Daten/Fakten  

   

Kundgebung zum Jahrestag Atomwaffenverbotsvertrag in Kiel

Am Sa., 22.1.2022, 5 von 12 Uhr, versammelten sich vor dem Kieler Rathaus ca. 70 Menschen um auf die dringende Umsetzung des Atomwaffenverbots hinzuweisen. Benno Stahn sprach sich für das Kieler Friedensforum dafür aus, dass auch Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet. 

Das hätte dann zur Folge, dass die amerikanischen Atomwaffen, die in Deutschland stationiert sind, abgezogen werden müssen. Stattdessen werden die Flugzeuge modernisiert, mit denen die Bomben von deutschen Piloten ins russische Ziel gebracht werden sollen, um die westliche Vorherrschaft zu sichern.

Die atomare Bedrohung sei bei Vielen heute nicht mehr so präsent, so Stahn. Mit dem Blick auf die Verschärfung des aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt wird dies aber wieder deutlich. „Die Situation bewegt uns sehr, ist beunruhigend und trägt nicht zur Sicherheit in der Region bei. Wir sehen ein Säbelrasseln, ähnlich wie wir es bei uns im Ostseeraum beobachten“, so der Kieler Friedensaktivist.

Auch Kiels Stadtpräsident Hans-Werner Tovar unterstützte die Kundgebung als einen „wichtigen Schritt in eine atomwaffenfreie Welt“ und wünschte sich, dass auch die schleswig-holsteinische Landesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag unterstützt, genauso wie die Stadt Kiel, die eine Petition unterzeichnet hat, die die Bundesregierung zum Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrags auffordert.

Siegfried Lauinger, sprach für die IPPNW, die zusammen mit dem Kieler Friedensforum und der DFG/VK zu dieser Kundgebung aufgerufen hat.

„Seit nunmehr einem Jahr ist der Atomwaffenverbotsvertrag Teil des humanitären Völkerrechtes. Der Vertrag ist am 22.01.2021 in Kraft getreten, nachdem er von 50 Staaten ratifiziert worden war. Bis heute haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 59 Staaten haben ihn ratifiziert.

Leider hat Deutschland den Vertrag noch nicht unterzeichnet und weigert sich beharrlich das in Erwägung zu ziehen. Immerhin will Deutschland an der ersten AVV-Staatenkonferenz im März in Wien teilnehmen. Als Begründung ihrer Weigerung verweist die Bundesregierung auf die Notwendigkeit der nuklearen Teilhabe; auf die Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung gegenüber Russland und auf den bestehenden Atomwaffensperrvertrag von 1970, der die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung für die Atomwaffenstaaten enthalte und deshalb genüge.

Nukleare Teilhabe bedeutet, dass deutsche Flugzeuge im Ernstfall Atombomben gegen Russland einsetzen. Atombomben, die in Büchel in der Eifel für diesen Fall bereit liegen. Flugzeuge, die den deutschen Staatshaushalt mit hunderten Millionen Euros belasten. Geld, das dringend für die Energie und Verkehrswende gebraucht wird. Die Nukleare Teilhabe ist Teil der NATO-Strategie „Frieden durch Abschreckung“. 

Frieden durch Abschreckung bedeutet, dass durch eine, auch atomar betriebene, Hochrüstung einem potentiellen Feind signalisiert wird, und meist wird dabei hierzulande an Russland gedacht, ihm im Falle eines Angriffes auf das Bündnisgebiet unakzeptablen Schaden zugefügt wird.

Und schon ist die Rüstungsspirale in Gang gesetzt, die beiderseits gewaltige Ressourcen verschlingt. Und mit den Waffenarsenalen wächst das gegenseitige Misstrauen.

In der Ostseeregion stehen sich die NATO und Russland unmittelbar waffenstarrend gegenüber. Wegen der Bedeutung dieser Region sowohl für die NATO, als auch für Russland, ist in einem Kriegsfall Schleswig-Holstein mit seinen Werften, Marine- und Luftwaffenstützpunkten und Kommandozentralen als ein vorrangiges Ziel russischer Verteidigungs- oder gar Präventivschläge zu betrachten. Auch bei einer entfernteren Nuklearexplosion, beispielsweise in den baltischen Staaten oder in Kaliningrad, ist Schleswig-Holstein durch radioaktiven Fallout bedroht. Von daher muss S.-H. ein großes Interesse daran haben, diese Risiken weitestgehend zu minimieren.

Leider hat sich der Atomwaffensperrvertrag als Maßnahme zur atomaren Abrüstung nicht als wirksam erwiesen. Seit über 50 Jahren gibt es diesen Vertrag, durch den sich die Atommächte zu einer atomaren Abrüstung verpflichtet haben. Geschehen ist nichts. Deshalb ist der Atomwaffenverbotsvertrag, der heute seinen ersten Geburtstag hat, notwendig geworden. Er ist eine Mahnung und eine Aufforderung vieler Staaten, die alle von einem Atomkrieg zwischen den Großmächten betroffen wären, endlich Schluss zu machen mit der Bedrohung durch Atomwaffen.

Im Schleswig-Holsteinischen Landtag wird derzeit beraten, ob eine Empfehlung an die Bundesregierung ausgesprochen werden soll, dem AVV beizutreten. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Vier Bundesländer und alle Landeshauptstädte, auch Kiel, haben diese Empfehlung bereits ausgesprochen.

Der Beitritt Deutschlands zum Atomwffenverbotsvertrag wäre ein wichtiges Signal den untauglichen Versuch „Frieden durch Abschreckung“ zu verlassen. Frieden ist niemals das Ergebnis einer Rüstungsspirale. Frieden kann nur das Ergebnis der Bemühung um eine gemeinsame Sicherheit sein. Das bedeutet:

Jedes Land ist dafür verantwortlich, dass alle anderen sich vor ihm sicher fühlen. Das erfordert Gespräche und führt schrittweise zu immer mehr Abrüstung.“

(Aufruf der AG Atomwaffenverbotsvertrag Schleswig-Holstein, Siegfried Lauinger/uws)

Neue U-Boote für Israel:

Kieler U-Boot-Werft befeuert Pulverfass Nahost aufs Neue

ThyssenKrupp Marine Systems TKMS) hat sich mit dem israelischen Verteidigungsministerium auf die Rahmenbedingungen für den Kauf von drei U-Booten der Dakar-Klasse geeinigt. Das gab das Unternehmen in Kiel am 20.1.22 bekannt. Das erste U-Boot soll innerhalb von neun Jahren dorthin geliefert werden. Das Auftragsvolumen liegt demnach bei rund drei Milliarden Euro. Die Bundesregierung trägt – wie schon bei den bisher gelieferten U-Booten – etwa ein Drittel der Kosten. Um für den Auftrag gerüstet zu sein, investiert ThyssenKrupp Marine Systems nach eigenen Angaben rund 250 Millionen Euro in seine Werft: Damit die Kieler Werft „die größten U-Boote produzieren kann, die jemals in Deutschland gebaut wurden“ (KN 21.1.2022).

„...speziell auf die Anforderungen der israelischen Marine zugeschnitten“

Nach den Worten von TKMS-Vorstandsvorsitzenden Rolf Wirtz handelt es sich bei der Dakar-Klasse um eine neue Konstruktion, „die speziell auf die Anforderungen der israelischen Marine zugeschnitten sein wird.“ Von diesen U-Booten der neuen Generation sollen nicht nur Torpedos verschossen werden und Kampfschwimmer ausgesetzt werden, sondern es gibt auch Startschächte  für Marschflugkörper.

„Ich bin zuversichtlich, dass die neuen U-Boote die Fähigkeiten der israelischen Marine verbessern und zur Sicherheitsüberlegenheit Israels in der Region beitragen werden,“ sagte Israels „Verteidingungs“minister bei Vertragsunterzeichnung.

Diese drei U-Boote werden die Dolphin-Klasse ersetzen, die auch schon mit Atomwaffen bestückt werden konnten. Sechs Boote dieser Klasse wurden von 1992 bis 2020 in Kiel gebaut und fünf an die israelische Kriegsmarine ausgeliefert (das sechste befindet sich noch in Bau). Die Lieferung der bisher letzten drei U-Boote an Israel war in die Kritik geraten, da dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, einem seiner Berater und einem ehemaligen Minister Korruption vorgeworfen wird. Es war berichtet worden, dass ein Vertreter von ThyssenKrupp hochrangige israelische Regierungsbeamte bestochen habe, um den Auftrag für die U-Boote zu erhalten. 

Doch Israel ist nicht der alleinige Adressat von U-Booten ins Pulverfass Naher Osten. 

Zwischen 2016 und 2021 erhielt Ägypten ebenfalls vier Boote. Und es werden sechs U-Boote der Klasse 214 in der Türkei „unter maßgeblicher Beteiligung des Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems“ gebaut. Die Lieferung der Bauteile wurde von der Regierung unter Kanzlerin Merkel im Jahr 2009 genehmigt und der Export mit einer sogenannten Hermesbürgschaft von 2,49 Milliarden Euro abgesichert. Dagegen hat vor allem der griechische Verteidigungsminister ausdrücklich protestiert. Denn die U-Boote könnten von der Regierung Erdogan dazu benutzt werden, „eine expansionistische Politik der Türkei in der Ägais und im östlichen Mittelmeer zu verfolgen.“ (telepolis 1.2.2021)

Brief von IPPNW an Kieler Oberbürgermeister (2012) – aufs Neue aktuell

Schon vor 10 Jahren (2012) war auf dem Ostermarsch in Kiel gefordert worden, die Auslieferung von  U-Bootes an Israel angesichts der zunehmenden Spannungen im Nahen und Mittleren Osten zu stoppen. 

Die Kieler Gruppe der IPPNW (Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges/ÄrztInnen in sozialer Verantwortung) hatte in einem Offenen Brief an Kiels OB gefordert: 

„Wir sind entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit in der Presse über die Lieferung von – bei HDW gebauten U-Booten – an Israel berichtet wird. Insbesondere empört uns, dass die Ausstattung dieser U-Boote für Nuklearraketen in keiner Weise problematisiert wird. Kiel ist Mitglied der Mayors for Peace, worauf wir stolz sind und erleichtert, weil sich damit Kiel dem Grundsatz dieser Vereinigung verpflichtet, ‚der Bedrohung durch Atomwaffen ein Ende zu bereiten und sich weltweit für deren Ächtung und Abschaffung einzusetzen‘. (...) Diese Lieferung von Waffen in das hochexplosive Spannungsgebiet Nahost verstößt gegen das Grundgesetz (Art. 26) und trägt zur weiteren Eskalation der akuten Kriegsgefahr bei. (...) Der Einfluss der Waffenlobby auf unsere Politik und Wirtschaft ist besorgniserregend. Zum Erhalt von Arbeitsplätzen macht Kiel sich abhängig von der Waffenlobby und mitschuldig an der Gefahr, Krisen durch Kriege lösen zu wollen. 

Wir möchten Sie deshalb um eine Stellungnahme zu unseren Bedenken bitten sowie um eine Beantwortung der Frage, welche Anstrengungen Sie unternehmen wollen, um im Sinne von „Schwerter zu Pflugscharen“ eine ernsthafte Rüstungskonversion in allen für die Rüstungsindustrie arbeitenden Betrieben in Kiel anzustreben, wie es Ihrer Verantwortung als ‚Bürgermeister für den Frieden‘ entspricht.“ 

(gst)

Kieler Friedensforum:

Der neue Kooperationsvertrag zwischen dem Bildungsministerium Schleswig-Holstein und der Bundeswehr löst Protest aus 

Das Image der Bundeswehr ist angekratzt: Hunderte Verdachtsfälle auf Rechtsextremismus, erniedrigende Aufnahmerituale, massive Rekrutierungsprobleme, der Fehlschlag in Afghanistan haben zu einer schwerwiegenden Sinnkrise der Bundeswehr geführt. Dass in dieser Situation das Bildungsministerium S-H der Bundeswehr einen Kooperationsvertrag anbietet, dürfte der Bundeswehr nicht ungelegen kommen.

Am 4. August unterzeichneten das Landeskommando Schleswig-Holstein und Bildungsministerin Karin Prien den Kooperationsvertrag. Neu ist der Einsatz von Jugendoffizieren(?) an Schulen in Schleswig-Holstein nicht. Mit der neuen Vereinbarung bekommen die Besuche der Jugendoffizier*innen allerdings eine ministerielle Absegnung. Außerdem kann sich die Bundeswehr sich nun auch offensiv an Schulen wenden. 

Jugendoffizier*innen sollen Schüler*innen zur „differenzierten Analyse von sicherheitspolitischen Themen“ befähigen und sie sensibilisieren für „die Entstehung und die Hintergründe internationaler Konflikte“, heißt es in dem Kooperationsvertrag. Eigentlich Aufgaben, die von pädagogisch und didaktisch geschulten Lehrer*innen bewältigt werden sollten. Die Vereinbarung, die bis Ende 2025 gilt, ermöglicht auch Besuche in Standorten. Auch Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften durch Bundeswehrpersonal ist vorgesehen. Nachwuchswerbung soll dabei nicht stattfinden, heißt es im Vertrag. Erfahrungsgemäß dürfte eine solche Formulierung in der Praxis kaum Beachtung finden. Im  Kern dürfte es der Bundeswehr allerdings um die Stärkung ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung gehen. Das Pädagogische können Lehrer*innen besser leisten.

Keine militärisch ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik im Unterricht!

Der Kooperationsvertrag nimmt ausdrücklich Bezug auf den Beutelsbacher Konsens von 1976. Er formuliert einen didaktischen Minimalkonsens über die Richtlinien der politischen und didaktischen Inhalte für die Lehrpläne politischer Bildung. 

Der Beutelsbacher Konsens beinhaltet drei Grundsätze:

Es ist nicht erlaubt, den Schüler*innen – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern. Für den schulischen Unterricht bedeutet dieses „Überwältigungsverbot“, junge Menschen anzuregen, ihren Verstand und ihre Urteilskraft für eine eigene Meinung zu trainieren.

Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Zusammen mit dem Überwältigungsverbot beinhaltet dieses Kontroversitätsgebot die Forderung, unterschiedliche Standpunkte darzulegen und alternative Optionen zu erläutern.

Die Schüler*innen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen.

Diese pädagogischen Minimalgrundsätze dürften mit den Kooperationsverträgen schwer in  Einklang zu bringen sein. Die Lehrergewerkschaft GEW wendet sich entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und Fortbildung, wie sie in den Kooperationsabkommen zwischen Kultusministerien und Bundeswehr deutlich werden.

In der Kooperationsvereinbarung ist ausdrücklich angemerkt, dass die Schulen frei sind in Bezug auf die Annahme oder Ablehnung der Angebote der Bundeswehr. Es ist vor diesem Hintergrund zu hoffen, dass zahlreiche Schulen sich für den Verzicht auf die Mitarbeit der Bundeswehr im Unterricht entscheiden. Denn, so Astrid Henke, Vorsitzende der GEW Schleswig-Holstein in einer Pressemitteilung von August 2021: 

„Die politische Bildung in der Schule darf nicht Aufgabe der Bundeswehr sein. Das führt geradezu zwangsläufig zur Rechtfertigung von militärisch ausgerichteter Außen- und Sicherheitspolitik im Unterricht. Der Bildungsauftrag der Schule liegt in den Händen der Lehrerinnen und Lehrer. Und das ist auch gut so. Da gehört er hin. Die Bundeswehr brauchen wir dafür nicht.“

In Kiel ist für den 25. Februar 2022, 18 Uhr eine Informations- und Diskussionsveranstaltung per Video geplant. Die zunächst geplante Veranstaltung im Kieler Musiculum wurde wegen der Pandemieentwicklung abgesagt. 

Benno Stahn, Kieler Friedensforum

 

Veranstaltungshinweis:

Brauchen Schulen einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr? 

Freitag, 25. Februar 2022, 18 Uhr, Zoom-Veranstaltung

Diskussionsveranstaltung mit

Michael Schulze von Glasser, Publizist 

Astrid Henke, GEW S-H 

Linus Wirwoll, Landesschüler*innenvertretung Gymnasien

Dr. Horst Leps, Hamburg, Lehrbeauftragter a.D. für Politikdidaktik an der Uni Hamburg

Eine Anmeldung ist erforderlich, bei Sabine Mordhorst, DGB Kiel Region: sabine.mordhorst@dgb.de

Unterstützer: DGB Kiel Region, Attac Kiel, GEW, IPPNW, Kieler Friedensforum, Friedensforum Neumünster, Zusammenarbeitsausschuss der Friedensbewegung in S-H

 

Protestaktion beim Werbetruck der Bundeswehr auf der Kieler Woche 2016:
„Kein Werben fürs Sterben“. Foto: Ulf Stephan /r-mediabase.eu

Volksinitiative gegen Rüstungstransporte im Hamburger Hafen erfolgreich

Der Hamburger Senat hat in seiner Sitzung am 11. Januar 2022 festgestellt, dass die Volksinitiative „Volksinitiative gegen den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen“ von mehr als 10.000 zur Bürgerschaft Wahlberechtigten unterstützt worden ist und damit zustande gekommen ist. 

„Hiermit teile ich Ihnen gemäß $ 5 Absatz 3 des Volksabstimmungsgesetzes diese Feststellung des Senats mit.“ (Annette Korn an die Initiatoren der Volksinitiative Martin Dolzer, Paula Herrschel und Monika Koops)

Die Volksinitiative hatte innerhalb von 6 Monaten 16.442 Unterschriften fristgerrecht am 14.12.2021 eingereicht. Aufruf „Für einen zivilen Hafen und ein weltoffenes Hamburg!“ siehe unter: 

https://ziviler-hafen.de

NATO-Außenminister erhöhen Druck auf Moskau:

Rote Linien

Blinken fordert Russland zur Verlegung seiner Truppen auf. Putin dringt auf Vereinbarungen zum Stopp der Konflikteskalation.

MOSKAU/BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Mit neuen Drohungen gegen Russland ist am gestrigen Mittwoch das Treffen der NATO-Außenminister in der lettischen Hauptstadt Riga zu Ende gegangen. US-Außenminister Antony Blinken verlangt, Moskau müsse seine Truppen umgehend von der Grenze zur Ukraine abziehen. Sein scheidender Amtskollege Heiko Maas lobt, man habe „zu den russischen Truppenbewegungen“ eine „gemeinsame“ Sprache gefunden. Worauf die NATO-Außenminister den Anspruch gründen, Moskau den Aufenthalt seiner Streitkräfte an einem bestimmten Ort auf seinem Territorium verbieten zu wollen, ist unklar. Gleichzeitig bringen mehrere NATO-Staaten neue Truppen gegen Russland in Stellung; Großbritannien stationiert Kampfpanzer in Deutschland, um bei einer Eskalation schneller in Richtung russische Grenze aufbrechen zu können. Russlands Präsident Wladimir Putin warnt die NATO-Staaten eindringlich, Moskaus rote Linien nicht zu überschreiten, fordert, das „Vorschreiten der NATO nach Osten“ zu beenden, und dringt auf Vereinbarungen mit „Sicherheitsgarantien“, um die Konflikteskalation zu stoppen.

Oktober 1962

Mit Blick auf das gestern zu Ende gegangene Treffen der NATO-Außenminister hatte Russlands Präsident Wladimir Putin die Warnung vor dem Überschreiten der roten Linien seines Landes wiederholt. Putin hatte bereits im April erklärt, Moskau werde diese roten Linien verteidigen und dazu, falls nötig, mit massiver Vergeltung reagieren. Zuletzt hatte er das am 18. November bekräftigt, hatte präzisiert, es gehe etwa um den Ausbau militärischer NATO-Infrastruktur in der Ukraine, und kritisiert, die westlichen Staaten nähmen seine Warnungen nicht ernst. Am Dienstag konkretisierte der russische Präsident die roten Linien weiter und nannte als Beispiel eine etwaige Stationierung eines Raketenabwehrsystems vom Typ Aegis Ashore, wie es in Rumänien bereits aufgestellt ist und im kommenden Jahr in Polen in Betrieb gehen soll, in der Ukraine.[1] Abschussrampen von Aegis Ashore können genutzt werden, um offensive Marschflugkörper in Gang zu setzen.[2] Diese wären, würden sie in der Ukraine abgefeuert, binnen weniger Minuten in Moskau, das dann kaum noch zu verteidigen wäre. Welche Folgen es haben kann, wenn solche roten Linien überschritten werden, ist auch im Westen seit der Kubakrise vom Oktober 1962 bekannt.

„Voranschreiten nach Osten“

Gestern hat Putin ergänzend angekündigt, Moskau werde sich um Vereinbarungen mit den westlichen Mächten bemühen, die auf Dauer Sicherheit schaffen könnten; darin müssten die NATO-Staaten allerdings „verlässliche und langfristige Sicherheitsgarantien“ abgeben, die „jedwedes weitere Vorschreiten der NATO nach Osten und die Stationierung von bedrohlichen Waffensystemen in unmittelbarer Nähe des Gebiets der Russischen Föderation ausschließen“.[3] Worauf Putin mit „Vorschreiten der NATO nach Osten“ abzielte, hat am Dienstag in anderem Zusammenhang NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg skizziert. Stoltenberg schilderte, wie das Militärbündnis nach der Eskalation des Konflikts um die Ukraine erstmals „kampfbereite Truppen in den östlichen Teil der Allianz“ geschickt habe - „nicht nur in die Ostseeregion, auch zum Schwarzen Meer“.[4] Außerdem hätten NATO-Mitglieder der Ukraine „politische Unterstützung, praktische Unterstützung“ angedeihen lassen: „Die Verbündeten sorgen für Training, für den Aufbau von Kapazitäten, auch militärischer Kapazitäten, Ausrüstung“. Es gebe eine ganze Reihe „verschiedener Arten von Unterstützung, um die ukrainischen Streitkräfte zu stärken“, fügte Stoltenberg hinzu.[5]

Auf dem Weg nach Osten

Ein weiteres „Vorschreiten der NATO nach Osten“ ist längst im Gang. So hat der britische Verteidigungsminister Ben Wallace Ende November angekündigt, die britischen Streitkräfte würden rund 250 gepanzerte Fahrzeuge - darunter Kampfpanzer -, zudem Militär-Lkw und weiteres Gerät nach Deutschland verlegen, auf den Truppenübungsplatz Sennelager bei Paderborn; dort waren bis 2020 britische Truppen fest stationiert. Das Militärlager soll unter der Bezeichnung „Land Regional Hub“ eine ähnliche Funktion erfüllen wie die US-Lager in Deutschland, Belgien und den Niederlanden, die als „Army Prepositioned Stock“ (APS) bekannt sind: Im Kriegsfall sollen Soldaten aus Großbritannien eingeflogen werden, die Militärfahrzeuge besteigen und sofort in Richtung Russland vorrücken. Aktuell ist vorgesehen, dass regelmäßig sogenannte Battle Groups von einigen hundert Soldaten nach Sennelager entsandt werden, um dort Manöver durchzuführen. Von da aus könnten sie unmittelbar weiter nach Estland verlegt werden, heißt es; dort führt Großbritannien eine der NATO-Battle Groups, die in den baltischen Staaten und Polen unweit der Grenze zu Russland stationiert sind.[6]

Der NATO-Krisenreaktionsmechanismus

Weitere Maßnahmen mit Stoßrichtung gegen Russland sind beschlossen, in Vorbereitung oder werden zumindest diskutiert. So hat die Biden-Administration bereits im Februar die unter Präsident Donald Trump festgelegte Obergrenze von 25.000 Soldaten für die US-Truppen in Deutschland aufgehoben. Im April gab US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bekannt, zusätzlich rund 500 Soldaten in die Bundesrepublik zu verlegen. Am Montag hieß es, die US-Streitkräfte bereiteten gemeinsam mit nicht näher beschriebenen Verbündeten weitere Maßnahmen vor, die künftig die „glaubwürdige Abschreckung gegenüber Russland stärken“ sollten.[7] Ebenfalls am Montag verlangte die Regierung Lettlands, die USA müssten auf lettischem Territorium Truppen dauerhaft stationieren sowie zusätzlich Patriot-Luftabwehrraketen an der Grenze zu Russland in Stellung bringen. Ergänzend hat jetzt die NATO ihren Krisenreaktionsmechanismus aktiviert: Sie wird ein gemeinsames Lagebild erstellen sowie Optionen für ein mögliches militärisches Vorgehen gegen Russland entwickeln.

„Eine gemeinsame Sprache“

Weit davon entfernt, sich auf eine Vereinbarung mit Moskau einzulassen, die den sich gefährlich zuspitzenden Konflikt zumindest einfrieren könnte, eskaliert Washington weiter. US-Außenminister Antony Blinken behauptete gestern, die Vereinigten Staaten hätten Belege dafür, dass Russland „Pläne für mögliche militärische Aktivitäten in der Ukraine“ schmiede; die Pläne umfassten „Anstrengungen, die Ukraine von innen zu destabilisieren, aber auch groß angelegte militärische Operationen“.[8] Beweise für die Anschuldigungen legte Blinken nicht vor. Dafür forderte er Russland auf, seine Streitkräfte umgehend von der Grenze zur Ukraine abzuziehen. Anders, als der US-Außenminister suggeriert, steht zumindest ein erheblicher Teil der russischen Truppen, denen der Westen attestiert, für einen möglichen Einmarsch in die Ukraine bereit zu sein, mehrere hundert Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt im Gebiet Smolensk (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Worauf der US-Außenminister den Anspruch gründet, russischen Truppen den Aufenthalt an bestimmten Orten innerhalb Russlands untersagen zu wollen, ist unklar. Der scheidende Außenminister Heiko Maas wird mit der Äußerung zitiert, es sei „sehr wichtig gewesen“, dass man „eine klare Sprache gefunden“ habe „zu den russischen Truppenbewegungen“ - „gemeinsam“.[10]

[1] Vladimir Soldatkin, Andrew Osborn: Putin warns Russia will act if NATO crosses its red lines in Ukraine. yahoo.com 30.11.2021.

[2] S. dazu Abschied vom INF-Vertrag (II).

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7804/

[3] Ukraine-Konflikt: Putin stellt Forderungen an die Nato. rnd.de 01.12.2021.

[4], [5] Press conference by NATO Secretary General Jens Stoltenberg at the Meeting of NATO Ministers of Foreign Affairs, Riga. nato.int 30.11.2021.

[6] Deborah Haynes: British Army restructure sees hundreds of tanks and troops return to Germany after withdrawal less than a year ago. news.sky.com 25.11.2021.

[7] Andrew Eversden: Pentagon’s Global Posture Review emphasizes China, but lacks major strategic changes. breakingdefense.com 29.11.2021.

[8] David M. Herszenhorn: Blinken urges Russia to ’de-escalate’ and return to diplomacy on Ukraine. politico.eu 01.12.2021.

[9] S. dazu Nützliche Kriegsszenarien.

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8778/

[10] USA werfen Russland geplante Aggression in der Ukraine vor. vol.at 01.12.2021.

(Quelle: 2.12.2021, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8781/)

Herausforderungen für die Friedensbewegung:

Die Deutsche Marine und ihr „einzigartiger und unverzichtbarer Beitrag zur Freiheit der weltweiten Seefahrt“

Drei Wochen vor Veröffentlichung des Ampel-Koalitionsvertrages wurde der „Jahresbericht des Marinekommandos der Bundeswehr. Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland“ der Öffentlichkeit übergeben. Auf den 184 Seiten geht es um die „maritime Sicherheit“ für den Welthandel und um die deutsche maritime Rüstungswirtschaft.

Nachzulesen unter https://www.bundeswehr.de/de/organisation/marine/downloads 

„Dieser Bericht soll durch Zahlen, Daten und Fakten verdeutlichen, warum die See für unser aller Leben von entscheidender Bedeutung ist und so deutlich machen, warum unser Land nicht umhinkommt, seine maritimen Interessen zu schützen“, so der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral  Schönbach, im Vorwort der Studie. 

Und weiter: „Für Deutschland als Industrie- und Handelsnation ist die uneingeschränkte Nutzung der globalen Seewege von existenzieller Bedeutung. Der zuverlässige Import von Rohstoffen sowie der gesicherte Export von Gütern garantieren die Funktionalität unserer Wirtschaft und damit unserer Gesellschaft. Die Deutsche Marine leistet hier einen einzigartigen und unverzichtbaren Beitrag zur Freiheit der weltweiten Seefahrt und ist somit ein wesentlicher Garant unseres Wohlstands sowie der sozialen Sicherheit. Als Mitglied der NATO stehen wir dafür ein, dass unsere Handels- und Passagierschiffe die Weltmeere weiterhin frei und sicher befahren können.“

Ein Dank geht dann auch noch an die alte Regierung: „Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat im Juni 2021 die Mittel für wichtige Vorhaben der Marine freigegeben, darunter für die Neubeschaffung von zwei U-Booten der Klasse 212 CD in Kooperation mit Norwegen, drei Flottendienstbooten, zwei Marinebetriebsstoffversorgern und fünf Seefernaufklärern P-8A Poseidon. Zusammen mit dem Auftrag für die neuen Fregatten der Klasse F126 wird die dringend notwendige Modernisierung der Flotte weiter vorangetrieben. Zudem konnte mit der Indienststellung der Fregatte „Sachsen-Anhalt“ in diesem Jahr ein weiteres Schiff verfügbar gemacht werden, um die Flotte zu entlasten.“

Wofür „die Industrie- und Handelsnation“ ihre Kriegsschiffe in erster Linie fit machen muss, ist gleich zu Beginn der Studie in einem Grundsatzbeitrag heraus gehoben: „Der Indo-Pazifik: Raum geostrategischer Rivalitäten und sicherheitspolitischer Herausforderungen.“

Darin heißt es u.a. „Seit dem August dieses Jahres ist die Fregatte ‚Bayern‘ auf einer sechsmonatige Reise in den indopazifischen Raum. Ein Gebiet, in dem die Deutsche Marine seit nahezu 20 Jahren nicht mehr aktiv war. Maßgeblicher politischer Anstoß dieser Entsendung sind die im August 2020 von der Bundesregierung erlassenen Leitlinien für den Indo-Pazifik. Davon abgeleitet soll sich das deutsche außen- und sicherheitspolitische Engagement in der Region verstärken und verfestigen. (...) In diesem maritimen Raum treten neue und komplexe Herausforderungen und Konfliktpotenziale zutage, wie es Auseinandersetzungen um Ressourcen oder Rechtsnormen in Teilen der Welt zeigen. Die Entsendung der Fregatte ‚Bayern‘ in diesem Jahr ist sichtbarer Ausdruck des deutschen Engagements...“

In den nachfolgenden Grundsatzbeiträgen unter „Kapitel I – Maritime Sicherheit“ geht es um den „Kampf um den Nordpol“ und um „Illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen“.

In Kapitel 3 „Deutsche Marine“ wird dann ausführlich aufgelistet, welche konkreten Beschaffungsvorhaben für die Deutsche Marine in Angriff genommen werden: Das Produktportfolio umfasst U-Boote, Fregatten, Korvetten, Minenabwehreinheiten, Patrouillen- und Kampfboote, Hilfs- und Versorgungsschiffe und komplette Subsysteme. Also eine breite Palette, um zukünftig auf den Weltmeeren „regelbasiert Ordnung“ zu schaffen.

Rot-gelb-grüner Koalitionsvertrag: Bekenntnis zu NATO-Zielen, Drohnen, atomarer Teilhabe und Aufrüstung

Der „Jahresbericht des Marinekommandos der Bundeswehr“ liest sich als konkretisierende Anlage zum entsprechenden Abschnitt im Ampel-Koalitionsvertrag. Die Koalitionäre  bekennen sich darin „zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials. Auftrag und Aufgabe der Bundeswehr müssen sich an den strategischen Herausforderungen und Sicherheitsbedrohungen unserer Zeit orientieren. ... Die Bundeswehr muss entsprechend ihres Auftrages und ihrer Aufgaben bestmöglich personell, materiell sowie finanziell verlässlich ausgestattet werden.“ Die Einsatzbereitschaft soll erhöht werden, ebenso die rüstungstechnische Zusammenarbeit in Europa. 

Ein Konzept für eine Entspannungspolitik, geschweige denn konkrete Abrüstungsvorschläge sucht man im Koalitionsvertrag vergebens. Der entsprechende Abschnitt des Vertrages atmet den Geist des Kalten Krieges und fügt sich damit passgenau in die NATO-Globalstrategie ein. 

Trotz anfänglicher Bedenken und Widerständen von Teilen der SPD und Grünen sind bewaffnete Kampfdrohnen für die Bundeswehr koalitionsvertraglich eingeplant. Als Begründung für die Anschaffung bewaffneter Drohnen wird angeführt, der Schutz der Bundeswehrsoldaten mache diese Drohnen-Entscheidung notwendig. Im Klartext bedeutet das also, dass von weiteren Auslandseinsätzen der Bundeswehr ausgegangen wird.

Geradezu grotesk sind die Positionen im Koalitionsvertrag zum Thema Atomwaffen. Da heißt es: „Unser Ziel bleibt eine atomwaffenfreie Welt und damit einhergehend ein Deutschland frei von Atomwaffen.“ Aber gleichzeitig wird an dem Konzept der „atomaren Teilhabe“ festgehalten. Das Bekenntnis zu einem atomwaffenfreien Deutschland ist jedoch nichts wert, so lange US-Atomwaffen weiterhin hier gelagert werden und deren Einsatz von der Bundeswehr regelmäßig geprobt wird. 

Weiterhin heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle „drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln“ investierten und so „seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik“ stärken – um dann im entscheidende Nachsatz festzustellen: „und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Die NATO bleibt unverzichtbare Grundlage unserer Sicherheit. Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.“ Heißt übersetzt: An der Aufrüstungspolitik und der 2-Prozent-Forderung der NATO sollen festgehalten werden. 

Mein Fazit nach dem Studium beider Papiere: Der „Jahresbericht des Marinekommandos“ und der Koalitionsvertrag sind eine Herausforderung für die Friedensbewegung.

(gst)

Aufgehübscht:

Neue Namen im Kieler Kriegshafen

Der Kieler Kriegshafen, Standort der Einsatzflottille 1 der Bundesmarine und des Kompetenzzentrums für Operationen in küstennahen Gewässern (COE CSW) der NATO, Ausgangspunkt säbelrasselnder Manöver in der Ostsee und regelmäßiger Mittelmeer-Einsätze zur Unterstützung des EU-Frontex-Regimes an der Europäischen Südgrenze, das den tausendfachen Tod von Migrant*innen billigend in Kauf nimmt, hat sich „aufgehübscht“.

Am 1. Oktober hat die Deutsche Marine in ihrer Liegenschaft in Kiel einige Namen neu vergeben. Der Kieler Marinestützpunkt heißt ab sofort nicht mehr Tirpitzhafen, sondern Marinestützpunkt Kiel-Wik. Die südliche Außenmole heißt künftig Gorch Fock-Mole und nicht mehr Tirpitzmole. Die östliche, fördeseitige Außenmole trägt den neuen Namen Oskar Kusch-Mole anstelle des bisherigen Namens Scheermole.

Oberleutnant zur See Oskar Heinz Kusch (1918 - 1944) war ein junger Uboot-Kommandant, der sich während des Zweiten Weltkrieges kritisch über den Krieg und das NS-Regime geäußert hatte. Er wurde daraufhin denunziert, verhaftet, angeklagt, zum Tode verurteilt und schließlich im Alter von 26 Jahren am 12. Mai 1944 auf dem Marine-Schießplatz in Kiel-Holtenau hingerichtet.

Zum Hintergrund dieser neuen Namensgebung verweist die Marine auf den Traditionserlass der Bundeswehr in der Fassung von 2017. Aus der Neuausrichtung folgert, dass die bisherigen Namensgeber, Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849 - 1930; Begründer der Hochseeflotte im Deutschen Kaiserreich) sowie Admiral Reinhard Scheer (1863 - 1928; Befehlshaber der Hochseeflotte 1916 in der Skagerrak-Schlacht) nicht mehr in die Traditionslinie der Bundeswehr passen.

Die bisherige Tirpitzmole wird nach dem Hamburger Seefahrts- und Marinedichter Johann Kinau (1880 - 1916; an Bord des kleinen Kreuzers „Wiesbaden“ am 31. Mai 1916 im Alter von 35 Jahren in der Skagerrak-Schlacht gefallen) neu benannt. Unter seinem Pseudonym „Gorch Fock“ war und ist er Namensgeber des Segelschulschiffes „Gorch Fock“, das an der nun gleichnamigen Mole seit dem 4. Oktober 2021 nun auch wieder seinen Stammliegeplatz hat.

Dabei ist auch der Namensgeber Gorch Fock keineswegs unumstritten – sind seine Werke doch auch von nationalistischem, kriegsverherrlichendem Pathos durchdrungen. Damit stand er seinerzeit allerdings nicht allein. So verkündete am 5.8.1914 auch die sozialdemokratische „Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung“:
„Es ist berechtigt, und es ist notwendig, und es ist gut, wenn Deutschland sein Schwert zieht, wenn Deutschlands Söhne nun überall bereitstehen, um das Land ihrer Väter, das Fortbestehen ihres Volkes zu verteidigen.“

Die „Gorch Fock“ im Oktober 2021 wieder in Kiel 

Apropos Segelschulschiff „Gorch Fock“. Noch kurz einmal zur Erinnerung:

Dezember 2015: Die „Gorch Fock“ soll turnusmäßig von Grund auf überholt werden, die Arbeiten werden von der Elsflether Werft (Kreis Wesermarsch) durchgeführt. Bei einer Überprüfung wird festgestellt, dass die Masten marode sind und ersetzt werden müssen. Die Kosten, um die Schäden zu reparieren, werden auf knapp zehn Millionen Euro geschätzt.
Oktober 2016: Noch immer liegt die „Gorch Fock“ in der Werft. Immer wieder tauchen neue Schäden auf, so zum Beispiel ein marodes Oderdeck und alte Kabelkanäle, die seit dem Stapellauf nie erneuert wurden. Die Kostenerwartungen für Reparaturen erhöhen sich um mehr als das dreifache auf 35 Millionen Euro.
4. Oktober 2021: Die „Gorch Fock“ kehrt wieder nach Kiel zurück. Damit endet eine fast sechsjährige Instandsetzung des Segelschulschiffs, die durch Kostenexplosionen, Baustopps, Korruption, Selbstanzeigen, der Pleite einer Werft und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geprägt war. Die Kosten der Reparatur:135 Millionen Euro.

gst

 

Friedensforum/Stadt Kiel:

Im Spannungsfeld von Sicherheit und Umweltschutz – Ein Dialog über die Situation in der Ostsee

Ostseekonferenz militaerische Manoever Stadt Kiel web

Am 11. September 2021 fand die gemeinsame Veranstaltung der Landeshauptstadt Kiel und dem Kieler Friedensforum statt. Hochkarätige Diskussionteilnehmer*innen diskutierten in zwei Runden zu dem Thema: Im Spannungsfeld von Sicherheit und Umweltschutz – Ein Dialog über die Situation in der Ostsee.

Es fand als Öffentliches Forum während der Kieler Woche 2021 statt. Das Forum diskutierte die militärischen Manöver in der Ostsee sowie deren Auswirkungen auf Frieden, Stabilität und Umwelt. Vertreter*innen der Bundeswehr, Rüstungswirtschaft, Gewerkschaft, Umwelt-, Klima- und Friedensbewegung wollten mit interessierten Bürger*innen ins Gespräch kommen. Auch die Bedeutung der Rüstungsindustrie für Kiel wurde beleuchtet sowie potenzielle Konversionsmöglichkeiten thematisiert. Die Landeshauptstadt Kiel setzte sich kritisch mit ihrer Rolle als bedeutender militärischer Standort in Vergangenheit und Gegenwart auseinander. Es gilt, die Ausrichtung der Kieler Woche auf Frieden und Völkerverständigung noch stärker in den Fokus zu rücken.

„Die Kieler Woche ist ein Fest des Friedens und der Völkerverständigung. Die Landeshauptstadt Kiel erachtet es daher als wichtig, sich kritisch mit ihrer Rolle als bedeutender militärischer Standort auseinanderzusetzen.
Vor diesem Hintergrund richtet das Büro des Stadtpräsidenten gemeinsam mit dem Kieler Friedensforum erstmals ein öffentliches Forum im Rahmen der Kieler Woche 2021 aus.
Ziel des öffentlichen Forums ist es, Vertreter *innen von Bundeswehr, Rüstungsunternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowohl untereinander als auch mit Interessierten in den Austausch zu bringen.
Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die aktuellen militärischen Manöver in der Ostsee sich auf Frieden, Stabilität und Umwelt auswirken. Auch das Thema Altlasten in der Ostsee wird in die Diskussion miteinbezogen.“

Ausgangspunkt und Ziel

"Gemäß dem Ratsbeschluss vom 13. Juni 2019 ist die Verwaltung der Landeshauptstadt Kiel mit der Ausrichtung eines öffentlichen Forums zum Thema „Rüstungsindustrie, ihre Bedeutung für Kiel und Konversionsmöglichkeiten“ während der Kieler Woche beauftragt.

In diesem Rahmen sollen Vertreter*innen aus Politik, Bundeswehr, (Rüstungs-)Unternehmen, Verwaltung und Zivilgesellschaft sowohl untereinander als auch mit interessierten Bürger*innen ins Gespräch kommen und die Thematik diskutieren.

Hintergrund ist das Bekenntnis der Ratsversammlung zur Kieler Woche als friedliches Fest der Völkerverständigung, das in seiner Symbolwirkung ein Zeichen für die Weltoffenheit und Aufgeschlossenheit der Landeshauptstadt Kiel ist.

Mit Bezugnahme auf diesen Ratsbeschluss hat der Arbeitskreis Städtesolidarität am 05. März 2021 entschieden, das erste öffentliche Forum thematisch dem Ostseeraum zu widmen, unter besonderer Berücksichtigung der Aspekte militärische Entwicklungen und Umweltproblematik in der Ostsee. Vor diesem Hintergrund werden auch die Bedeutung der Rüstungsindustrie für Kiel sowie Konversionsmöglichkeiten thematisiert, stehen jedoch nicht im Fokus.

Ziel des öffentlichen Forums ist es deutlich zu machen, dass die Landeshauptstadt Kiel sich kritisch mit ihrer Rolle als bedeutender militärischer Standort in Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzt."

Im Rahmen des Forums sollen sich die Teilnehmenden schwerpunktmäßig mit nicht-militärischen Fragen auseinandersetzen. Allgemein gilt es die Ausrichtung der Kieler Woche auf Frieden und Völkerverständigung noch stärker in den Fokus zu rücken.

Das öffentliche Forum war ursprünglich für das Jahr 2020 geplant, musste jedoch aufgrund der Pandemie verschoben werden und wird schließlich im Zeitraum der Kieler Woche 2021, am Samstag, den 11. September 2021, von 15 -18.30 Uhr, stattfinden.

Das vorliegende Konzept beruht auf dem Beschluss der Ratsversammlung vom 13.06.2019, konkreten Ideen und Vorschlägen des Arbeitskreis Städtesolidarität, des Stadtpräsidenten sowie des Sachbereichs Internationales und Nachhaltigkeit im Büro des Stadtpräsidenten.

Das öffentliche Forum wird von der Landeshauptstadt Kiel in Kooperation mit dem Kieler Friedensforum ausgerichtet.
(...)

Demnach stehen die folgenden zwei Themenkomplexe im Fokus:

Militärische Entwicklungen in der Ostsee
"In der Ostsee werden jährlich eine Vielzahl von Militärübungen durchgeführt. Dabei lässt sich in den vergangenen Jahren ein Anstieg der Anzahl der Manöver sowie eine Zunahme der teilnehmenden Staaten verzeichnen.
Diese sowohl von Seiten der NATO als auch von Russland durchgeführten militärischen Manöver tragen zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen den beiden Parteien bei. Heute ist kaum ein Gebiet in Europa so stark militarisiert wie der Ostseeraum.

Umweltproblematik in der Ostsee
Die Ostsee ist eines der am meisten befahrenen, gefährdeten und verschmutzten Meere der Welt.
Die in der Ostsee durchgeführten Militärübungen verbrauchen eine Vielzahl von Ressourcen und tragen zur Umweltverschmutzung in der Region bei.
Darüber hinaus finden sich auf dem Meeresgrund schätzungsweise tausende Tonnen Sprengstoff, chemische Waffen, Bomben, Minen und anderes Material, das während des ersten und zweiten Weltkriegs in die Ostsee gelangt ist.“

Die Quelle und weitere Infos über die Hintergründe gibt es hier:
https://www.kiel.de/de/kiel_zukunft/kiel_international/oeffentliches_forum_militaerische_manoever_in_der_ostsee.php

Podiumsteilnehmende waren:

• Christian Bock ist Flottillenadmiral und Kommandeur der Einsatzflottille 1 sowie Direktor des NATO Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters in Kiel.

• Luca Brunsch ist Fridays for Future-Aktivist der ersten Stunde und Mitbegründer von Klimaschutzgruppen wie der Bürgerinitiative Klimanotstand Kiel.

• Frank Hornschu vertritt seit über vier Jahrzehnten die Interessen der Arbeitnehmer*innen und hat u. a. diverse Projekte und Studien auch für den Europäischen Gewerkschaftsbund, die Europäische Gewerkschaftsakademie und die Europäische Kommission initiiert sowie organisieren und leiten dürfen.

• Ulla Klötzer (*1948) ist Waldorflehrerin im Ruhestand, derzeit Koordinatorin der Bewegung Frauen gegen Atomkraft und aktiv in der Bewegung Women for Peace.

• Dr. Horst Leps ist Mitarbeiter im „Zusammenarbeitsausschuss der Friedensbewegung in Schleswig-Holstein“, den es seit den 1980er Jahren gibt.

• Dr. Luis Alejandro Orellano ist seit Juli 2018 als Chief Operating Officer der Thyssenkrupp Marine Systems GmbH verantwortlich für Forschung, Entwicklung, Produktion und Qualifizierung von U-Booten, Korvetten und Fregatten.

• Johannes Peters studierte Politikwissenschaft und Neuere Geschichte in Rostock und Kiel. Nach Abschluss seines Studiums mit einer Masterarbeit über die Piraterie am Horn von Afrika war er als Referent für Sicherheitspolitik beim Verband Deutscher Reeder in Hamburg tätig. Seit 2017 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und seit Juni 2021 Leiter der Abteilung für Maritime Strategie & Sicherheit des ISPK.

• Stefanie Sudhaus ist studierte Meeresbiologin.
Seit 2012 ist sie als Meeresschutzreferentin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, LV Schleswig-Holstein tätig und ist zudem Teil des Teams der Bildungs- und Vernetzungsplattform Ocean Summit. Sie arbeitet zu verschiedensten Problematiken im Bereich Meeresschutz und setzt sich für verbesserte Schutzmaßnahmen ein.

Die Konferenz ist per Youtube nachzuhören und zu sehen:

Diskussionsrunde 1:
https://www.youtube.com/watch?v=-BUZrY8dk1Q

Diskussionsrunde 2:
https://youtu.be/VCBXkEfSMew

Infos über das aktuelle Großmanöver in der Ostsee siehe auf der nächsten Seite.

 

Aktuelles aus der Kriegsmarine:

Großmanöver „Northern Coasts“ 2021

Ab dem 10. September 2021 war die Ostsee wieder mal Schauplatz einer multinationalen Übungen angeblich „zur Verbesserung der strategischen Planung und taktischen Kommunikation der teilnehmenden Nationen“. Das Militärmanöver „Northern Coasts“ sei ein essentieller Bestandteil bei der streitkräfteübergreifenden Kooperation im Ostseeraum. Der „Schutz der Nordflanke“, heißt es im Kriegsjagon, sei ein elementarer Schwerpunkt der Deutschen Marine bei der angeblichen „Rückbesinnung zur Landes- und Bündnisverteidigung“.

Unter der diesjährigen Leitung Schwedens kamen mehr als 2.000 Soldatinnen und Soldaten aus 14 Nationen zusammen. Über 30 Schiffe, 10 Luftfahrzeuge und diverse Landeinheiten trainierten „in einer fiktiven Lage an Land und im Seegebiet an Schwedens Küstenlinie das komplexe Zusammenspiel aller Akteure“ für eine Aggression gegen Rußland. Die Deutsche Marine entsendete hierfür die Fregatte „Hamburg“, die Minenjagdboote „Weilheim“ und „Sulzbach-Rosenberg“ sowie ein Boarding-Team vom Seebataillon aus Eckernförde in Richtung Norden.

Große internationale Übungen bieten den Militärs die einzigartige Gelegenheit, sich mit fremden Küstengewässern vertraut zu machen. Gerade die Ostsee ist als Operationsgebiet schwierig. Meerengen, Belte und Sunde und geringe Wassertiefen stellen eine besondere Herausforderung dar.

„Hier den Überblick zu behalten, gemeinsam zu operieren und zu agieren sei der Grundgedanke dieses Manövers. Gleichwohl habe die maritime Übung zum Ziel, die Fähigkeiten zu stärken, nationale Mittel zu bündeln, um kombinierte Operationen wirksam durchzuführen und dadurch Stabilität und Sicherheit (wessen Sicherheit?) in der unmittelbaren Umgebung aufrechtzuerhalten.“

Von den teilnehmenden Nationen waren Schweden und Finnland die beiden Länder, die nicht dem Nordatlantik-Bündnis, aber der EU angehören. Für die Deutsche Marine sei die Einbindung der Ostseeanrainer in ein regionales maritimes „Sicherheitskonzept“ wichtig. 2015 hatte sie dafür die Baltic Commanders Conference gegründet, an der alle Marinebefehlshaber der NATO- und EU-Partner der Region teilnehmen.

(Quelle: Presse- und Informationszentrum der Marine 9.9.2021)

1. September 2021 - Antikriegstag zur Bundestagswahl 2021

Entspannung statt Konfrontation!

Antikriegstag-Kundgebung:
Mittwoch, 1. September 2021
18 Uhr, Europaplatz, Kiel

Für Friedensbewegung und Gewerkschaften ist der Antikriegstag ein besonderer Tag der Mahnung: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Er ist für uns ein Tag des Erinnerns daran, dass Deutschland angesichts der Menschheitsverbrechen der Nazis besondere Verantwortung für den Frieden trägt. Für uns steht fest: Wenn wir künftig friedlich und sicher zusammenleben wollen, brauchen wir eine Politik, die auf Abrüstung und Entspannung setzt, statt auf Aufrüstung und Abschreckung. Und wir brauchen eine Bundesregierung, die sich dafür mit aller Entschlossenheit einsetzt. Die Weichen dafür werden bei der Bundestagswahl gestellt!
Deutschland steht auf dem siebten Platz der Länder mit den größten Rüstungsausgaben. Unter den Top-Ten-Staaten weist der deutsche Verteidigungshaushalt mit einem Plus von über fünf Prozent die größten Zuwachsraten auf. Für das laufende Jahr liegt er bei knapp 47 Milliarden Euro. Und wenn es nach der scheidenden Bundeskanzlerin ginge, sollte Deutschland bis 2030 die NATO-Zielvorgabe erfüllen und zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben. Dies entspräche einer weiteren Erhöhung des Wehretats um mehr als 20 Mrd. Euro.
Mit der neuen „NATO 2030“-Strategie soll der Weg in zu einer Interventionsallianz für Militäreinsätze außerhalb des Bündnisgebiets bereitet werden. Durch eine Stärkung der nuklearen Abschreckung und durch Pläne für eine stärkere militärische Präsenz im indopazifischen Raum setzt die NATO gezielt auf Konfrontation gegenüber Russland und China. Die Entsendung der Fregatte Bayer in das südchinesische Meer ist Ausdruck der weltweiten militärischen Ambitionen der Bundesrepublik.
Es ist höchste Zeit, das Ruder herum zu reißen! Wir benötigen die Rüstungs-Milliarden dringend für andere Zwecke, u.a. im Gesundheitswesen, für den Klimaschutz, zur Bekämpfung der weltweiten Fluchtursachen. Im Zuge der Corona-Krise haben sich die sozialen Ungleichheiten und die Verteilungskonflikte in unserem Land und weltweit verschärft. Auch jenseits der Auswirkungen der Pandemie zeigt sich, wie sehr wir auf einen starken und solidarischen Sozialstaat angewiesen sind, der über solide Finanzierungsgrundlagen verfügt.
Gleichzeitig leben wir, getrieben durch den Klimawandel und durch rasante Fortschritte bei der Entwicklung und dem Einsatz digitaler Technologien, in einer Zeit gewaltiger Umbrüche. Eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und wirtschaftlich vernünftige Gestaltung der damit verbundenen Transformation unserer Gesellschaft wird uns nur mit Hilfe massiver Zukunftsinvestitionen gelingen.
Deshalb nehmen wir die nächste Bundesregierung in die Pflicht: Wir erwarten von allen an der Regierung beteiligten Parteien, dass sie klar Position beziehen – für Abrüstung und Entspannung. Am Antikriegstag wollen wir für die Bundestagswahl ein deutliches Zeichen. Beteiligt Euch! Was wir wollen, ist eine neue Politik der gemeinsamen Sicherheit.

Bundestagswahl 2021:
Abrüstung und Entspannung wählen!

Unsere friedenspolitischen Wahlprüfsteine:

- Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Bundesrepublik dem UN-Atomwaffenverbot beitritt?
- Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die nukleare Teilhabe Deutschlands beendet wird und keine neuen Atomwaffen-Trägerflugzeuge angeschafft werden?
- Werden Sie eine Erhöhung der VerteIdigungsausgaben auf das 2-Prozent-Ziel der NATO ablehnen?
- Werden Sie sich für ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz einsetzen, damit der Export von Kriegswaffen grundsätzlich verboten wird?
- Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Bundeswehr auch zukünftig keine bewaffneten Drohnen erhält?
- Werden Sie sich dafür einsetzen, dass aus Deutschland keine Menschen in Krieg und Überlebensnot abgeschoben werden?

Antikriegstag-Kundgebung:
Mittwoch, 1. September 2021 18 Uhr, Europaplatz Kiel

Mit
• Frank Hornschu, DGB Kiel Region
Abrüstung statt aufrüsten
• Christiane Petersen, Landesvorstand GEW Bundeswehr in die Schulen? Nein!
• Martin Link, Flüchtlingsrat S-H
Krieg - Flucht - Abschiebung
• Siegfried Lauinger
Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen!
• Fridays for Future Kiel
Klimaschutz statt Aufrüstung
• Jan Birk, Büchel-Aktivist
im Gespräch mit Benno Stahn

Moderation: Thore Steinigeweg, DFG-VK/Kieler Friedensforum
Musik: Albino (politischer Rap)

Wir rufen zur Kundgebung auf:

Kieler Friedensforum; DFG-VK Kiel, DGB Kiel Region; IPPNW Kiel (Ärzte gegen Atomkrieg); ver.di Südholstein; GEW Schleswig-Holstein; Flüchtlingsrat S-H e.V.; Nils Kirsch, Kiel; Attac Kiel; Jan Birk, Vorsitzender Netzwerk Friedenssteuer; Die Linke Kiel; Aufstehen - Ortsgruppe Kiel; DKP Kiel, VVN-BdA KV Kiel; marxistische linke Kiel; Fridays For Future Kiel.

(Verantwortlich: Kieler Friedensforum)

Wo Krieg zu Frieden führen soll:

Nichts wird gut in Afghanistan und anderswo!

Das Zitat des Bundesverteidigungsministers seiner Zeit Peter Struck, demzufolge Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt wird, erweist sich in der aktuellen Situation erneut als Propaganda-Narrativ zur Rechtfertigung der Gewalt mit einem Satz, der viele Menschen erreicht. Freiheit und Verteidigung, das sind Begriffe, die nicht unbedingt zutreffen müssen, aber Herzen gewinnen können.

Am 16. November und am 22. Dezember 2001 beschloss der Bundestag auf Antrag der SPD/Grüne-Bundesregierung die Beteiligung am Afghanistan-Krieg unter dem Stichwort von Kanzler Schröder von der uneingeschränkten Solidarität mit den USA nach nine eleven und der Parole „Frieden nur durch militärische Hilfe“ (1). Einzig die PDS, die in der Linkspartei aufging, stimmte damals dagegen.

Die Friedensbewegung warnte von Anfang an: Dieser Konflikt ist militärisch unlösbar; der Friedensforscher Johan Galtung brachte es kurz nach dem Bundestagsbeschluss für den Afghanistan-Krieg auf den Punkt:
„Ich halte es … für naiv, mit Gewalt Änderungen herbeiführen zu wollen. Der Terrorismus kann nur mit Dialog und dem Willen zur Versöhnung bekämpft werden. Die Amerikaner haben es verpasst, mit den Taliban zu verhandeln. Letztere waren sogar bereit, Osama Bin Laden an einen anderen islamischen Staat auszuliefern. Die USA haben das ausgeschlagen, einen Krieg begonnen und damit noch mehr Hass auf sich gezogen. Der Westen muss von seiner gewalttätigen Politik abkehren.“ (2)

Dieses Zitat ist eminent wichtig, denn gerade jetzt, da die Taliban Afghanistan nach dem Nato-Abzug oft ohne Gegenwehr immer weiter unter ihre Kontrolle bringen, werden wieder Stimmen laut, die Nato hätte nicht weichen sollen. Nur die Linke steht auch in der Frage konsequent an der Seite der Friedensbewegung.
Wer jetzt noch unbeirrt die Nato-Interventionspolitik verteidigt, verhält sich so, als stoße man mit einem immer heftiger von Blutergüssen übersäten Kopf gegen die immer gleiche Wand.
Fünf Jahre nach Johan Galtung erklärte der Bundessprecher des Friedensratschlages Peter Strutynski:
„Sicher scheint aber doch zu sein, dass der militärische Weg zur Stabilisierung oder gar Befriedung des Landes gescheitert ist. In weiten Teilen des Landes herrschen dieselben Warlords wie vor dem Krieg, bestehen ähnlich prekäre (Über-)Lebensbedingungen der Bevölkerung, regiert die Gewalt über dem Recht. Wenn der NATO-Gipfel von Riga im November 2006 in seinem Abschlussdokument bekundete, dass die Regierung unter Hamid Karzai und das afghanische Volk danach strebten, ‚eine stabile, demokratische und prosperierende Gesellschaft aufzubauen, die frei von Terrorismus, Drogen und Angst ist, ihre Sicherheit selbständig gewährleisten kann und im Frieden mit den Nachbarn lebt‘, so kann dies nur als das berühmte Pfeifen im Walde oder, noch schlimmer, als unverfrorene Lüge charakterisiert werden.“ (3)

Die Bilanz eines Krieges mit inzwischen circa 200.000 Toten, darunter tausende Nato-Kräfte und Bedienstete westlicher Militärdienstleister, aber vor allem ziviler Opfer in der Bevölkerung Afghanistans und alleine für die USA 4 Billionen US-Dollar (=4000 Milliarden) plus weitere Milliarden auf Seiten weiterer Nato-Staaten, darunter Deutschland mit offiziell circa 13 Milliarden Euro ist erstens verheerend und zweitens das für die Militärs und ihre Unterstützer überraschende Eintreten des Vorhersehbaren (4).

Die Traumatisierungs-Opfer auf allen Seiten kommen hinzu. Das Land ist zerstört, Minen verwandeln Großregionen in No-Go-Areale, ungezählte Flüchtlinge im Land und auf dem Weg in den Westen runden das Schreckensbild ab. Diese Tragödie korrespondiert mit den Resultaten weiterer Interventionskriege in der Region zwischen dem Balkan, Mittelafrika und dem Golf. Sogar die Münchner Sicherheitskonferenz spricht hier vom Zerfall der internationalen Ordnung (5).

Jetzt zurück nach Afghanistan, wie es schon wieder gefordert wird, wäre ein erneutes Himmelfahrtskommando für die Nato und für die Menschen im Land (6).

Die propagierten Fehleinschätzungen in der Kommunikation der Bundesregierung, der Bundeswehr und der weiteren westlichen militärischen Kräfte Pflastern den Weg ins Not, Leid und immer weitere Zerstörung auch des Klimas, das unter den Verbrennungsabgasen von Krieg weltweit leidet. Die sich optimistisch gebende Bundesregierung wartete in der Zeit des von Deutschland mitgeführten Krieges in Afghanistan mit so genannten „Fortschrittsberichten“ über die ‚Stabilisierung‘ der Sicherheitslage und Hilfe der Entwicklung auf. Grüne begrüßten die zivil-militärische Kooperation als beispielhaft (7).

Die verbliebene Konsequenz für die gesamte internationale Politik muss der Abschied von der Militarisierung der Weltpolitik sein. Es geht um den Ausbau der internationalen Friedensordnung über die Aufwertung der UNO, der Organisation für Frieden und Zusammenarbeit in Europa und der internationalen Kooperation zur Lösung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Das wird nicht ohne Verhandlungen von Kriegs- und ökonomischen Gegnern gehen. Eine weltweite Kooperation hat der UN-Generalsekretär seiner Zeit U Thant 1969 als Bedingung für die Überwindung der Zukunftsgefährdungen benannt (8). Diese Kooperation muss im Kleinen anfangen, auch in regionalen Friedensverhandlungen. Dazu gibt es keine Alternative.

In diesem Zusammenhang ist auch zur Rolle der Taliban Differenzierung zwingend. In der FAZ, die kein linkes Blatt ist, liest man dieser Tage:

Nicht alle fürchten die Rückkehr der Taliban –
Jalaluddin Shinwari war stellvertretender Justizminister zur Zeit der Taliban-Herrschaft. Für die heutige Regierung im Kabuler Präsidentenpalast hat er nicht viel übrig – und mit dem Vormarsch der Islamisten verbindet er Hoffnung. Nein, ein Mitglied der Taliban sei er nicht mehr, sagt Jalaluddin Shinwari. Ein „aber“ schwebt über dem Satz. Und auch wenn man den freundlichen Herrn öfter trifft und sich lange mit ihm unterhält – es verschwindet nicht. Shinwari war stellvertretender Justizminister zur Zeit der Herrschaft der Taliban über Afghanistan von 1996 bis 2001. Heute lebt er in Kabul und ist in jüngster Zeit so etwas wie ein Taliban-Experte für afghanische und ausländische Medien geworden. Mit jedem Distrikt und mit jeder Stadt, die die Aufständischen übernehmen, wächst das Bedürfnis nach Einordnung. Haben sie Verhandlungsbereitschaft nur vorgetäuscht und von Anfang an geplant, das ganze Land aufs Neue mit Waffengewalt zu unterwerfen? Und würden sie dann so grausam regieren wie in den neunziger Jahren? Ist den Aussagen ihrer Vertreter, dem werde nicht so sein, etwas zu geben?“ (9)

Offensichtlich hat der widerstandsarme Vormarsch der Taliban etwas mit dieser Entwicklung zu tun. Wie sonst sollte man erklären, dass breite Teile der afghanischen Armee bereitwillig oder gar überzeugt so schnell die Seite wechseln und sich den Taliban bei deren Eintreffen vor Ort mitsamt ihrer militärischen Ausrüstung den neuen Herren anschließen. Hinzu kommt eine von den Nato-Kräften übersehene Loyalität vieler Armee-Angehöriger nicht gegenüber ihrer Zentralmacht in Kabul, sondern gegenüber „ihrer eigenen ethnischen Zugehörigkeit oder einem Warlord, für den sie in der Vergangenheit gekämpft haben. Zumindest sind weite Teile der afghanischen Sicherheitskräfte nicht bereit, für die Regierung in Kabul ihr Leben zu lassen…“ , so der Afghanistan-Experte Markus Kaim (10).

Markus Kaim zu den Hintergründen des Nato-Scheiterns der Interventionspolitk, die über Afghanistan hinaus die gesamte sogenannte ‚Sicherheitspolitik‘ der Nato als auf Irrtümern aufgebaut zurück lässt:
„«Es gab über lange Jahre keinen Konsens darüber, was der Einsatz erreichen soll, welche Ziele man hat. Für die USA war es immer eine Terrorbekämpfungs-Mission, während etwa für Deutschland Stabilisierung und der Aufbau von staatlichen Institutionen im Zentrum standen. Die verschiedenen Prioritäten wirkten sich auch auf die Mittelverteilung aus – das war ungut.»
Und…: «Ein solches Unterfangen hat nur Sinn, wenn man vor Ort mit einem Partner zusammenarbeitet, der sich der Umsetzung der gleichen Ziele verschrieben hat. Doch wir mussten feststellen, dass wir es in Afghanistan mit Regierungen zu tun hatten, die korrupt und vor dem Hintergrund der Wahlfälschungen im Land auch nicht unbedingt legitim waren.» Der Leistungsausweis dieser Regierungen sei weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. «Da waren keine Partner vor Ort, auf die der Westen setzen konnte», so Kaim weiter. «Das erkennen wir bei anderen Militärinterventionen auch anderswo, etwa in Mali.»“ (11)

Gerade in Zeiten des Zerfalls und der ökologischen Katastrophe gibt es keine vernünftige Alternative zu einer Friedenspolitik, die den Einfluss der Militaristen und ihrer Helfershelfer zurückdrängt. Das ist die Aufgabe der friedensökologischen Kräfte in den Wochen bis zu Bundestagswahl und darüber weit hinaus. Die Friedensbewegung hat die Verantwortung, den Druck gegen die Nato-Interventionspolitik gerade auch im Wahlkampf in breiten Bündnissen alternativer Kräfte zu steigern.
Alle Kräfte für die Zukunft, auch z.B. die Seebrücke, haben daran Interesse. Insgesamt steht Afghanistan für das Scheitern der Interventionspolitik der Nato. Afghanistan ist das Desaster der NATO und der USA nur vergleichbar mit Vietnam. Es ist das endgültige Ende des sogenannten ‚war on  terror‘, der propagandistisch ‚Antiterrorkrieg‘ genannten „Operation Enduring Freedom“. Dieses Himmelfahrtskommando hat Millionen Opfer gekostet und nicht nur weite Teile der Welt destabilisiert, sondern es hat die gesamte internationale Politik ins Chaos gestürzt.
Eine völkerrechtswidrige, verbrecherische und menschenverachtende Politik ist gescheitert und wir müssen fordern, dass jetzt Schluss ist und Schlussfolgerungen grundsätzlicher Art zu ziehen sind. Auch für die Linke ist damit eine radikale Absage an die NATO endgültig unabdingbar.
Es gibt nur eine Zukunft für die Menschheit, wenn sie friedlich wird. Kriege enden nicht im Frieden.

Linke Friedensaktivist*innengruppe frieden-links.de

Reiner Braun, Kristine Karch, Ekkehard Lentz, Pascal Luig, Willi van Ooyen, Karl Heinz Peil, Werner Ruf, Bernhard Trautvetter

(Quelle: https://frieden-links.de,
Veröffentlicht am 17. August 2021)

(1) https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2011/37148635_kw51_10_jahre_isaf-207270
(2) Sonntagszeitung, 18. November 2001, Quelle: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Terrorismus/galtung.html
(3) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Bundeswehr/weissbuch/strutynski.html
(4) https://welt25.com/2021/08/14/das-afghanistan-desaster-20-jahre-nato-massenmord/
(5) https://securityconference.org/news/meldung/der-zerfall-der-internationalen-ordnung-im-fokus-die-51-muenchner-sicherheitskonferenz-im-lichte-aktueller-krisen-und-konflikte/
(6) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-taliban-roettgen-100.html
(7) https://www.bundeswehr-journal.de/2012/aufbruch-in- und: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1334 eine-neue-zukunft/#more-400
(8) Sithu U Thant, in: Dennis Meadows, Die Grenzen des Wachstums, Stuttgart 1972 S. 11
(9) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-nicht-alle-fuerchten-die-rueckkehr-der-taliban-17481036.html
(10) https://www.msn.com/de-ch/nachrichten/other/wieso-h%C3%A4lt-die-afghanische-armee-die-taliban-nicht-auf/ar-AANbB8b
(11) ebenda