde beachtlich, wie die meisten Medien derzeit agieren: Sie klären recht gut auf und lassen diejenigen ausreichend zu Wort kommen, die unverhältnismäßige und unberechtigte Gewalt seitens der Einsatzkräfte erlebt haben.
Besonders wichtig finde ich es allerdings, dass wir die politischen Botschaften wieder nach vorne holen. Das war der Gipfel der Ungerechtigkeit. Die dort versammelten G20 waren und sind die Mächtigen, in deren Weltordnung 8 Personen soviel besitzen wie die Hälfte der Menschheit. Die dort Versammelten verhandeln über die Köpfe derjenigen hinweg, deren Schicksale sie in der Hand haben. Die G20 ist ein nicht legitimiertes Gremium und daran ändern auch gemeinsame Konzertbesuche nichts.
Danke für das Gespräch.