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Vor 70 Jahren 2. Mai 1933:
Gewerkschaftshäuser von SA besetzt
Die wirtschaftliche Situation in Deutschland hat auch ernstzunehmende PolitikerInnen schon dazu bewegt, Vergleiche zur “Brüning-Zeit” anzustellen. Wie die Entwicklung endete, zu der Brünings als Reichskanzler beitrug, ist heute gut bekannt: Das Jahr 2003 ist voll von 70. Jahrestagen – der Machtübertragung an die Nazis am 30. Januar und der ersten Gewalttaten der faschistischen Regierung. Unstrittig ist, dass andauernde Massenarbeitslosigkeit eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Unstrittig ist, dass reaktionäre politische Maßnahmen, Untergrabung der sozialen Sicherungssysteme, Angriffe auf ZuwandererInnen und Flüchtlinge sowie eine Zunahme oft mörderischer faschistischer Aktivitäten zum Alltag in der Bundesrepublik gehören. Grund genug, an den genannten Jahrestagen nicht nur zurück zu schauen.
Der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel lädt ein zu einer Veranstaltung am 8. Mai 2003, in der die Lehren aus der Geschichte im Mittelpunkt stehen werden: Wie konnte es damals so weit kommen, dass die deutschen Gewerkschaften vor den Nazis kapitulierten? Welche Aufgaben haben Gewerkschaften heute im Kampf gegen gesellschaftliche Rechtsentwicklung und faschistische Aktivitäten?
Stimmen zur Geschichte
“Am 21. März (1933 – d. Red.) ließ der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart den Reichskanzler schriftlich wissen, sein Vorstand sei zu der Auffassung gelangt, dass die Gewerkschaften ihre sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben erfüllen müssten, ‘gleichviel, welcher Art das Staats- regime ist’. Diesem Bekenntnis zu einer unpolitischen Interessenvertretung im ‘neuen Staat’, das die christlichen Gewerkschaften bereits am 17. März in Essen öffentlich abgelegt hatten, folgte wenig später der endgültige Bruch mit der SPD. Am 29. März sagte Leipart sich in einem zweiten Schreiben an Hitler offiziell von der Bruderpartei los und bot Regierung wie Unternehmern eine loyale Zusammenarbeit auf dem Boden der neuen Ordnung an. Und am 9. April bekräftigten die Führungsgremien des ADGB Dieses Kooperationsangebot mit der Aufforderung an die Regierung, einen Reichskommissar für die Gewerkschaften einzusetzen. Seinen Höhepunkt jedoch sollte dieser Anpassungskurs, der den demokratischen Traditionen der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung Hohn sprach, im Vorfeld des 1. Mai 1933 erreichen.” (Michael Ruck: Der 1. Mai im Dritten Reich, in: “100 Jahre Zukunft. Zur Geschichte des 1. Mai”, Büchergilde Gutenberg 1990, S. 174)
“Im Laufe des Monats April 1933 trennten die freien Gewerkschaften ihr Schicksal endgültig von dem der Sozialdemokratischen Partei. An manchen Orten, wie in Hamburg, hatten sich die auf soziademokratischen Listen gewählten Gewerkschaftsführer im Stadtrat schon früher zu einer eigenen Fraktion zusammengeschlossen. Was dem General Schleicher durch Überredung nicht gelungen war, vollbrachte jetzt Hitler durch Drohungen mit Gewalt. Zur Maifeier 1933 erließ der Vorstand der freien Gewerkschaften einen Aufruf, in dem die Mitglieder der Gewerkschaften zur Teilnahme an den nationalsozialistischen Maifeiern aufgefordert wurden. Die Erklärung enthielt Stellen, die nur mehr als Anbiederung an die neuen Machthaber aufgefasst werden konnten. Kurz vorher hatten Leipart, Graßmann und andere Gewerkschaftsführer angeordnet, dass die Millionenbeträge des Gewerkschaftsvermögens, die in den voraus-gehenden Monaten ins Ausland gerettet worden waren, wieder zurückgeholt würden. Sie kamen gerade noch recht, um in die Hand der Nationalsozialisten zu fallen. Ausländische Gewerkschaftsführer wurden in diesen Tagen von den Vorständen der deutschen Gewerkschaften nicht mehr empfangen, so sehr waren diese von Furcht verwirrt und gelähmt. Sie hatten immer noch gehofft, nach dem italienischen Vorbild in den Staat eingegliedert und zu Staatsbeamten ernannt zu werden. Aber am 2. Mai 1933 besetzten die Nationalsozialisten in ganz Deutschland die noch nicht von der SA erstürmten Gewerkschaftshäuser, führten Leipart, Graßmann, Schmitt (...) und andere gefangen ab und misshandelten sie in den Kasernen der SA. Das gesamte Vermögen der freien Gewerkschaften, alle ihre Einrichtungen und Organisationen wurden in die ‘Deutsche Arbeitsfront’ überführt.” (Wilhelm Hoegner: “Flucht vor Hitler”, Nymphenburger Verlagshandlung, 2. Aufl. 1978, S. 178 f. Hoegner war 1933 SPD-Reichstagsabgeordneter und nach dem Krieg erster bayrischer Ministerpräsident.)
Besetzung des Kieler Gewerkschaftshauses
“Am 12. März 1933 (...) wurde das Gebäude von SA-Männern besetzt. Vorwand war ... ein angeblich dort gedrucktes illegales Flugblatt (...) Während einige Gewerkschaftsfunktionäre sofort verhaftet wurden, mussten die Angestellten unter Bewachung weiterarbeiten. (...) Am 2. Mai besetzten die Nationalsozialisten alle Gewerkschaftshäuser im Deutschen Reich. In Kiel wurde der Vorsitzende Böttcher morgens um 9 Uhr abgeholt und musste vor der im Hof des Gewerkschaftshauses versammelten SA antreten. (...) Die Kieler NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation – d. Red.) übernahm die Verwaltung des Gewerkschaftshauses unter der Bezeichnung ‘Haus der Arbeit’.” (Aus: AK Asche-Prozeß, “Kiel im Nationalsozialismus”, 2. Auflage, Kiel 1994, S. 55.)
Antifaschistische Veranstaltung am 8. Mai 2003
Unsere Veranstaltung zum Gedenken an den 2. Mai 1933 findet selbstverständlich im Kieler Gewerkschaftshaus statt, um zwar am Donnerstag, 8. Mai 2003, im Lichtsaal im “Legienhof”. Beginn ist um 19:30. Als Referenten und Diskussionspartner stehen zur Verfügung: Bernd Liesching (Historiker, Kiel), ein Vertreter der Kieler Gewerkschaften und Rolf Becker (Schauspieler, ver.di Hamburg). Das musikalische Rahmenprogramm gestaltet Group Köprü. Wir hoffen auf Ihr und Euer Interesse, rege Teilnahme und lebhafte Diskussionen!
(Aus: “Tacheles”, Info-Blatt des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus)